Sabine Sener

Familienbande (KOMPLETTE GESCHICHTE)

Meine Familie

Wenn ich über das Wort "Familienbande" nachdenke, dann stelle ich fest, dass unsere Familie wirklich eine Bande ist! Letztens, als mein großer Bruder Klaus nach Hause kam und uns mitteilte, dass er das Abitur sausen lassen wollte, um als Animateur in einem Hotel in Spanien zu arbeiten. Meine Eltern waren nicht besonders begeistert. Auf das Wort "Animateur" reagierte mein Vater allergisch und sein Blutdruck stieg langsam an. Mein Bruder erklärte er würde es sich überlegen und mein Vater beruhigte sich langsam wieder. Später beendete Klaus sein Abitur doch noch und fing eine Ausbildung als Koch in einem Hotel in Spanien an, denn er hatte seine Leidenschaft für das Kochen entdeckt. Aber bis dahin brachte es meinen Eltern ein paar schlaflose Nächte ein, die von Baby Mike kräftig unterstützt wurden.

Meine Mutter war urlaubsreif und wir dachten daran, sie in Kur zu schicken. Dort erholte sie sich auch prima bis sich Tante Käthe, die für ihren Redeschwall bekannt war, zu Mutters Geburtstag anmeldete. Sie hatte die Angewohnheit sich immer gerne selbst einzuladen. Sie schenkte ihr ein teures Kaffeeservice mit Blümchen. Baby Mike würde das "neue Spielzeug" auf dem niedrigen Tisch bald entdecken, denn nichts war vor ihm sicher! Also wurde er zum Nachmittagsschläfchen ins Bett gebracht und wir konnten in aller Ruhe unser neues Service mit Kaffee und Kuchen einweihen. Tante Käthe musste an diesem Tag starke Nerven behalten, denn sie wußte nicht, dass wir uns einen Beo gekauft hatten, der schon einige Sätze ganz gut sprechen konnte. Dieser befand im Zimmer nebenan und rief plötzlich: "Hallo, hast du Leckerchen bei, du Eierkopf?" und "Nun reicht's aber!" Betretenes Schweigen. Tante Käthe fuhr sich verlegen durch die Haare und an ihrem verdutzten Gesicht erkannten wir, dass sie sich etwas irritiert fühlte. Wir klärten das Ganze schnell auf und Tante Käthe lachte erleichtert auf. Ich glaube, sie wird diesen Geburtstag nicht so schnell vergessen.

Mein Bruder Klaus beendete übrigens seine Ausbildung in Spanien und war wieder zu Hause. Er möchte doch lieber in Deutschland arbeiten. Drei Jahre Spanien waren genug. Die Nase gestrichen voll, war er nun hier auf Arbeitssuche.

Meine Schwester Britta, ein süßer brauner Lockenkopf, versetzte uns alle in einen Schockzustand, als sie eines Tages mit pinkgefärbten Haaren nach Hause kam. Der Abschlussball näherte sich und sie war sehr aufgeregt, weil sie noch kein Ballkleid hatte. Aber unsere Nachbarin war eine begnadete Schneiderin, die für Britta ein wunderschönes, türkisfarbenes Kleid entwarf. Trotz der pinkgefärbten Haare hatte Britta viel Spaß und viele Verehrer, die sie zum Tanzen aufforderten. Es war ein voller Erfolg!

Nicht so erfolgreich dagegen war Mikes erster Tag im Kindergarten. Zur Einweihung gab es Kakao und Kuchen und dieser schien bei ihm eine magische Anziehungskraft auszulösen. Anstatt ihn zu essen, begann er ihn einem Mädchen ins Gesicht zu werfen und alle Kinder befanden sich augenblicklich in einer Kuchenschlacht, die sich sehen lassen konnte. Alles ging drunter und drüber bis das letzte Kuchenstück "verschossen" war. Die Mütter halfen beim Saubermachen und Baby Mike musste sich zu Hause eine gehörige Standpauke anhören.

Meine Schwester Britta war ein großer Kino-Fan. Da sie sich  mit ihrer besten Freundin gestritten hatte, fragte sie mich, ob ich mit ihr in einen Horrorfilm gehen würde "Die Gruft der Pfirsichköpfe". Der Titel versprach einiges, also sagte ich zu. Selbst meine Schwester, die immer so cool war, wechselte während des Films öfters die Gesichtsfarbe von rot auf leichenblass. Auch ein leichtes Zittern meinte ich zu bemerken. Auch ich blieb nicht ganz verschont! Dieser Kinostreifen hatte es in sich. Nach dem Film atmeten wir tief durch und keiner sprach ein Wort. Nach zehn Minuten fanden wir ein Eiscafe, in dem wir uns eine große Portion Früchteeis mit Sahne gönnten. Die Schrecken des Films waren schnell vergessen. Der Abend war gerettet, und das nächste Mal werde ich lieber wieder fernsehen.

Da wir eine tierliebe Familie sind beschlossen wir, eine kleine Katze aus dem Tierheim zu holen. Wir dachten erst, ob das mit dem Beo gutgehen würde, denn kleine Katzen werden irgendwann auch größer. Aber die Sehnsucht nach so einem kleinen Stubentiger war stärker und wir wagten den Versuch. Mimi, so hieß nun unsere neue Mitbewohnerin, war ein liebes Tierchen mit dem fragenden Blick "Wo ist das Klo"?
Unser Beo beäugte Mimi zunächst misstrauisch, aber dann schlossen sie schnell Freundschaft miteinander.
Jeden Donnerstagabend versammelte sich die ganze Familie, eingedeckt mit Chips und Erdnüssen, vor dem Fernseher. Es lief eine schnulzige Arztserie. Seit wann konnte Britta Blut sehen? Sie erklärte uns, dies sei alles nicht echt, die Wunden seien aus täuschend echtem Material hergestellt.
Auf jeden Fall ging mein Vater, der immer panische Angst vor Spritzen hatte, später zur Grippeschutzimpfung. War die hübsche Krankenschwester daran schuld? Der Oberarzt wurde zu einem Notfall gerufen. Aufgeregt knabberten wir die Chips und die Sendung war viel zu schnell vorbei. Alle atmeten erleichtert auf. Also, bis zum nächsten Donnerstag!

