Matthias Scharschmidt

Gerichtstag auf Xeru

 

1

 

Langsam erwachte Ray Delmont aus seiner Bewusstlosigkeit. Es
dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an das grelle, gelblich-
gleißende Lichterband gewöhnt hatten, das den H
immel des
Planeten spiralförmig durchzog.

 

In etwa dreißig Meter Entfernung nahm er die Trümmer des
Raumfahrzeuges wahr. Nach der Not
landung waren Joe Morris und
er durch das automatische Rettungssystem aus der Stahlkapsel
herausgeschleudert worden.

Joe Morris stöhnte und wälzte sich, offenbar unter quälenden
Schmerzen, hin und her
. Ray Delmont klappte eine der
Seitentaschen an seinem Raumanzug auf und schob die für solche
Fälle vorgesehene Schachtel mit den schmerzstillenden Kapseln in
Richtung seines Kameraden. Die etwa anderthalb Meter bis dortin
waren leicht überbrückbar, da die gegenüber den Verhältnissen in
der Erdatmosphäre geringere Schwerkraft des fremden Planeten die

Schachtel regelrecht schwebend bis hin zu dem Verletzten
transportierte.

Joe stöhnte wieder auf und tastete mit unsicheren Handbewegungen
nach der Schachtel
. Mühsam öffnete er die Schachtel und schob eine Kapsel
durch eine kleine Öffnung seines Helms in den Mund.

Ray Delmont überlegte fieberhaft: Lange würde es sein Kumpel
nicht mehr machen, das war abzusehen, nachdem nach einer ganzen Weile

erneut Schmerzenslaute von Morris zu hören waren.

Rays Sauerstoffvorrat war bald bis zu drei Viertel aufgebraucht.

Was, wenn er ganz zur Neige gegangen war? Sein Blick fiel auf Joes
Sauerstoffflaschen. Nein, dieser Gedanke war ebenso absurd wie
verwerflich. Letzten Endes würden sie beide sterben, so wie es der
Verhaltenskodex 12 C der für solche Grenzfälle aufgestellt worden
war, vorsah.

Ray dachte an seine Familie. Susan hatte sich wie gewohnt auf
seine zweiwöchige Abwesenheit eingestellt
. Wenn er jetzt darüber
nachdachte, war ihr Kuss zum Abschied routinemäßig, ja regelrecht
mechanisch ausgefallen. "Pass gut auf dich auf
, Schatz" gab sie ihm
mit auf den Weg. - "Wie immer", hatte er geantwortet und war in den
wartenden Van gestiegen. Ein kurzes Winken aus dem
Seitenfenster, das war's. - Da war noch Sauerstoffvorrat in Joes
Flaschen, das erkannte Ray jetzt ganz deutlich an der Meßskala.

Kurz entschlossen riss er den Sauerstoffschlauch am Raumanzug
des anderen von der Verkabelung und führte das Ventil an seiner
Luftzufuh
r ein. Aufatmend registrierte er, wie die neue Luft seine
Lungen langsam füllte. Joes Atemzüge hörte er allmählich
schwächer werden, bis sie schließlich ganz zum Stillstand kamen
. So
starb also der alte Kampfgefährte. Ihm selbst, Ray, wuchs neues
Leben zu. Hätte es denn Sinn gemacht, wenn sie beide
draufgegangen wären?

 

 

2

Im übrigen hatte er sich auch nie besonders gut mit seinem Kollegen
verstanden. Das Oberkommando hatte sie im Grunde
gezwungen, ein Team zu bilden, und das nur, weil sie sich vor drei
Jahren bei der Bergung einer Raumkapsel besonders bewährt
hatten
.
- Ray hörte ein leises Röcheln neben sich. Joe lag in den letzten
Zügen.

Noch ein kurzes Aufbäumen, dann fiel der schwere Körper mit dem
massigen Raumanzug förmlich in sich zusammen.

- Ray langte nach seiner Wasserflasche und sog einen tiefen
Schluck ein. Hatte er Grund
, sich schuldig zu fühlen? Diese Frage
begann in ihm zu bohren
. Aber er kam zu dem Schluss, dass sein

Handeln der einzige Ausweg war. Ohne Hilfe, auf einem fremden Planeten:

er sagte sich, letzten Endes hätte Joe an seiner Stelle genauso entschieden.

Ray blickte sich um und richtete sich langsam auf. Die Landschaft

war kahl und flach, nur stellenweise von einigen Felsbrocken
unterbrochen. Die Luft schien mit Hilfe der Geräte atembar
, obwohl
immer wieder gelbliche Schwaden als dichter Nebel vom Boden
aufstieg. Beide Raumfahrer waren wohlweislich mit
Sauerstoffgeräten ausgestattet worden
, die die Unverträglichkeit fast
jeder außerirdischen Atmosphäre kompensieren konnten.

