Gaby Schumacher

Briefgeheimnis

Die 24-jährige Sybill durfte auf ihr gutes Lehrerexamen wirklich stolz sein. Sie stammte aus ärmlichen Verhältnissen und hatte es nicht immer leicht gehabt. Die Schwester des sehr früh verstorbenen Vaters zog sie mit viel Verantwortungsgefühl groß, vermochte ihr aber die Liebe, die für die normale psychische Entwicklung des Mädchens ausschlaggebend gewesen wäre, nicht zu geben.

Trotz überdurchschnittlicher schulischer Leistungen wurde Sybill keine egozentrische Streberin, sondern half den weniger begabten Klassenkameraden, wo sie nur konnte. Damit gewann sie viele Freundschaften, die während der ganzen Schulzeit und auch in den späteren Studienjahre bestehen blieben. Aber es fehlte immer noch ein Lebensgefährte an ihrer Seite. Vielleicht deshalb, weil Sybill nicht nur an sich selber, sondern erst recht an den möglichen Partner extrem hohe Ansprüche stellte.

Isabel, ihre beste Freundin, wünschte sich sehr, dass die attraktive junge Frau bald den passenden passenden Deckel fand. Aber bei jeder noch so vagen Annäherung wurde jene völlig unzugänglich. Selbstschutz? Angst, dass jemand die Unsicherheit in dieser Frauenseele spüren, den Schutzmantel des allein Leistung bedingten Selbstbewusstseins lüften und das wahre, sehr verletzbare Ich erkennen würde? Isabel machte sich Sorgen um ihre Freundin und gab sich alle erdenkliche Mühe, um zu verhindern, dass sich Sybill total abkapselte. Deshalb kam ihr die neuerliche Einladung zu einer Party in ihrer Clique sehr gelegen.

Wider Erwarten funkte es an jenem Abend tatsächlich. Marcus, ein Freund des Gastgebers und Sybill bemühten sich auffällig umeinander. Vergeblich versuchte die verwirrte junge Frau das starke Herzklopfen, welches sie von der ersten Minute an während des Gespräches mit ihm verspürte, zu verdrängen.
´Es hat mich erwischt!`
Isabel musterte Marcus verstohlen: Gutaussehend, ein anziehendes Lächeln und überhaupt eine tolle Ausstrahlung. Zudem führte er tadellose Manieren vor. Einen solchen Mann hatte sich Sybill immer ersehnt.

In den nachfolgenden Wochen trafen sich die Beiden immer öfter und die Beziehung wurde allmählich enger. In den ersten Monaten des Zusammenseins schwebte Sybill im siebenten Himmel und blühte auf. Sie meisterten gemeinsam Probleme, fochten kleine Streitereien aus und genossen die anschließende innige Versöhnung. Nach Ablauf eines halben Jahres jedoch registrierte Sybill zunehmend Eigenarten an ihm, die sie in erster Verliebtheit nicht hatte wahrhaben wollen. Aus vornehmen Hause, verlangte Marcus von ihr nicht allein Anpassung an den Lebensstil der großbürgerlichen Familie, sondern obendrein widerspruchslose Unterordnung. Bald übernahm er ständig strenger die Lebensplanung und versuchte bei wichtigen Entscheidungen, die eigentlich nur Sybills Angelegenheit waren, zumal sie ja noch nicht zusammen wohnten, hartnäckig rein zu reden. Es kränkte Sybill zutiefst. Die deshalb ständig heftigeren Streitereien endeten oft mit Weinkrämpfen der jungen Frau.

´Ich hab mich in ihn verliebt und ertrage deshalb manches, was ich mir sonst nie hätte gefallen lassen. Er war doch so einfühlsam, so rücksichtsvoll. Warum nur ist er jetzt so anders? Merkt er denn gar nicht, wie sehr er mich verletzt? Oder ist es ihm gar egal ?`
Nein, dieser Gedanke erschien ihr als zu grausam und sie verdrängte ihn rigoros. Ihre Beziehung und alles, was ihr dadurch offenstand, bedeutete ihr dermaßen viel, dass sie klein bei gab und sich tapfer in der Rolle einer angepassten jungen Dame der Gesellschaft übte. Ungewollt förderte sie damit Marcus` Bestreben, die Führerrolle in vollem Maße auszuleben. Gleichzeitig entkräftete sie aber so in kürzester Zeit die Vorurteile, die ihr seine Eltern wegen des großen Standesunterschiedes entgegen brachten. Vor allem sein Vater war begeistert und hoffte, dass die Beiden bald heiraten würden.

