Karin Unkrig

Abendblatt 2 (Fortsetzungsgeschichte)

Blick in die Redaktionsstube von Louis und Elle. Er ist an Politik interessiert, sie an Gesellschaftsfragen. Er raucht, sie joggt. Die beiden sitzen sich direkt gegenüber. Früher hätten sie sich den Telefonapparat teilen müssen, heute ist es der Laserdrucker – sowie das Los von Neulingen im Medienbusiness.

 

Louis stöhnt: «Es fehlt noch eine News. Ich soll sie liefern. 400 Zeichen, auf die Schnelle …» «Kennen wir», wirft seine Kollegin ein. «Wir sind lebendige Nachrichtenticker». Der Journalist protestiert: «Das ist zu viel verlangt!» «Ist es nicht», erwidert Elle. «Es gehört zu unserem Job. Stänkere nicht rum, leg los!» Louis probiert es philosophisch. «Du weisst, ich bin im Innersten ein Rebell geblieben. Vorschriften reizen mich zum Widerstand: seien es Termine, Zahlen, Tempolimiten oder …» «Rauchverbote», ergänzt Elle.

 

Zeichenzahl
Louis räsoniert: «Früher hab ich einen Bogen in die Maschine gespannt und getippt, ohne Buchstabenklauberei. Eine enge Zeilenschaltung täuschte über den Umfang hinweg». Elle mahnt: «Du vergisst den Setzer! Ihn hast du regelmässig zum Verzweifeln gebracht.» Der Herr lässt sich nicht beruhigen. «Wäre ich doch beim Theater geblieben oder hätte eine Tankstelle eröffnet!» «Weshalb nicht gleich einen Friseursalon?», kontert die Elle. Versöhnlicher: «Probier’s doch einfach! Kürzen finde ich eh am Kreativsten. Da bringt man die Sache auf den Punkt. Erstelle einen Entwurf, ich sehe ihn dir dann durch.»

«Könntest du nicht gleich …?», probiert es der Schreibstau-Geplagte. Sein Gegenüber winkt ab. Schmunzelnd, denn damit war zu rechnen. Eigentlich ging die Chefredakteurin zuerst Elle an. Sie biss auf Granit. Zu oft hatte die Soziologin Aufträge für Louis übernommen – zähneknirschend, ohne nachträglich die Lorbeeren einzuheimsen.

 

Informatik-Gau

Fünf Minuten später ertönt ein Schrei durch die Redaktionsetage. Louis, hartnäckiger Umsteiger von Microsoft Office auf Open Office, sucht im Menü «Extras» vergeblich nach dem Eintrag «Wörter zählen». Den Artikel hat er zwar noch nicht aufgesetzt, dafür die Software ausser Gefecht. Elle kriegt den Dreh raus: Datei – Eigenschaften – Statistik. «Voilà, hier siehst alles: die Anzahl Zeilen, Zeichen und Wörter! Ich richte dir nun noch die verschiedenen Anführungszeichen auf der Tastatur ein. Nicht vergessen, beim Überprüfen den ganzen Text markieren.»

Der Angesprochene macht zunächst auf beleidigt, ändert (angesichts des Zeitdrucks) jedoch seine Strategie und entschliesst sich zu Kooperation. «Wie schaffst du es stets, dass die Zeichenvorgabe stimmt?», fragt er kleinlaut. «Ich checke fortlaufend den Zwischenstand und rechne bei der Legende Reserve ein. Je nachdem wird die Bildunterschrift länger oder nicht, nenne ich den Fotografen oder heisst es schlicht ›zVg‹». «In dem Fall ist jetzt «efA» angesagt, tönt es hinter dem Laptop hervor. Elle blickt auf. «Das bedeutet …?» «… Ein fliegender Abgang!» «Und die fehlende Neuigkeit?» «Findet sich im Stehsatz von gestern», sagt’s und düst davon.


 

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