Thomas Ludwig

Staubig, müde und glücklich

"Er kommt aus der Stadt", sagt sie, noch im Rennen. "Da gibt es keine Berge, aber Zebras. Und die Zebras haben gelbe Streifen und stehen auf der Straße!"
"Ach?" Ich hockte mich hin und strich ihr über die Haare.
Weg war sie. Mit dem Hund um die Wette rannte sie den Abhang hinunter. Heute abend würde ich sie wiedersehen, staubig, müde und glücklich.
Ja, er kam aus der Stadt. Das hatte er mir gesagt, als er fragte, ob er sein Zelt hier aufschlagen dürfe.
"Natürlich dürfen Sie! Sie stören doch niemanden dort hinten. Und werden nicht gestört"
Er stellte sein kleines Zelt auf, einen Stuhl davor und spannte eine Leine zwischen den Bäumen. Tagelang war er nicht zu sehen. Nur der wechselnde Platz seines Handtuchs verriet, daß er irgendwann dort gewesen sein mußte.
Auf meinen Wegen zwischen Haus, Stall und dem kleinen Laden unten im Dorf schaute ich immer wieder zu dem Ort, an dem ich ihn eben noch gesehen zu haben glaubte. Er aber war nie da, wanderte den ganzen Tag durch die Wälder, wie es alle Städter tun.
Im Sommer kommen sie zu uns, sie fallen ein wie die Heuschrecken, atmen den Duft frisch gemähter Wiesen, lachen über unsere Sprache und unsere Art und nach wenigen Tagen reisen sie wieder ab und hinterlassen nichts. Aber sie bringen Abwechslung.

Das Gras ist inzwischen wieder gewachsen. Es ist so hoch, daß man sich darin verstecken könnte. In ein paar Tagen werde ich es mähen müssen. Vielleicht blüht der Mohn bis dahin ja noch auf, das wäre schön.

Am Abend saß ich vor dem Haus. Ich gönnte mir den späten Blick auf die gegenüberliegende Felswand. Der weiße Stein ist hell wie Kreide. Ein Schatten wandert darüber hinweg und wer hier wohnt, braucht keine Uhr. Wozu auch. Die Tiere machen sich bemerkbar und wenn es dunkel ist, gehe ich zu Bett. Ich würde gern einmal verschlafen am Mittag meine Fensterläden aufstoßen, die Mittagshitze genießen, ohne schon die Ruhe des Abends zu erwarten. Ich werde in die Stadt fahren, vielleicht. Irgendwann.

"Können Sie mir helfen?"
Er erschrak. Er hatte auf dem Bauch gelegen und mich nicht bemerkt. Er las und schien sehr vertieft.
"Was lesen Sie da?"
"Ach, eine ... ach, nichts besonderes"
"Nun sagen Sie, ich lese auch gern, aber ich komme im Sommer nicht dazu."
"Es ist eine Liebesgeschichte. Ein Mann will eine Frau und wagt es nicht, es ihr zu sagen. Mehr ist es eigentlich nicht, aber schön erzählt. Sie spielt hier in der Gegend, irgendwo vor hundert Jahren. Deswegen bin ich hier. Ich sehe mir gern die Orte an, die in Romanen genannt werden"
"Ja, also, können Sie mir nun helfen?" Eine Liebesgeschichte? Ein Mann liest Liebesgeschichten? Kein Mann, den ich kenne, liest überhaupt mehr als eine Zeitung. Eine Liebesgeschichte?
"Wirklich? Eine Liebe? Und ein Mann liebt eine Frau und ist zu schüchtern? Warum nimmt er sich nicht, was er will?"
"Was soll ich Ihnen denn helfen?"
"Meine Kommode müßte in ein anderes Zimmer. Sie ist zu schwer für mich allein. Kommen Sie!"
Er folgte mir durch das hohe Gras. Es kitzelte an den Beinen. Wir lachten beide. Ich wünschte, der Weg wäre länger und diese unbeschwerte Heiterkeit sei für immer. Diesen Augenblick festhalten können!

