Sigrid Penz

Freitag, der 13.

Das erste Brautmodengeschäft sollte eigentlich um zehn Uhr dreißig öffnen, es war kurz nach halb, aber nichts passierte. Sie stemmte sich mehrmals gegen die Tür und dachte noch, dass sie klemmte, aber sie war fest verschlossen. Auch ein Blick ins Innere des Ladens ermutigte sie nicht mehr. Es war stockdunkel und niemand zu sehen. 
Also fuhr sie weiter. Ein kurzer Schulterblick zeigte ihr, dass gerade die Ladentür aufging. Nun nicht mehr! Die Verkäuferin trat vor die Tür und sah sich nach Kundschaft um. Selbst Schuld, dachte Laura und fuhr weiter. Wahrscheinlich hatte die Verkäuferin doch noch das Klopfen an der Tür gehört.
Der nächste Brautmodenladen, den sie einige Kilometer später erreichte, war sehr schön, sehr groß, die Verkäuferin sehr nett, nur gab es keine Abendgarderobe. Es gab nur Brautkleider und Anzüge. Nun ja, Laura war nicht abergläubig, aber heute war wirklich Freitag der 13.
Sie gab die Hoffnung nicht auf. Im dritten Laden würde sie sicherlich etwas finden. Dieser war schnell erreicht und sie trat beschwingt ein. Ihre eigene Wohnung war sehr klein, aber der Laden hätte locker zweimal hinein gepasst. Er war winzig und befand sich zwischen einer Apotheke und einem Sanitätshaus mit Stützstrümpfen und Prothesen im Schaufenster. Im Laden selbst kokettierte gerade eine angehende Braut mit ihrem Spiegelbild. Die Mutter hatte es sich auf dem einzigen winzigen Sesselchen bequem gemacht. Die Verkäuferin war schon in den allerbesten Jahren, vollbusig und um die Hüften wohlgerundet. 
Als sie Laura erblickte, sagte sie: "Sie wünschen?" ,schon mal in einem etwas herablassenden Ton, fand Laura.
"Ich suche ein Abendkleid. Meine Freundin heiratet."
Die Verkäuferin schnaubte und sagte nachdrücklich: " Da müssen sie erstmal draußen warten. Sie sehen doch, dass ich zu tun habe!" Laura konnte es nicht fassen. Gerade war sie vor die Tür gesetzt worden. "Draußen regnet es!"
"Was, es regnet?" , entgegnete die Verkäuferin. "Na, dann müssen sie eben hier warten, bis sich die Braut umgezogen hat."
Laura war ein Gemütsmensch und so schluckte sie brav die beleidigenden Worte der Verkäuferin. Sie wußte ja, warum sie hier war. 
"Was haben sie sich denn so vorgestellt?" ,fragte die Verkäuferin, als die Braut gerade dabei war, sich in der winzigen Umkleidekabine ein Kleid in der Größe eines Fesselballons vom Körper zu streifen. 
Laura sagte: " Ich hätte gerne ein rotes Kleid!"
"Aha, ein Rotes, Größe 44?" Schon war sie am Kleiderständer mit den Abendkleidern zugange. Sie zog ein violettes Kleid heraus und hielt es Laura hin. "Ich hätte gerne ein Rotes, Größe 40!" ,antwortete Laura. Die Braut kämpfte weiter mit ihrem Kleid. Die Verkäuferin tat das violette Kleid zurück und holte ein malvenfarbenes Kleid von der Stange. Laura hatte ein oder zwei rote Kleider gesehen. War die Dame wirklich so blöd und wollte ihre Kleider nicht verkaufen oder war sie einfach nur farbenblind und konnte Rot nicht von Violett unterscheiden?
Laura sagte wieder: "Ich wollte ein rotes Kleid!" ,diesmal mit mehr Nachdruck. Endlich zog die Verkäuferin das rote Kleid, welches Laura schon zu Beginn gesehen hatte, hervor und hielt es ihr hin.
"Ja, das würde ich gerne probieren.Haben sie noch mehr rote Kleider, oder ist das das Einzige?" ,fragte Laura höflich. 
"Na, hier ist noch Eines, aber aus dem Alter sind wir ja wohl raus!" Es war ein Cocktailkleid. Laura schluckte, ob der Unverschämtheiten, die sich diese Verkäuferin erdreistete, ihr an den Kopf zu werfen. Noch dazu, wo Laura viel jünger war. Hätte nur noch gefehlt, dass sie am Satzende noch ein "Schätzchen" angehängt hätte. Da die Zeit drängte und sie feststellen mußte, dass sie nicht sehr viel Auswahl hatte, beschloss sie, trotzdem das Kleid zu probieren. 
