Stefan Läer

Liebe zu Schnecken

„Schatz, glaubst du an die wahre Liebe?“, fragte mich Lina so ganz beiläufig am Frühstückstisch, während ich gerade in einen Zeitungsartikel über die jüngsten Terroranschläge in der Türkei versunken war – so, wie sie es immer tat, wenn sie mich behutsam in die Realität ihrer leiblichen Anwesenheit zurückholen wollte.

Ich hörte mich etwas murmeln, ehe sich ihre Frage erneut ihren Weg durch meine Hirnwindungen fraß. Moment mal … Hatte ich da eben wirklich das Wort mit „L“ vernommen? O Gott, dachte ich, dann meint sie es ernst. Fieberhaft überlegte ich, was ich ihr jetzt sinnvollerweise antworten sollte, wann wir überhaupt zuletzt dieses Wort benutzt hatten und entschied mich dann doch intuitiv dafür, das Niveau meiner Zeitung zu halten.

„Mein lieber Schatz, ich glaube nicht nur an die Liebe, ich weiß sogar, dass sie existiert. Chemische Neurotransmitter, Botenstoffe, die an Rezeptoren in unserem Belohnungszentrum angreifen und für positive Gefühle sorgen. In diesem Fall ist die Liebe also sehr wahr.“

„Aha“, machte Lina und verzog ihren Mund. „Und du glaubst also, Liebe sei nichts weiter als Chemie?“ Der provokante Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Ich weiß es, Schatz.“

„Was man alles zu wissen glaubt …“

„Sehr witzig.“

„Du bist doch hier witzig mit deinen Antworten. Du weißt genau, was ich mit wahrer Liebe meine …“

„Ich weiß nicht, was du hören möchtest. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich weiß, dass die wahre Liebe existiert. Der Mensch tut sich immer schwer damit, dass das alles sowieso letztlich nur auf kleinsten Bausteinen der Wissenschaft beruht.“

„Du glaubst also, dass Gefühle nur auf Chemie beruhen?“ Lina wurde langsam ungehaltener.

„Ich weiß es, Schatz. Alle unsere Gefühle sind letztlich nichts anderes als die Erzeugnisse unseres Gehirns. Ob das der Hass wie bei den Terroristen in der Türkei oder nun Liebe ist.“

„Pah“, machte sie, „was wir uns immer zu wissen einbilden. Hier bitteschön …“ Sie hielt mir einen Zeitungsartikel unter die Nase. „Ich zitiere: Der präfrontale Cortex ist die Region im Gehirn, in der emotionale Reize aus dem limbischen System in bewusste Gefühle umgewandelt werden. Da haben wir es: Das kleine nette Wort bewusst. Und nun warne ich dich, niemals einer Psychologin zu widersprechen: Wir wissen ja nicht einmal, was Bewusstsein überhaupt ist. Aus was besteht denn Bewusstsein? Kann man das anfassen?“

So ein Mist!, schoss es mir durch den Kopf. Jetzt hatte sie mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen. Sie wusste genau, dass ich ihr die Sache mit dem Bewusstsein als einem großen – in letzter Instanz noch unverstandenen – Rätsel der Hirnforschung vor zwei Tagen noch selbst vorgetragen hatte. In dieser Sache war Widerspruch tatsächlich zwecklos. Und da noch früh am Morgen war, entschied ich mich, dass es wohl energiesparender und angenehmer sei, mich geschlagen zu geben. Zumindest fast.

„Um mal wieder auf unser Anfangsthema zurückzukommen, mein Schatz: Ich weiß ja nicht einmal, mit welcher Liebe du die ganze Zeit kokettierst. Es gibt die Liebe zu deinem Nächsten, die Liebe zur Kunst, die Liebe zum Fußball, die Liebe zu Gott …“

Lina seufzte. „Jaja, und die Liebe zu Schnecken.“

„Die allerdings auch. Sogar Schnecken haben Emotionen. Wenn ich Professor Damasio zitieren …“

„Nein danke, das kannst du dir wirklich sparen. Aber weißt du, was Schnecken nicht haben?“, fragte sie spitzbübisch.

„Nein, was denn?“, gab ich mich ahnungslos, während sie bereits am Gürtel ihres Bademantels herumspielte.

„Eine ausgeprägte Fantasie für ein abwechslungsreiches Liebesleben …“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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