Der nächste Geburtstag, ich wurde 18 Jahre alt, kam wieder schneller, als mir lieb war. Jedes Jahr der Einkaufsstress und meine Mutter in "Höchstform", Kuchen backen hier, Kaffeekochen da, denn alle naschten für ihr Leben gern.
Zum besonderen Anlass kaufte mein Vater eine bunte Geburtstagsdekoration, die Baby Mike neugierig beäugte. Ob man damit spielen konnte? Meine Mutter brachte schnell die Deko an und alles war sicher vor unerwünschten Kinderhänden. Später tröstete sich Mike dann mit seinem neuen Stofftier "Biene Maja" und auch Katze Mimi und der Beo erhielten ihre Extraportion Leckerchen.
Als Überraschung hat Britta für mich eine Kostümparty organisiert und sämtliche Freunde eingeladen. Sie trug eine grüne Perücke mit knallroten Schleifen und ein grellgelbes knielanges Kleid. Ich ging als Pirat, mit einem dicken Goldohrring, verkleidet.
Baby Mike, der an der Party nicht teilnehmen durfte bekam einen großen Schokoladenriegel, an dem er glücklich knabberte.

Ja, unser Baby Mike ist groß geworden und wurde inzwischen eingeschult. Die riesige Schultüte mit den vielen Süßigkeiten und der erste Tag waren ein aufregendes Erlebnis für ihn! Er ging gerne zur Schule, wer hätte das gedacht! Ausgerechnet Rechnen machte ihm Spaß, aber auch Erdkunde schien ihm gut zugefallen. Vielleicht wird er mal ein ganz schlaues Füchschen!?

Auch ich werde in einem halben Jahr die Schule beenden und muss überlegen wie es dann weitergeht. Vielleicht werde ich eine Sprachenschule besuchen. Englisch liegt mir ganz gut, mal sehen. Meine Mutter meinte, ich müsste unbedingt ein Jahr lang ins Ausland gehen, um meine Kenntnisse aufzufrischen. Die Insel Malta wäre recht interessant. Dort sollte man gut lernen können und es gäbe viele nette Familien, in denen man untergebracht würde. So ein Auslandsaufenthalt stärkt enorm das Selbstbewusstsein, und das könnte ich gut gebrauchen. Ich werde noch einmal darüber schlafen und dann eine Entscheidung treffen.

Meine Mutter dachte mittlerweile ständig daran, ob sie sich das langersehnte Klavier kaufen sollte, von dem sie immer geträumt hatte. Mehr Zeit würde sie zukünftig haben, und wenn Mike in der Schule wäre, könnte sie endlich Klavierstunden nehmen. Nach tagelangen Diskussionen konnten wir meinen Vater umstimmen, denn eine gutgelaunte Ehefrau war ihm lieber als eine, die ein Gesicht wie "Sieben Tage Regenwetter" machte. Ein Mann ein Wort, eine Frau eine Tat! Meine Mutter bekam ihr Klavier und übte nun fleißig jede Woche mit Hilfe eines Lehrers. Über ihre Fortschritte war sie sehr glücklich. Übung macht den Meister und vielleicht können wir dann alle zusammen zu meinem nächsten Geburtstag "Happy birthday to you" singen!


Meiner Schwester Britta liegt der Friseurberuf überhaupt nicht

Inzwischen sind drei Jahre vergangen und meine Familie ist noch genauso chaotisch wie früher. Nicht nur, dass mein Vater seine Fressattacken nicht im Griff hatte, er reagierte absolut aggressiv, als man bei ihm Diabetes feststellte.
Kein Wunder, die hohen Blutzuckerwerte verursachten bei ihm enorme Stimmungsschwankungen. Wenn ihm seine Gesundheit lieb war musste er lernen, mit der Insulinspritze umzugehen. Nach ein paar blauen Flecken im Bauchbereich hatte er es im Griff. Er bedauerte nur, dass er seine geliebten Sahnetorten extrem einschränken musste. Meine Mutter war knallhart und bemitleidete ihn kein bisschen, natürlich nur zu seinem besten. Die Mahlzeiten schrumpften auf ein Drittel zusammen und mein Vater speckte ordentlich ab. Bald hatte er wieder Chancen bei der Nachbarin, die ein Auge auf ihn geworfen hat, aber meine Mutter würde das zu verhindern wissen.

Mein Bruder Klaus, der gelernter Koch war, stellte einen leckeren Menü-Plan zusammen, der sich sehen lassen konnte. Schließlich hat er nicht umsonst seine Ausbildung in Spanien mit Auszeichnung bestanden. Die mediterrane Küche ist sehr gesund und meinem Vater schmeckte sie außerordentlich gut, so dass er nicht mehr so oft an seine geliebten Sahnetorten denken musste.

Auch Katze Mimi, die ein kleines Dickerchen geworden ist, weil sie von allen mit Leckerchen verwöhnt wurde, bekam einen Diätplan von unserem Tierarzt. Bald kann sie im Garten wieder kleine Mäuschen fangen und sie uns als Geschenk im Mäulchen überreichen.
Unser Beo hat es mal wieder auf die Spitze getrieben: Er hat sich zu einer regelrechten Schwatzdrossel entwickelt und fordert die Nachbarschaft buchstäblich heraus. Wir können ihn nicht mehr auf die Terrasse stellen, da er zu keiner Zeit seinen Schnabel halten kann. Er schnappt ständig irgendwelche Wörter auf und plappert laut drauf los gerade wenn man es nicht gebrauchen kann, z.B. wenn Besuch da ist. Manch peinliche Situation musste umgangen werden. Wir überlegen uns bereits, ob wir ihn in einen Vogelpark abgeben sollen und uns stattdessen zwei niedliche junge Wellensittiche kaufen, die auch "Baby Mike", der inzwischen neun Jahre alt ist, begeistern würde. Neben Vögeln hatte er auch eine Leidenschaft für grüne Laubfrösche, die bei meiner Mutter allerdings nicht so gut ankamen. Erstens hatten wir nicht genug Platz für ein großes Terrarium und zweitens liefen ihr jedes Mal eiskalte Schauer über den Rücken, wenn sie irgendwelche Reptilien oder Amphibien sah. Und dann geschah es eines Tages:

