Maria von Däniken

Überfall auf unseren Van. (Thailand 1986)

Nein, diesen 25. Juni 1986 werde ich nie vergessen!
Wie jeden Tag verlassen auch an diesem 25. Juni 3 Kleinbusse das Dorf. (Bis zum Flüchtlingslager ca. 45 km, davon etwa 12 km Schotterpiste.) Einer von ihnen fährt den Umweg über die Stadt Loei zur dortigen Bank. Am Monatsende erhalten jene, bei den NGO's arbeitenden Flüchtlinge einen Lohn. Ich selber sitze in einem direkt ins Lager fahrenden Van. Neben mir eine Finnin. Alle andern sind Thais, total 14 Personen. Meine beiden Kolleginnen sitzen im Van nach Loei. Auch sie holen Geld für ihre Mitarbeiter im Lager.
Gute Verstecke beidseits der Schotterpiste
Bis zur Schotterpiste verläuft die Fahrt wie jeden Tag. Auf der Piste rechts und links hohe Sträucher und Gestrüpp. Ich sitze rechts am Fenster, direkt hinter dem Fahrer (in Thailand sitzt der Fahrer rechts, weil man wie in England links fährt). Neben mir in der Mitte die Frau aus Finnland, links von ihr auf dem, zum Einsteigen faltbaren Sitz, eine junge Thailänderin. Noch etwa 7 km sind wir vom Lager entfernt als plötzlich, wie aus dem Nichts 3 Maskierte vor uns auftauchen. Maschinengewehre im Anschlag, zielen sie ohne Vorwarnung auf die Pneus. Den Bruchteil einer Sekunde komme ich mir vor wie in einem Film, kann einfach nicht glauben was ich da direkt vor mir sehe. Schon fällt der erste Schuss. Reflexartig ducke ich mich so tief wie möglich in meinen Sitz, meine Nachbarin ebenso. Absolute Stille im Van. Alle scheinen den Atem anzuhalten. Nur unser Fahrer fährt weiter.... und weiter.... und weiter - als wäre alles ganz normal...... 
....... auf den Felgen...... immer weiter 
Er fährt und fährt und draussen kracht Schuss um Schuss. Bald spürt man deutlich dass wir nur noch auf den Felgen fahren. Ich halte mich tief über meine, auf meinen Knien liegende neue Tasche gebeugt, drücke sie total zusammen - hatte sie am Vortag im Lager gekauft. (Dies erwähne ich hier weil ich im Nachhinein über meine Gedanken in diesem bedrohlichen Moment nicht erbaut war.) Da liege ich also, so tief wie möglich über diese Tasche gebeugt. Statt zu beten wie es die Finnländerin neben mir tut, kommt mir der Gedanke: "Schade, bald wird diese schöne neue Tasche voller Blut sein". Ist es meine Art mit der Angst umzugehen, sie auf diese Weise verdrängend? Das Schiessen scheint kein Ende zu nehmen. Wir fahren immer noch, langsam zwar, aber immer noch. Die da draussen sind sicher nicht mehr vor, sondern gleich neben, und bald hinter uns. Haben wir sie vielleicht schon überholt? Dann sind sie jetzt hinter uns.... Sind sie nicht jetzt, in diesem Moment hier neben mir, nur durch dünnes Blech und Fenster von mir getrennt? Könnte ich sie durch leichtes Kopf-heben nicht sehen? "Sei still Maria, keine Bewegung, kein Mucks!" Ich zähme meine Neugier - bin ja nicht wahnsinnig - hebe den Kopf nicht, schaue nicht aus dem Fenster. Bald wähne ich sie hinter uns. Sie schiessen weiter, auf den Tank; können weniger genau zielen weil unser Van eben eine kleine Anhöhe erklimmt. Immer noch kein Muks im Van. Unser Fahrer muss noch leben; lägen wir sonst nicht schon längst rechts oder links im Graben?
Unser Glück: der zweite Van fährt gleich hinter uns 
Urplötzliche Stille. Kein Schuss mehr. Der Fahrer verlangsamt, stoppt schliesslich. Ich richte mich ganz langsam auf, blicke in die Runde. Niemand spricht ein Wort, alle wie versteinert dasitzend. In der Mitte der hintersten Reihe ein Thai, sein Mund weit geöffnet, seine Augen hervorquellend, sein Hemd blutgetränkt. Blick nach unten weil ich spüre dass an meinen Schuhen etwas klebt: Blut. Ich steh im Blut. Endlich blicke ich nach draussen. Gerade will uns der 2. Van überholen. Um auf uns aufmerksam zu machen rufen und gestikulieren wir wie Irre. Jetzt erst bemerken dessen Insassen unsere blanken Räder. Sie verstehen und halten an. Stotternd erzählen wir ihnen das Vorgefallene und wie froh wir seien, dass sie hinter uns fuhren und so die Täter zum Rückzug zwangen.
Eine Tote und ein wundersam Geretteter
Aussteigen kann ich erst nach meinen beiden Nachbarinnen. Ich höre die Finnländerin neben mir flüstern: "Warte, ich kann nicht aussteigen, kann mich nicht bewegen, die junge Frau neben mir liegt mir zu schwer auf". Diese junge Frau - kaum 25, zu Hause ein Kleinkind - ist tot. Ihr Blut klebt an meinen Schuhen..... Sie hatte sich zu wenig geduckt, vor allem als von hinten geschossen wurde. Eine Kugel traf sie im Hals, sie verblutete. Sie wird als Erste ausgeladen und sofort ins Spital gefahren. Leider zu spät für sie. Der blutverschmierte Mann in der hintersten Reihe: angeschossene Lunge. Er kommt ins Spital der nahe gelegenen Stadt und kann gerettet werden. Ein anderer Mann, in der hinteren rechten Ecke sitzend, spricht dauernd von einem Wunder. Er zeigt mir seinen, jeden Tag hinter seinen Rücken gestellten Behälter mit Eiswürfeln. Das Eis hat eine Kugel ab- oder umgelenkt. Tatsächlich sind zwei Löcher zu sehen, eines hinten, eines seitlich. Ein- und Austritt der Kugel. Den Rest des Tages verbringen wir auf dem Polizeiposten im Lager. Der Van steht draussen. Wir versuchen die Einschusslöcher zu zählen, kommen auf mindestens 25 Löcher, die meisten in Räder und Tank. Ich bemerke ein Loch gleich unterhalb des Fensters wo ich sass. Komisches Gefühl..... ich lebe noch. Es hätte auch mich treffen können (kein Blut auf meiner neuen Tasche....). Später erfahren wir dass die Schützen Thai-Soldaten gewesen seien. (Thailand hatte zu jener Zeit überall im Grenzgebiet zum Laos noch Militär stationiert). Bestimmt hatten sie es auf das, für die Flüchtlinge bestimmte Monatsgeld abgesehen und dachten, unser Van würde es transportieren. Am selben Abend und noch viele Abende danach glaubte ich, nie mehr alleine im Zimmer schlafen zu können. Eine junge Thai, damals für ein paar Monate bei uns wohnend, nahm schwups ihre Matratze und schlief einige Nächte bei mir im Zimmer.
 
 
 
 

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