Gertraud Widmann

Zu klein, viel zu klein

Himmel nochmal, dass ich aber auch gar nicht wachsen wollte. Jetzt war ich schon fast vierzehn Jahre alt und immer noch so schmächtig und klein. Beim Turnunterricht stand ich generell als Letzte in der Reihe und wenn ich den großen Medizinball fangen musste, fiel ich damit um. Das Gelächter der Mitschülerinnen habe ich heute noch im Ohr.
    Eine von den ganz G´scheiten aus meiner Klasse, empfahl mir damals „Frauengold“ - ein äußerst beliebtes Stärkungsmittel mit 16,5% Alkohol.
    »Schau mal, sogar mein Busen ist seitdem gewachsen,  sagte sie voller Stolz.
Doch meine Mutter hat es nicht gekauft. Vielleicht war es ganz gut so,  denn gut dreißig (!) Jahre später wurde dieses Gesöff tatsächlich vom Bundesgesundheitsamt verboten, weil es als  krebsfördernd und Nierenschädigend galt.

Naja, es half alles nichts, ich musste mir eine Lehrstelle suchen. Die gab`s 1955 zur Genüge und jede Menge gut gemeinter Ratschläge auch,  zum Beispiel: Köchin (ein Geheimtipp meiner Mutter), Verkäuferin, Schneiderin, Friseuse, usw. Sogar eine Schwester meines Vaters, die vor langer Zeit Nonne geworden war, beteiligte sich daran. Freilich, ich und Klosterschwester - ja sonst noch was!
   Nichts gegen all diese Berufsgruppen, aber ich wollte halt damals unbedingt ins „Büro“. Weshalb hätte ich denn auch sonst in den letzten beiden Schuljahren nebenher Stenographie und Buchführung erlernen sollen? Ganz zu schweigen von dem sündhaft teuren Privatunterricht im Maschinenschreiben. Noch heute sehe ich das mir zugeteilte schwarze Trumm von einer Schreibmaschine vor mir. Sie stand auf einem Wohnzimmertisch der Lehrerin und damit ich die Tasten erreichen konnte, musste man mir ein Kissen unters Hinterteil schieben.
    Jedenfalls, im Frühjahr begann ich mich bei einzelnen Firmen zu bewerben und persönlich vorzustellen. Doch all meine guten Zeugnisse haben mir nichts genutzt, denn ich war denen einfach zu klein, viel zu klein. Zudem haben meine dünnen Zöpfe mein Erscheinungsbild nicht direkt verbessert.

Bezeichnend für die ganze Misere war das Vorstellungsgespräch bei Fa. Ehrlicher - ein alt eingesessenes Haushaltwarengeschäft in der Münchner Innenstadt.  
   In dem riesigen Büro „thronte“ hinter dem mächtigen antiken Schreibtisch ein alter Mann. Seine weißen, etwas verstrubbelten,
Haare und sein Bart ließen ihn direkt wie den Nikolaus aussehen. Es war Herr Ehrlicher senior.
   »Setz Dich - Kind!«, sagte er nur und zeigte auf den wuchtigen Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Ich versank fast in dem Teil. Mir war gar nicht wohl in meiner Haut, begann aber dann die mir gestellten Fragen zügig zu beantworten.
   Danach sah mich Herr Ehrlicher lange an und noch bevor er überhaupt einen Blick in meine Unterlagen geworfen hatte, sagte er in einem unverschämt mitleidigen Ton:
   »Geh weida Deandl, geh doch du no a paar Jahr in d Schui; du bist no so kloa und net amoi auf mein Schreibtisch konst g`scheit nauf  schaung!«.
   SO, SO - ich wäre also zu klein? Zur Schule sollte ich, wenn`s nach ihm ginge, auch noch ein paar Jahre gehen? Und alles bloß,weil ich von diesem tiefen Sessel aus nicht auf seinen blöden Schreibtisch hinauf sehe? Und die ganze Lernerei? Hat die mir überhaupt nix gebracht? Anscheinend nicht.
   Mit Tränen in den Augen kramte ich mein Zeugs zusammen, verließ das Büro und fand mich, völlig niedergeschlagen, unten auf der Kaufingerstraße wieder. Das war also jetzt das letzte Gespräch in punkto Büro-Lehrling und mir wurde klar, dass ich mir einen neuen Beruf aussuchen müsste.

