Gertraud Widmann

Unser Weihnachtsgast


Es war Sonntagmorgen, ein paar Tage vorm Heiligen Abend.

Ich sah noch recht verschlafen aus dem Fenster; kalt war`s anscheinend
und es hatte sogar ein wenig geschneit. Der Christbaum war noch nicht
geschmückt und lehnte in einer Ecke der Terrasse. Er diente zwei Meisen
als Zwischenlandeplatz, bevor sie zum Vogelhaus weiter flogen.
   Da sah ich auf einmal gegenüber, an der Hecke die uns vom Pfarrers
Garten trennte, eine Katze sitzen. Sie war rotbraun, hatte eine weiße
Schnauze und eine breite, weiße Brust. Ein schönes Tier - was ich halt so
auf die Entfernung ohne Brille erkennen konnte.
   Vorsichtig öffnete ich die Terrassentür und blieb ganz ruhig stehen. Die
Katze kam langsam zu mir herüber, aber sie ging nicht, nein sie humpelte.
Ja du lieber Himmel, was ist denn nur dieser Miezekatze passiert?
Als sie dann vor mir stand, da sah ich es: Der Schwanz war nur noch zur
Hälfte vorhanden und links hinten fehlte das halbe Bein! Ich erkannte aber,
dass diese Verletzung schon eine ganze Weile zurückliegen musste, denn
sie war bereits sehr gut verheilt.
   Aber ich rede immer von einer Katze, der Größe nach zu urteilen müsste
es eigentlich ein Kater sein!? Denn unsere Katze, die wir zwanzig (!) Jahre
hatten, war um etliches kleiner geeen. Jedenfalls, jetzt stand das Tier vor
mir, sah mich mit seinen grünen Augen treuherzig an und maunzte leise.
Das sollte wohl heißen „Du, ich hab` Hunger“.

Da man ja im Erdgeschoss immer auf derartige „Überfälle“ vorbereitet sein
muss, hatte ich logischerweise auch Katzenfutter im Haus. Davon stellte
ich ihm nun vorsichtig ein kleines Schüsselchen hin. Der Kater (es war ganz
bestimmt einer) schlang alles gierig in sich hinein.
   »Ja du armer Teufel« murmelte ich vor mich hin, »hast nur drei Haxl, bloß
ein halbes Schwanzl UND Hunger – das ist ja kaum auszuhalten!«.
Er wartete geduldig, bis ich das Schüsselchen erneut gefüllt hatte.
   Als mein Mann ins Zimmer kam, sah der Kater nur kurz hoch, machte
sich dann aber wieder genüsslich über sein Futter her. Kaum war er fertig
mit fressen, drehte er sich Richtung Tür, sah uns an, maunzte noch einmal
ganz leise und hinkte davon.Gedankenverloren schauten wir ihm nach und
mein Mann murmelte:
   »Armer „Dreibein“« und so hatte er seinen Namen erhalten: „Dreibein“..

Am nächsten Morgen das gleiche Spiel:
Sobald ich die Terrassentüre geöffnet hatte, kam „Dreibein“ angehüpft und
bat mit einem armseligen „Miau“ um sein Frühstück. Er hatte schon einen
gesegneten Appetit der Kerl.
Hatte er denn wirklich niemand, der ihm zu fressen gab? Als er sein zweites
Schüsselchen in Angriff nahm, streichelte ich ihm das erste Mal ganz zart
über seinen Kopf - er hatte nichts dagegen. Schließlich verabschiedete er
sich leise miauend und humpelte wieder Richtung Pfarrers-Garten.
   Übrigens, während seiner Anwesenheit musste die Terrassentüre immer
einen Spalt offen gelassen werden, auch wenn es draußen noch so saukalt
gewesen war, denn Katzen mögen keine geschlossenen Türen …