Meine Mutter deckte den Mittagstisch besonders schön mit dem guten Porzellan und der sehr teuren, neuen Salatschüssel. Sie war bester Laune, bis "Baby Mike" nach der Schule mit einer besonders großen Schachtel ins Esszimmer stolzierte und begeistert rief: "Schau mal Mama, was ich gefunden habe!" und stellte die Schachtel auf den Mittagstisch. Meine Mutter war schon auf "180", denn augenblicklich war die Tischdecke schmutzig. Doch es war bereits zu spät, denn "Baby Mike'" öffnete stolz die Schachtel und heraus sprang ein dicker, fetter, grüner Laubfrosch, der prompt in der Salatschüssel landete. Ich weiß nicht, wer verwirrter war, meine Mutter oder der Frosch! Dieser saß mitten im Feldsalat und glotzte meine Mutter mit großen, roten Glubschaugen an, die fast einen Schreikrampf bekam. Und dann brüllte sie los: "Schaff sofort das Vieh hier raus ansonsten hast du hier Hausverbot!" "Baby Mike" blieb ganz cool, hob vorsichtig den verschreckten Laubfrosch aus der Salatschüssel und packte ihn wieder in die Schachtel. Vorsichtig sagte er: " Ich treffe mich nach dem Mittagessen mit meinem Freund Tom, dann bringen wir ihn wieder an die Stelle zurück wo wir ihn gefunden haben." Meine Mutter atmete erleichtert auf und der unglückliche Frosch musste solange auf der Terrasse in seiner Schachtel ausharren, bis das Mittagessen vorbei war. Ich kann nur sagen: "Das ist nochmal gut gegangen!"

Weniger gut wurde der Haarschnitt meines Bruders Klaus, denn meine Schwester Britta fing eine Friseurausbildung an; ob sie dafür talentiert war, war fraglich. Sie musste noch viel üben und suchte sich Klaus als Versuchskaninchen aus. Der gutmütige Kerl ließ aber auch alles mit sich machen! Auf jeden Fall ging der Haarschnitt komplett daneben (ein Topf auf dem Kopf und einmal rundherum abschneiden hätte es auch getan) Ich frage mich wirklich, ob es der richtige Beruf für meine Schwester ist. Sie wollte unbedingt etwas Kreatives machen. Ich bin in letzter Minute noch davongekommen, denn sie wollte meine Haare feuerrot färben. Hallo, erstens passt die Farbe nicht zu meinem Typ und zweitens will ich nicht wie eine Leuchtreklame aussehen! Und drittens, meine Aussichten, eine Stelle als Fremdsprachenkorrespondentin zu bekommen wäre gleich Null, obwohl ich sehr gute Zeugnisse habe. Das Jahr auf Malta hat mir sehr gut getan und die Englisch Sprachschule hat einen ausgezeichneten Ruf. Meinen Erfolg als Korrespondentin stand also nichts mehr im Wege und eine 21jährige mit honigblonden Haaren hat doch sicher mehr Chancen, als eine mit feuerroten!

Ach übrigens, Opa Rudi und Oma Traude kennt ihr noch gar nicht! Meine Mutter sieht ihre Eltern nur noch selten, denn die beiden sind ständig unterwegs. Gerade sind sie von einer Busfahrt aus Verona zurückgekommen und haben sicher viel zu erzählen. Na, dann lassen wir uns mal überraschen!

 

Opa Rudi und Oma Traude

Opa Rudi und Oma Traude waren das seltsamste Pärchen, das ich je gesehen habe. Opa Rudi konnte sich sehen lassen. Mit seinen 72 Jahren war er immer noch in Höchstform, da er öfters Sport trieb. Auf seinen Kaiser-Wilhelm-Bart, den er hegte und pflegte, war er besonders stolz. Oma Traude, eine herzensgute Seele, war dagegen etwas unscheinbar. Deshalb bevorzugte sie gerne bunte Kleidung und die dazugehörigen Halsketten und Ohrringe. Mit ihren 68 Jahren dachte sie wohl auch: Je oller, je doller! Warum auch nicht, man lebt schließlich nur einmal!

"Baby Mike" war etwas traurig, dass seine Großeltern wieder weg waren, denn er war ihr besonderer Liebling und wurde dementsprechend verwöhnt, eben unser Nesthäkchen. Um ihn wieder aufzumuntern ging mein Vater mit ihm in den komplett neu renovierten Aquazoo. Dort gab es viel zu sehen, Pinguine, Fischotter und viele verschiedene Insekten, ganz nach "Baby Mikes" Geschmack. Und die aufgespießten Käfer hatten es ihm angetan! Mal wieder sehr zum Leidwesen meiner Mutter schleppte er fünf Käfer nach Hause, die allerdings noch lebten. Auf der Terrasse versuchte er dann, die armen Tiere mit einer Nähnadel (wo hatte er die schon wieder her?) aufzuspießen. Gerade noch rechtzeitig konnte meine Mutter das Schlimmste verhindern und "Baby Mike" bekam Fernsehverbot.

Nachdem meine Schwester Britta ihre Friseurprüfung mit Ach und Krach schaffte, entschloss sie sich, eine Kosmetikschule zu besuchen. Das lag ihr wesentlich mehr, denn für Farben interessierte sie sich schon immer. Ich kann nur sagen, dass ich davon profitiert habe, denn sie probierte sämtliche Kosmetikartikel an mir aus; und ich weiß jetzt endlich, was mir gut steht! Vielleicht wird sie Visagistin, da kann sie sich dann so richtig austoben.

Mein Bruder Klaus hat den verpatzten Haarschnitt überwunden, den ihm Britta einst verpasst hat. So konnte er sich nirgends mehr blicken lassen und ich schickte ihn zum Friseur, der die Frisur gerade noch retten konnte. Klaus hatte jetzt große Pläne und möchte sein eigenes Restaurant eröffnen. Mediterrane Küche, der absolute Renner! Diese Chance durfte er sich nicht entgehen lassen und seine Zukunft wäre gesichert. Das nötige Know-how hatte er dafür und ich wünsche mir sehr, dass alles gut klappt!
Gut geklappt hat auch meine Stelle als Fremdsprachenkorrespondentin. Ich bin sehr zufrieden und habe einen supernetten Chef. Mal wieder Schwein gehabt!

Apros pro Schwein, meine Mutter versammelte uns eines Abends und erklärte uns demonstrativ, dass es von nun an kein Schweinefleisch mehr gäbe. Sie möchte einfach den ganzen Fleischkonsum reduzieren und dafür mehr Gemüse sowie einmal die Woche Rindfleisch und etwas Hähnchen- und Putenfleisch auf den Tisch bringen. Oh je, keine fetten Bratwürste und Schweinehaxe mehr, aber nach einigem Zögern waren wir alle damit einverstanden, weil es für die Gesundheit doch besser war.

Auch Katze Mimi ist wieder rank und schlank und tobt im Garten herum, nicht gerade zur Freude der kleinen Singvögel, aber wir passen schon auf!
Langsam wird es kühler und wir bauen auf der Terrasse ein Vogelhäuschen auf, damit die kleinen Vögel auch satt werden. Erdnüsse und Sonnenblumenkerne mögen sie besonders gerne und wir haben unsere Freude daran, sie dabei zu beobachten. "Baby Mike" liegt ständig auf der Lauer, um die vier Ringeltauben zu vertreiben, die sich natürlich auch satt fressen und viel Schmutz machen. Aber wir sind ja tierlieb!

