Angela Redeker

.....große Kinder - große Sorgen

Du hast überhaupt keine Ahnung“, beinah hasserfüllt spuckte er ihr diese Worte entgegen, ging und knallte die Tür hinter sich zu.
Sie blieb allein zurück. Mit zittrigen Händen fuhr sie sich durchs Haar, schloss die Augen und rutschte langsam die Wand, an der sie lehnte hinunter. Benommen von Schmerz saß sie da und ließ den Tränen freien Lauf. Am liebsten wäre sie hinterher gelaufen hätte ihn in den Arm genommen und mit einem Pusten alles wieder gut gemacht, doch das ging schon lange nicht mehr.

Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen. Ein Satz, den sie schon oft gehört hatte, der nun eine reale Bedeutung bekam.
Seit einem Jahr suchte er einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechaniker oder Tischler, irgendetwas handwerkliches. Wie alles in seinem 15- jährigen Leben hatte er auch diese Hürde mit viel Elan nehmen wollen, träumte sich fort aus dem Kinderland, informierte sich beim Arbeitsamt, sprach mit ihr von seiner Zukunft, wie er sie sich vorstellte, absolvierte Praktika, vom denen er müde aber glücklich heimkam. Er kostete vom großen Teller des Lebens, der ihm dann ohne Erklärung verweigert wurde.
„Du hast überhaupt keine Ahnung“, klangen seine Worte in ihr nach.
Als ob es ihr besser ging. Jedes Mal wenn sie den Briefkasten öffnete und wieder einen großen braunen Umschlag mit seiner Adresse fand, der eine neuerliche Absage brachte, spürte sie diesen Stich im Herzen, suche nach Worten die ihm helfen könnten, nicht aufzugeben. Aber alles was sie sagte klang hohl, war kein Trost. Sie sah den Abgrund, der sich vor ihm auftat, aber es gab keine Hoffnung, die sie hinein schütten konnte damit er nicht zu tief stürzte.
Sie fühlte sich schuldig, aus reinem Egoismus hatte sie ihn geboren, sie wollte Kinder, die ihr Leben reichen machten.
Vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder von ihm auf. Als er in den Kindergarten kam, voller unbändiger Energie stürmte er in die Räume, zog die Kinder wie auch Betreuer mit seiner lebensbejahenden Art in seinen Bann. Freute sich auf die Schule, die nicht immer seinen Erwartungen entsprach und denn noch sah er jedem Tag mit einem Leuchten in seinen Augen entgegen, voller Erwartung auf das Leben, war offen für das was kommen mag.
Die ersten Absagen erweckten noch eine Art Trotzreaktion, Sätze wie
„Es gibt auch andere Betriebe“, oder „Deren Pech, ich wäre ein guter Lehrling gewesen.“, zeugten von seiner Zuversicht.
Irgendwann folgte Schweigen, er sah die Briefe, wenn er heim kam und oft hatte sie das Gefühl er wurde vor ihren Augen jedes Mal ein Stückchen kleiner. Das Leuchten in seinen Augen wurde schwächer, aber aufgeben wollte er nicht, so baute sich Wut auf, die er in Energie umsetzte, voller Kraft zerriss er die Absagen und suchte sich neue Adressen von Betrieben heraus.
Doch dann kam die Verzweiflung, der sie nicht entgegen wirken konnte.
„Warum Mama?“,
da war noch der kindliche Klang in seiner Stimme
„Zu viele Bewerber“, oder „Es sind schlechte Zeiten“,
Antworten die ihn nicht zufrieden stellten.
„Was mache ich falsch?
Ich kriege ja nicht mal eine Einladung zu einem Gespräch, die kennen mich nicht, warum geben die mir keine Chance?“.,
aus müden beinah alt wirkenden Augen sah er sie an, das Leuchten war verschwunden und sie hatte keine Antwort mehr.
Er hatte recht, sie hatte keine Ahnung, sie sah seine Verzweiflung, aber was sie fühlte war ihr Schmerz.
Für ihn ging es hier um viel mehr als um einen Ausbildungsplatz, für ihn ging es um die Eintrittskarte zum Leben. Alles hatte er richtig gemacht. Er war ein mittelmäßiger Schüler, OK, aber die Welt braucht nicht nur Gymnasiasten, so wie die Welt nicht nur Ärzte braucht. Er hatte sich nicht von den Versprechen, der überall auf seinem Weg lauernden Drogenhändler verführen lassen, war jeden Tag zur Schule gegangen, hatte gelernt
„Du lernst fürs Leben, nicht für die Schule“,
wie oft hatte sie ihm diesen Satz gesagt und nun war die Schule aus und das Leben sagte einfach „Nein“, zu ihm.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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