Das Mädchen und der Bettler.
Der eiskalte Wind peitschte ihr ins Gesicht, Schneeflocken umwirbelten sie wild. Ein massiver Schneesturm entwickelte sich grade. So gut sie konnte verbarg sie sich in ihrer viel zu dünnen Jacke und ging durch den hohen Schnee, durch Menschenleere Gassen. Nur in den Häusern brannte Licht, und wo die Jalousinen nicht runter gezogen waren, blickte sie hinein .. sie sah dort Weihnachtsbäume, Menschen, Familien zusammen am Tisch sitzen oder vor dem Weihnachtsbaum, aus einigen Häusern hörte sie Weihnachtslieder … lachen, Kinder.
Ihr Herz war schwer, doch weinen konnte sie schon lange nicht mehr. Ihr Körper voller Schmerzen .. immer noch spürte sie seine Schläge auf ihren Rücke, ihrem Kopf, in ihrem Gesicht. Das Atmen durch die Nase fiel ihr schwer, aber es hatte aufgehört zu bluten mittlerweile .. Sie wusste nicht warum er immer so böse war wenn er nach Hause kam, seit dem Tod ihrer Mutter vor drei Jahren hatte sich alles verändert. Ihr Vater wurde zu einem harten verbitterten Mann, der sich in seinem Kummer ganz dem Alkohol ergeben hatte. Er schien jeden nur noch zu hassen, Gott, die Menschen, sich selber, ja sogar sie, ihre Tochter, die er mit ihrer Mutter zusammen aufgenommen hatte, als sie noch ein Baby war. Ihren richtigen Vater kannte sie nicht, sie hatte erst nach dem Tod ihrer Mutter erfahren dass der Mann den sie für ihren Vater hielt nicht ihr Vater war, als er es ihr in einem Jähzornanfall an den Kopf geworfen hatte, dass sie nur ein Bastard sei. Fast täglich erging die gleiche Tyrannei über sie, an vernichtenden Worten, an Schlägen, an Tritten, an Ausgrenzung.
Auch in der Schule, wo sie über ihr Leiden schwieg, weil sie Angst hatte man nimmt sie von zu Hause weg, und egal wie böse er sein konnte, manchmal war er ja auch ruhig, und immerhin er machte ihr morgens Brote für die Schule, morgens war er immer sehr still, und redete kaum mit ihr, aber er war da und er brachte sie sogar zur Schule und holte sie auch an jedem Tag ab. Nur abends da war ein anderer Mann, den mochte sie nicht, vor dem hatte sie Angst, und doch war er alles was sie hatte, denn es war sonst niemand für sie da, wurde sie ausgegrenzt und ausgelacht. Ihr Kleider waren nicht so schön wie die der anderen, und ihr Schulranzen auch nicht, sie wirkte arm im Gegensatz zu den anderen Kindern und konnte sich nicht wehren. Kinder können gemein sein, wenn sie merken dass ein Kind sich nicht behaupten kann. Freunde hatte sie keine, nur eine heimliche Freundin, die sie aber in der Schule nicht beachtete, weil sie sich wohl für sie schämte und Angst hatte von den anderen gleich mit ausgegrenzt zu werden. Heute war Heiligabend, und er war komplett ausgerastet. Schlimmer als sonst, er war wie von Sinnen gewesen. Hatte sie getreten, geschlagen, und in seiner großen Wut vor die Tür geworfen, sie soll verschwinden und niemals wieder kommen, hatte er ihr hinterher gerufen, er könne nicht mehr für einen nutzlosen Fresser mehr mit sorgen. Immerhin hatte er ihr noch eine Jacke hinter her geworfen, wenn auch nicht ihre Winterjacke. Sie wusste nicht wohin, und es war so dunkel, und sie hatte so Angst. Ausserdem plagte sie schon seit Tagen dieser furchtbare Husten, und manchmal konnte sie nur schwer atmen, nicht nur durch die Nase nun, sondern überhaupt. Und sie hatte Hunger und Durst. So ging sie weiter, ohne Richtung, ohne Ziel, in einer bitterkalten Nacht, von der sie spürte sie könnte vielleicht die letzte ihres Lebens sein.
Als sie an einem Haus vorbei ging, musste sie kurz stehen bleiben, weil ein Hustenanfall sie packte. Jemand öffnete die Tür und erblickte sie. „Was machst du um die Zeit vor der Tür?“ fragte sie eine Männerstimme. „Nichts.“ antwortete sie und dann sagte sie schüchtern: „Ich habe Hunger und Durst.“ „Was bist du? Eins dieser Bettlerkinder? Mach dass du weg kommst hier, so was wie dich brauchen wir hier in unserer Gegend nicht!“ Dann schlug der Mann die Tür wieder zu. Auch alle anderen Türen waren verschlossen, und wo sie kurz aufgingen, liess doch niemand sie herein, alle hielten sie für ein Bettlerkind, und niemand zeigte Gnade.“ Irgendwann, als sie schon lange durch die Stadt gewandert war und vor Kälte weder ihre Hände, noch Füße mehr spüren konnte, ja nicht mal mehr Schmerzen, verließ sie die Kraft. Sie war an einer Brücke angekommen, aber sie überquerte sie nicht mehr, sie ging nach unten und legte sich unter die Brücke hin wo es trocken war und weinte nach ihrer Mutter.