Isabel jedoch hatte in den letzten vergangenen Wochen eine schleichende Veränderung an Sybill beobachtet. Ja, ihre Sorgen schienen nicht unbegründet zu sein ...
„Du hast doch Kummer!“, hakte sie nach.
Sybill hatte nicht mehr die Kraft, es noch abzuleugnen, Unter Tränen gestand sie:
„Ich fühle mich angekettet, wie in einem goldenen Käfig. Es ist so, als ob ich meine Wünsche und damit mich selber aufgegeben hätte.“
Aller angestaute Frust brach hervor und bestätigte der entsetzten Freundin, dass Sybill mit den Nerven wohl fast am Ende war.
´O je!`, fragte sie sich,´ erträgt sie das alles wegen der Bewunderung, die ihr als Marcus` Partnerin zuteil wird? Und auch des Wohlstandes wegen? - Hm, muss ja wohl sein, sonst hätte sie sich bestimmt längst von ihm getrennt.`


Eine Neuigkeit

Einige Tage darauf telefonierten die Zwei wieder einmal. Sybill klang ungewohnt euphorisch.
„Du, ich hab in einem Cafe jemanden kennen gelernt. Der ist ganz anders als Markus, total unkonventionell und so spontan.“
Und sie fuhr fort:
„ Na ja, es übt einen gewissen Reiz auf mich aus. Wenn ich mit ihm spreche, fühle ich mich wieder so frei wie früher!“
„Sybill, sei vorsichtig! Und außerdem: Willst du dafür deine Beziehung aufs Spiel setzen?“
Es ließ Sybill zwar nachgrübeln, aber das Verlangen siegte, den Fremden wiederzusehen. Bald traf sie sich tagtäglich mit jenem Fred. Einander immer vertrauter werdend, widerstanden sie dann nicht länger und schliefen miteinander. Doch wuchs Sybills Angst davor, Marcus könnte von jenem Seitensprung Wind bekommen:
´Dann ist es garantiert aus. Das würde er nie verzeihen!`
Der Preis war ihr zu hoch und nach kurzem Ringen mit sich selbst teilte sie Fred dieTrennungsabsicht mit. Er reagierte sehr gekränkt:
„Ich bin also nur ein Abenteuer für dich gewesen, mehr nicht??“
Tief getroffen zog er sich zurück.

Erleichtert wandte sich Sybill erneut Marcus zu. Aber ihre Hochstimmung verflog rasch, denn ihre Periode blieb aus und der Arzt eröffnete ihr, dass sie schwanger war. „Das darf nicht wahr sein!!“
Es war ein schrecklicher Schock, aber eine Abtreibung kam für sie nicht infrage.
´Dieses Kind bestimmt fortan mein Leben!`
Wie eine Zentnerlast bedrückte sie die Erkenntnis, außer mit Isabel niemals darüber reden zu dürfen.´
´Von nun an muss ich Verwandten und Freunden Lügen auftischen, wenn ich nicht alles verlieren will, was mir inzwischen so wichtig geworden ist!`
Zumindest der Verschwiegenheit ihrer Freundin vertraute sie fest. Es gab ihr das Gefühl vermeintlicher Sicherheit ein.

´Aber wie soll es nun weitergehen?`
Nach mehreren schlaflosen Nächten entschied sie, dem leiblichen Vater des werdenden Lebens keinesfalls mitzuteilen, dass sie Mutter wurde.
´Ich gebe Marcus als Vater an!`
Als sie hierüber mit Isabel redete, versuchte diese entsetzt, sie davon abzubringen:
„Sybill, was ist denn mit dir los? Ist dir eigentlich klar, was du da vor hast!!?“
Weil sie ihr aber an sah, wie hilflos Sybill der Situation gegenüber stand und sie ja schon fast ihr ganzes Leben lang befreundet waren, versprach sie letztendlich, dieses Wissen für immer für sich zu behalten.
„Aber, das sei dir klar: Ich finde deinen Plan unmöglich!“
Sybill schwieg. Was hätte sie darauf auch antworten sollen? Doch verließ sie sich auf Isabels Wort.


Die kleine Familie

Drei Wochen später machte ihr Marcus einen Heiratsantrag. Sybill verdrängte die aufkommenden Gewissensbisse und willigte ein.
´Ab nun sind mein Kind und ich gut abgesichert!`
Es wurde eine traumhafte Feier. Bei strahlendem Sommerwetter gaben sich die Beiden das Eheversprechen. Sie mit dem festen Vorsatz, Marcus eine treue, folgsame Frau zu sein sowie dem Kind eine wunderbare Mutter.
´Und Marcus wird garantiert ein toller Vater!`
Die Schwangerschaft verlief ohne größere Probleme. Marcus stand seiner Frau jede freie Minute zur Seite.
„Sybill, ich möchte unbedingt bei der Geburt dabei sein!“
Sie bekamen eine süße Tochter.
´Sie ähnelt Marcus sogar ein wenig!`, dachte Sybill erleichtert.
Nichts würde also dem Glück zu dritt im Weg stehen!

Maren war ein niedliches Baby. Je älter sie wurde, umso mehr ähnelte sie Marcus. Nur ihre Mutter wusste, was es damit auf sich hatte. Schaute sie die Kleine an, dachte sie unwillkürlich an deren wirklichen Vater, der nicht ahnte, dass dieses süße Geschöpf sein eigen Fleisch und Blut war.
´Hoffentlich bringt er es niemals in Erfahrung!?`
Allein bei dem vagen Gedanken daran wurde es Sybill ziemlich mulmig.


