Wolfgang Küssner

Kleine Sticheleien

Jetzt geht es zur Sache. Kleine Sticheleien. Einem eher prüden, empfindsamen, sensiblen, gehemmten oder gar verklemmten Mitmenschen sei daher empfohlen, den kommenden Absatz ganz einfach zu überspringen. Es geht im Folgenden – um eine kleine Andeutung zu machen - um Gruppensex. Kleine Sticheleien. Das mag vielleicht nicht jedermanns Ding sein; der Text koennte als zu freizügig, zu offen, zu vulgär emfpunden werden. Das hier ist also mehr als ein Hinweis, es ist eine Warnung. Der Leser mag selbst entscheiden; es soll keine Zensur praktiziert werden. Vermutlich haben nach diesen Worten längst Neugier und Voyeurismus die Oberhand gewonnen. Ich habe jedenfalls den Leser gewarnt. Und Achtung! Die kleine Geschichte mit dem Gruppensex startet jetzt.

Ein warmer Sommertag neigt sich langsam dem Ende zu. Mit der einsetzenden Dämmerung wird das Licht schwächer. Das ist der Moment, in dem nackte, geile, Männchen in groeßeren Gruppen einen hemmungslosen Tanz starten. Die Geräusche des Tanzes sollen locken. Das Prozedere gilt dem Werben um die Gunst des weiblichen Geschlechts. Dieses Ritual ist Lockmittel und Vorspiel zugleich. Die permanenten, erotischen  Bewegungen der nackten Männerkoerper verursachen Schwingungen die beim Eintreffen der lustsuchenden Weibchen zu einem gemeinsamen Rausch, einem harmonischen Rhythmus verschmelzen. Nicht Schoenheit der schwebenden Liebenden ist ausschlaggebend für die nun folgende Begattungszeremonie, nein, Trance, Harmonie, der Ton macht die sprichwoertliche Musik, das Miteinander der Sexpartner aus. Einer wilden Orgie gleich, geben sich Männchen und Weibchen in diesen großen Gruppen nackter und geiler Koerper dem heftigen Liebespiel der kleinen Sticheleien hin.

Der nicht ganz so konservative Leser kann an dieser Stelle jetzt weiterlesen. Doch fast hätte ich es vergessen, und hier erscheint es  notwendig und richtig, darauf hinzuweisen, im vorstehenden Absatz wurde über Mücken, über Stechmücken und ihre Art der Fortpflanzung geschrieben. Hatte der (heimliche) Leser andere Fantasien? Und jetzt, wo der Leser weiß, um was es beim Thema Gruppensex ging, wäre ja die Moeglichkeit gegeben, die Zeilen zu rekapitulieren. Übrigens findet das ganze Prozedere erstens im Flug statt, wo mit einer Flügelfrequenz von 550 bis 600 Hertz das Surren, Sirren, Summen generiert wird und dauert zweitens nur wenige Sekunden. Kleine Sticheleien. Zur Begattung gleichen die Sexpartner – also die Mücken -  ihren erzeugten Summton auf 1.200 Hertz an. Da geht dann ganz schoen die Post ab.

In einem Sprichwort unbekannten Ursprungs heißt es: „Lieber eine Brieftasche voller Mücken, als die Stube voller Fliegen.“ Das wäre wohl eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden koennte.

Ob wir sie nun Mücken oder Schnaken, Mugg oder Fliege, Gnitze oder Staunse, Stanze oder Gelsen oder Mosquitos oder wie auch immer nennen, der Mensch ist ein Teil ihres Liebespiels. Kleine Sticheleien. Der feine Unterschied, der Mensch hat deutlich mehr davon, wenn es zum Beispiel um den Faktor Zeit geht, als die wenigen Sekunden einer Mücken-Begattung.

Denn, kaum hat die Befruchtung stattgefunden, begibt sich das Mücken-Weibchen auf die Suche nach den nun sehr dringend benoetigten Proteinen. P & P – Partner & Proteine. Ohne diese Proteine koennen sich die Eier nicht entwickeln. Also muß menschliches Blut her. Es heißt also: Auf, zu kleinen Sticheleien!

Sssssssssssssss. Da! Da! Ssssssssssss. Sie sind zwar schlechte Flieger, die gerade mal 1,5 bis 2,5 Stundenkilometer bei Windstille erreichen. Doch ihr Surren läßt uns aufhorchen, um uns schlagen, bringt uns um den Schlaf. Sssssssssssss. Mal surrt es fern. Dann direkt am Ohr. Ssssssssssssss. Jetzt wieder. Klatsch! Sssssssss. Ging wohl daneben. Diese verdammten Quälgeister. Ssssssssss. Ein Hauen und Stechen findet statt. Doch es muß wohl richtiger  Stechen und Hauen heißen, um die Reihenfolge zu wahren. Und meistens ist es sowieso zu spät. Wenn wir zuklatschen, ist der Stich gesetzt und unser Koerper um 0,005 ml Blut erleichtert.