Als die Truhe in der Zimmerecke stand, schoben wir sie gemeinsam an die Wand. Ich fühlte seine Wärme, sein Ellenbogen berührte meinen Unterarm. Er roch gut, ein Mann. Seit langem war kein Mann in meinem Haus gewesen. Wann war es das letzte mal?
Der kam damals auch aus der Stadt und ich gab ihm das leerstehende Zimmer, nur eine Nacht wollte er bleiben. Er blieb dann drei und eines Morgens war er verschwunden. Ich spürte ihn noch während des ganzen Winters in meinen Haaren und auf meiner Haut. Meine Hände folgten wieder und wieder seinen Spuren. Ich rief ihn eines Tages an, aber nie meldete er sich zurück.
"Ja, dort steht sie gut, danke."
"Kann ich noch etwas für Sie tun?"
Ich strich mir mit dem Unterarm eine Strähne aus dem Gesicht.
"Nein, ich komme gut allein zurecht, aber erzählen Sie meiner Tochter nicht solchen Unsinn, wie mit den Zebras. Sie glaubt das!" Traurig wäre sie, wenn ich mit ihr in der Stadt wäre und sie enttäuscht die Zebrastreifen sehen würde.
"Ihre Augen sind schön, wissen Sie das?"
"Ja? Sind sie das? Oh, danke." Ich freute mich. Was wollte er?
"Einen schönen Abend"

Er war den ganzen Nachmittag hier, war nicht unterwegs, warum nur? Ich hätte viel draußen zu tun, die Wäsche könnte ich aufhängen und die Blumen müßten endlich wieder gegossen werden. Holz könnte ich auch hacken, oder die Fenster putzen.
Er schlenderte mir entgegen.
"Kann ich Ihnen helfen? Irgendwas! Sagen Sie es mir! Dann haben Sie heute abend frei! Ich lade Sie ein. Wir gehen essen, unten im Dorf! Darf ich?"
"Nein dürfen Sie nicht! Ich kenne Sie ja gar nicht! Ich muß mich abends um meine Tochter kümmern, ich kann nicht einfach weg. So wie Sie es in der Stadt machen, rufen einen Babysitter an und vergnügen sich! Das geht hier nicht, was würden die Nachbarn denken!"
"Ich wollte Ihnen helfen! Vielleicht müßte ja Holz geschlagen werden? Oder.."
"Nein, nein, ich habe genug für den Winter, mir wird nicht kalt!"

Am Morgen war die Wiese leer. Ohne ein Wort ist er gegangen. Was hätte er auch sagen sollen? Auf Wiedersehen? Warum hätte er mich wiedersehen wollen? Mich? Nein, das war einmal! Warum habe ich auch so harsch reagiert? Hatte ich Angst?

"Wo waren Sie?"
Sein Zelt stand wieder da und ich konnte gar nicht sagen, wann er gekommen war. Es mußte sehr spät gewesen sein.
Das Gras war hoch und der Mohn blühte wirklich noch einmal. Morgens, bevor das Dorf erwachte, war der Mohn am schönsten.
"Ich habe den Fluß gesucht, in dem der Held des Buches ertrunken ist. Ich habe ihn gefunden. Da hinten, nicht weit von hier." Er wies nach Norden und sah mich dabei an.
Ich kannte den Fluß, den er meinte. Es ist ein herrlicher Ort. Ein Felsen teilt das Wasser und immer wenn ich auf ihm saß, habe ich mich sicher gefühlt.
"In der Mitte ist ein großer Stein. Um dorthin zu kommen muß man durch das eisige Wasser gegen die starke Strömung gehen, ein kleines Stück muß man schwimmen. Als ich aber auf dem Stein saß, da vergaß ich die Welt um mich herum. Es war herrlich, als wäre ich ..wie soll ich es beschreiben? Ich war allein, habe mich aber keine Sekunde einsam gefühlt. Der Stein... ach, komm doch einfach mit!"
Seine Augen und sein Lachen - warum eigentlich nicht? Was war dabei?
"Heute abend?"
"Ich komme heute abend zu Ihnen und erzähle die Geschichte, ich bringe einen.."
Ich lachte. "Waren wir nicht schon beim 'DU'?"
"Ja, stimmt! Ich bringe uns einen Wein mit und lese Dir ein paar Seiten vor? Und wenn sie Dir gefallen, dann gehen wir los!"
"Bis heute abend"

