Helmut Wurm

Ursachen und Behandlung der Pubertät nach alter Volksmedizin

Über Ursachen und Behandlungsformen der "Pubertätia iuvenalis" nach alten Lehrwerken der Volksmedizin

Ein alter Freund von mir, in unseren Kreisen kurz Bücherwurm genannt, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, in alten verstaubten Bibliotheksbeständen herum zu stöbern, gab mir vor einiger Zeit ein Manuskript von ihm, in dem er interessante Funde aus der weit zurück liegenden Volksmedizin darstellte. Ein Manuskriptteil behandelte die Erscheinungsformen und Ursachen der Pubertät aus der Sicht früher volksmedizinischer Vorstellungen. Da mein Freund ein schüchterner, versponnener Einzelgänger ist, bat er mich, eine eventuelle Publikation dieser interessanten medizin-historischen Vorstellungen zu versuchen. Ich habe das Manuskript und den Teil über die Pubertät überflogen und fand die dargestellten volksmedizinischen Theorien und Vermutungen und vor allem die für die heutige Zeit abgeleiteten Konsequenzen recht dubios, unrealistisch und unpraktikabel. Aber meinem alten Freund zu Gefallen möchte ich trotzdem das Manuskript und hier den Teil über die Pubertät publizieren. Vielleicht regt seine Lektüre wenigstens einige Leser zum Schmunzeln an und hätte dadurch wenigstens einen kleinen Sinn bekommen.

Nachfolgend nun der erwähnte Manuskriptteil:

Bis zum heutigen Tage ist die Entstehung einer verbreiteten, jahrhundertealten Krankheit der Jugendlichen immer noch nicht gänzlich erklärt. Sie befällt regelmäßig vorwiegend Jugendliche zwischen dem 12. bis 14. Lebensjahr, Jungen etwas stärker als Mädchen. Sie wird gemeinhin mit dem lateinischen Namen Pubertätia dubiosa benannt. Pubertätia ist der eigentliche medizinische Name, dubiosa deutet auf die noch ungeklärte Genese hin. Sie ist gekennzeichnet durch eine mehr oder minder auffällige Verhaltensänderung und durch häufiges Auftreten von kleinen Pickeln im Gesicht. Sind die bis dahin noch lieben und leicht erziehbaren Kinder eine Freude für Eltern und Lehrer‚ wird in dieser akuten Krankheitskrise, der so genannten Pubertät, das Zusammenleben schwieriger, ein Zeichen dafür, dass es sich nicht nur um eine Erkrankung bestimmter Organe, sondern des ganzen Jugendlichen einschließlich seiner Psyche handelt, dass es also eine Pubertätia totalis ist. Sind die Wesensveränderungen nur relativ harmlos, bestehen sie also überwiegend in brummigem Verhalten, Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidungen der Erwachsenen, Störrischkeit usw., dann spricht man von der harmlosen Form der Pubertätia lenis. Sind mit dieser Erkrankung aber Neigung zu Rauferei, Faulheit, dummen Streichen, Schlampigkeit oder übertriebener Kleidungspflege verbunden, spricht man von der Pubertätia gravis. Vorwiegend bei Mädchen kommt noch die Pubertätia atypica vor, die der Arzt durch schwärmerisches, traumverlorenes Wesen, Neigung zu Tränen und Verschlossenheit erkennt.

Glücklicherweise hat die genannte Erkrankung aller Spielformen meistens einen guten Ausgang, d. h. die Krankheitserscheinungen klingen nach etwa 2jähriger mehr öder minder intensiver Dauer wieder ab und die Jugendlichen werden wieder vernünftiger im Umgang wie früher. Bei einer Minderheit nimmt die Erkrankung allerdings ein chronisches Stadium an und hellt erst nach Jahren, oft erst Ende der Zwanziger aus. Das sind dann dieernsteren Fälle ‚ die allgemein Sorge bereiten.

Während die Erscheinungen dieser Erkrankung also gut bekannt sind, ist es die Ursache weniger. Zumindest ist man soweit im Klaren, dass es sich weitgehend um eine einmalige Erkrankung handelt, nach deren Abklingen der Heranwachsende in der Regel immun gegen Rückfälle geworden ist, also ähnlich wie bei Mumps oder Masern. Die Volksmedizin hat zwar eine Reihe von Empfehlungen zusammengestellt, die aber alle nur Mittel der Linderung sind, nicht der Vorbeugung oder raschen Heilung.