Ssssssss. Begnügt sich ein Männchen – vor und nach dem Sex – mit zuckerhaltigen Pfanzensäften als Nahrung, benoetigen die Weibchen die Proteine zur Reifung der Eier. Ist der Mückensex nach wenigen Sekunden beendet, hat der Mensch gut 30 Minuten das juckende, unangenehme Gefühl, seinen nun kratzenden Beitrag zur Fortpfanzung der Mücken geleistet zu haben. Dabei sind es nur kleine Sticheleien. Es gibt natürlich nicht wenige Fälle von allergischen Reaktionen, da kann das alles noch deutlich länger anhalten. Vielleicht nicht ganz vergleichbar mit dem still aufgesagtem Satz des Pythagoras (a-Quadrat plus b-Quadrat ist c-Quadrat) zur Hinauszoegerung des Orgasmus. Koennte das auch bei Mücken wirken und unseren juckenden Schmerz reduzieren, lindern?

Der Volksmund kennt – wieder einmal unbekannten Ursprungs – den bemerkenswerten Rat: „Stechen im August die Mücken, soll man nichts im Bücken pflücken.“ Das koennte sich der geneigte Leser vielleicht merken.

In anbetracht der vielen kleinen Sticheleien stellt sich die Frage: Haben die Mücken permanent Sex oder gibt es ganz einfach so verdammt viele von ihnen? Letzteres ist wohl der Fall und somit ersteres die Folge. So wie es im Sexualleben der vielen tausend Mückenarten (weltweit sind es mehr als 45 Familien mit 3.500 Stech-Mückenarten, allein die Gattung der Anopheles umfasst 420 Arten) auf diesem Globus Variationen gibt, so hat unter Umständen auch ein Mensch mehr davon, als nur das Gefühl, nachrangiger Sexpartner gewesen zu sein. Wenn es zum Beispiel um die Übertragung von bestimmten Krankheiten durch die  Sticheleien geht.

Dann sind es unter Umständen keine kleinen Sticheleien mehr. Allein 40 Arten der Anopheles-Mücken übertragen z.B. die Malaria mit mehreren Millionen von Erkrankungen und sogar 1,8 Millionen Todesfällen im Jahr 2004. Dann wäre die tagesaktive Tigermücke zu nennen, die das Dengue-Fieber verbreiten koennte: Lt. WHO erkranken jährlich mehr als 100 Millionen Menschen daran, es gibt keine Prophylaxe aber bis zu 20.000 Todesfälle sind per anno zu beklagen. Und Gelbfieber und Zika und Filariose und und....

Die zartgebauten, surrenden Quälgeister mit ihren langen, dünnen Beinen, den stechend-nagenden Mundwerkzeugen aus der Familie der Zweiflügler sind weltweit auf dem Vormarsch. Die Globalisierung treibt nicht nur Unternehmer in Billig-Lohn-Länder; Touristen an exotische Strände. Flugzeuge und Container und Urlauber aus fernen Ländern werden von den Mücken als Vehikel genutzt, um neue Regionen zu erobern. Die Zahl der Moskito-Infektionen in Deutschland hat eine seit mehreren Jahren zunehmende Tendenz. Und der globalen Klima-Wandel spielt den surrenden Insekten in die Flügel. Ssssssss......

Nachdem die Weibchen die Eier mit Proteinen aus dem Blut gestochener Menschen versorgt haben, werden die Eier (pro Mücke koennen es 50 - 200 sein) in ruhigen Gewässern abgelegt. Aus den Eiern werden Larven, aus den Larven Puppen und nach wenigen Tagen schlüpft dann das erwachsene Tier, die neue Generation. Männchen schlüpfen ürbigens häufig etwas früher als Weibchen. Bedarf ihre Entwicklung zur perfekt ausgebildeten Mücke weniger Zeit? Sind Männchen etwas einfacher gestrickte Wesen? Oder sind sie unruhig, ungeduldig, erwartungsvoll; treibt sie der bevorstehende Gruppensex (alle Leser werden sich jetzt erinnern) – nackend, sexuell erregt, tanzend im schwächer werdenden Licht  einsetzender Dämmerung bei warmem, lauem Sommerwind - zu diesen frühreifen Leistungen? Zum großen Fest der vielen kleinen Sticheleien.

Wollte der Dalai Lama uns Menschen vor Enttäuschung und Frust bei dem Versuch, es den Mücken gleich zu tun, bewahren, als er die klugen Worte sprach: „Manchmal machen wir aus einer Mücke einen Elefanten, statt uns um die wirklichen Dinge zu kümmern.“

 

Januar 2017

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