Er spannte wieder die Leine. Würde er noch einmal ein paar Tage bleiben?
Kommt, bewegt euch, raunte ich den Tieren zu, nichts konnte mir jetzt schnell genug gehen.
"Hallo, kannst Du..?" Er sah mein Winken. Ich bat ihn und er hackte das Holz.
"Falls es im Winter doch kalt würde.", sagte ich lachend!
Der Schweiß rann ihm in Strömen herunter. Ich stand hinter dem Fenster, sah ihm zu.
Wenn er so weiter machte, würde er noch Tage brauchen, sollte er doch!

Ich knöpfte meine Bluse auf und sah mich im Spiegel an. Wie sah er mich? Als einsame Frau, die doch nur einmal einen Mann im Bett haben will und leichte Beute für ihn ist? Oder hatte er schon bemerkt, daß meine Brüste voll und schwer waren und daß mein Bauch ihn gut tragen könnte? Ich streifte den Rock ab. Wie lange hatte ich mich so nicht gesehen? Ich war noch schön. Meine Arme waren kräftig und würden ihn zu mir ziehen, seine Backen in den Händen würde ich ihm jeden Stoß heimzahlen.
Ich ging in mein Bad mit dieser uralten Wanne, die Platz genug für zwei hatte, suchte meine Utensilien zusammen und seit langer Zeit wieder, begann ich mich zu rasieren. Mein Busch war voll und üppig, wie lange hatte ich mich nicht darum gekümmert?
Ich schnitt die frechen Haare weg, stutzte ihn zu einem Dreieck, das würde ihm gefallen. Meine Hüften drängten schon und mein Po am Badewannenrand wurde fest und hart. Ich streichelte meine Brust. Schluß jetzt!
Die Beine, die Achseln, so war es Mode in der Stadt und er sollte mich nicht für eine dumme Ziege halten.
Ich hörte noch immer sein gleichmäßiges Arbeiten und stellte mich wieder hinter das Fenster, um ihn zu sehen. Nackt war ich, duftete nach Lavendel. War ich das? Mein Spiegel zeigte mir eine schöne Frau! Ich ging näher zu ihm, hielt den Rahmen in der Hand, stellte ein Bein vor das andere, begab mich auf Zehenspitzen. So? Sollte ich so vor ihm posieren? Würde er versuchen, das zu sehen, was ich ihm noch nicht zeigen wollte? Oder so? Später dann! Ich ging einen Schritt zurück, hielt meine Brüste mit dem Arm und einen Hand auf dem Schoß. Durch meine sonnengebräunten Finger ließ ich meine nackte weiße Haut blitzen. Ich sah mir in die Augen, benetzte meinen Finger und bestrich meine Kirschen. Früher standen sie mir zu weit auseinander, heute mochte ich sie!
Die Sonne zeigte mir, daß ich mich beeilen sollte. Ich warf mein Kleid über, ging ein paar Schritte. Ja, er würde sehen, daß ich nichts darunter habe und wenn es kühl würde, würde er es erst recht bemerken! Ich rückte meine Brust mit festem Griff zurecht und mußte über mich lachen! Ach du, dachte ich, wenn er nun wirklich nur zu diesem komischen Stein will? Was weiß ich denn von ihm, vielleicht ist er verheiratet und ganz und gar treu?
Mein Kleid war nicht mehr modern. Aber der weite Rock, der bei jedem Schritt wippte, der zarte Stoff, der meine Spitzen rieb und sie hervorstehen ließ und ein wenig Transparenz gegen die Abendsonne würden seine guten Vorsätze zu nichte machen, das war klar!