Auf einmal hörte sie Schritte, aber sie war zu schwach um aufzublicken und ihr war viel zu kalt. Dann hörte sie wie ein Feuerzeug angezündet wurde, und sah vor sich auf der Erde eine Kerze die angezündet wurde. Jemand setzte sich zu ihr und schüttelte sie: „He, Kleine, woher hast du dich denn verlaufen?“ fragte sie eine tiefe aber weiche Stimme. Sie antwortete nicht, aber spürte wie derjenige einen Mantel um sie legte: „Hier kannst du ja wohl kaum bleiben, soll ich dich irgendwohin bringen?“ Sie schüttelte den Kopf, und sagte: „Mich will keiner bei sich haben! Lass mich hier liegen und zu meiner Mama gehen!“ „Wo ist deine Mama?“ fragte der Mann. „Im Himmel, bei den Engeln.“ „Oh Engel sind eine tolle Sache, das sind unsere besten Freunde!“ hörte sie den Mann, der wie ein Bettler aussah, sagen. Dann raschelte eine Tüte und der Mann kramte etwas aus ihr heraus. „Hast du Hunger?“ fragte er, dann fügte er hinzu: „Ich habe zwar nur noch dieses eine Brötchen hier, aber du kannst es haben, Kleine. Du brauchst Kraft! Und ein wenig was zu trinken habe ich auch noch, meinen Billigwein gebe ich dir aber nicht, du kriegst nur das Wasser! Und dann bring ich dich an einen Ort, wo jemand auf dich wartet!“ Bei den Worten Brötchen und Wasser kam wieder ein wenig Lebensgeist in das Kind und es erhob sich mit seiner letzten Kraft. Der Mann hielt es fest und fütterte es regelrecht, Bissen für Bissen. „Wo wartet denn jemand auf mich?“ fragte das Kind dann, „und wer denn? Meine Mama? Bringst du mich zu meiner Mama?“ Der Mann lachte, und sagte, nein, es ist ein noch viel besserer Ort, lass dich überraschen! „Wer bist du? Wo wohnst du denn?“ fragte das Mädchen. „Nenn mich wie du willst, mein Name ist nicht wichtig, und ich wohne überall auf den Strassen dieser Welt, aber das ist kein Ort für ein kleines Kind wie dich!“
Als es fertig gegessen hatte, hob der Mann es auf die Arme, eingewickelt in seine dicke warme Jacke. „So dann gehen wir nun los .. wir machen jetzt eine Abenteuerreise, wir folgen einem Stern!“ „Einem Stern?“ fragte das Mädchen und schaute zum Himmel, „welchem von diesen vielen Sternen denn? „Schau genau hin, schau auf den hellsten von allen, er zeigt uns den Weg!“ Das Mädchen schaute nochmal in den Himmel und dann sagte es: „Wow, ich sehe ihn, er ist wunderschön, wohin führt er uns denn?“ Der Mann lachte und sagte: „Man könnte sagen, mitten in den Himmel!“ Und so gingen sie los, und folgten dem Stern, bis der Stern über ihnen stehen blieb. Der Mann sagte: „Wir sind da, geh rein du wirst erwartet!“ Er setzte das Mädchen ab, und es schaute sich um, dann sagte es: „Aber hier ist doch gar nichts anderes als ein Stall? Wieso führt uns der Stern zu einem Stall?“ Dann hörte es die Worte: „Geh hinein, du wirst erwartet!“ Als es sich nach dem Bettler umdrehte war er wie vom Erdboden verschwunden. Langsam ging das Mädchen auf den Stall zu, er war hell beleuchtet und die Tür war nicht verschlossen. Leise öffnete es sie, und blickte schüchtern hinein.
Das erste was es sah waren Schafe, einen Esel, eine Kuh doch dann hörte es wie jemand sagte: „Komm herein! Wir haben auf dich gewartet!“ Nun betrat es den Stall ganz und sah eine Frau, und einen Mann, und hörte Töne eines Babys. „Komm her … er ist da!“ sagte der Mann, und das Mädchen ging zu der Krippe in der Mitte des Raumes. Da lag es, das Baby, ein winzig kleines neugeborenes Baby. „Aber warum liegt es in einem Stall, in einer Krippe?“ fragte es. Die Mutter des Babys antwortete mit sanfter Stimme: „Wir waren unterwegs als die Wehen kamen, und niemand wollte uns helfen und in sein Haus lassen!“ „So ging es mir auch, nur der Bettler half mir, und brachte mich hierher.“ Dann schaute es das Baby an und streichelte vorsichtig seine Ärmchen. „Er ist so klein, so süß, wie heisst er?“ Der Mann lächelte, und legte seine Hände auf die Schultern des Kindes, dann sagte er: „Wir haben ihm den Namen Jesus gegeben, das heisst: Gott hilft und Gott rettet!“ „Durch ein Baby?“ fragte das Mädchen erstaunt. „Ja, durch ein Baby! Willst du ihn mal halten?“ fragte die Frau. „Ja gerne!“ Und so gab man ihm das Baby in den Arm, und es begann es zu küssen. Dann sagte es ganz liebevoll: „Wenn ich groß gewesen wäre, und ein Haus gehabt hätte, dann hättest du da geboren werde können!“ Der Mann neben ihr lachte: „Du musst nicht groß sein um das Haus zu sein, und die Großen öffnen sehr viel schwerer die Tür, als die Kinder!“ „Aber wie kann ich das Haus sein?“ fragte das Mädchen irritiert.