Der Himmel war in schwärzliches Grau getaucht, obwohl von ferne
her ein sonnenähnliches Gebilde seine Strahlen in den Raum warf
.

Würden sich hier dem Menschen gemäße Lebensbedingungen
finden lassen?

Ray rappelte sich langsam auf. Schwer atmend kam er schließlich
auf die Beine und machte die ersten tapsigen Schritte in die neue
Umgebung
.

In der Nähe war ein See, mit trüber, wasserähnlicher Flüssigkeit

gefüllt. Die Gräser an seinem Ufer strahlten dagegen in
merkwürdigem Kontrast in üppigem Grün. Einige hundert Meter von
seinem Standort entfernt ragten metallgraue Felsen in den Himmel
.
Wasservorrat war noch im Raumschiff. lm übrigen hatte er noch ein

Wasserreservoir seitlich an seinem Raumanzug, dass selbst durch
den Sturz aus der Kabine nicht beschädigt worden war
.


... In der Ferne tauchten plötzlich seltsame Gestalten auf ...

Die wespenartigen Wesen bewegten sich langsam auf der
grobkörnigen wellenförm
igen Sandfläche weiter.

Überlange Arme griffen nach vorne, um den spindeldürren Körper
abzustützen und liessen die kurzen Beinchen nachschleifen; eine auf
den Erdbewohner äußerst mühsam wirkende Fortbewegungsart. Die
insektenartigen Wesen mit den dünnen Fühlern an den spitzen
Köpfen schienen sie aber auf selbstverständliche und lang gewohnte
Weise zu praktizieren.

 

 

3

Ray wollte zuerst die Flucht ergreifen, entschloss sich dann aber, die
Begegnung in Ruhe zu erwarten. Er wollte in keiner Weise Anlass zur

Aggression bieten.

Langsam kam eines der Wespenwesen auf Ray zu. In der
flirrenden Luft tönte seine Insektenstimme als hoher Ton
, gleichsam
als werde von einer Opernsängerin eine Arie in kaum vernehmlichen

Lauten vorgetragen: "Was suchst du auf unserem Planeten,Fremdling?"

Seltsamerweise wurden die Töne für Ray sofort in die ihm vertraute
Erdensprache, sein texanisches Amerikanisch, umgesetzt und
verständlich.

"Wir suchen hier nach Bodenschätzen und Lebensraum für die zu
erwartenden Siedler der Erde", antwortete er
.

Damit war zugleich die Frage nach seiner und Joes Herkunft
beantwortet
.

In seiner Verwirrung, dem Glauben geschuldet, sich verteidigen zu
müssen, hatte er Joe wie einen noch Lebenden erwähnt
.

Den Wespen-Anführer schien das gar nicht weiter zu interessieren.

Er streifte den am Boden liegenden nur mit einem Seitenblick. "Ich
bin Tel-Ru" teilte er mit, und Ray nannte daraufhin seinen Namen
.
Tel-Ru drehte sich zu seinen Artgenossen um und schien sich mit

ihnen zu beraten.

Die Insektenwesen zogen sich langsam zurück. Ihre Beratung schien einen

einen längeren Zeitraum in Anspruch zu nehmen.

Ray merkte erst jetzt, wie ihn die Ereignisse seit der Landung auf dem Planeten Xeru

erschöpft hatten. Der Schlaf übermannte ihn.

.

Flimmerndes Licht geißelte die Augenlider. Das gleißende Farbenspiel, das sich jetzt am Firmament zeigte, war mit nichts zu vergleichen, was er von der Erde kannte und löste einen dumpfen Schmerz in seinem Kopf aus.

Die Bilder rasten durch seinen Kopf: Achtung, Landeanflug! Der
Planet lag im schimmerndem Abendlicht unter ihnen. Joe ordnete
sich bereitwillig Rays Befehlen unter. Über die Jahre ihrer
Zusammenarbeit war ihm das zur Selbstverständlichkeit geworden.
.Antriebshebel runter, Zylindertriebwerke ausfahren!" In hundertmal
geübtem Gleichmaß wurde alles ausgeführt
.

Auf dem großen Plasma-Schirm in der Kommandozentrale leuchtete
innerhalb des schwarzen Weltalls plötzlich ein strahlendes Licht auf,
das sich vom Mittelpunkt aus spiralförmig nach außen verbreitete
.

Rote, blaue und andere vielfarbige Kreise lösten sich aus dem
Bildsch
irm und schienen auf einmal in die Mitte des Raumes
vorzudringen.

"Joe, fahre die Triebwerksleistung runter, schnell!" Rays verzerrte
St
imme gellte durch die Kommandolautsprecher. Mechanisch
bediente Joedie Hebel, der Boden bebte kurz unter dem
Abfangdruck der Rotoren und der Flug der Rakete verlangsamte sich
stufenweise.