Einige inuten brauchte die Braut noch, dann war sie endlich erlöst. 
Laura konnte die Minikabine betreten. Sie zog das Kleid an und es passte - so einigermaßen- . Ihre Brust war riesig und wurde noch durch die Raffung des Kleides unterstrichen. Max hätte sich wahrscheinlich gefreut. Nur- taucht man so auf einer Hochzeit auf? Eher nicht. In der Zwischenzeit kam die Verkäuferin wieder und hielt ihr ein Kleid entgegen. "Sehen sie, das hab ich auch noch gefunden. Sie können es ja mal probieren."
Laura stöhnte und erwiderte. " Ich wollte ein rotes Kleid!" Das Kleid war blau.
Sie zog ihre Sachen über und ging, ohne sich nochmals umzusehen. Nur weg von diesem Horrorkabinett!
Sie beschloss sich nochmals dem ersten Laden zu widmen und fuhr zurück.
Diesmal hatte sie Glück. Die Verkäuferin war jünger, hatte gute Laune und sagte gleich, als Laura ihre Wünsche vorgetragen hatte: "Wir werden schon etwas für sie finden. Gerade waren zwei Brautmütter da, die haben sofort etwas gefunden." Aha! , dachte Laura. Das hört sich ja ziemlich vielversprechend an. Sie suchten gemeinsam. Es gab eine große Auswahl an Abendgarderobe und Laura hatte endlich Hoffnung, dass sie heute doch noch glücklich werden würde. Zumindest was die Kleiderfrage betraf.
Nach der Wahl hatte sie ein Bordeaufarbenes Ensemble, ein rotes Kleid, ein bronzefarbenes Festkleid, bodenlang und ein ebensolches in nachtblau.Die Verkäuferin hängte alles in die Kabine. Laura probierte als Erstes das bordeaufarbene Kleid. Sie bekam es nicht einmal über die Schenkel. Pech! Aber es gab noch mehr. Das rote Kleid hatte einen solchen Ausschnitt, dass Max wahrscheinlich Stielaugen bekommen hätte. Er wäre dann sicherlich nicht der Einzige geblieben. Die Verkäuferin bot an, noch ein, zwei Stiche zu machen, um einen deszenteren Einblick zu bieten, aber Laura lehnte ab. Wozu. Dann streckte sie sich nach dem nachtblauen Abendkleid. Es war ein Traum. Enge Korsage und ein leicht ausgestellter Rock, der bodenlang endete. Sie hätte es nie alleine zubekommen. 
Die Verkäuferin half. Der Reissverschluss befand sich auf dem Rücken. Als es geschlossen war, betrachtete sie ihre schmale Taille und ihren extrem großen Vorbau. Naja, kaum Luft zu holen, geschweige denn, den ganzen Abend zu hungern, nur um in das Kleid zu passen, war wenig erstrebenswert. Die Verkäuferin bot ihr wieder ein, zwei Stiche an, um den Stoff am Busen etwas zu straffen. Laura drehte sich hin und her vor dem Spiegel. Es war schon schön anzusehen, noch dazu, als ihr die Verkäuferin einen weißen, hauchzarten Schal um die Schultern legte. Nun gut. Sie wollte auf alle Fälle noch das kupferfarbene Kleid probieren. Es hatte den Reissverschluss an der linken Seite und er wurde von der Verkäuferin geschlossen. 
"Das Kleid ist ja noch enger, als das nachtblaue Kleid." , ließ sich Laura vernehmen. "Das macht alt." , sagte die Verkäuferin. Laura fand nicht, daß sie darin alt aussah, es war nur zu eng."Na gut, ob sie mir den Reissverschluss wieder öffnen könnten?"
"Moment, ich hab es gleich." , sagte die Verkäuferin und mühte sich redlich. "Irgendwie steckt er fest, aber es klemmt doch nichts dazwischen!" , murmelte sie. Laura indessen hielt die ganze Zeit ihren Arm über den Kopf, damit die Verkäuferin an den Reissverschluss herankam. "Also, ich muss erstmal meine Brille holen!" Damit ging sie nach hinten, um sich gleich darauf, ihre Brille auf der Nase, erneut mit dem Problem zu beschäftigen. "Das gibt es doch garnicht, dass der Reissverschluss nicht mehr auf geht!" , empörte sie sich. Laura nahm es mit Humor und sagte: "Naja, vielleicht muß ich doch erst zwei Kilo abnehmen, um wieder aus dem Kleid zu kommen."