Und noch irritierter war, als der Stall auf einmal gar kein Stall mehr war, und es auch kein Baby mehr im Arm hielt, sondern vor einem Kreuz stand, inmitten einer Kirche an dem ein Mann hing. Auf seinem Kopf eine Krone aus dicken Dornen, sein Körper sah zerschlagen aus, und seine halb geöffneten Augen blickten sie sterbend an. Über dem Kreuz sah das Kind ein Schild mit der Aufschrift: „Jesus, König der Juden!“ „Du bist das Baby!“ sagte das Mädchen entsetzt, „Was haben sie mit dir gemacht, sie haben dich auch zerschlagen, ausgegrenzt und ausgestoßen, und getötet, warum haben Sie das mit dir gemacht?“ Dann begann es zu weinen, es spürte seinen eigenen Schmerz und den Schmerz dieses Mannes am Kreuz, namens Jesus! „Kann ich dich denn nicht da wieder runter holen, ich sagte doch, ich will das Haus sein, und ich würde immer gut zu dir ein! Und keiner würde dir mehr weh tun, dann lieber mir, weil ich kenne es nicht anders“
„He Kleines!“ hörte es auf einmal mitten in seinem Weinen eine Stimme hinter sich, erschrocken drehte es sich um, es hatte gar nicht mitbekommen dass noch jemand im Raum war. Als es den Mann erblickte, erschrak es noch mehr und rief: „Aber du bist doch der nette Bettler von vorhin! Du hast mich zu dem Stall gebracht, und jetzt bin ich hier, und du auch? Wer bist du?“ Der Mann lachte und sagte: „Ich habe dir doch gesagt, ich wohne überall auf den Strassen dieser Welt und suche immer nach Türen die sich öffnen, zu denen ich hinein gehen kann.“ Das Mädchen rief nun voller Freude auf: „Du bist es, du bist Jesus, du lebst!“ Dann lachte es voller Freude! „Ja, ich lebe, und du sollst auch leben, meine kleine Prinzessin!“ Das Mädchen stürzte sich auf ihn, und sprang ihm regelrecht in die Arme, er hob es hoch und wirbelte es umher, und es juchzte voller Leben und Freude und alle Schmerzen waren vergessen, ja sogar sein schwerer Husten war verschwunden, seit es ihm begegnet war.
Nach einer Weile des Herumtobens und der Freude, schaute das Mädchen die Hände ihres Retters an, und sagte traurig: „Aber du hast da noch Wunden! Gehen die nie wieder weg?“ „Leg deine Hände auf meine!“ sagte der Herr: „Diese Narben werde ich immer tragen, damit du für immer wissen darfst, sie haben dich gerettet, denn ich lud deine Sünden, und deine Schmerzen auf mich, und ich starb für dich, alles liegt auf mir damit du Frieden hast, und durch meine Wunden bist du geheilt! So sehr liebe ich dich, von jeher, und in alle Ewigkeit und du bist niemals mehr allein, du warst es noch nie, du konntest mich nur nicht sehen neben dir. Und ich habe auf dich gewartet“ Das Mädchen schmiegte sich an ihn, und sagte leise: „Und jetzt bringst du mich in den Himmel!“ Leise und sanft hörte es die Antwort: „Ich bin es!“ Dann schlief es ruhig und sicher in seinen Armen ein.
Am nächsten Morgen war der Pfarrer als er die Kirche aufschloss entsetzt, als er ein fest schlafendes Mädchen auf einer der Bänke neben dem Kreuz entdeckte. Die herbei gerufene Polizei, brachte das Kind sofort ins Krankenhaus, und es wurden schwere körperliche Misshandlungen bei ihm festgestellt. Es wurde von seinem Stiefvater weg genommen, und der Pfarrer selber hatte so ein Drängen in sich, sich in seiner Gemeinde für das Kind einzusetzen, so dass sehr schnell eine gute und liebevolle Adoptivfamilie für das Kind gefunden werden konnte, denen es zur Freude und zum Segen wurde, denn es wurde der Sonnenschein dieses kinderlos gebliebenen Ehepaares, das sich nichts sehnlicher gewünscht hatte als eine Tochter.
Die große Frage, und das große Geheimnis hinter dem Mädchen aber blieb für immer folgendes: Wie war es nur in diese Kirche rein gekommen, denn alle Türen waren in dieser Nacht verschlossen gewesen!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.12.2017.
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