Unseren Beo haben wir nun doch in einem Vogelpark abgegeben, da hat er es bestimmt besser und kann dort schwatzen, so viel er will. Wir konnten nun endlich wieder ungestört Besuch empfangen, ohne dass ein Vogel ständig laut dazwischen plapperte. "Baby Mike" bekam zwei bunte Prachtfinken, die auch meiner Mutter gut gefielen.

Opa Rudi und Oma Traude kamen total begeistert von ihrer Kreuzfahrt zurück und hatten jede Menge zu erzählen. Besonders gut gefielen ihnen die abendlichen Shows und Tanzabende und Opa Rudi schwang ordentlich das Tanzbein, denn die Mahlzeiten auf dem Schiff waren nicht ohne.
Er nahm glatt zwei Kilo zu, die jetzt wieder runter mussten. Oma Traude hatte da weniger Probleme, sie konnte essen was sie wollte, sie nahm nur wenig zu. Und das hatte seine Vorteile, denn sie entdeckte auf Ibiza jede Menge bunte Kleider, natürlich in ihrer Größe und auch der Modeschmuck konnte sich sehen lassen! Beladen mit ihrer Beute kehrte sie glücklich aufs Schiff zurück und Opa Rudi fielen fast die Augen aus dem Kopf. "Wo willst du das alles anziehen? An Karneval?" Oma Traude tat beleidigt und erwiderte: "Ich werde schon noch genug Gelegenheiten haben, die Sachen zu tragen, spätestens auf unserer nächsten Gartenparty."
Opa Rudi war einsichtig, denn er wollte keinen Streit provozieren. Schnell gab er ihr ein Küsschen und die Angelegenheit war damit erledigt.
Sie planten schon für das nächste Jahr eine weitere Kreuzfahrt, diesmal nach Brasilien. Na, da konnte Oma Traude doch ihre neuen Errungenschaften vorführen ohne groß aufzufallen, denn bunt ist schön und macht glücklich!

 

„Baby Mike“ wird Koch auf einem Kreuzfahrtschiff

"Baby Mike", nun 12 Jahre alt, versetzte uns alle in Angst und Schrecken, als er den Film "Nachts im Museum" zu wörtlich nahm. Nicht nur, dass er im Museum plötzlich verschwand, sondern im Zoo während einer Nachtwanderung. Alle waren in heller Aufregung und wir suchten den ganzen Zoo ab. Und wo fanden wir ihn dann schließlich? Bei seinen heißgeliebten Chamäleons, die er seit neuestem bewunderte. Mit leuchtend blauen Augen betrachtete er die faszinierenden Tiere und er klebte förmlich an der Scheibe, was das Chamäleon nicht so toll fand, denn plötzlich wechselte es seine Farbe. "Baby Mike" konnte nicht genug davon bekommen, denn zu Hause durfte er diese Tiere natürlich nicht halten, auf Rücksicht auf seine Mutter, die eine panische Angst vor Reptilien hatte; und außerdem war dieses Hobby sehr kostspielig.
"Baby Mike" ist mittlerweile auf dem Gymnasium, denn er ist ein sehr kluges Kerlchen. Biologie hat es ihm besonders angetan und ich glaube beruflich wird er mal diese Richtung einschlagen.

Mein Bruder Klaus überlegte es sich mit der Restauranteröffnung noch einmal. Nach langem Hin und Her kam er zu dem Schluss, dass es doch nicht das Richtige für ihn war, denn er wollte eigentlich noch etwas von der Welt sehen. Als Opa Rudi und Oma Traude von ihrer zweiten Kreuzfahrt aus Brasilien zurückkamen, kam ihm die spontane Idee und er bewarb sich als Koch auf einem Kreuzfahrtschiff. Das wäre es doch! Klar, dort hat man sehr viel zu tun, aber er war unabhängig und würde viele neue Leute kennenlernen. Nach vier Wochen war es dann soweit. Auf dem Schiff wurde dringend ein zweiter Koch gesucht und Klaus konnte sofort anfangen. Er war Feuer und Flamme und freute sich riesig, denn diese Gelegenheit bekam man nicht so oft. Meine Mutter war den Tränen nahe, aber Klaus versprach, sich regelmäßig zu melden. Ich freute mich für meinen Bruder, auch wenn ich jetzt nur noch selten sah.
Auch meine Schwester Britta hat sich beruflich verändert. Sie schloss erfolgreich die Kosmetikschule ab und bildete sich als Visagistin weiter. Das lag ihr total und ich weiß endlich, welche Lippenstiftfarbe mir besonders gut steht!

Mein Vater legte sich ein neues Hobby zu: Wandern, raus in die Natur. Er versuchte meine Mutter zu überreden, sich auch im Wanderverein anzumelden, aber da kannte er diese schlecht. Sie war froh, wenn sie nicht irgendwelche Krabbeltiere sah und verkroch sich lieber mit einem spannenden Krimi auf der gemütlichen Couch.
Nun ja, dass mein Vater noch eine Strecke von 20 km schaffte dafür konnte ich ihn nur bewundern. Für mich war das auch nichts. Ich fuhr lieber mit dem Fahrrad, denn einen Führerschein wollte ich nicht machen. Ich und hinter dem Steuer, die reinste Katastrophe. Ich bekam schon Panik als Beifahrer, wenn uns ein LKW entgegenkam. Also fuhr ich mit dem Fahrrad regelmäßig zu meinem Arbeitsplatz, denn dies ist zudem für die Umwelt besser. Mein Chef ist mit mir sehr zufrieden und mir macht die Arbeit viel Spaß. Nur nicht, als ich die Empfangsdame vertreten musste, die die Grippe hatte. Manch englischsprachigen Kunden versteht man am Telefon nicht immer so deutlich, aber ich blieb immer freundlich und kompetent. Bald hatte ich Urlaub und ich werde meinen Bruder Klaus auf Mallorca treffen wo er Zwischenstation hat. Ich freue mich schon riesig, denn ich habe ihn mindestens ein halbes Jahr lang nicht mehr gesehen. Der Job als Koch auf dem Kreuzfahrtschiff füllt ihn total aus. Ich bin sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Wenn er Glück hat, begegnet er Opa Rudi und Oma Traude auch auf dem Schiff, denn das Reisefieber packte sie wieder. Die beiden wollen in Mallorca zusteigen. Welch glückliche Fügung: Ich werde dann meine Großeltern endlich wiedersehen.

