Sybille Röck

Benutzt


Sie liegt auf dem Bett. Im Zimmer ist es angenehm dunkel und kühl, die heiße Sommernacht ist ausgesperrt. Verzweiflung macht sich in ihr breit. Sie will schreien, doch ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie fühlt sich ausgenutzt, beschmutzt, b e n u t z t . Immer wieder hört sie seine Worte, sie hallen in ihrem Kopf nach. „Du willst es doch, stell Dich nicht so an. Ich werde Dir schon zeigen, wo es langgeht“. Sie verspürt brennende Schmerzen, die nicht nachlassen. Am Körper und in der Seele. Sie hatte ihm vertraut, grenzenlos vertraut. Er hatte sie benutzt, sich über ihre Wünsche einfach so hinweggesetzt. Sie hat nur ein Bild vor Augen: wie er keuchend auf ihr ist, in ihr ist, einfach überall ist. Sie spürt die Hände, die die ihrigen mit brutaler Gewalt festhalten. Sie will sich wehren, aber sie hat keine Chance gegen ihn. Sie will um Hilfe rufen, aber er verschließt ihren Mund mit dem seinen. Als es endlich vorbei ist, bricht er weinend über ihr zusammen, klammert sich an ihr fest, sagt, dass er das nicht wollte. Aber ein Teil von ihr ist soeben gestorben, sie ist innerlich leer. Sie fühlt sich wie tot. Sie schaut ihm mit leeren Blick in die Augen, nimmt ihre Sachen und geht. Er hält sie nicht auf. Sie irrt wie betäubt durch die dunklen Straßen, weiß nicht, wo sie hinsoll. Nach Hause kann sie so nicht. Man wird Fragen stellen. Sie schämt sich. Sie fühlt sich wertlos. Er hat ihr den letzten Rest Selbstachtung genommen, er, der einzige Mensch, dem sie vertraut hat. Sie hat ihr Leben in seine Hände gelegt. Er hat es mit Füßen getreten.

Schließlich, es ist schon sehr spät, schleicht sie sich ganz leise in ihr Zimmer. Sie fühlt sich allein. Niemand wird sie verstehen. Außerdem will sie niemanden sehen. Sie reisst sich die Kleidung vom Leib, schleicht sich ins Bad und dreht das heiße Wasser auf. Sie lässt es über ihren Körper laufen, bis ihre Haut so rot ist wie der Duschvorhang. Sie fühlt sich kein bisschen besser.

Nun liegt sie auf ihrem Bett. Die Stille im Haus tut in den Ohren weh. Ihre Seele schreit, doch über ihre Lippen kommt kein einziger Ton. Gedanken kreisen in ihrem Kopf. Warum? Warum?? Ist sie wirklich wertlos? Wie konnte er so weit gehen? Endlich fließen die Tränen, sie weint das ganze Entsetzen heraus, so lange, bis sie vor Erschöpfung in einen unruhigen Schlaf fällt.

Morgen wird sie entscheiden, dass sie ihn anzeigt. Sie ist nicht wertlos – e r ist es.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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