Karin Unkrig

Abendblatt 4 (Fortsetzungsgeschichte)

Blick in die Redaktionsstube von Louis und Elle. Er ist Politologe, sie Soziologin. Er raucht, sie joggt. Die beiden sitzen sich direkt gegenüber. Früher hätten sie sich den Telefonapparat teilen müssen, heute ist es der Laserdrucker – sowie das Los von Neulingen im Medienbusiness.

Für einmal ist es Elle, die stöhnt und lamentiert. Die Haare rauft, Unmengen Kaffee in sich hineinschüttet, konsterniert die Beine auf das Fensterbrett legt. «Mir gefällt der Job. Aber ohne den richtigen Aufhänger, den entscheidenden Kick, klappt nichts.» «Klagt da jemand über Themenmangel?», erkundigt sich Louis. Seine Kollegin wehrt ab: «I wo, die Inspiration lässt einfach auf sich warten!» Sie lächelt: «Vielleicht ist es ist zu viel verlangt …» Louis fängt den Ball auf: «Ist es nicht. Es gehört dazu, speziell vor Redaktionsschluss!» «Zum Glück ist der erst morgen. Mal ehrlich, was fällt dir zum Thema Stillleben ein?» Schweigen. «Geht mir genauso, nur lässt sich dies nicht drucken …»

 

Schreibfrust

Der Denkstau dauert an. Nach einer Weile: «Ich krieg es einfach nicht zusammen, nicht auf Kommando!» «Worüber sprecht ihr?», erkundigt sich die Praktikantin. «Über eine Ausstellung zu lauter stummen Dingen», erklärt Louis. Die junge Frau nickt. «In der Kongresshalle: von der Henkelvase über den Aprikosenzweig bis zur lila Erdbeere. Technische perfekt, null Aussage. Nach zehn Minuten war ich wieder draussen. Mir würde dazu nicht mal ein Vierzeiler aus den Fingern fliessen», sagt’s und stiebt davon.

«Dabei belegt sie Kunstgeschichte im Nebenfach», murmelt Elle. Louis überlegt: «Wenn du auf den ultimativen Geistesblitz wartest?» «Du meinst, dann würden die Gemälde packender, ihre Charaktere plastischer, meine Beschreibungen anschaulicher?» «Schau zu, dass du die Dialoge nicht vergisst», fotzelt der Journalist, während er seine Aktentasche packt.

Am nächsten Tag ist Elle bereits um sieben Uhr im Büro. Louis steckt ihr eine Notiz zu. Sie blickt dankbar auf. «Du kennst mich mittlerweile.» «Und ob! Zum Beispiel dass das Stören Ihrer Hoheit während der Zeitungslektüre verboten ist. Hoffe, der Artikel steht bereits.» Die Angesprochene seufzt. «Titel und Lead. Im schlimmsten Fall greife ich auf die Pressemappe zurück.» Louis deutet auf den Haufen zerknüllter Zettel. «Bei manchen Werken möchte ich lieber lesen, was der Autor weggestrichen hat.» «Von wem ist das?» «Lichtenberg»[1]. «Klar ein Naturwissenschafter! Dem blieb das Feuilleton erspart.»

 

Schreiblust

Zwei Stunden später lichtet sich der Nebel. Die Volontärin hat einen Bildband aufgetrieben, die Chefredakteurin steuert drei Energieriegel bei. Am Laptop klebt ein Post-it: «Habe dir einen neuen Bildschirmschoner kreiert. Hoffe er gefällt – und verleitet zu kreativen Höhenflügen, Louis». Tatsächlich hüpft ein kleines Männchen im Notebook herum. Von links nach rechts, mit hochgehaltenem Schild:

Früher beklagte man
sich darüber,
dass man meine Schrift
nicht lesen könne.

Der gut gemeinte Rat:
Schreiben üben.
Das habe ich getan.
Das Ergebnis?

Keine Schönschrift,
dafür jede Menge Lust
am «schönen Schreiben».
Schreiblust eben.[2]

 
 

[1] Georg Christoph Lichtenberg (1742 bis 1799), Göttinger Universalgelehrter, bekannt für seine Aphorismen

[2] Vergleiche die Website von Andrea Eckler/Hambburg, www.schreiblust.com

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