Jetzt wollte ich es aber doch genau wissen wo der arme Teufel hingehört.
Es konnte doch nicht anghen,  dass er bei dieser Eiseskälte da draußen
„herumhüpfen“ muss, um dann ausgehungert zu uns zu kommen.
Also begann ich systematisch die nähere Umgebung abzuklappern, fragte
alle möglichen Leute und sah über jeden Gartenzaun. Schließlich hatte ich
doch tatsächlich Erfolg. Bei einem kleinen Häuschen, nur eine Straße weiter
sah ich „Dreibein“. Zusammengerollt lag er auf einer windschiefen Gartenbank
und schlief.
   Was sind denn das bloß für Leute, die ihr Haustier bei der Kälte draußenn
liegen lassen? Oder mag es der Kater vielleicht so? Na ja, ich weiß nicht.
Langsam ging ich um das Haus herum und klingelte. Niemand öffnete. Ich
wartete eine Weile, klingelte nochmal, wieder nichts. Aber es musste jemand
zu Hause sein, denn der Kamin rauchte und vor der Haustür standen zwei
Paar tropfnasse Winterstiefel. Eine Weile blieb ich noch unschlüssig stehen,
machte mich aber dann doch auf den Heimweg.
   „S o o  nicht meine Herrschaften“, dachte ich mir und startete am nächsten
Tag einen neuerlichen Versuch. Diesmal lag der Kater vor der Eingangstür
und blinzelte in die Wintersonne. Ich läutete und gleich darauf öffnete eine
junge Frau.
   »So „Schnuppi“, bist auch wieder da«, sagte sie und schob den Kater mit
ihrem Fuß (!)  ins Haus. Mit einem schroffen
   »Was gibts?«, wandte sie sich an mich.
Ich stellte mich vor und erklärte ihr, dass ich mit meinem Mann eine Straße
weiter wohnen würde und
   »ich wollte nur kurz fragen, ob diese Katze Ihnen geh …«, weiter bin ich
nicht gekommen. Denn die Frau leierte wie aus wendig gelernt und ohne
Luft zu holen, herunter:
   »Das ist keine Katze, sondern ein Kater, er heißt „Schnuppi“, ist vielleicht
vier Jahre alt, lebte in einer Lagerhalle in Spanien, hat dort vor zwei Jahren
durch einem Unfall ein Stück Schwanz und sein halbes Hinterbein verloren!
Sonst noch was?«.
   »Ja, ich wollt` eigentlich nur sagen, dass es uns freut, wenn uns der Kater
besu …« - besucht wollte ich sagen, doch sie ließ mich gar nicht ausreden..
   »Dann schmeißen`s ihn halt raus, wenn er stört«, blaffte sie, ging ins Haus
und knallte die Tür hinter sich zu!
   Ja hört die denn schlecht? Kein Mensch hatte twas von „stören“ gesagt.
Kopfschüttelnd ging ich heim. Na ja, wenigstens wusste ich jetzt dass der
Kater „Schnuppi“ heißt und dass er ein Zuhause hat. Welches, das möchte
ich nicht beurteilen.

Es war der 24. Dezember - Heiliger Abend. „Schnuppi“ hatte uns bereits am
frühen Morgen mit seiner Anwesenheit „beehrt“, hatte ausgiebig gefressen
und war dann davon gehumpelt. Jetzt konnten wir uns also voll und ganz auf`s
Schmücken des Christbaums konzentrieren.
    Am späten Nachmittag, wir waren noch immer mitten in der Arbeit, saß der
Kater wieder vor der Tür! Nur gut, dass ich für „Nachschub“ gesorgt hatte.
Kaum hatte ich die Tür geöffnet, hüpfte „Schnuppi“ herein und begann sofort
die Wohnung zu inspizieren – das war ja ganz was Neues. Danach strich er
mir um die Beine, schnurrte was das Zeug hielt und setzte sich dann wie
selbstverständlich an „seinen“ Essplatz.
   »Ja freilich, du kriegst ja gleich was«, sagte ich, füllte sein Schüsselchen
und stellte es ihm hin. Binnen kurzer Zeit hatte er alles verputzt, nur einen
„Anstandshappen“ - wie das bei Katzen so üblich ist - ließ er übrig. Dann
sprang er, trotz seines Handicaps, elegant auf die Couch, drehte sich einn
paarmal um die eigene Achse und legte sich nieder. Und jetzt durfte ich ihn
das erste Mal richtig streicheln, ein herrliches Gefühl.
   Eine Weile schaute uns der Kater recht interessiert zu, wie wir weiter Kugel
für Kugel an den Weihnachtsbaum hängten, dann war`s ihm anscheinend zu
langweilig geworden und er war eingeschlafen. Lang ausgestreckt, mit dem
Bauch nach oben (ein untrügliches Zeichen des Vertrauens) lag er da. Mein
Mann und ich konnten nicht anders, wir mussten ihn immer wieder anschauen!


Als wir schließlich mit allem fertig waren, uns „fein“ gemacht , gegessen und
sogar „Stille Nacht, Heilige Nacht“ gesungen (!) hatten, war „Schnuppi“ auf
einmal verschwunden.
Denn „Unser Weihnachtsgast“ lag zusammengerollt und friedlich schlafend
unter unserem Christbaum - ein herrliches Bild.

*****

Ein paar Tage später lag ein Zettel bei uns im Briefkasten, auf dem stand nur:

„Ziehe mit Schnuppi weg, Gruß Frau D.“

Wir haben „Dreibein“ nie mehr wiedergesehen

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