 

 

 

4

Flammend rote Gasströme der schwenkbaren Heckkammern richteten
diesen Teil des Schiffes auf, das vom Navigationsroboter
vollautomatisch auf den endgültigen Zielkurs gebracht wurde.
Aufzuckende Rotationszeiger markierten den Ausgleich zur
nachlassenden Schwerkraft.
Gebannt von den Bodendüsen an Bug und Heck, raste das
Raumschiff in einem immer stumpfer werdenden Winkel über den
Boden hinweg. Über ihm war das schwingende Wolkengeflecht und
das Konglomerat der noch darüber liegenden Schichten aus schwefelbeladenem
Wasserdampf.

Ray erwachte aus traumschwerem Schlaf. Auf den Hängen lag der
milchig grüne Schleier der Morgensonne von des Planeten Xeru.

Seine Träume kreisten also immer noch um den Anflug auf den
Planeten gekreist
. Gähnend rieb er sich die schlaftrunkenen Augen.

Die gelb-bläulich schimmernde Sonne tauchte den Morgen in ein
g
leißendes Licht. Ray zog die Sonnenblende vor die Augen. Allein
auf Xeru; so stand er mühsam auf, die Außenventile seines Raumanzugs zischten fauchend; sie

kompensierten den fehlenden Außendruck in Relation zur Schwerelosigkeit des Planeten.

Er probierte sein Funkgerät aus: "Hallo, hier Ray Delmont, hallo Erd-
Station"
...

Ein Knacken ertönte aus dem Lautsprecher; keine Antwort. Dann die
vertraute Stimme von Simon Evers, des Kommandanten der
Bodenstation: "Alles klar da oben Dehmont?" - "Alles klar, Sir",
antwortete Ray befehlsgemäß.

"Wir werden Ihnen Verstärkung nach Xeru schicken," schnarrte die

Funkstimme von Simon Evers aus dem Lautsprecher.

"Wir müssen nur noch den geeigneten Mann in der

Endausscheidung auswählen. In circa einer Woche sind wir soweit".

Ray verschlug es die Sprache. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine

Tat würde würde entdeckt werden. Aber wiederum fragt er sich: war er denn

wirklich schuldig? Es war ums nackte Überleben gegangen in einer

extremen Situation, noch dazu auf einem fremden Planeten. Jeder

Astronaut an seiner Stelle hätte so gehandelt, ja handeln müssen.

 

Plötzlich ballten sich dunkle Wolken zusammen und ein

monsunartiger Regen prasselte nieder. Ray suchte Schutz unter

einem überhängenden Felsen.

Da waren sie schon bei ihm, umstanden ihn in einem Kordon von

sechs, sieben Riesen-Wespen. Sie packten ihn an Schultern und

Beinen und schleppten ihn in eine geräumige Höhle, dann in einen

tunnelartigen Gang, der in eine noch größere Höhle mündete, die

schwach erleuchtet war. An ihrer Rückwand war ein Altar aufgebaut.

Ray wurde auf einen erhöhten Steinquader gelegt. Das Blut schoß

ihm in die Schläfen und er zitterte am ganzen Leib. War das sein

Ende? Hatten diese fremdartigen Wesen seine Schuld erkannt und

wollten ihn jetzt richten?

 

 

 

5

Gleißende Helle erfüllte plötzlich den Raum. Einige Insekten-Krieger
hatten sich in einer Ecke der Höhle zusammengefunden und
schienen sich zu beraten.

 

Da kam einer aus ihrer Mitte hervor und trat vor Ray hin. Ein hohes,
vibrierendes Wispern ertönte, und eine etwas größere Wespe, aufgrund

ihrer seltsamen Orden als "Chef" erkennbar, drückte ihm zwei winzige

Kapseln in jedes Ohr. Das schien eine Art Mini-Sender zu sein, denn

Ray hörte wieder einmal ein Alien in seiner Erdensprache sprechen.
"Wir haben die Vorgänge bei eurer Landung beobachtet
," sagte er.

"Wir, das Volk der Xorgs, mögen euch Erdlingen zwar nicht gleichen,
aber unsere ethischen Maßstäbe ähneln den euren. Du hast deinem
Kameraden das Leben genommen, um dein eigenes zu retten
.

"Aber", stammelte Ray, "was sollte ich tun? Ich war gezwungen so zu
handeln, sonst wäre ich selbst gestorben!" "Ich gebe zu, dies waren
besondere Umstände" erwiderte der Xorg. "Ob sie unser Urteil
verändern können, wird zu prüfen sein. Wir ziehen uns jetzt zur
Beratung zurück."

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.08.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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