Anna Elisabeth Hahne

5. Aus meinem Brasilien- Tagebuch, 11.07.2005

Heute wollte ich nun endlich die passende Bank zu meiner Bankkarte finden.
Nach dem Frühstück packte ich meine sieben Sachen. Als ich an der Rezeption vorbeigehen wollte, kamen Rosa und eine Frau, die für die Sauberkeit im Haus zuständig war, zu mir. Wir unterhielten uns (natürlich ich in meinem „traurigen Brasilianisch“), und es stellte sich heraus, daß Rosa auch mit dem Bus in die Stadt wollte.
Rosa kannte sich gut aus. Sie studierte Pharmazie, wohnte wöchentlich fünf Tage in diesem Hotel, kam gebürtig aus Puerto Rico und wohnte, bevor sie in dieses Haus kam, in Rio de Janeiro. Rosa erzählte, daß sie aus einer armen Familie kommen würde. „Nur Leute, die reich sind, können reisen“, sagte sie zu mir, und meinte mich.
Rosa und ich fuhren mit dem Omnibus, und wir mußten unterwegs einmal umsteigen. Die Busfahrer waren alle sehr jung. Sie fuhren temperamentvoll und routiniert durch die Straßen. In jedem Bus waren zwei verantwortliche Männer. Der Fahrer konzentrierte sich auf Fahrbahn und Verkehr, und der zweite Herr (Schaffner, früher bei uns), saß in einem durch Metallstäbe abgezweigten Sitzraum, und nahm das Fahrgeld der Fahrgäste entgegen. Von Zeit zu Zeit holte er immer wieder die eingezahlten Geldscheine hervor, durchblätterte und zählte sie. Ich fand das sehr amüsant. Der Mann tat das voller Stolz, und ich dachte: „Stell Dir mal vor, es wäre Dein Geld, was würdest Du damit machen?“ Doch leider war es ja nicht seins. 
Die Busse sahen innen gepflegter aus, als außen. An den Außenwänden haftete überall der trockene Straßenstaub.
Die Busfahrt ging durch wunderschöne, breite Alleen, durch schmale, holprige Gassen, vorbei an umzäunten und gesicherten Villen, an heruntergekommenen Häuser, Hütten und Überdachungen.

Als Rosa und ich in der City ankamen, gab mir Rosa, mit ihren Augen, zu verstehen, daß wir aussteigen mußten. Ich merkte mir die Häuserfronten, damit ich für die Rückreise jederzeit auf der sicheren Seite war.

Doch dann war ich erstaunt. Wohin ich auch sah, überall junge Menschen. Das Alter der Passanten schätzte ich auf 18 – 35 Jahren. Ich war völlig beeindruckt. Ein Gewimmel von Menschen, und ich dachte daran, daß ich in meinem Leben noch nie so viele junge Menschen auf einmal, geschäftig, hin und her laufen gesehen hatte.
Ich war angekommen in der City, in der viert größten Innenstadt, und der dritt wichtigsten Stadt von Brasilien, in Belo Horizonte (2,4 Millionen Einwohner). Viele Straßen, die Rosa und ich entlang liefen und überquerten, waren in jeder Richtung mehrspurig. Wir sahen großzügige Alleen, postmoderne Hochhäuser nebeneinander gereiht, Kirchen, alte Jugendstilhäuser, Museen, Parks und immer wieder Grünflächen dazwischen. Insgesamt präsentierte sich eine ansprechende Architektur im großzügigen Stil. Belo Horizonte vermischt viele Baustile, die alle das Ebenbild der Evolution der Stadt haben: Neoklassisch (Ende des 19. Jahrhunderts), Art-deco (40er Jahre), Modern (50er und 60er Jahre) und Nachmodern (1980). Belo Horizonte, für mich eine faszinierende Stadt. Sauberkeit und ein gepflegtes Straßenbild standen hier an erster Stelle. Auch die Geschäfte, Restaurant`s, Kaffees, die Häuserfronten legten wert auf ein einladendes Erscheinungsbild. Straßenkehrer, Schuhputzer waren im Einsatz und natürlich auch Polizisten (auch berittene Polizisten), dazu die Sicherheitsleute vor den Geschäften. Sie vermittelten mir, und ich nehme an, auch anderen Passanten, ein sicheres Gefühl. Immer wieder fielen mir, vor allem die Frauen auf, die ihre Handtaschen am Körper, eng gepreßt, hielten. Es herrschte ein reges, angenehmes und nicht so streßiges Treiben in den Straßen, wie bei uns. Die Menschen schienen mir unkomplizierter, höflicher, ungezwungener. Sie schauten sich während des Gespräches in die Augen, und ich war fasziniert und beeindruckt von ihnen, von ihrer Ausstrahlung, von ihrem Charisma. Ich verspürte zum ersten Mal Vertrautheit, und nicht dieses: „Ich bin eine Ausländerin, die wollen mir was, oder ich muß auf der Hut sein.“

Ich hatte zuvor schon sehr viele Großstädte gesehen, aber keine konnte ich mit dieser vergleichen. Ich wußte, daß Belo Horizonte, vor über 100 Jahren nach dem Vorbild Washingtons, auf dem Reißbrett entworfen wurde.

Rosa und ich liefen die Straßen entlang, und klapperten sämtliche Banken ab. Die Bankleute waren freundlich, und entgegenkommend. Doch leider konnte mir keiner helfen. „Was sollte ich nur machen?“
Rosa hatte noch eine letzte Idee. Sie rief mit einer Telefonkarte einen Bekannten an, und dieser nannte ihr eine Adresse, die wir dann aufsuchten. Dort bekam ich ohne zu zögern meine Euros in Real umgetauscht.
Der kleine Laden schien mir ein wenig außergewöhnlich, zumal ein uniformierter Herr ständig an der Tür nach rechts und links durchs Schaufenster, von innen nach außen, schaute. Ich bedankte mich für die Hilfe, und bemerkte gleich, daß ich durch den Umtausch bedeutend mehr Real bekommen hatte, als in Deutschland. Es war ein Geschäft „unter der Hand“, nahm ich an, aber ich war durch diese Aktion vorläufig einen Schritt weiter. Aber dennoch war mein Problem, durch diese Aktion, immer noch nicht gelöst.
„Wo befand sich die passende Bank zu meiner Bankkarte oder umgekehrt?“

Als ich später wieder im Hotel zurück war, erholte ich mich kurz, ging dann zum Supermarkt einkaufen, wo mich die Kassiererin mit einem strahlenden Lächeln begrüßte. Anschließend bekam ich noch aktiven Sprachunterricht von Maria, einer guten Seele des Hotels.
Zum Schluß des Tages tauchte noch Leon auf, der unbedingt wissen wollte, wie ich heiße, und meinte, ich sei Engländerin.


Fazit: Hier in der Gegend, in der ich wohne, ist es tatsächlich gefährlich, wie ich selbst feststellen konnte.

Es war zwar ein anstrengender Tag, aber auch ein Tag voller menschlicher Harmonie und Wärme. Ich bin dankbar, daß ich hier sein kann.

 

Anna Elisabeth Hahne

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