Paul Theobald

Was ist Glück?

Wie oft wurde es mir gewünscht das Glück: Zum Geburtstag, zu Prüfungen und zu Beginn eines neuen Jahres, Und selbst jetzt, wo ich wochenlang in der Klinik bleiben muss, weil ich mir das Sprunggelenk des rechten Fußes gebrochen habe, wurde mir gesagt: „Du kannst von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist!“ Als wäre es nicht schlimm genug, was geschehen ist, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass ich mir beim Sturz auch das Genick hätte brechen können.
Auf die Frage, was Glück ist, antworteten mir Erwachsene: „Glück ist, dass ich meine Frau gefunden habe, meine Familie gesund bleibt, wenn ich einen Sechser im Lotto habe, ich immer Arbeit habe, es keinen Krieg gibt!“
Und Kinder definierten Glück so: „Wenn Papa und Mama sich nicht streiten, ich viele Spielsachen habe, Oma und Opa mich immer lieb haben, auch wenn ich etwas angestellt habe, ich in Deutschland bleiben darf!“
Niemand konnte mir sagen, was Glück ist. Immer wurden mir Situationen beschrieben, die für die Menschen Glück waren.
Vor einigen Jahren wurde mir folgende Geschichte erzählt:
In einem fernen, fernen Land, das von uns noch niemand gesehen hat, lebte ein alter Bauer, der noch immer sein Feld bestellte, um leben zu können. Ab und zu half ihm sein Sohn dabei, vor allem aber sein Pferd. Dieses war aber auch ein gutes Rennpferd und hatte schon mehrere Preise gewonnen. Deshalb wollten es einige Personen für viel Geld kaufen. Doch der alte Mann sagte: „Das Pferd ist unverkäuflich!“ Die Bewohner des Dorfes, in dem der Bauer lebte, suchten ihn auf und sagten: „Warum verkaufst Du das Pferd nicht? Du würdest viel Geld bekommen und hättest ausgesorgt! Wie kann man nur so störrisch sein?“ Doch der alte Bauer sagte: „Wer weiß, was morgen kommt?“
Eines Tages war das Pferd aus seiner Koppel verschwunden. Niemand wusste, was geschehen war. Aber das Pferd war nicht mehr da. Nun gingen die Dorfbewohner zum Bauern und sagten: „Das hast Du jetzt davon, dass Du das Pferd nicht verkauft hast. Jetzt musst Du das Feld ohne Pferd bestellen, Du Narr!“ Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß, was morgen kommt?“
Doch nach einigen Monaten kam das Pferd zurück und brachte noch ein anderes mit. Das Pferd des Bauern hatte sich einer Horde Wildpferde angeschlossen, weil es frei leben wollte. Doch mit der Zeit stellte es fest, dass es beim Bauern immer arbeiten musste, dafür aber gut versorgt wurde. In der freien Wildbahn musste es sich täglich Sorgen machen, um Nahrung und Wasser zu finden. Und so beschloss es, wieder zum Bauern zurückzukehren und ein anderes Pferd hatte sich ihm angeschlossen.
Nun kamen die Dorfbewohner zum Bauern und riefen: „Was hast Du für ein Glück! Jetzt hast Du zwei Pferde und kannst eines verkaufen und bekommst dafür viel Geld, während Du mit dem anderen Dein Feld bestellen kannst! So viel Glück möchten wir auch haben!“ Doch der Bauer gab die Antwort: „Wer weiß, was morgen kommt?“
Der Sohn des Bauern wollte das neue Pferd zureiten, doch dies mochte das nicht. Es bockte und warf den Sohn des Bauern ab. Beim Sturz brach sich dieser ein Bein. Nun kamen die Dorfbewohner zum Bauern und stellten fest: „Jetzt kann Dir Dein Sohn bei der Feldarbeit nicht helfen, aber Du musst ihn pflegen. Und was nützt Dir ein störrisches Pferd? Was für ein Pech!“ Doch der Bauer erwiderte: „Wer weiß, was morgen kommt?“
Nach ein paar Wochen brach der Krieg aus und alle jungen Männer des Dorfes wurden zu den Soldaten einberufen. Nur der Sohn des Bauern durfte zu Hause bleiben, da er dem Militär mit einem gebrochenen Bein zu nichts nützte.
Nun kamen die Dorfbewohner zum Bauern und meinten: „Was hast Du für ein Glück! Unsere Söhne mussten in den Krieg ziehen und wir wissen nicht, ob wir sie lebend wiedersehen!“ Aber auch jetzt sagte der Bauer nur: „Wer weiß, was morgen kommt?“
Ja, so ist das mit dem Glück. Glaubt man, es zu haben, ist es schon wieder verschwunden. Vielleicht ist Glück, wenn alles so bleibt, wie es ist.

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