"Baby Mike" hat auch bald Sommerferien und meine Eltern meldeten ihn in einem Feriencamp an. Ich kann nur hoffen, dass er dort nicht zu viele Streiche ausheckt zumal er zusammen mit seinem besten Freund Tom dahinfährt. Die beiden haben es faustdick hinter den Ohren und nichts ist vor ihnen sicher. Meine Mutter kann ein Lied davon singen und sie ist froh, dass für ein paar Wochen Ruhe im Haus herrscht. Der schöne Rosengarten ist genau der Ort wo sie prima mit ihren Büchern entspannen kann. Erholung pur! Das wird sie brauchen, denn bald wird "Baby Mike" wieder zu Hause sein!


Tante Käthe hat sich verliebt und ich habe einen Job in Kanada

Tante Käthe kündigte sich zum Besuch an. Jetzt da unser Beo nicht mehr da ist fühlte sie sich wieder sicherer bei uns. Die Beschimpfung "Nun reicht's aber!" konnte sie lange nicht vergessen und fragte meine Mutter jetzt vorsichtig, ob sie vorbeikommen könnte. Diese wunderte sich nur und fragte: "Seid wann bist du denn so empfindlich? Du nimmst doch sonst auch kein Blatt vor den Mund!" Betretendes Schweigen, "Ach, weißt du, ich habe da jemanden kennengelernt und da bin ich etwas vorsichtig geworden. Wahrscheinlich habe ich ihn mit meinem Geplapper etwas vergrault, denn er meldet sich schon seit ein paar Tagen nicht mehr bei mir. Hoffentlich ist er nicht sauer!" Es war etwas ungewöhnlich, dass sich Tante Käthe überhaupt wieder auf einen Mann einließ, denn als eingefleischte Junggesellin mit strengen Prinzipien war diese Nuss nicht leicht zu knacken. Also fasste sich meine Mutter ein Herz und lud Tante Käthe ein, damit sie sich bei ihr ausheulen konnte. Diese kam dann auch ganz aufgeregt zu uns und begann ihre Geschichte zu erzählen. Diesmal nahmen wir es ihr nicht übel, sondern trösteten sie, so dass sie bald wieder lachte: "Diese Männer, wenn man schon einmal einen kennenlernt!" Eine Woche später meldete sich dann Peter bei ihr und lud sie spontan zu einem schicken Essen ein. Tante Käthe konnte ihr Glück kaum fassen und bombardierte meine Mutter mit einem langen Telefonanruf. Diese zwinkerte mir zu und sagte:" Na, jeder Topf findet irgendwann seinen Deckel!"
Ich grübelte, sollte das etwa eine Anspielung sein? Auch ich war noch immer Solo! Wahrscheinlich war ich zu anspruchsvoll, denn keiner konnte mein Herz bis heute gewinnen. Ich wünsche mir eine "Liebe auf den ersten Blick", das ist ja so richtig romantisch. Schaut euch Opa Rudi und Oma Traude an, die sind jetzt 45 Jahre verheiratet und frischen ihre Liebe mit vielen Reisen auf. Na ja, irgendwann wird für mich auch noch der Richtige kommen, ich habe es nicht eilig. Meine Arbeit als Fremdsprachenkorrespondentin nimmt mich voll in Anspruch und mein Chef plant, mich für eine halbes Jahr nach Toronto in eine Tochterfirma zu schicken, die dringend eine Übersetzerin suchen. Mir soll es recht sein, denn ich mag diese Stadt sehr und ich denke, es wird eine aufregende Zeit.

Als meine Schwester Britta eines Tages anrief und meinen Eltern erklärte, dass sie sich verlobt hatte, fiel meine Mutter aus allen Wolken. "Was, du willst mit 20 heiraten? Bist du noch ganz gescheit?" Dann erinnerte sie sich, dass sie damals nicht viel älter war und früh "ihre Bande" bekam. Aber sie wollte jetzt noch nicht Oma werden! Dafür fühlte sie sich noch zu jung, aber auf ein graues Haar mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Was machte sie sich denn eigentlich verrückt! Dieses Thema stand ja noch gar nicht zur Debatte, erst einmal musste Britta "unter die Haube". Ihren Verlobten lernte sie in der Visagisten-Schule kennen, und die beiden hatten ganz andere Pläne. Kinder kamen vorerst nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden sie beruflich sehr eingespannt sein und der Job macht ihnen großen Spaß. Na, dann ist das Thema wohl hiermit erledigt!
"Baby Mike", der immer zu irgendwelchen Streichen aufgelegt war, hat diesmal den Vogel abgeschossen! Seine Lehrerin rief bei uns ganz aufgeregt an, dass sie meine Eltern dringend sprechen wollte. Ihr Sohn hätte es auf die Spitze getrieben, die Eltern eines Mädchens aus seiner Klasse hätten sich bei ihr beschwert. Meine Eltern, auf alles vorbereitet, fuhren zur Schule. Dort trafen sie die Eltern mit einem weinenden Mädchen, das sich immer wieder verzweifelt an ihren Kopf fuhr. Meine Mutter kannte das Kind, es war die Tochter meines Hausarztes, kurz Susi genannt. Aber wo waren ihre schönen langen blonden Zöpfe?! Ihr schwante böses, hat "Baby Mike" etwa?! Ja, "Baby Mike" hatte! Diese verflixte Pubertät! Nachdem Susi die Englischarbeit mit "Sehr gut" geschrieben hatte war er stinksauer, denn er war nicht so gut in Englisch. Dann gab diese blöde Kuh auch noch überall damit an. Das konnte er überhaupt nicht ertragen. Auch sein Freund Tom war betroffen, denn auch er war neidisch auf das Mädchen. In der Pause schlichen sie sich langsam und sehr leise von hinten an Susi heran, die alleine ihr Butterbrot aß. Tom hielt sie fest und "Baby Mike" schnitt (schnipp schnapp) mit einer großen Schere ihre wunderschönen Zöpfe ab. Das Geschrei war groß und war auf dem ganzen Schulhof zu hören. Die Aufsichtsperson, die wahrscheinlich nicht gut aufgepasst hatte, rief die Klassenlehrerin und diese den Direktor. Nun standen meine Eltern hier und mussten das Verhalten ihres Sohnes erklären, dem das Ganze kein bisschen leid tat. Was sollten meine Eltern bloß machen!? Ich weiß es nicht! Auf jeden Fall würde "Baby Mike" einen Schulverweis bekommen, wenn er nochmal bei einem Streich erwischt würde, ebenso sein Freund Tom. Und das wäre fatal, denn sie sind ansonsten gute Schüler. Ich hoffe sehr, dass er in den nächsten Jahren problemlos sein Abitur schafft, denn er möchte gerne Biologie studieren! Ansonsten wäre es sehr schade!

