Stefan Läer

Tegucigalpa

Es war ein wunderschön sonniger Spätwintermorgen, als der Fahrkartenautomat spann. Ich war ja so einiges gewohnt von der Deutschen Bahn und hatte in meiner Pendlerkarriere als Student von Ausfällen über Vollbremsungen bis hin zu Fahrten mit offener Türe schon alles erlebt.

„Wie heißt die Hauptstadt von Honduras?“, prangte es in dicken roten Lettern auf der Digitalanzeige des Automaten. Direkt darunter flimmerten in schlichtem Trauerschwarz auf Weiß ganze vier Antwortmöglichkeiten: Managua, San José, Tegucigalpa und Belmopan. Zuerst dachte ich an einen Scherz. Aber da heute weder Rosenmontag noch der erste April war und sich die Digitalanzeige auch durch wildes Herumtippen auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm in keinster Weise beeindrucken ließ, musste ich davon ausgehen, dass es der Automat ernst mit mir meinte.

Hilfesuchend blinzelte ich zur Seite und erkannte aus dem Augenwinkel eine junge Dame, die sich mir und dem Automaten mit großen Schritten näherte. „Entschuldigung“, beschloss ich, gleich in die Offensive zu gehen, „können Sie mir sagen, was das hier soll?“ Ich deutete auf den Bildschirm, woraufhin sie sich direkt neben mich stellte. Ihr Parfum erinnerte mich an ein Überbleibsel aus der Weihnachtszeit, nicht zu dick aufgetragen, sondern sehr angenehm.

„Na Sie sehen es doch selbst, dass Sie die Frage beantworten müssen.“

„Wieso bitteschön muss ich jetzt schon Fragen beantworten, bevor ich mir einen stinknormalen Fahrschein ziehen kann?“

Die Frau trat einen Schritt zurück, sodass ich jetzt auch ihr Gesicht und ihre langen, hellblonden Haare in aller Schärfe begutachten konnte. Sie schaute mich aus ihren großen, kastanienbraunen Augen an, die bei mir direkt ein Herzklopfen auslösten. „Haben Sie das etwa nicht mitbekommen?“

„Was habe ich nicht mitbekommen?“

„Na ab heute gilt es doch, das neue Bundesfahrkartenautomatenbildungssicherstellungsgesetz.“

„Bitte was?“

„Typisch Mann! Aber ich erkläre es Ihnen: Bevor Sie eine Fahrkarte lösen, müssen Sie zunächst eine Frage aus dem Bereich des Allgemeinwissens richtig beantworten. Das ist doch die Reaktion der Bundesregierung darauf, dass deutsche Schüler im internationalen OECD-Vergleich immer nur im vorderen Mittelfeld landen. Die Bildung soll nun überall im Alltag gelebt werden.“ Sie konnte sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen.

„Nein, davon habe ich noch nie gehört. Wollen Sie mich …?“

„Glauben Sie, ich hacke den Automaten, nur um Ihnen böse Fragen zu stellen?“

„Das würde ich Ihnen glatt zutrauen.“ Jetzt lächelte ich zurück.

„Was sind Sie von Beruf?“

„Ich bin Arzt.“

Die Frau zog die Augenbrauen hoch. „Na bitte, das ist doch ein sehr ordentlicher Job. Da sollten Sie ein bisschen Ahnung von Bildung haben.“

„Und Sie sind Lehrerin?“, gab ich leicht genervt zurück.

„Erraten. Deutsch, Englisch und Pädagogik.“

„Ganz wunderbar. Dann können Sie mir sicher sagen, wie die Hauptstadt von Honduras heißt, damit ich endlich meine Fahrkarte ziehen kann.“

Die Frau lächelte. Sie war wirklich nicht nur intelligent, sondern auch bildhübsch. Trotzdem hielt ich sie für gefährlich.

„Überlegen Sie mal. Was würden Sie denn wählen?“

„Ich hätte jetzt auf Belmopan getippt.“

„Falsch. Jedes Kind weiß, dass Tegucigalpa die Hauptstadt von Honduras ist. Sind Sie nie mal in Mittelamerika gewesen oder haben wenigstens mal in der Karibik einen schönen Urlaub mit ihrer Liebsten verbracht?“

Ich schüttelte den Kopf. „Dann haben Sie wirklich eine Bildungslücke. Aber wir können das gerne mal bei einem Kaffee ausdiskutieren …“

Ihr Angebot verschlug mir fast die Sprache und ich spürte, wie meine Ohren zu glühen begannen. Doch so leicht war ich auch nicht zu haben.

„Ach wissen Sie, Frau …“

„Leonie.“

„Ach weißt du, Leonie, über Bildungspolitik rede ich nicht gerne. Das sind immer so heiße Debatten und ehe man sich versieht, hat man sich den Mund verbrannt. Aber einen heißen Kaffee können wir gerne trinken. Jetzt habe ich nämlich meinen Zug nach Hamburg verpasst. Ich bin übrigens Tom.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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