Beruhigende Tees oder Fastentage zeigen nur bei der Pubertätia gravis eine Linderung, bei der Form atypica wurden eher Symptome der Verschlimmerung bemerkt. Neuerdings hat man einen Heilschlaf vorgeschlagen, der dann aber ca. 2 Jahre dauern müsste. Weil dann aber Schüler nach der Beendigung dieser Kur immer noch in der 7. Klasse säßen, obwohl sie mittlerweile 2 Jahre älter geworden wären, hat man diese Methode noch nicht weiter erprobt. Der Widerstand der Patienten dürfte zu groß werden.

Nun hat diese Erkrankung schon die Ärzte des Mittelalters beschäftigt. Teilweise nahm man einen schweren Darmparasitenbefall an, eine Art großer Bandwurm, der die jugendlichen Betroffenen so zwickt und belästigt, dass daher ihre Unruhe und ihr gestörtes Verhalten herrührt. Andere Mediziner nahmen einen bösen Geist an‚ der die Kinder befiele, nach einer gewissen Zeit aber von selbst wieder den Patienten verließe, wenn er diesen genügend zu Streichen und aggressivem Verhalten veranlasst hätte.

Wie auch die damaligen Erklärungen sein mögen, interessant sind einige Heilmethoden der älteren Volksmedizin, die teilweise tatsächliche Erfolge gebracht haben. So stellte man aus Erfahrung fest, dass wenn man die Erkrankten bei Krankheitszeichen schwererer Art sofort mit einem Teppichklopfer oder Stock oder mit der flachen Hand heftig auf das Hinterteil klopfte, die Krankheitssymptome nachließen. Noch wirkungsvoller war diese Medikation, wenn der Patient dabei Tränen vergoss und laute Rufe vor sich gab. Man erklärte sich das im Mittelalter so, dass z.B. der Bandwurm durch diese Behandlung gerüttelt und seine giftigen Ausscheidungen durch die reichlichen Tränen schneller ausgeschieden würden. Da aber neuere Nachprüfungen mit Wurmmitteln und schweißtreibenden Tees, die ja noch wirkungsvoller sein müssten, keine Erfolge gebracht haben, muss eine solche Erklärung als medizinisches Märchen abgetan werden. Trotzdem bleibt die unerklärliche Entdeckung‚ dass diese alte Heilmethode aus der Volksmedizin teilweise Erfolge gebracht haben soll. Das hätten auch neuere Versuche in Versuchsfamilien und Versuchsschulen gebracht, bei denen eine deutliche Verkürzung der Krankheitsdauer der Jugendlichen und ein milderer Krankheitsverlauf beobachtet wurden.

Verfasser macht deshalb den Vorschlag ‚ die Erprobung dieses alten und offensichtlichen erprobten Mittels aus der Volksmedizin auch an modernen Schulen einmal zu versuchen. Damit diese Versuche aber streng wissenschaftlich betreut und gewöhnliche Lehrpersonen nicht durch unkontrollierte Anwendung die Versuchsergebnisse gefährden würden, müsste ein dazu ausgebildeter Lehrer nach genauen Anweisungen der alten Volksbücher diese Beklopfungen vornehmen, also bei Bedarf als Klopfmeister in Aktion treten. Das wäre auch pädagogisch-historisch zu rechtfertigen, bestand doch eine solche Aufgabentrennung schon in den antiken Schulen. Der Lehrer unterrichtete die Schüler, während der so genannte Pädagoge im Hintergrund des Klassenraumes mit einem Teppichklopfer wartend saß. Vielleicht beruhte auf diesem System die Blüte der antiken griechischen Kultur und die erstaunliche Gebildetheit der antiken Schüler.

Es würde sich durch diese vorgeschlagene Einsetzung eines Klopfrneisters eventuell neben den Leistung auch der Gesundheitszustand der Schüler günstig beeinflussen. Es soll darum hier angeregt, darüber im Elternkreis und im Schulwesen nachzudenken. Der mögliche positive Erfolg (bessere Leistungen und bessere Gesundheit besonders in den Klassen 7 und 8) scheint es wert, über eine solche vorsichtige Erprobung dieses alter Volksheilmittels zu reflektieren.

Niedergeschrieben vom Bücherwurm

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.10.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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