Daniela Hoppaus

Am Bach

Sie saß am Bach und weinte. Ihre salzigen Tränen vermischten sich mit dem klaren Wasser des Gebirgsbaches, daß fröhlich glucksend über die Steine sprang.
Sie aber sah die Schönheit nicht, die sie umgab. Sie roch nicht den Duft der Wälder, sah nicht, wie der Wind in den Gräsern spielte und hörte nicht das Zwitschern der Vögel.
Ihr langes, haselnußbraunes Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Der Wind spielte mit ihren Locken.
Strähnen ihres Haares klebten an ihren von Tränen feuchten Wangen.
Der Schmerz in ihrer Brust tobte heiß und drohte, ihr Herz zu sprengen. Niemand konnte ihr Leid lindern, niemand. Selbst ihr Mann, der doch alles versucht hatte, sie von ihrer Trauer zu befreien, mit tröstenden Worten, mit tröstenden Armen. Niemand, niemand.
Verzweiflung machte sich in ihrem Herzen breit und machte es kalt und kälter.
Mein Kind, dachte sie, mein geliebtes Kind. Dabei war es schon viele Tage her, seit sie ihr Kind in den Armen gehalten hatte. Den leblosen Körper ihres neugeborenen Kindes.
So lange hatte sie es in sich gespürt, solange war es ein Teil von ihr gewesen. Bis eines Tages, es war ein stürmischer Tag, wolkenverhangen der Himmel, aufgebracht der Wind, eines Tages die Wehen zu früh, viel zu früh kamen.
Ich kann Deine Frau retten, sagte die Alte, aber Dein Kind, Deinen Sohn....
Tu, was Du kannst, weise Frau, sagte ihr Mann, tu was immer du mußt, aber tu es.
Wie glühende Messer stieß der Schmerz in ihren Bauch. Die Welt war ausgelöscht, es existierte nur noch der Schmerz. Er kam in Wogen und ließ ihr kaum Zeit zu atmen.
Blicklos schaute sie die Alte an, die sich über sie gebeugt hatte, grinsend, den Mund voller schwarzer Stummel.
Es wird ein bißchen weh tun, sagte der Mund.
Dann verschwand das Gesicht der Alten hinter einer roten Wand aus Schmerz. Ihr Leib bäumte sich auf und etwas entglitt ihr, verschwand aus ihrem Körper mit einem gräßlich schmatzenden Geräusch.
Eine Verbindung riß ab und hinterließ Leere, eine schwarze, alles verschlingende Leere.
Als sie wieder zu sich kam, schien draußen die Sonne. Jemand stand neben ihrem Bett. Sie blinzelte und erkannte das besorgte Gesicht ihres Mannes. Er hielt ein Bündel im Arm.
Furcht kroch in ihr Herz, als er ihr das Bündel reichte. Es war hart und kalt. Mit zitternden Fingern schob sie den Stoff zurück und blickte in ein kleines Gesicht. Ein kleines, totes Gesicht.
Sie schrie auf, die Qual durchschnitt ihr Herz. Die Alte, die im Hintergrund gewartet hatte, trat zu ihr, nahm ihr das leblose Bündel fort und entfernte sich rasch damit.
Sie konnte nichts tun, sagte ihr Mann. Er kam tot zur Welt.
Schmerz. Schmerz und Tränen. Endlose Tränen. Seit jenem Tag kam sie immer hierher. Sie saß am Bach und weinte. Weinte endlos und ihre salzigen Tränen vermischten sich mit dem klaren Wasser des kalten Gebirgsbaches. Sie sah die Schönheit nicht, die sie umgab. Sie roch nicht den Duft der Wälder, sah nicht, wie der Wind in den Gräsern spielte und hörte nicht das Zwitschern der Vögel.
Sie sah nur ihre Hände und das lange, scharfe Messer darin.
Der Schmerz, die Wut und die Verzweiflung waren einer dumpfen Leere gewichen.
Mit einer sicheren Bewegung zog sie das Messer über ihre Handgelenke. Sie schaute zu, wie aus den Wunden rotes Blut quoll. Sie schaute zu, bis sich ihr Blick trübte und eine warme Dunkelheit sie umhüllte. Und sie fühlte nichts mehr. Keinen Schmerz, keine Trauer, keine Verzweiflung.
Und das Blut vermischte sich mit dem klaren Wasser des Gebirgsbaches, daß fröhlich glucksend über die Steine sprang.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.11.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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