 

Meiner Mutter fällt die Decke auf den Kopf

Toll, mein großer Bruder Klaus hat vier Wochen Urlaub bekommen und besucht uns bald. Ich freue mich riesig darauf, denn wir haben uns immer gut verstanden. Auch meine Mutter war froh, ihren Sohn endlich wiederzusehen und plante eine Überraschungsparty für ihn. Sie lud sämtliche Freunde, Bekannte und Nachbarn ein, die gerne kamen. Klaus war sichtlich gerührt, dass ihn so viele vermissten. Das wird ihn die nächste Zeit auf dem Schiff stärken, denn manchmal packte ihn doch das Heimweh. Vor seinem Abschied nahm er sich „Baby Mike“ zur Brust, als er von seinen Schandtaten erfuhr. Er schärfte ihm ein, in Zukunft in der Schule vernünftiger zu sein ansonsten sähe es düster für ihn aus. „Baby Mike“, der mehr Respekt vor Klaus als vor meinem Vater hatte, gab sich einsichtig und verhielt sich bis zum Abitur mustergültig! Jetzt konnte er aufatmen und sich für einen Studienplatz in Biologie einschreiben lassen.  Meine Mutter war sehr erleichtert und glücklich, dass aus ihrem wilden Sohne doch noch etwas Gescheites wurde.

Glücklich war auch Tante Käthe, die ihr Junggesellenleben aufgab und wieder heiratete. Ihr Freund Peter hatte es tatsächlich geschafft, sie zur Heirat zu überreden. Wir wurden selbstverständlich alle eingeladen und es wurde ein rauschendes Fest. Die Flitterwochen verbrachten sie in Vancouver, Kanada, denn dies war Peters Heimat. Er hatte sie vor Jahren verlassen, um in Deutschland zu leben. Nun wollte er seine Eltern besuchen und ihnen seine Frau vorstellen.  Sie würden begeistert sein und Tante Käthe in der ganzen Nachbarschaft vorstellen. Dies war ganz nach Tante Käthes Geschmack, denn „English Small Talk“ war genau ihr Ding. Und um Worte war sie nicht verlegen.

Ich war ganz aufgeregt, als ich hörte, dass Tante Käthe mit ihrem Mann in Kanada war. Wir haben uns lange nicht gesehen. Nun bin ich mittlerweile seit drei Monaten in Toronto und habe viel zu tun. Ein paar Urlaubstage kann ich aber einplanen, da hat mein Chef sicher nichts dagegen. Ich wollte schon immer Urlaub in Vancouver machen und dort trafen wir uns dann auch. Ich muss sagen, Tante Käthe hat wirklich Glück gehabt! Ihr Mann Peter ist ein aufgeschlossener Mensch, der mir viel über Kanada erzählte und langsam fange ich an, mich in das Land zu verlieben.

Auch „Baby Mike“ ist verliebt! Ich kann es kaum glauben. Ausgerechnet eine hübsche Blondine hat es ihm angetan. Seit der Geschichte mit Susi, der er die langen blonden Zöpfe in der Schule abschnitt, machte er einen „großen Bogen um diese Haarfarbe“. Aber diesmal hat es ihn richtig erwischt, doch  viel Glück hatte er bei Agneta nicht, eine lustige Schwedin, die jetzt in Deutschland studierte. Er fragte sie schüchtern, welches Studienfach sie denn hätte und erhielt prompt eine Abfuhr: „Was willst du von mir? Lass mich bloß in Ruhe!“ „Baby Mike“ war ganz geknickt und schlich sich traurig davon. Später erfuhr er, dass sie auf große starke Typen stand und da konnte er natürlich mit seinen 1,70 m nicht mithalten. Aber immerhin hatte er etwas „im Köpfchen“ und er würde es allen zeigen! Irgendwann kam schon die Richtige und er konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf sein Studium.

Meiner Mutter fiel langsam die Decke auf den Kopf. Alle waren weg, und das Haus erschien ihr riesengroß. Nur mein Vater blühte bei seinen Wanderungen auf, denn die viele frische Luft tat ihm gut und seine Blutzuckerwerte besserten sich enorm. Bewegung ist eben alles!

Aus Verzweiflung meldete sich meine Mutter bei der Volkshochschule zu einem Nähkurs an. Das war ganz was Neues für sie. Zehn Frauen verschiedenen Alters erwarteten gespannt die erste Unterrichtsstunde. Herein kam eine ca. 65jährige Frau mit einem dunkelbraunem Haarknoten und altmodischer Kleidung. Na, das konnte ja heiter werden! Wir ließen uns aber nichts anmerken, denn die Lehrerin stellte sich als ganz nett und kompetent heraus. Man sollte eben nie die Menschen nach seinem Äußeren beurteilen! Sie erzählte uns, dass sie damals eine dreijährige Schneiderausbildung absolviert hat. Sie war sehr begabt und entwarf jahrelang Kostüme für eine Oper. Nun war sie in Rente und langweilte sich. So hat sie sich bei der Volkshochschule beworben und diese Stelle erhalten. Das fand meine Mutter gut, denn wie viele ältere Frauen bekamen auf Grund ihres Alters keinen Job mehr. Alle Frauen gingen mit viel Motivation an ihre Nähmaschine. Wer hatte diese Dinger bloß erfunden? Die gingen ja ab wie nichts. Wenn man nicht aufpasste geriet die Naht schief und alles war für die Katz. Ob das meine Mutter lange durchhalten würde? Die Geduldigste war sie nicht gerade! Aber die Frauen hielten zusammen und halfen sich gegenseitig, natürlich unter Aufsicht unserer Lehrerin. Diese war für selbständiges Arbeiten, und das stärkte zudem das Selbstbewusstsein der Frauen. Auch meine Mutter war jetzt Feuer und Flamme und kaufte sich für Zuhause eine teure neue elektrische Nähmaschine mit allen Schikanen. Dieser Herausforderung fühlte sie sich jetzt gewachsen. Sie wollte einen schicken blauen Schlafanzug für meinen Vater nähen. Nur immer dieses komplizierte Einfädeln des Fadens ging ihr auf die Nerven. Als dies endlich geschafft war legte meine Mutter stolz den Stoff auf die Maschine. Und dann ging es los: Die Nadel ratterte in einem Tempo über den Stoff, dass einem angst und bange wurde. Warum lief das Ding so schnell? In der VHS waren die Nähmaschinen doch viel langsamer. Bald verging ihr die Lust, als sie den verunstalteten Stoff sah und warf alles hin. In der nächsten Unterrichtsstunde zeigte sie ihrer Lehrerin das missratene Stoffstück. Diese erklärte ihr geduldig was sie falsch gemacht hatte. Also versuchte es meine Mutter ein zweites Mal, denn so leicht wollte sie nicht aufgeben. Und siehe da, diesmal klappte es schon viel besser. Man soll eben niemals die Hoffnung aufgeben! Vielleicht würde ich den fertigen Schlafanzug irgendwann sehen. Das „irgendwann“ stand allerdings in den Sternen, aber mein Vater hat ja genug Schlafanzüge und würde nicht frieren müssen.

