Stefan Läer

Bleibtreu

Es war einmal ein Prinz namens Bleibtreu, der lebte – wie alle Prinzen das tun – mit seinen fünf Geschwistern in einem prächtigen Schloss, das sein Vater, König Maximilian von Rehwalden, einst errichtet hatte. Er war das älteste der fünf Kinder, von denen zwei Prinzen und drei Prinzessinnen waren.

In seinen jungen Jahren spielte Bleibtreu mit seinen Geschwistern den ganzen Tag lang im königlichen Park. Zwischen Bäumen, Büschen und Geäst liefen sie einander nach, versteckten sich oder spielten mit goldenen Bällen, dass es eine wahre Freude war. Am liebsten verweilte Bleibtreu bei einer Gruppe Eichen mit besonders dicken Stämmen, die zu siebent in einem Kreis um einen Teich herum standen. Damals wusste Bleibtreu noch nicht, dass diese Bäume besondere Eigenschaften hatten.

Das erfuhr der kleine Bleibtreu erst an dem Tag, als seine Mutter verstarb. Nachdem ihm sein Vater die schreckliche Nachricht kundgetan hatte, lief Bleibtreu in den Park zu seinen Bäumen und hockte sich an den Rand des Teiches. Hier konnte niemand seine bitteren Tränen sehen, die in dem Wasser des Teiches ihre Wellen schlugen. „Warum weinst du denn, kleiner Bleibtreu?“, vernahm er plötzlich eine dunkle Stimme, die ihn zusammenzucken ließ. „Wer ist da?“, fragte er schluchzend. „Wir sind die Alten Riesen. Jene mächtigen, knorrigen Eichen, die um dich herum stehen.“ Neugierig hob Bleibtreu den Kopf und schaute an den mächtigen Stämmen hoch bis ganz nach oben zu den Kronen der Bäume. „Aber wieso könnt ihr sprechen?“ „Weil wir einen guten Geist in uns tragen. Wenn du möchtest, können wir Freunde werden. Dir steht eine wunderbare Zukunft bevor, kleiner Bleibtreu.“ Von diesem Augenblick an hörte Bleibtreu auf zu weinen.

Die Freundschaft zu seinen Eichen tröstete den jungen Prinzen über seinen Schmerz hinweg. Immer wenn Bleibtreu einen Rat suchte, wenn er nicht weiter wusste in einem Streit mit seinen Geschwistern oder ihnen einen Streich spielen wollte, lief er den anderen Kindern davon und beratschlagte sich in aller Stille mit seinen mächtigen Freunden. Manchmal, an warmen Sommertagen, lag er auch einfach mit dem Kopf auf einem Mooskissen am Teich und schaute verträumt zu den Wipfeln hinauf.

Eines Tages aber trat er weinend und mit einem großen Kummer beladen in den Kreis seiner Freunde. „Stellt euch einmal vor, es gibt eine neue Königin. Und die hat sich nichts weiter in den Kopf gesetzt, als aus dem schönen wilden Park einen französischen Garten zu machen. Dazu will man euch umschlagen lassen.“

Als die Alten Riesen das hörten, erschraken sie sehr und überlegten, was zu tun sei. Sie gaben Bleibtreu mit auf den Weg, er möge sich beim Vater für sie einsetzen, weil sie ihm doch jahrelang so treue Dienste geleistet hätten. Der junge Prinz tat wie geheißen und kehrte am nächsten Tage mit der Botschaft zu ihnen zurück, aber sein Gesicht war noch länger als zuvor. „Die Finanzen stehen schlecht. Entweder ich solle ihm bis morgen drei Wagenladungen voll Feuerholz sammeln oder man schlägt euch um.“ Doch die Alten Riesen wussten einen Rat. „Drüben am alten Steintor ist seit hundert Jahren eine Kiste mit Gold vergraben, aber niemand außer uns weiß mehr davon. Nimm du es nur, lieber Bleibtreu, geh zum Markt und kaufe dort das Feuerholz.“

Bleibtreu tat, wie ihm aufgetragen wurde, und der Vater staunte nicht schlecht, als ihm Bleibtreu drei Wagenladungen voller Holz vor das Schloss fuhr. „Nun denn, so sollen deine Bäume verschont bleiben.“

