Mit Mühe unterdrücke ich ein Gähnen, was mir einen missbilligenden Blick der dicklichen Lehrerin einbringt. Diese Frau sieht alles. Ich bin froh, dass mein Sohn in ihre Klasse geht und nicht ich. Vier Kinder, das macht eine Menge Elternsprechtage, denke ich und seufze. Schon wieder trifft mich der strenge Blick. Was würde ich jetzt für eine Zigarettenpause geben ...
Ich hole tief Luft, was ein Fehler ist, denn die unterschiedlichsten Parfümwolken haben sich zu einem Geruchsgemisch vereinigt, das mich in eine Art Trance versetzt. Die Muttis der ersten Klasse haben sich eben chic gemacht. Ganz anders als ich. Als Mutter von 4 Söhnen bin ich kampferprobt und abgehärtet. Elternsprechtage sind jetzt nicht so der Grund für mich, um mich ins kleine Schwarze zu schießen und in Parfüm zu baden. Das ist gleich aufgefallen. Während die meisten Mütter die Lehrerin umringten, sie mit Fragen bombardierten und sich Notizen machten, habe ich mich auf einen der Tische gesetzt, mich aber nach einem bösen Blick der Lehrerin lieber auf einen der kleinen Stühle gequetscht, so ganz ohne Aufforderung. Die anderen Mütter sind nach und nach meinem Beispiel gefolgt.
Jetzt sitze ich immer noch auf dem Stuhl, mit eingeschlafenem Hinterteil. Ich beobachte fasziniert, wie sich ein Speichelfaden zwischen den Lippen der Lehrerin in die Länge zieht, wenn sie spricht. Und sie spricht andauernd! Ich kann den Blick nicht abwenden. Der Faden ist super elastisch, reißt nie ab. Inzwischen wird eifrig diskutiert. Einige der Mamas möchten Sitzbälle anschaffen, für eine gesunde Sitzhaltung. Eine andere Gruppe widerspricht und will lieber mal mit den Kindern in den Zoo. Ein Vater, der sich zum Elternsprechtag verirrt hat will den Klassenraum in lustig bunten Farben anstreichen, damit er freundlicher aussieht. Die Lehrerin ist der Meinung, dass die Kinder zu viel fernsehen. Schon ist ein neues Diskussionsthema gefunden, Gewalt im Fernsehprogramm.
Die Augen fallen mir fast zu. Außerdem muss ich unbedingt eine rauchen. Ich beschließe raus zu gehen, wenn der Speichelfaden im Mund der Lehrerin innerhalb der nächsten 10 Minuten reißt. Falls er hält, werde ich mich an der Diskussion beteiligen. Tom und Jerry sind jetzt im Kreuzfeuer der Kritik. Ich lerne, dass sie gewaltbereite, mordlüsterne Biester sind, welche die Jugend verderben. Die Lehrerin lächelt, doch das Speichelding zieht sich noch mehr in die Länge, reißt nicht. Ein zähes Teil ist das. Die mollige Pädagogin stellt die Frage, ob die Kinder nicht lieber stilles Wasser trinken sollen. Saft hat zu viele Kalorien, sagt sie. Mitten im Satz wird sie unterbrochen, denn eine Helikoptermama beklagt sich, dass die Pausen nicht aktiv gestaltet werden.
Ich linse auf meine Uhr. Die zehn Minuten sind um, ich habe verloren, muss diskutieren. So stehe ich auf: „Mein Sohn verabscheut stilles Wasser und ich auch“, sage ich mit fester Stimme. „Und ich bin der Meinung, dass die Kinder Bilder malen sollen um den Klassenraum zu verschönern. Ach ja, Sitzbälle in einer Klasse, das ist bescheuert.“
Die dicke Lehrerin starrt mich mit offenem Mund an. Da - der Speichelfaden ist weg, vermutlich endlich gerissen. Ich grinse sie an. „Tom und Jerry finde ich übrigens cool. Die habe ich mir schon angeschaut, als ich ein Kind war und es hat mir nicht geschadet. Jedenfalls nicht sehr. So, und jetzt gehe ich eine rauchen.“ Mit diesen Worten steuere ich die Tür an. Selten habe ich mich so klasse gefühlt, wie nach dem Abgang. Allerdings muss ich, nachdem ich geraucht habe wieder zurück in die Klasse, denn sie haben mir in meiner Abwesenheit eine Strafe aufgebrummt. Sie haben mich zur Elternsprecherin gewählt ....
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.01.2018.
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