Christa Astl

Gestern traf ich ihn ...


(Aus meinem Reisetagebuch 2017)

 

Auf meinen Reisen allein begegne ich vielen Menschen, ich beobachte sie, mache mir meine Gedanken. Nur manchmal ergibt sich auch ein kurzes Gespräch.

Eines Nachmittags überkam mich die Lust auf Kaffee, besser gesagt auf Eiskaffee. Ich schaute in verschiedene Lokale, studierte die Eiskarten, wartete aber zu lange, denn die Sonne verschwand hinter Wolken, kalter Wind kam wieder auf, wie zu dieser Jahreszeit fast täglich. Endlich hatte ich mein Lokal entdeckt, wo ich noch einigermaßen windgeschützt im Innenhof sitzen konnte, doch ich bestellte nun Sanddornpunsch mit Sanddorntorte, Spezialitäten, die ich zu Hause nicht bekomme. Für ein Eis war es nun zu kalt. Ich saß allein, genoss noch die spärlichen Sonnenstrahlen.

Ein Mann kam herein, mit langem, ungepflegtem Haar, eingefallenen Wangen, bekleidet mit großgemusterter bunter Jacke, engen schwarzen Lederhosen und abgetragenen unsauberen Turnschuhen. Auffallend waren sein abwesender, weltabgewandter Blick und ein verbitterter Zug um den Mund mit den zusammen gekniffenen Lippen.

Er schien Stammgast hier zu sein, holte sich von drinnen ein dunkles Bier, trank, stehend, an die Mauer gelehnt, hastig. Auf mich machte er einen etwas unheimlichen Eindruck, ich  hätte ihm nicht in der Nacht allein auf der Straße begegnen wollen.

Er schaute an mir vorbei. Sah er mich wirklich nicht? War ich zu alt, um noch seine Aufmerksamkeit zu erregen, hatte er Sorgen, Probleme, die ihn von der nahen Umwelt abhielten, oder wartete er auf jemand? Er stand ja in der Nähe des Einganges.

Außer ihm betrachtete ich diverse Schilder und las Plakate an der Wand. Mein Blick blieb unter anderem an einer Wetteranzeige hängen: Luft 25°, Wasser 22°.

„Das kann aber nicht stimmen!“, meine ich, wieder einmal meine Gedanken laut aussprechend, beiläufig auch an ihn gewandt. Die Lufttemperatur betrug höchstens 12°.

„Das steht schon lange“, lautet seine Antwort mit lächelndem Mund, und ein Paar dunkle Augen schenken mir einen warmen Blick.

Welch wohltuende kurze Begegnung, nur ein Satz, nur ein Blick.

Ein Mensch!

 

ChA 26.04.17

 

 

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