"Es muß doch irgendwie gehen!" , erwiderte die Verkäuferin, zog und zerrte, aber nichts rührte sich. 
"Wissen sie was? Wir ziehen es ihnen über den Kopf. Die Brust läßt sich doch quetschen, da geht es schon drüber." Gesagt, getan!
Sie zog an der Korsage und versuchte sie über Lauras Kopf zu ziehen. Ja, quetschen der Brust war das richtige Wort, nur wohin, wenn das Kleid zu eng war und nichts, aber auch gar nichts nachgab?
Sie schimpfte: " Seit zwanzig Jahren hab ich nun mein Geschäft, aber so etwas ist mir noch nie passiert!"
"Mir auch nicht!" , ließ sich Laura vernehmen. 
"Was machen wir denn nun?" , überlegte die Verkäuferin. "Ich weiß, ich brauche eine Lupe!" Mit diesen Worten entschwand sie wieder nach hinten. Mit einer kleinen Lupe begann sie, den Reissverschluss und wahrscheinlich auch Lauras Achsel zu betrachten. Im Moment fühlte sich Laura etwas unwohl. Das mit der Lupe fruchtete allerdings auch nichts. Die Verkäuferin war einfallsreich und sagte: "Wir brauchen eine Kerze!"
"Ich habe keine in meiner Handtasche."
"Ich schau mal hinten nach."
Als sie zurück kam, hielt sie eine lange, schmale weiße Kerze in der Hand.Damit rieb sie über den Reissverschluss. Aber auch dieses Hilfsmittel brachte nicht den gewünschten Erfolg. Nach einiger Zeit des Nachdenkens rief sie: " Jetzt kann uns nur noch ein "Fidschi" helfen!" Laura lachte und erwiderte ironisch: " Ja, ich wollte schon immer mal von einem Vietnamesen ausgezogen werden. Nun wird mein Traum wohl in Erfüllung gehen."
Der Vietnamese ist gleich nebenan. Ich werde ihn holen. Die kennen sich gut mit Reissverschlüssen aus. Könnten sie wohl in der Zwischenzeit auf meinen Laden aufpassen?"
"Sicher, ich bediene auch die Kunden, sollten welche kommen." , erbot sich Laura und lachte. Die Situation war einfach zu komisch. Sie stand hier in einem hautengen, bodenlangen Abendkleid wie eine lebendig gewordene Schaufensterpuppe, konnte sich nicht rühren und nun ging die Verkäuferin auch noch. Dann überlegte sie, ob diese  wirklich einen männlichen Vietnamensen mitbringen würde. Wäre doch zu komisch! Und da sagt man immer, solche Sachen werden nur erfunden, dabei passieren sie wirklich im richtigen Leben. Es bimmelte die Glocke. Es war die Verkäuferin, im Schlepptau eine Vietnamesin, die sich sogleich über den Reissverschluss her machte. Auch sie probierte erst einmal hin und her, ohne das sie ein Ergebnis erzielte. Die Vietnamensin sagte. "Ich muss eine Zange holen!" Laura fröstelte. Lag es an den kalten Händen der Vitnamesin? Gut, dachte Laura, nun geht es mir auch noch ans Leben. Nach einer Weile kam diese wirklich mit einer Kombizange zurück.
Sie versuchte, damit den Zipper zu fassen, rutschte aber immer wieder ab. Die beiden Verkäuferinnen beratschlagten sich kurz und die kleine Vietnamesin entschloss sich, die beiden Metallklammern zu entfernen, um den Zipper nach oben heraus zu ziehen. Endlich war Laura befreit! Sie bedankte sich bei Beiden und die Vietnamesin ging in ihr eigenes Geschäft zurück. "Wollen sie das Kleid nun kaufen? Ich mach ihnen auch einen Sonderrabatt."
"Eher nicht!" , erwiderte Laura. Sie sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde hatte sie in dem engen Kleid gesteckt. Sie würde schon noch etwas anders finden. Schnell verließ sie das Geschäft. Freitag, der 13! Was sonst außer Pleiten, Pech und Pannen. 

Fortsetzung folgt.



 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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