Mittlerweile kamen vereinzelt Geschäftsleute zu uns in die Schule um sich, nachdem sie uns Mädchen wie auf einem „Rossmarkt“ gemustert hatten, ihre Lehrlinge an Ort und Stelle auszusuchen.
   Da fällt mir auf Anhieb die Frau Bäckermeisterin ein, eine große kräftige Person,  die es direkt auf mich abgesehen hatte:
   »Bei mir im Geschäft kannst du so viele Süßigkeiten essen wie du  möchtest, dann wirst auch du groß und stark!«, säuselte sie zuckersüß. Und einmal mehr wurde mir bewusst, was ich doch für ein kleines, mageres Mädl war.
   Deshalb ging mir auch wahrscheinlich das  „Du kannst so viele Süßigkeiten essen …“ nicht mehr aus dem Kopf und ich konnte mir doch glatt vorstellen Backwaren-Verkäuferin zu werden. Aber, als ich mir am nächsten Tag  die Bäckerei ansah, da kamen auf einmal sieben (!) Kinder aus der Backstube gerannt und reihten sich wie die Orgelpfeifen neben ihrer Mutter, der Bäckersfrau, auf. Ja du lieber Himmel, da würde ich ja nur das Kindermädchen machen müssen – nein danke!  
   Weil ich mich jetzt schon mal auf Verkäuferin "eingeschossen"   hatte, bewarb ich mich anderntags bei uns in der Nähe in einem Gardinen-Geschäft. Der Personalchef studierte zuerst einmal meine Unterlagen und führte mich dann in den Verkaufsraum. Dort legte er mir, ohne Vorwarnung, einen Ballen Gardinenstoff
in die Arme – prompt ging ich  damit in die Knie. Der Anzugheini grinste.
   »Schau, du bist für diese Arbeit eindeutig viel zu klein und zu schmächtig, nicht mal so einen Stoffballen kannst du tragen. Gehst halt noch ein, zwei Jahre zur Schule (den Spruch kannte ich doch schon?) - gel.«, sagte er herablassend, tätschelte mir
dabei den Rücken und schob mich aus dem Laden.

Ja Sacklzemet (bayrischer Fluch), wie lang würde ich denn diese saudummen Sprüche noch hören müssen? Ich konnte doch auch nix dafür, dass ich noch so ein mickriges Ding war.
   Auf alle Fälle, SO konnte es nicht weitergehen. Gut, größer und kräftigerr konnte ich zwar auf die Schnelle nicht werden, aber wenn ich mir endlich die "Rattenschwänze" (dünne Zöpfchen)  abschneiden ließe, hätte ich vielleicht mehr Chancen!?
Was  aber einige Tage später dieser Altherrenfriseur mit meinen Haaren angestellt hatte, das grenzte schon an Körperverletzung. Ich sah sowas von bescheuert aus, ich hätte` schreien können. ...

Einige Tage später, da sollten die Weichen für mein berufliches Schicksal gestellt werden! Meine Mutter sprach nämlich mit einer Frau, von der ich wusste, dass sie mit ihrem Mann eine kleine Schneiderei bei uns im Hinterhaus betrieb.
   »… sie könnte sich`s doch in den Ferien mal anschaun?«, hörte ich gerade noch und schlagartig hatte ich begriffen: Da ging`s ja um mich!
  
»Gertraud, du hast doch Lust dazu!«, fragte – was heißt fragte, bestimmte – meine  Mutter.
   Ich war entsetzt, ich und Schneiderin? Das hatte ich doch noch nie werden wollen. Doch die Mutter wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Denn da sie selber nicht nähen konnte, sollte ich in Zukunft alle Näh- und Flickarbeiten übernehmen und sie würde sich so die Kosten sparen für`s Fräulein Theres, unsere damalige Stör-Schneiderin („Stör“, ein alter Ausdruck für die Arbeit, die ein Handwerker im Haus des Kunden verrichtet).
   Ich seh`s kommen, ich würde einmal ganz genauso bucklig und verhärmt enden wie dieses Fräulein Theres.

Und ich hab` mir`s angeschaut – vier Wochen lang. Dabei kam ich zu der Erkenntnis:  Als Lehrling bist ein richtiger Depp.

Trotzdem unterschrieb ich 1955 meinen Lehrvertrag.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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