Wie ich befürchtete, meine Mutter begeisterungsfähig wie eh und je, legte die Näherei zur Seite und nahm einen Job als „Lesetante“ in unserer Bibliothek an, natürlich ehrenamtlich. Die lieben Kleinen waren so ganz anders als damals ihr „Baby Mike“. Sie hingen mit leuchtenden Augen an ihren Lippen und lauschten hingebungsvoll ihren Geschichten. Meine Mutter war ganz gerührt, denn sie merkte, dass sie hier „gebraucht“ wurde, und das gab ihr doch ein besonders gutes Gefühl.

Als dann noch ein Brief von mir aus Kanada kam war sie total happy. Da sieht man wieder wie einfach es ist, einen Menschen mit kleinen Dingen glücklich zu machen! Auch mein Vater überraschte sie mit Musical-Karten und es wurde ein gelungener Abend.


Ich lerne meinen Traummann kennen und Opa Rudi ist unvernünftig

Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe meinen Traummann während unseres Vancouver-Urlaubs kennengelernt. Er ist Kanadier und heißt Robert, kurz Robby genannt. Er arbeitet seit einem Jahr als Ingenieur in Vancouver. Das nenne ich eine glückliche Fügung. Ich war sofort verliebt und auch er war von mir sehr angetan. Wir trafen uns in einem Cafe, in das uns Tante Käthe und ihr Mann Peter eingeladen hat. Dieser verstand sich auf Anhieb gut mit Robby, der am Nebentisch saß und um die Zuckerdose bat. Da an unserem Tisch noch ein Platz frei war lud Peter ihn ein, bei uns zu sitzen. Ich wurde etwas rot, als Robby mich mit seinen braunen Hundeaugen ansah. Ich ließ mir meine Unsicherheit nicht anmerken und bestellte erst einmal Kaffee und Kuchen, der sehr lecker war. Später fragte mich Robby, ob ich Lust hätte mit ihm morgen einen Ausflug zu unternehmen. Ich zögerte erst, sagte dann aber doch zu, denn ich war rettungslos verloren. Wir trafen uns noch öfters, aber ich musste nach Toronto zurück. Wir blieben in Kontakt und heute teilte ich meinen Eltern mit, dass ich heiraten würde. Sie fielen aus allen Wolken, denn damit hatten sie so schnell nicht gerechnet. Das Schlimmste für sie war allerdings, dass ich in Kanada bleiben würde. Robby war sehr heimatverbunden und die Tochtergesellschaft in Toronto wollte mich auch übernehmen. Da konnte ich nicht Nein sagen. Mein Chef in Deutschland würde sicher Verständnis dafür haben und mich gehen lassen. Ich werde mich immer gerne an seine freundliche Art erinnern. Meine Eltern flogen zur Hochzeit nach Vancouver trotz Flugangst meines Vaters, um mich in die Arme zu schließen. Bruder Klaus wurde auf dem Kreuzfahrtschiff benachrichtigt sowie „Baby Mike“, meine Schwester Britta und meine Großeltern. Sie alle schickten ein Telegramm mit ihren Glückwünschen und bedauerten sehr, dass sie bei meiner Hochzeit nicht dabei sein konnten. Aber so spielt manchmal das Leben. Ich wollte nur eine „kleine Hochzeit“ und unsere Flitterwochen verbrachten wir auf Hawaii.

 

„Baby Mike“ büffelte währenddessen wie ein Besessener für seine Biologiearbeiten. Er ließ sich jetzt von nichts und niemanden mehr ablenken. Er wollte ein erfolgreicher Biologe werden, Spezialgebiet Reptilien, Amphibien und Insekten. Die haben ihn schon immer angezogen. Na, die Zeit wird es bringen. Meine Eltern waren jedenfalls recht stolz auf ihn und waren froh, dass er jetzt endlich „vernünftig“ wurde.

Weniger vernünftig war allerdings Opa Rudi, der seine Leidenschaft fürs Tanzen entdeckte. Schuld daran waren die Tanzabende auf dem Kreuzfahrtschiff. Oma Traude wurde das langsam zu viel; tanzen ja, aber kein Tanzmarathon. Einmal die Woche war gut und schön, aber dreimal? Er wollte unbedingt den Tanzwettbewerb gewinnen. Hallo, wir sind keine 20 mehr! Opa Rudi ließ einfach nicht locker und verausgabte sich total. Sein Hausarzt verdonnerte ihn zur absoluten Ruhe ansonsten könne er für einen Herzinfarkt nicht garantieren. Opa Rudi war knatschig und ging Oma Traude auf die Nerven. Er kommandierte sie hin und her, bis ihr der Kragen platzte und sie mit Scheidung drohte. Das war Opa Rudi nun doch zu viel und er wurde ganz kleinlaut und versprach Besserung. Schließlich wollte er mit seiner Frau noch auf weitere Reisen gehen. Das Tanzen gab er auf und unter Anleitung des Arztes trainiert er jetzt auf dem Fahrrad zu Hause. Oma Traude ist sehr erleichtert und heilfroh, dass ihr Mann noch einmal davongekommen ist.