Es ging einige Zeit ins Land, in denen Bleibtreu zu einem hübschen jungen Mann heranwuchs und sich über die Liebe so seine Gedanken machte. Das blieb auch seiner Stiefmutter nicht verborgen, die sich sogleich daran machte, ihre eigene Tochter mit dem Prinzen vermählen zu wollen. Die Tochter der Königin war zwar wunderschön, hatte aber einen grässlichen Charakter, sodass Bleibtreu von ihr Abstand hielt. Der Vater hatte seiner neuen Gemahlin jedoch sein Wort gegeben, eine Hochzeit vorzubereiten. Am Vorabend derselben fragte Bleibtreu in seiner Verzweiflung die Freunde um Rat, was er denn nun tun solle, da er die Tochter seiner Stiefmutter nicht liebe. „Geh nur zu deinem Vater und klage ihm dein Leid. Er wird sich erweichen lassen.“

Mit neuer Hoffnung machte sich der Prinz sogleich daran, den Vater noch von der Hochzeit abzubringen. „Mein Sohn, ich habe dich immer geliebt und ich will dir eine Chance geben. Wenn du bis morgen zur Mittagsstunde eine Frau findest, die von schönerem Antlitz ist als deine Braut, so sollst du jene heiraten und nicht diese.“

Der Prinz war zwar erleichtert über den Aufschub, den der Vater ihm gewährt hatte. Dennoch glaubte er nicht daran, so schnell eine Frau von schönerem Antlitz zu finden als seine Stiefschwester, und lief mit der Nachricht des Vaters zu den Alten Riesen. „Mache dich morgen noch vor dem ersten Sonnenstrahl auf den Weg zu der kleinen Kapelle. Dort sollst du die Frau finden, die du heiraten wirst.“

Von den Worten der Riesen ganz beglückt tat Bleibtreu in der Nacht kein Auge zu. Noch vor Sonnenaufgang lief er durch den Wald über die Hügel zu der Kapelle und wartete dort. Gerade als der erste Sonnenstrahl in seine Augen fiel, fuhr ein Wagen mit einer Dame vorüber, die ein so bezauberndes Gesicht hatte, wie er noch keines in seinem Leben gesehen hatte. Auch ihr Gemüt war ganz und gar köstlich. Voller Freude nahm er sie mit sich in das Schloss und führte sie seinem Vater vor. „Wahrlich, diese Frau ist die schönste, die ich je gesehen habe. Wie ist ihr Name?“ „Amalia heißt sie.“ „Dann sollst du sie heiraten.“ Und der alte König verdrückte eine Träne, weil sie ihn so an seine verstorbene Gemahlin erinnerte. 

Die Stiefmutter jedoch war davon gar nicht begeistert und heckte bereits böse Pläne aus. Als Bleibtreu hineilte, um seinen Freunden von dem Liebesglück zu erzählen, warnten sie ihn mit bebender Stimme. „Deine Stiefmutter wird dir einen Trank mit Gift reichen und dir noch mit tausend anderen Werkzeugen nach dem Leben trachten. Ein Leben lang hast du bisher auf unseren Rat gehört und auch uns damit gerettet. Höre nun ein allerletztes Mal, was wir dir zu sagen haben. Mache dich auf mit deiner Amalia und verlasse den Ort deiner Heimat für immer.“

Daraufhin erschrak Bleibtreu auf das Heftigste, hielt aber seine Gedanken zusammen und weihte Amalia ein. Während sie bereits ihre Pferde satteln ließ, lief er noch einmal zu seinen Freunden, um ihnen einen Abschiedsgruß zu sagen. Als er merkte, dass sie bereits ihren Geist aufgegeben hatten und stumm blieben, fing er bitterlich an zu weinen, wie damals beim Tode seiner Mutter. Doch wie seine Tränen die Wasseroberfläche berührten, so sprach das Spiegelbild der mächtigen Eichenkronen ein letztes Mal zu ihm: „Sorge dich nicht, schöner Prinz. Wir werden nicht sterben. Wir ziehen nur um in dein Herz, denn dort haben wir bereits eine Bleibe gefunden. Du musst deinen Weg niemals alleine gehen. Wenn du einen guten Rat suchst, höre einfach auf dein Herz und horche, was es dir zu sagen hat. Lebe wohl, du treuer Prinz!“

Bleibtreu aber zog mit seiner geliebten Amalia hinaus in die Welt, wurde seinerseits ein glücklicher König und alsbald ein guter Vater. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.02.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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