Irene Beddies

Himbeerschnute



Himbeerschnute

 

Zum Abendbrot gab es zu dem Üblichen noch Obstsalat: Johannisbeeren aus dem Garten, Apfelstückchen,  Erdbeeren, und Himbeeren, mit einer süß-sauren Soße aus Zitrone, Zucker und Pflaumensaft vom  letzten Jahr.
Berta war begeistert. Vor allem hatten es ihr die Himbeeren angetan.

„Mama, wo kommen die roten Beeren her, die keine Erdbeeren sind?“
„Das möchtest du wohl wissen, was? Sie heißen Himbeeren und wachsen in manchen Gärten an Sträuchern mit kleinen Dornen. Sie sind jetzt im Sommer reif. Man kann sie im Supermarkt kaufen oder auf dem Markt.“
„Und wo hast du sie gekauft?“ „Gar nicht, ich habe sie gefunden.“
„Aber du warst doch gar nicht weg heute.“  Darauf ging Greta nicht ein.

Am nächsten Tag bekam Berta ein Streitgespräch zwischen ihren Eltern mit. Papa wollte die Hecke zum Nachbargrundstück gründlich beschneiden. Mama war entschieden dagegen. Warum sagte sie allerdings nicht. Sie bot Papa aber an, die am weitesten in den Garten ragenden Zweige selbst mit einer Schere abzuschneiden. Papa könnte dann im Herbst die Hecke mit der elektrischen Heckenschere gründlich stutzen.
„Warum, um alles in der Welt machst du so ein Theater wegen der Hecke?“, fragte Klaus seine Frau. „Es ist ein Geheimnis“, meinte Greta nur und machte ein wichtiges Gesicht.

Beim Wort „Geheimnis“ war Bertas Neugierde sofort erwacht. Ob da ein Vogelnest war mit kleinen Vögelchen drin? Oder das Versteck eines Kaninchens? Oder - was sonst konnte es sein?
In einem Augenblick, als alle anderen beschäftigt waren, schlich sich Berta zur Hecke. Sie guckte überall zuerst unter dem Ästegewirr nach, fand aber nichts außer ein paar hübschen Steinchen. Dann schaute sie oben in die Äste: kein Nest, nichts Auffälliges. Doch halt: was leuchtete da so rot zwischen den Blättern? Konnte das wirklich eine Himbeere sein?
Vorsichtig pflückte Berta sich die Beere, besah sie von allen Seiten und erkannte sie als eine der Früchte aus dem Obstsalat. Flugs steckte sie sie sich in den Mund. Ja, auch der Geschmack war so köstlich wie gestern Abend.

Berta hatte vom Anfang der Hecke bis fast zum Ende gesucht und genascht, ihr Bäuchlein war voll. Mehr gab es wirklich nicht, so sehr sie auch guckte.
Als sie wieder ins Haus kam, prallte sie fast mit Mama zusammen, die eine
Schüssel in der Hand hielt und in den Garten wollte.
„Woher des Wegs, kleines Fräulein? . . .Ach du liebes bisschen, ich brauche wohl nicht mehr zur Hecke zu gehen, du hast mir die Arbeit abgenommen und sicher nichts übrig gelassen!“, rief sie amüsiert, „ich seh das an deiner Himbeerschnute.“

Als sie die Geschichte abends zum Besten gab, fragte Mira, wie denn Himbeeren in eine Hecke kommen könnten.
„Das ist eine kuriose Geschichte“, fing Papa an. „Als unser Haus fertig war, stand an der Grenze zum Nachbarhaus eine kleine, mickrige Hecke, die ziemlich unordentlich aussah. Wir pflanzten dann unsere Hecke auf unserer Seite der Grenze. Sie wuchs schnell, und ich hatte ordentlich Arbeit, sie zu stutzen, damit sie nicht über unsere Köpfe wuchs und über den Beeten zu viel Schatten verbreitete. Nun scheinen sich beide Hecken ineinander verliebt zu haben und haben sich ineinander verheiratet. Deshalb haben wir nun auf unserer Seite Himbeeren, die von drüben kommen. Und Heinzens haben von unserer Hecke Zweige, die ihre Himbeerernte stören. Sie wissen aber noch nicht, dass wir miternten. Ich wusste es auch nicht, bis Mama so geheimnisvoll mit dem Schnitt der Hecke gestern tat. Und unser neugieriges Nesthäkchen brauchte nicht lange, um eine Himbeerschnute zu bekommen.“

„Papa, was ist eine Himbeerschnute?“ „Eine Schnute ist dein Plappermäulchen, wenn du es neugierig verziehst.“

 

© I. Beddies


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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