Günter K. Langheld

Auch Alter schützt vor Hunger nicht

Schon seit Wochen hatte ich kein Blut mehr getrunken. Ziemlich schwach auf den Beinen, trottete ich durch den Stadtpark, meine Schritte knirschten auf dem Kiesweg. Es war fast Mitternacht, also die beste Zeit für Vampire. Die Luft war lau und der Vollmond strahlte bleich auf die Sträucher am Wegesrand. Leise hörte ich den Straßenlärm. Nicht weit entfernt tauchte plötzlich eine Gestalt auf, ein Mädchen, etwa 18 Jahre alt, lehnte dort vor mir an einer Birke. Die Kleine hatte dunkles, sehr kurzes Haar. Sie trug eine enge Jeans, dazu einen Pullover. Bis jetzt schien sie mich nicht bemerkt zu haben und blickte in eine andere Richtung.
So geräuschlos wie nur möglich, schlich ich auf sie zu.

"Guten Abend, junges Fräulein, was für eine wundervolle Nacht."
Das Mädchen wirbelte herum. "He Alter, hast du mich erschreckt!" Es sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Erstaunt hob ich die Augenbrauen. "So alleine hier, ohne männlichen Begleiter?"
"Ich wart' auf 'nen Typ. Scheint aber, als hätte er mich versetzt."
Der Hals der Kleinen schimmerte einladend, und in meinem Mund sammelte sich Speichel. Ich räusperte mich.
"Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie einen wunderschönen Hals haben?" Es war immer am besten, sich seinem Opfer galant zu nähern.
"Sag mal, willst du mich anbaggern? Echt, die Tour zieht bei mir nicht. " Empört stemmte das Mädel die Fäuste in die Hüften.
"Aber ganz im Gegenteil..." Ich merkte, dass ich nicht den richtigen Ton getroffen hatte. "Ich habe nur gemeint, dass sich ein so hübsches Mädchen, wie Sie, nachts nicht ohne männlichen Begleiter im Park aufhalten sollte."
"Da sei man unbesorgt. Ich kann schon selber auf mich aufpassen." Wie der Blitz stieß die Kleine ihre Hand hervor und zwei gespreizte Finger stoppten kurz vor meinen Augen.
Vor Schreck fiel ich auf den Rücken. "Bitte... ich hab ja nur sagen wollen...", stammelte ich.
"Oh, tut mir echt leid, Mann. Konnte ja nicht wissen, dass du so schreckhaft bist." Die Kleine beugte sich zu mir herunter. Dabei kam mir ihr Hals so nah, dass ich spürte, wie das Blut in ihrer Halsschlagader pulsierte. Meine Geschmacksnerven schlugen Alarm.

Während sie sich bemühte, mir wieder auf die Beine zu helfen, glitt unvermittelt eine Silberkette aus dem Ausschnitt ihres Pullovers. Ein Medaillon mit einem winzigen Kruzifix pendelte vor meiner Nase.
"Eine reizende Kette haben Sie da, wirklich sehr hübsch." Ich fand das Arrangement natürlich abscheulich, obgleich so ein läppisches Kreuz einen erfahrenen Vampir, wie mich, nicht aus der Fassung bringen konnte.
"Gefällt sie dir?
"Ja, sehr elegant." Ächzend erhob ich mich, in meinem Rücken knackte es deutlich vernehmbar. Ein stechender Schmerz durchflutete mich, und ich stöhnte auf.
"Hoffentlich hast du dir nichts gebrochen." Das Mädchen sah mich mitfühlend an. "Täte mir echt Leid - ehrlich."
"Aber nein, man ist ja gelenkig." Trotz der sprühenden Funken, die vor meinen Augen tanzten und ungeachtet der Schmerzenswoge, die mir das Rückgrat hinab rieselte, bemühte ich mich, meine Worte heiter klingen zu lassen.
Das Mädchen jedoch war besorgt. "Na ja, ich weiß nicht recht, in deinem Alter, wie alt bist du eigentlich?"
"Dreihundertsiebenundachtzig."
Die Kleine lachte hell auf. "Mann, du bist vielleicht witzig, wirklich."
Ihr Lachen war köstlich. Irgendwie musste ich wieder aktiv werden. Ich versuchte es mit einem meiner Verführerblicke, aber das Mädchen reagierte nicht. Es schien sich gerade zu einem Entschluss durchgerungen zu haben.
"Ich glaub, ich mag dich."
"Das beruht vollkommen auf Gegenseitigkeit", beeilte ich mich zu beteuern und lächelte charmant.

Eine Wolke zog vorüber und für einen Augenblick wurde es stockdunkel. Klagend schrie ein Käuzchen. Als die Wolke am Mond vorbei gesegelt war, bemerkte ich, dass die Kleine fasziniert zum Himmel empor starrte. Blendend weiß leuchtete ihre Kehle. Meine Finger tasteten vor und berührten sanft ihren Hals.
"Ihre Haut ist so rein und so weiß, wie frisch gefallener Schnee", schmeichelte ich.
"Du bist ja echt romantisch." Sie schmiegte sich an meine Hand.
Ich spürte, wie mir der Geifer aus den Mundwinkeln tropfte und meine spitzen Eckzähne über die Unterlippe glitten. Schnell spannte ich meine Gesichtsmuskeln. Das Mädchen hatte glücklicherweise nichts bemerkt. Nun musste ich nur noch meine hypnotischen Kräfte einsetzen und die Kleine würde wie Butter in meiner Hand schmelzen. Die Alte Schule war am Ende doch die erfolgreichste Methode.
"Wie viel würde ich darum geben, Ihren Hals nur ein einziges Mal mit den Lippen berühren zu dürfen."
"Meinetwegen, wenn du so wild darauf bist." Die Kleine warf den Kopf in den Nacken und entblößte die Kehle.
Ich zitterte vor Begierde. Schon lange war es her, dass ich Menschenblut getrunken hatte. Gelegentlich hatte ich mir zwar Katzen oder Hunde gefangen, um mich an deren minderwertigem Blut zu laben, aber Menschenblut... Entzückt beugte ich mich vor und näherte mich gierig ihrem Hals.

"He, Mann, was machst du denn da?" tönte es plötzlich hinter mir.
Erschrocken fuhr ich herum.Ein junger Bursche stapfte den Kiesweg auf uns zu. Groß war er, schlank und blond. Das Mädchen stieß einen Freudenschrei aus, löste sich von mir und warf sich dem Kerl um den Hals.
"Cool, dass du doch noch gekommen bist."
"Wo hast du denn die Type aufgegabelt?" Der Schnösel zeigte missmutig in meine Richtung. Dann nahm er die Kleine in die Arme und drehte sich ein paarmal um die eigene Achse. Als er damit fertig war, stierte er wieder zu mir hin.
"Was willst du denn noch hier?"
Ich zog die Oberlippe kraus, bleckte meine Zähne und knurrte grimmig. Doch der Bursche kümmerte sich nicht darum.
"Los, verzieh dich endlich, du alter Knacker." Ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich wieder seinem Mädel zu.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Wo war nur der Erfolg früherer Jahre geblieben? Gedemütigt schlich ich davon.
Um das flaue Gefühl in der Magengegend zu vertreiben, versuchte ich ein Karnickel zu erlegen, aber auch das misslang mir. Bei dem Gedanken, wieder einen Tag lang mit knurrendem Magen im Sarg liegen zu müssen, wurde mir ganz elend.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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