Karin Unkrig

Abendblatt 3 (Fortsetzungsgeschichte)

Blick in die Redaktionsstube von Louis und Elle. Er ist Politologe, sie Soziologin. Er raucht, sie joggt. Die beiden sitzen sich direkt gegenüber. Früher hätten sie sich den Telefonapparat teilen müssen, heute ist es der Laserdrucker – sowie das Los von Neulingen im Medienbusiness.

Das Telefon klingelt, Louis hebt den Hörer ab. Seine Miene verfinstert sich in Sekundenschnelle. Als er auflegt, hat er zwei Seiten vollgekritzelt, den Kaffee umgekippt und einen halben Bleistift runter geknabbert. «Ärger?», fragt seine Kollegin vorsichtig. «Und ob! Ein Leitartikel fehlt». «Wann hättest du ihn abliefern sollen?» «Gestern …» «Wer sagt das?», fragt Elle. «Der Ressortleiter, allerdings erst heute.» Zaubern können wir nicht», konstatiert die Journalistin. «Zu viel verlangt ist es auch», murrt Louis. «Ist es nicht», erwidert Elle. «Es gehört zum Reiz unseres Metiers die Zukunft vorauszusehen.»
 

Abgabetermin

«Etwas pfleglicher dürften sie dennoch mit uns umgehen», wettert Louis. «Druck von oben, Hektik in der Produktion, dazwischen hängen wir!». Er sinniert. «Schriftsteller haben einen Vorlauf von einem Jahr.» «Dafür verdienen sie nahezu nichts», präzisiert Elle. «Worauf willst du hinaus?»

Louis’ Denkapparat läuft, laut. «Im Englischen gibt es drei Ausdrücke für ›Abgabetermin‹: ›deadline‹, ›closing date‹, ›issue due date‹. Keiner will mir so recht gefallen.» «Solange nicht ›tax filling date‹ ist, geht’s ja noch», kontert Elle. «Die Steuerklärung zögere ich unendlich hinaus», gesteht der Politologe. «Sieh an! Ich dachte, nur wir müssten warten», flachst die Chefredakteurin, welche just in diesem Augenblick vorbeirauscht.

 

Klartext

Elle unternimmt einen weiteren Anlauf: «Du magst es einfach nicht, wenn dir jemand dreinredet. Hasst Sitzungen, Audits, Umsatz, Qualitätsrichtlinien – überhaupt alles, was deine Kreativität tangiert. Von zeitlichen Vorgaben ganz zu schweigen! Wer darunter leidet, sind wir. In der Regel verlauerst du deine Termine.»

Louis rutscht auf dem Stuhl herum. «Hast du eine Idee?» «Trag Fixdaten und Vorhersehbares in deine Agenda ein», rät Elle. «Dadurch behältst du die Übersicht, speziell bei kurzfristigen Aufträgen». «Bin eben nicht so ein Organisationstalent wie du», erwidert Louis. «Dafür Eins a im Improvisieren» lacht das Gegenüber. «Ausserdem lass ich deine Ausreden nicht gelten. Bestimmt weisst du bereits, worüber du schreibst …» «… oder wen ich stattdessen verknurre», unterbricht sie Louis. Noch bevor er sich umsehen kann, ist sein Vis-à-vis weg.

«Capito?», mailt Elle von unterwegs. «Verstanden» nickt Louis. Inzwischen ist ein Regierungsmitglied zurückgetreten, der halbfertige Entwurf nur noch Makulatur. «Wehe, einer bringt noch Stoff», gibt der Ressortleiter durch. «Na warte», denkt sich der treue Mitarbeiter und schickt gleich welchen …

 

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