Er klopfte und trat ein.
"Ich möchte mich waschen?"
"Magst Du etwas trinken? Du schwitzt ja..!" Meine Hand berührte seine Brust. Sie war naß vom Schweiß. Ich spürte seine warme Haut in meiner kühlen Hand. Mein Blick wanderte von seinem Körper zu seinen Augen. Er wischte sich mit seinem T-Shirt den Nacken trocken.
"Ja, ein Bier...?"
Ich holte eines, brachte zwei Gläser mit und goß ein.
"Wie heißt Du? Wir wohnen jetzt seit Tagen auf dem gleichen Grund und wissen nicht einmal unsere Namen!" Ich lachte und verschüttete fast mein Glas. "Wie sind wir alt.."
Er trank einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen. Ich tat es ihm nach. Augenblicke, Funkenschlag.
"Arne"
"Claudia"
Kuß!
Er schmeckte gut, natürlich. Wie schmeckt ein Mann, der eben noch dein Holz geschlagen hat, der nicht besonders gut aussieht aber wahrlich nicht häßlich ist, der deiner Tochter lustige Geschichten erzählt, der vom Alter her ganz gut zu dir paßt, der keine Scheu hat, dir Liebesgeschichten zu erzählen? Ich war drauf und dran, mich in ihn zu verlieben!
"Küßt Du mich noch mal" Ich war verrückt, so verrückt, wie man nur am Anfang ist.
Er ging dann zu seinem Zelt, holte allerhand Zeug und verschwand in meinem Bad. Ich wusch noch einmal mein Gesicht, lutschte einen Bonbon, denn ich wollte nicht nach Bier riechen, ich hasse es, Bier zu trinken!

Es wurde dunkel und wir gingen durch den Wald. Er hatte auf der Wiese eine Blume gepflückt, hatte sie mir ins Knopfloch meines Kleides gesteckt und dabei wie ungewollt meine Brüste berührt. Nun wußte er, wie fest sie sind und wie sehr sie auf ihn warteten.
Seine Hände berührten die meinen und ich hielt sie fest. So leicht würde ich ihn nicht wieder loslassen!
Wir hörten den Fluß, er rauschte. Wir küßten uns. Seine Hände öffneten mein Kleid und er streifte es ab. Nackt stand ich vor ihm. Seine Zunge spielte mit mir. Sie holte mich zu ihm und stieß mich wieder fort. Ich liebte dieses Wechselspiel, bei dem ich nicht wußte, was er als nächstes mit mir tun würde. Ich fiel in das Gras, streckte die Arme von mir fort und sah den Mond.
Seine Lippen berührten meine. Ich hielt seinen Kopf, seine dichten Haare waren zwischen meinen Fingern, nie würde ich ihn wieder loslassen. Er ist doch nur meinetwegen zurückgekommen. Tränen traten mir in die Augen. Er war kräftig und geübt. Nur meinetwegen war er zurückgekommen!

Hand in Hand rannten wir zum Fluß und kühlten uns ab. Wir bespritzten uns mit dem eisigen Wasser und die Wände der Schlucht echoten unsere Schreie.
Er kam zu mir, hielt mich fest und drang in mich ein. Meine Lust schreckte die Eulen auf. Der Mond schien auf sein Gesicht und ich fuhr mit dem Finger an seinen Wangen entlang.
"Liebst Du mich?" fragte er, er der in mir war, den meine Muskeln massierten, der jeden Augenblick explodieren könnte, weil ich ihn gewähren ließ, fragte mich, ob ich ihn liebte!
Wir schwammen zu dem Stein. Er war der Schoß des Flusses. Vom Wasser umspült, war das Moos immer feucht.
Wir lagen auf ihm und hielten uns an den Händen. Es wurde nicht dunkler. Arne, dachte ich bei mir. Er hatte die Zeit für mich angehalten! Er erzählte mir aus seinem Buch. Die Liebe, die Hoffnung, die Wünsche des Mannes, der zu schüchtern war, seine Liebe zu lieben. War ich auch so?. Ich wünschte, er würde lange bleiben!

Wir schliefen in dieser Nacht zwischen dem Mohn und Mond und gingen am Morgen, als das Dorf noch schlief, nach Hause.
Staubig, müde und glücklich!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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