Gertraud Widmann

Zugfahrt zweiter Klasse


In der heutigen Zeit, wo ICE`s durch`s Land brausen,
kann man es sich eigentlich gar nicht mehr vorstellen,
mit einem „Bummelzug“ zu fahren. Noch dazu, wo der
damals in zwei Klassen unterteilt war. Ein Zugschaffner
der die Billettl (Fahrkarten) kontrollierte, schaute ganz
genau hin. Weil nämlich in der Ersten Klasse die Sitze
gepolstert (!) waren und in der Zweiten waren es nur
Holzbänke. Mei Liaba, da hatte man sich schnell einmal
einen Schiefer (Splitter) eingezogen!

Eines Tages machten meine Eltern, mein Bruder und
ich also mit einem dieser „Bummelzüge“ eine Wallfahrt
(Pilgerreise) nach Altötting.
   Übrigens, so eine Wallfahrt war in der damaligen Zeit
durchaus üblich, auch wenn man nicht so „christlich"
war. Denn damit bedankte man sich bei der „Heiligen
Muttergottes“, weil man beispielsweise von Feuer, Blitz
und Hagel verschont geblieben war, aus einer Notlage
gerettet wurde, oder einen Unfall überlebt hatte. Und
vor allem ging man wallfahrten, wenn man eine schwere
Krankheit (in unserem Fall, die Herzerkrankung meines
Bruders) heil überstanden hatte.

Schließlich war`s soweit und obwohl es wie aus Kübeln
goß,  gingen wir zu Fuß zum Münchner Hauptbahnhof.
Wenn ich zurückdenke, dann sind wir damals eigentlich
alles zu Fuß gegangen ... Gut, manchmal fuhren wir
auch mit der Straßenbahn.
   Als wir ankamen stand dieser „Bummelzug“ schon
bereit. Die große schwarze Dampflok glänzte im Regen
und „schnaufte“ leise vor sich hin. Die Waggons, die
irgendwann mal grün gewesen waren, hatten allerdings
auch schon bessere Tage gesehen.
   »Ja, ja, für d Wallfahrer glangt`s (reichts) scho!«,
grantelte mein Vater und stieg ein – wir drei hinterher.
   Drinnen im Waggon sah`s auch nicht besser aus. Ein
paar Fenster konnte man nur mit einem provisorisch
angebrachten Strick auf- und zumachen und von der
Decke hingen arg zerrissene Gepäcknetze (!). An die
Rückwand des Waggons hatte man die Reklame eines
Spülmittels geklebt: „Pril entspannt das Wasser“ stand
darauf. Das passte direkt, denn rechts und links davon
lief das Wasser an der Wand entlang und sammelte sich
auf der Sitzbank. Aha, deshalb war da noch alles frei
gewesen …
   Schließlich hatten wir dann doch Sitzplätze ergattert,
denn ein paar „fromme“ Frauen, die jetzt schon drauf
los beteten, als gäb`s kein Morgen, die rückten dann
doch gnädigerweise ein bisschen zusammen.
   Ein schriller Pfiff ertönte und ganz gemächlich setzte
sich der Zug in Bewegung. Die Räder kreischten, der
Waggon ächzte und knarrte und der Schornstein der
Lokomotive qualmte was das Zeug hielt. Da war`s dann
auch kein Wunder, dass sich kurz darauf Rauch und
Ge-stank im Waggon verteilte.
   »Himmelherrschaftszeitn, welcher Depp hat denn da
hinten sein Fenster auf?«, polterte ein alter Mann.
   »Zuamacha, aber schnell!«, schimpfte er.
Rumms – und zua war`s.

Schön langsam legte sich die allgemeine Unruhe und
die Frauen beteten ihren Rosenkranz weiter, allerdings
etwas lauter – aber nicht unbedingt deutlicher!
Jedenfalls, der sich ständig wiederholende Satz “Bitt
für uns“ hörte sich immer mehr wie „NIX für uns“ an.
   Mein kleiner Bruder schüttelte ein ums andere Mal
den  Kopf , bis er dann doch ganz laut fragte:
   »Du Mutti, wieso ist denn des nix für uns?«. Alles
lachte.

Kurz drauf plötzlich ein lauter Knall und ein Klirren - in
der Fensterscheibe ein riesiges Loch. Über den Kopf
der Mutter hinweg war irgendwas geflogen und direkt an
die gegenüberliegende Wand geklatscht: Es war eine
fast verfaulte Zuckerrübe gewesen!
   Ein junger Mann lugte aus dem kaputten Fenster und
sah gerade noch einige Männer, die auf dem Feld direkt
neben dem Bahngleis, diese Zuckerrüben ernteten. Die
guten Rüben warfen sie auf einen Lastwagen und die
fauligen einfach über ihre Schulter - ganz egal, wo sie
dann hinflogen. So hatte sich eben eine dieser Rüben in
unseren Zug „verirrt“.
   Ohne weitere Vorkommnisse kamen wir schließlich in
Altötting an. Aber …
Von da an kann ich mich - diese Wallfahrt betreffend -
nur noch an drei Dinge erinnern:

… Dass die „Muttergottes“ in der Gnadenkapelle sehr
klein und schwarz (!) war und hinter einem goldenen
Gitter stand.

… Dass in einer Kirche, auf einer sehr hohen Standuhr,
ein großer „Tod“ stand, der im Sekundentakt die Sense
schwang. Klack, klack, klack.
Übrigens, als man den „Tod“ nach seiner Restaurierung
2001 wieder aufstellte, erfuhr ich, dass diese Figur in
Wirklichkeit nur 50cm (!) hoch ist. Ja mei, als Kind
erscheint einem halt vieles größer.

… Und dass ich eine bemalte Holz-Spahn-Schachtel mit
Quitten-Gelee bekommen habe.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Autorin, geboren 1960, wohnt im Dreiländereck Nordrhein-Westfalen/Hessen/Rheinland-Pfalz. Erst spät hat sie ihr Talent zum Dichten entdeckt und ihre Gedanken und Erfahrungen zusammengetragen. So entstand eine Gedichtsammlung, an der die Autorin gerne andere Menschen teilhaben lassen möchte, und daher wurde der vorliegende Band zusammengestellt.

Das Leben ist zu kurz, um es mit Nichtigkeiten zu vergeuden oder um sich über die Schlechtigkeit der Welt allzu viele Gedanken zu machen. Wichtig ist, dass man sich selbst nicht vergiften lässt und so lebt, dass man jederzeit in den Spiegel schauen kann.

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