Mein Bruder Klaus hat einiges auf dem Kreuzfahrtschiff gelernt, aber er hat doch feststellen müssen, dass ihm Teamarbeit doch nicht immer so lag. Manchmal möchte er doch wieder sein eigener Chef sein und Anweisungen geben, aber er biss die Zähne zusammen. Er ist hin- und hergerissen, denn ein Crewzusammenhalt auf einem Schiff ist sehr stark. Das ist viel wert und die Crew ist praktisch seine zweite Familie geworden. Ein Aufenthalt in der Karibik versöhnte ihn wieder und die trainierten Delfine im Delfinarium, die einen durchs Wasser zogen, faszinierten ihn total. Das war ein ganz besonderes Erlebnis, das er so schnell nicht vergessen würde. Heute muss er sich beeilen, denn er muss sich um ein Barbecue für 100 Leute kümmern, da ist für trübe Gedanken keine Zeit. Heiraten möchte er vorerst sowieso nicht. Was spricht also dagegen, dass er sich die Welt noch ein wenig weiter anschaut! Also, die Entscheidung ist getroffen und Klaus bleibt vorerst auf dem Kreuzfahrtschiff, denn auch der Kapitän ist sehr zufrieden mit ihm. Alles weitere wird die Zukunft zeigen!

Meine Eltern überlegen sich ernsthaft, ob sie das Haus verkaufen sollen. Sie fühlen sich ein wenig verloren in dem großen leeren Haus und möchten an die Ostsee ziehen. Oder sollen sie es vielleicht untervermieten? Sie können sich nicht so recht entscheiden, denn meine Mutter würde ihren schönen Rosengarten sehr vermissen. Und auch mein Vater konnte sich von seiner Wandergruppe schwer trennen. Aber vielleicht würde hier „Baby Mike“ einmal mit seiner Familie wohnen wollen. Sie glauben fest daran, dass er eines Tages doch noch die richtige Frau findet und sich nicht nur in seinen Bücher vergräbt. Platz genug ist im Haus und man kann sich aus dem Weg gehen, wenn man seine Ruhe haben will. Meine Geschwister und ich wollen das Haus sowieso nicht. „Baby Mike“ war schon immer heimatverbunden und meine Eltern wären nicht alleine. Das wäre die ideale Lösung. Trotz allem vermissen meine Eltern ihre „Familienbande“, doch vielleicht kann „Baby Mike“ dafür sorgen, dass eine „neue Familienbande“ bald das ganze Haus ausfüllen wird!


„Baby Mike“ wird Vater von Drillingen

„Baby Mike“ ist nun ein erfolgreicher Biologe und hält ab und zu Vorträge an der Uni über das Leben der Reptilien und Insekten. Seit kurzem ist ihm eine hübsche Brünette mit grünen Augen aufgefallen, die ihn immer öfters länger anstarrt. Die ist doch mindestens erst 24 Jahre alt. Was wollte die von ihm?! Fand sie seine Vorträge so interessant oder ihn? Das musste er unbedingt herausfinden! Mit Frauen hatte er bisher nicht viel Glück gehabt, aber diese Chance musste er jetzt ergreifen. Jetzt oder nie ansonsten würde er für immer Junggeselle bleiben. Also lud er sie zu einem Kaffee ein, denn auch sie gefiel ihm sehr gut. Dann gestand ihm Alicia, dass sie sich in ihn verliebt hätte und wurde ganz rot. „Baby Mike“ war hin und weg, denn damit hatte er nicht gerechnet.

Nach ein paar Wochen stellte er sie meinen Eltern vor, die Alicia sofort in ihr Herz schlossen. Das wäre doch die perfekte Schiegertochter. Auch Alicia fand meine Eltern sehr sympathisch und sie schlossen Freundschaft. „Baby Mike“ war überglücklich und bald fand die Hochzeit statt. Wer hätte das gedacht! Jetzt ist auch unser „Nesthäkchen“ unter der Haube. Meine Eltern kamen noch einmal auf das Angebot wegen des Hauses zurück und „Baby Mike“ sagte begeistert zu. Er wäre traurig gewesen, wenn seine Eltern das Haus verkauft hätten, denn er hing sehr daran. Auch konnte Alicia im Garten mithelfen, denn sie war eine begnadete Hobby-Gärtnerin. Auch gefiel ihr das Haus außerordentlich gut. Es mussten nur ein paar Änderungen vorgenommen werden.

Eines Tages bekam ich dann ein Telegramm: „Baby Mike“ ist Vater geworden und ich Tante von Drillingen! Ich konnte es nicht fassen, drei kleine Jungs, die das Haus auf den Kopf stellen würden. Meine Eltern hatten sich damit abgefunden, dass sie nun Großeltern sind, und dass es mit der Ruhe vorbei war. Aber sie waren auch sehr stolz auf ihre Enkel, die sicherlich für viel Aufsehen sorgen würden. Meine Schwiegereltern, die eine Kinderboutique in Vancouver führten, packten sämtliche Baby-Strampler zusammen, die der letzte Schrei waren. Bunt gestreift mit Sternchen. Oma Traude würde ihre helle Freude daran haben.

Mein Mann Robby, der mir zuliebe seinen Job in Vancouver als Ingenieur aufgab suchte sich einen Job in Toronto. Denn schließlich wollten wir ja zusammen sein. Wir fanden eine schicke Wohnung im 15. Stock, von dem man eine sensationelle Aussicht über die Stadt hatte. Zweimal im Jahr fahren wir für einen längeren Aufenthalt nach Vancouver, um seine Eltern zu besuchen. Robby vermisst seine Heimatstadt doch etwas. Wir haben uns entschlossen nach Deutschland zu fliegen, damit ich meine drei kleinen Neffen sehen kann. Meine Eltern sind total happy, dass sie mich endlich wiedersehen.

Mein Bruder Klaus hat sich nun doch entschieden. Er wollte wieder sesshaft werden und in der Nähe meiner Eltern eine Kochschule eröffnen. Da war er wieder sein eigener Chef. Von der Welt hatte er nun genug gesehen, und das Heimweh hatte ihn wieder nach Hause geführt. Auch seine kleinen Neffen hatte er schon sehr in Herz geschlossen und gab überall damit an, dass er Onkel geworden sei. Wer sollte es ihm verübeln?

Opa Rudi und Oma Traude, nun Urgroßeltern, sind etwas ruhiger geworden und reisen nicht mehr so viel herum. Sie haben sich ein Häuschen auf dem Lande gekauft und genießen ihr Leben. Oma Traude kaufte für die Drillinge viele bunte Mützchen und Söckchen, bunt ist eben in! Auch Tante Käthe schickte ein riesiges Paket mit Babyspielsachen und Decken.

Meine Schwester Britta, die auch inzwischen verheiratet ist, hat ebenfalls ein Baby bekommen. Ein süßes Mädchen mit braunen Locken. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Auch sie und ihr Mann wollen meine Eltern bald besuchen.

„Unsere Familienbande“ wird immer eine Familienbande sein und daran wird sich auch nie etwas ändern!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.02.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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