Irene Beddies

Schatzsuche

 



Schatzsuche

Am Morgen herrschte große Aufregung im Kindergarten. Yvonne, eine der Kindergärtnerinnen, und Jochen, der sein freiwilliges soziales Jahr dort  ableistete, wollten mit einem Teil der Gruppe auf Schatzsuche gehen. Der andere Teil der Gruppe sollte morgen an die Reihe kommen.
Klar, dass alle Kinder schon heute mit von der Partie sein wollten. Also wurde gelost: wer den Zettel mit dem Marienkäfer aus einem Beutel ziehen würde, durfte heute mit, die  anderen, die den blauen Ball auf ihrem Zettel sähen, dürften morgen auf die Schatzsuche.

Berta zog einen Zettel mit einem Marienkäfer. Welch ein Glück! Ungeduldig trippelte sie von einem Fuß auf den anderen. Und schon ging es los. Zu zweit aufgestellt, stapften die acht Kinder Yvonne hinterher. Jochen bildete den Abschluss. Sie marschierten zu einem etwas abgelegenen Spielplatz. Der war umzäunt bis auf zwei Zugänge. Er hatte verschiedene Spielflächen mit unterschiedlichen Geräten. Zwischen den Spielfeldern waren kurzgeschnittene Gebüsche gepflanzt. Gebüsche wuchsen auch an den Zäunen entlang.
Yvonne gab jedem der Kinder eine Sandschaufel in die Hand.
„Hört gut zu“, sagte sie, „ihr könnt den Schatz überall suchen: in den Gebüschen, bei den Schaukeln und der Wippe, bei dem Piratenschiff und dem Kletterzaun und bei der Ritterburg. Ihr könnt im Sand nachschauen und auch an den Wegen. Der Schatz ist in einer Plastiktüte. Wer ihn  findet, bekommt eine Extrabelohnung von mir. Was in der Tüte ist, muss unter euch verteilt werden.“
„Wie sieht die Tüte denn aus?“, fragte Berta.
„Jaaa, das möchtet ihr wohl wissen“, lachte Yvonne, und Jochen meinte: „schlaue Kinder werden es herausfinden.“

Die Kinder stoben in alle Richtungen. Jochen passte auf, dass keines durch einen der Zugänge, die gut zu beobachten waren, den Spielplatz verließ.

Berta rannte zuerst zur Schaukel, schaukelte ein wenig und begann dann, im Sand des Schaukelfeldes zu stochern.
Sie fand dort nichts und dachte nach. Eine Plastiktüte könnte unter einem Busch liegen. Also ging sie auf das nächste Gebüsch zu und schaute von allen Seiten darunter. Nichts. Auch andere Büsche bargen keinen Schatz. Hatte schon ein anderes Kind den Schatz gefunden? Yvonne saß aber noch allein da, wo sie sich auf einer Bank niedergelassen hatte.

Ob vielleicht der Schatz unter der Bank war? Berta fand die Idee prima. Sie ging zu Yvonne und kroch unter die Bank. „He, Berta, was machst du unter mir?“ „Ich glaub, du hast den Schatz da versteckt.“ „Siehst du ihn denn?“ „Nee.“
„Na also, so ein leichtes Versteck habe ich mir nicht ausgedacht“, lachte die Kindergärtnerin, „da musst du noch weiter suchen.“

Berta fing nun an, die Gebüsche am Zaun zu durchsuchen. Da lag allerhand Müll versteckt, eine leere Bierflasche, Tempotücher, Eispapier und ein Kaffeebecher. Auch eine schwarze Tüte mit Hundekot war da.
Berta war enttäuscht, suchte aber verbissen weiter. Hinter einem Papierkorb, an seinem Drahtgeflecht, war eine Plastiktüte angebunden. Das Gebüsch verdeckte sie fast.
War das der Schatz? Die Schnur ließ sich leicht lösen, denn sie war zu einer Schleife gebunden, die Berta nur aufzuziehen brauchte.

„Ich hab den Schatz, ich hab den Schatz!“, rief sie schon von weitem und stürzte auf Yvonne zu. Zur gleichen Zeit kann Felix angerannt. Er hatte ebenfalls eine Tüte in der Hand und streckte sie Yvonne entgegen.

Die Kindergärtnerin  war verwirrt. „Das ist der Schatz, Felix, du bekommst die Belohnung. – Und nun wollen wir sehen, was da drin ist.“ Yvonne öffnete die Tüte. Lauter leckere Süßigkeiten kamen zum Vorschein.

„Ich hab doch auch einen Schatz gefunden, ich kriege auch eine Belohnung.“
„Berta, lass uns sehen, was dein Schatz ist.“ Yvonne öffnete die zugebundene Tüte und staunte nicht schlecht: in ihr waren  mehrere goldene Ringe, eine Kette mit Anhänger, Geld und eine schwarze Mütze. "Was war das?"  „Geklaute Ware“, vermutete Jochen, „wir müssen die Polizei rufen.“ Und schon hatte er sein Smartphone gezückt.

War das eine Aufregung, als die Polizei mit einem Streifenwagen vor dem Spielplatz hielt. Ein Polizist und eine Polizistin stiegen aus und befragten die Erwachsenen.
Yvonne erklärte die Schatzsuche und den seltsamen Fund. Sie zeigte auf Berta.
Die junge Polizistin  hockte sich vor das Kind und fragte es aus. Berta berichtete umständlich von ihrer Suche. Der Beamte bat sie, ihm die Stelle zu zeigen, wo sie die angebundene Tüte gefunden hatte.

„Du bist unsere kleine Heldin“, sagte die junge Polizistin, „du bekommst sicherlich Finderlohn, wenn wir die Diebe haben und die Besitzer ausfindig gemacht wurden. Jetzt darfst du mit deinen Spielkameraden in unser Auto und alles ansehen.“ Sie zeigte ihnen nicht nur das Innere des Autos, sondern auch noch die Handschellen. Die Uniformmützen durften die Kinder ebenfalls aufprobieren. Jochen machte mit seinem Smartphone ein Foto von jedem Kind unter der Mütze. Von Berta machte er eines zusätzlich mit dem „Schatz“ in der Hand. „Ich will Polizei werden, ganz bestimmt“, versprach Berta, als die Polizistin ihr die Hand gab.
Als die Polizei weg war, verteilte Yvonne den wahren Schatz, obwohl es bald Mittagessen geben würde. Heute war eben ein besonderer Tag.

Eine Woche später klingelte es an der Haustür. Ein Polizist stand davor und reichte Berta, die natürlich mit als erste zur Stelle war, ein Päckchen. „Hier ist der Finderlohn für dich. Die Sachen gehörten einer alten Frau. Sie war so glücklich, ihre Sachen wieder zu bekommen. Sie sendet dir dies mit vielem Dank.“
„Habt ihr den Dieb gefunden?“ wollte Berta noch wissen. „Ja, es waren zwei junge Leute. Sie müssen vor Gericht.“
„Müssen sie ins Gefängnis?“ „Das entscheidet nicht die Polizei, das entscheiden andere Leute. Bestraft werden sie sicherlich irgendwie.“

Berta machte im Wohnzimmer unter den Augen von Greta und Mira das Päckchen auf. Darin war, in Watte gewickelt, eine Kette aus bunten Glasperlen. Berta ließ sich von Mira helfen, die Kette umzulegen. Sie war etwas zu lang. „Du wächst ja noch“, stellte Greta fest, „wenn du so groß wie Mira bist, passt sie dir genau.“

Voller Stolz tanzte Berta im Zimmer auf und ab.

 

© I. Beddies


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.07.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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