Ingo R. Hesse

Jeder so wie er kann

Der über sechzigjährige Randolph sah die ganzen Honoratioren, Schauspieler und alternden Spielmöpse um sich herum. Und ein ehrlicher Blick in sein Inneres offenbarte, dass er sich auch gerne alle zwei Jahre einen Neuwagen und für jedes zu bohrende Dübel-Loch den neueste Hochleistungs-Bohrhammer gekauft hätte.

 

Aber, so dachte er sich, manche hätten auch gerne noch zwei Beine, könnten noch sehen oder atmen. Warum also nach oben schauen? Wobei im erträumten Oben die Sonne nicht stärker scheint als im gefühlten Unten. Zu weit oben kann man sich verbrennen, zu weit unten erfrieren. Aber die Sonne scheint für alle gleich.

 

Es kommt also nur darauf an, da wo man steht, ausreichend Licht und genügend Schatten zu finden, um sich wohl zu fühlen. Ein offener Kamin mit der Falschen hatte ihn in seiner Jugend bei Weitem nicht so gewärmt wie eine Kerze auf winterlich nächtlichem Balkon mit der Richtigen, in fortgeschrittenem Alter.

 

Als er wieder einmal einen Ein-Euro-Laden durchstreifte, als Grundsicherungs-Rentner sein Revier seit etlichen Jahren, hing er diesen Gedanken nach. Und als er ein Bündel Geschirrspül-Tücher in den Korb legte, aus seiner Sicht ein Schnäppchen, fiel ihm eine Begebenheit ein, die sich ein paar Jahre zuvor zugetragen hatte.

 

Damals hatte er sich der ebenfalls Liebe und Zweisamkeit suchenden Stella aus W. geöffnet. Es hatte auf den ersten Blick nur wenige, aber zumindest für Randolph sehr wichtige Schnittstellen gegeben. Gegen diese Verbindung hatte aber nicht nur Stellas Liebe zu Pferden und ihr ziemlich eingebildetes Umfeld gesprochen. Hauptsächlich hatte Randolph die sehr unterschiedliche Ausstattung mit Geld gestört.

 

Eines Tages war es dann zu einer Begebenheit gekommen, die Randolph im Nachhinein als Schlüsselerlebnis bezeichnen würde. Er hatte in den letzten Wochen zuvor, seine sowieso eher spärlichen Rücklagen in Cafés und Restaurants verbraucht. Um Stella und sich zumindest für den Start ihrer Beziehung so etwas wie Normalität bieten zu können. Wohl wissend, dass das auf Dauer nicht so weiter laufen könnte. Und irgendwie fühlte er in sich ab und zu die eigene Verdorbenheit hochkommen. Denn in seiner Situation, ..er hätte schon lügen müssen, wenn ihn ein Leben an der Seite einer so wohlhabenden Frau nicht gereizt hätte.

 

Nun flanierten sie aber völlig frei von solchen Gedanken durch eine Mall in der Nachbarstadt. Stellas Frage „Hast Du Ahnung von Fernsehern?“ hatte Randolph wahrheitsgemäß verneint. Seinen Flachbild-Fernseher zuhause, würden manche Mitbürger wohl eher als „Briefmarke“ bezeichnen. Ihm reichte der aber völlig aus. Über Neuerungen auf dem Gebiet hatte er sich nicht informiert. „Ich brauche noch einen fürs Gästezimmer!“ verkündete Stella. Und schon standen sie vor der riesigen Auswahl eines riesigen Elektronik-Marktes.

 

Der junge Verkäufer, der dienstbeflissen herbei geeilt war, hatte scheinbar wirklich Ahnung von dem was er da anzubieten hatte. Und so stellte Randolph doch auch die eine oder andere Frage. Man weiß ja nie, ob man nicht doch eines Tages einmal … .

 

Doch Stella funktionierte dieses Informationsgespräch schon nach wenigen ausgetauschten Sätzen zu einem Theaterstück der besonderen Art um. Dem Verkäufer wurde ein unterer Rang im Zuschauer-Raum zugewiesen. Und während Randolph gleichzeitig zum Nebendarsteller und Logenplatz-Inhaber abgeordnet wurde, hatte Stella die Hauptrolle für sich reklamiert.

