Olaf Lüken

Der güldene Garten - Landschaft im Licht

Narren hasten, Kluge eilen, und Weise gehen in den Garten (Tagore). Aus der Ferne drängt vor der Vogelchor. Vielstimmig und immer lauter, bis das Fortissimo mich aus dem Bett reißt. Es ist Juli, der Wecker zeigt eine Fünf vor dem Doppelpunkt. An jedem Morgen sammelt sich das Ensemble der begabtesten Singvögel vor meinem Schlafzimmerfenster. Unverdrossen starten sie in der Dämmerung ihre Sängerwettkämpfe. Manche gurren und zwitschern, trällern, tirillieren oder zirpen. Andere singen Melodien, lassen Tonfolgen hören, die sich irgendwer ausgedacht haben muss, in unendlichen Variationen. Ihre Lieder haben keinen Richtungssinn, sie warten nicht auf Applaus und beginnen schon mit Zugaben. Die Vogelschar ist einfach da. Und ihre Musik hat keinen Zweck, außer Musik zu sein, ein vielstimmiger Jubel, eine himmlische Morgengabe, den schon wenige Stunden später der Lärm der Stadt übertönen wird.

Wenn ich in der Frühe die Tür zum Balkon öffne und ins Freie trete, hüllt mich eine kühle, klare und frische Morgenluft ein. Der Tag erwacht. Menschliche Geräusche sind noch fern. Die Sonne liegt versteckt hinter viel Mauerwerk. Ein leichter Wind streicht an mir vorüber, und ein süßer betörender Duft weht durch den blühenden Garten. Mit allen Sinnen die kleine Gartenwelt entdecken, sie erforschen, erleben, ergreifen und begreifen. Die biegsamen, beinah' mannshohen Gräser wiegen sich leicht im Wind und bilden einen zarten Kontrast zum kräftigen Grün der Sträucher, Hainbuchen und Hecken im Hintergrund. Lavendelduft zieht unwiderstehlich Bienen und Hummeln an. Es brummt und summt.  Einige torkeln trunkend von Blüte zu Blüte in einem bunten Meer blühender Blumen. Welch verschwenderische Pracht, welch fulminant freches Farbenspektakel. Mit nackten Füßen trete ich auf das frische, feuchte und ungemähte Gras. Ich spüre die leicht einknickenden Halme und den weichen Lehmboden unter mir. Und während ich langsam, beinahe andächtig durch das zurückweichende Gras gehe, spüre ich, dass auch die Sonne meinen Zaubergarten langsam aufleuchten lässt. Farben und Düfte sind mehr als Atome im leeren Raum (Demokrit). Üppig blüht der Oleander in vielfachem Rot. Zartes Rosa, kräftiges Kirsch- und feuriges Mohnrot werben in üppiger Fülle miteinander. Rote, weiße und gelbe Rosen bilden eine kreisrunde Blumeninsel. Ihr Duft ist betörend, und dieGegensätze sind aufgehoben Der Rosenstrauch trägt Dornen, und die Dornen tragen Rosen.

 

Obstbäume sind die zweitschönste Verbindung zwischen Erde und Himmel. Aus der Entfernung nehme ich zuerst ein Stück Land mit Bäumen wahr. Auf den zweiten Blick  sehe ich, dass jeder Baum im Sommer Blätter, Blüten und Früchte trägt. Der dritte Blick hilft mir zu erkennen, dass jede Frucht mit einer Haut bedeckt ist. Streife ich diese Haut  ab, so kommt aus der Frucht  ein wunderbarer Saft als Lebenstrank hervor.  Am Anfang war es nur  ein Stück Land mit Bäumen oben drauf. Mit jedem weiteren Blick vergrößerte sich mein Horizont für Gottes unglaubliches Naturspektakel. Hinter den Obstbäumen gehe ich auf eine parkähnlich angelegte Baumgruppe zu. Zwischen Ahorn, Buchen und Eichen liegen Ballustraden, Amphoren, Skulpturen und kleinere Blumenareale. Harmonie ist schön, gelegentlich aber auch etwas langweilig. Erst durch einen gelungenen Kontrast werden farben- und formenfrohe Gartenbilder zu dauerhaft einprägsamen Kunstwerken.

 

Rasenmähen, Unkrautjäten und das Gras zusammenharken sind Teile täglicher Gartenarbeit. Wohl wahr. Andererseits: Muskuläre Tätigkeiten sind nicht so mein Ding. Der Träumer in mir will lieber ein paar Zeilen auf's Papier fegen, getreu dem Motto: Unser Herrgott ist der Narren Vormund (Martin Luther). Ist der Garten nicht ein domestizierter Wille und eine abgezirkelte Idealvorstellung? Oder - ist er vielmehr ein Lebensraum für Lebewesen, ein Beziehungsort, gar ein menschliches Biotop ? Der Garten erlaubt zu sehen, zu riechen, zu hören, zu fühlen und auch zu schmecken. Er ist zuerst ein sinnliches Erlebnis.

 

Eine Bande munterer Spatzen fliegt geschwätzig durch die Luft. Übermütig und vollends frech geworden, hüpfen einige Sperlinge unbekümmert über kurze Stöckchen, kleine Steine und niedriges Gras oder planschen aufgeregt im Bassin. Andere treffen sich zum Plausch am Rand des Beckens. Ein junger Gernegroß öffnet seinen Schnabel, doch kein Laut dringt aus ihm heraus.Wahrlich, großartige Sänger sind sie nicht. Vom spielsüchtigen Spatzenvolk unbeachtet bleiben die Amseln, die in Windeseile über den Garten sausen und im Gebüsch wieder verschwinden.
 

Die Sonne hat mittlerweile den Zenit erreicht und schickt ein güldenes Strahlenbündel auf das Amselversteck. Der Busch flimmert und flirrt wie filigranes Gold. Über den Busch tanzen  fünf bunte Falter. Ja, denke ich und atme tief durch. Das habe ich mir gewünscht. Einen Garten zu haben wie ein luftiges Wohnzimmer. Duftend, bunt und wunderschön. Auch der blühende jüdische Obstgarten, "PaRDes"  -  ist ein lebender Organismus. Immer in Veränderung und eine bleibende Erinnerung an das verlorengegangene Paradies. Muslime nennen ihren Himmelsgarten "Djanna." Auch er iein seliger Ort, an dem Ströme von Wasser, Milch, Wein und Honig fließen. Der Garten als Oase für die Sinne, der Garten -  ein Lebenslabyrinth.   

(c) Olaf Lüken (2017)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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