 

Der Verkäufer und Randolph übernahmen zunächst reflexartig ihre Rollen und applaudierten lautlos nach jeder wohl gesetzten Pointe. Doch Randolph wurden die inneren Arme lahm, nachdem er zum dritten Mal gehört hatte, dass auch für Stellas Gäste nur das beste TV-Gerät in Frage käme. Und seinen Logenplatz verließ er, vorsichtig rückwärts schleichend, als zum fünften Mal deutlich wurde, dass Geld nun wirklich und überhaupt keine Rolle spielen würde. Weil „seine“ Stella stets und ständig sowieso nur das Beste kaufte, weil sie für „Billiges einfach arm wäre, hahaha!“.

 

Doch jedes Mal, wenn Randolph meinte, geschafft zu haben, sich für andere Kunden dieses Marktes optisch aus diesem Trio zu lösen, indem er wie gelangweilt und nicht dazu gehörend die benachbarte Audio-Abteilung ansteuerte, beorderte Stella ihn per Meinungs-Erfragung wieder zurück ins Theater.

 

Wie lange das so gegangen war, als Stella sich für das teuerste vorhandene Gerät entschieden hatte (was für ein Wunder), wusste Randolph nicht mehr, als er in Rufweite, aber doch sichtbar nicht zugehörig, in der Nähe der Kasse stand. An der Stella nun per Kreditkarte die beachtliche Summe begleichen wollte.

 

„Tut mir leid, ..die Zahlung ist mit ihrer Karte nicht möglich!“ Randolph brachte unauffällig noch weitere Meter zwischen sich, Stella und die Kasse. „Das kann nicht sein!“ hörte er Stella auftrumpfen. „All meine Konten sind bestens gefüllt!“ Noch einen Meter, dachte Randolph, das kann ja nicht schaden.

 

Nachdem auch die dritte Karte nicht funktioniert hatte, war dann wohl klar geworden, dass Stella selbst mit ihrer Bank eine tägliche Begrenzung pro Karte vereinbart hatte. Also kein Problem, dachte Randolph und schlich sich heran um ihr ins Ohr zu raunen „Zahle doch einfach ein paar Hunderter an, damit Dir der Fernseher sicher ist..!“ versuchte er zum Gelingen und zum baldigen Verlassen des Ortes beizutragen „dann fahren wir zu Deiner Bank, Du holst das Geld ab, wir fahren wieder …!“

 

„Auf keinen Fall!“ Stellas Kopf war inzwischen knallrot und sie atmete schwer „Ich habe gesagt, ich zahle sofort. Dann zahle ich auch sofort!“ verkündete sie so laut, dass es auch in der Weißwaren-Abteilung noch zu hören war. Wie sie das mit der Kassiererin regelte, hörte Randolph nicht mehr. Er war schon ein wenig voraus gegangen, um keine Zeit zu verlieren.

 

Dann folgte eine Veranstaltung an verschiedenen Geldautomaten in der Mall. Karte für Karte. Höchstsumme plus Höchstsumme. Und dann die Erkenntnis, ..wenn die eine, die ganz besondere Kreditkarte nicht zuhause läge, sondern hier in Stellas Portemonnaie, ...dann, ja dann .. .

 

Ein paar Tage später erfuhr Randolph dann, dass Stella von einem Bekannten gewarnt worden war. Sie hatte ihm von Randolphs Leben am unteren Rand des Geldflusses erzählt. Und er hatte sie gewarnt. So einer wie Randolph im Hause. Da solle man lieber den Schmuck nicht offen herum liegen lassen.

 

 

Randolph legte das Bündel Geschirrspül-Tücher auf den Kassentisch des Ein-Euro-Ladens. Dann fischte er mit großer Geste seinen Einkaufswagen-Euro aus der fünften Tasche seiner Jeans und legte ihn mit ebenso großer Geste auf den Tresen. Es kann ruhig jeder sehen, dass ich mir etwas gönnen kann, ..dachte er und war wieder einmal mit sich und der Welt sehr zufrieden.

 

 

*Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und tatsächlich Stattgefundenem sind aber nicht ganz auszuschließen!

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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