Feige

Die Jahre zogen ins Land. Maren wuchs zum Teenager heran. Sie war recht aufgeweckt und beobachtete mit ihren siebzehn Jahren ihre Umgebung sehr kritisch. Öfters fiel es ihr auf, dass die Mutter sie nachdenklich anschaute, aber offensichtlich mit den Gedanken in weiter Ferne weilte.
´Sie merkt eben, dass ich so allmählich erwachsen werde! Machen bestimmt andere Mütter auch!`
Was sollte sie auch sonst vermuten?

Sybill dagegen wälzte schwerwiegende Überlegungen:
´Bald ist Maren volljährig und ich muss ihr die Wahrheit sagen. Es wird schlimm für sie sein! - Muss ich es eigentlich wirklich? Sie hat alles gehabt, wovon ein Kind nur träumen kann. Denkt sie jetzt daran zurück, darf sie sich noch immer darüber freuen. - Falls ich ihr aber gestehe, dass ich damals, nur ein paar Jahre älter als sie jetzt, mich für eine Lebenslüge entschieden und alle bis zum heutigen Tage getäuscht habe, wird dies für Maren zu einer nicht enden wollenden Qual werden. Darf ich das denn überhaupt verantworten?`
Sie redete sich ein, dass sie Mann und Tochter jederzeit in höchstem Maße bewiesen hatte, wie lieb sie sie hatte.
´Damit hab ich doch alles gutgemacht, oder??`

Den Ausschlag gab die Befürchtung, dass sich, wenn sie jenes Geheimnis preisgab, ihreTochter höchstwahrscheinlich endgültig von ihr abwenden, es niemals verzeihen würde, dass die Mutter den Vater und sie dermaßen belogen hatte. Marcus` Ablehnung hätte Sybill noch irgendwie verkraftet, aber nicht den Hass Marens, eines Teils ihrer Selbst.
´Nein, ich werde schweigen, bis Maren auf eigenen Füßen steht!`
Ja, sie verschanzte sich hinter dieser Ausrede, versuchte tatsächlich, so ihr unmöglich feiges Verhalten zu rechtfertigen und zog es vor, weiter zu lügen, anstatt sich einer dann garantiert eskalierenden Auseinandersetzung zu stellen. Es war kaum fassbar, aber wieder unterdrückte sie erfolgreich die dabei aufkommenden furchtsamen Gedanken. Wie bislang widmete sie sich aufopfernd ihrer kleinen Familie. Es folgte ein harmonisches Jahr. Nichts wies auf eine sich anbahnende Katastrophe hin ...


Es beginnt

Nach jenen zwölf Monaten störten gelegentlich anonyme Anrufe das glückliche Familienleben.
„Da hat jemand einen Knall! Frech, so etwas!“
Als es jedoch öfters vor kam, grübelte die junge Frau, ob Marcus heimlich eine hinter ihm her spionierende Geliebte hatte. Bereits seit Wochen erschien er erst relativ spät aus seiner Anwaltskanzlei und erklärte es mit vermehrter Arbeit.
´Solche Ausreden kennt man ja!`

Eines Tages nahm zufällig Marcus einen jener Anrufe entgegen. Aufmerksam musterte Sybill ihn. Er schien überrascht, verunsichert und auch verärgert, aber in keiner Weise verlegen. Genauso merkte sie ihm auch kein schlechtes Gewissen an. Nein, da lief etwas anderes ab. Nur, was??
´Steckt vielleicht ein schüchterner Verehrer Marens dahinter, der keine Abfuhr riskieren, deswegen unerkannt bleiben, aber so wenigstens für wenige Sekunden ihre Stimme hören will? Ist das des Rätsels Lösung?`


Zermürbende Anspannung

Die Belästigungen häuften sich erschreckend schnell und traten bald gar mehrmals täglich auf. Bei stets stiller Leitung vernahmen sie auch keine Indizien trächtigen Hintergrundgeräusche. Marcus beschäftigten allmählich diffuse Zweifel.
´Welches Motiv kann der haben? Ein sogenannter böser Bubenstreich ist des jedenfalls nicht!`
Es belastete die Drei immer mehr.

So manchen Abend lagen sie grübelnd im Bett. Eines Nachts wachte Sybill nach einem schrecklichen Albtraum in Schweiß gebadet auf. Ein schlimmer Verdacht quälte sie.
´Nein, nein, nein!!`
Wahrscheinlich spielte ihr nur ihr revoltierendes Unterbewusstsein den bitteren Streich, sie an das schlimme Unrecht zu erinnern, dass sie Mann und Tochter zugefügt hatte.
´Soll mich all das jetzt wieder einholen? - Ich ruf morgen auf jeden Fall Isabel an! Wir haben uns sowieso schon viel zu lange nicht mehr gesprochen!`
Mit diesem Vorsatz drehte sie sich erschöpft nochmals zur Seite und fiel in einen äußerst unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Obwohl gefangen in quälendem Gedankenwust, durften ihr weder Marcus noch Maren etwas anmerken:
´Ich muss so tun als ob nichts wäre!`
Gelänge ihr das nicht, würde Marcus misstrauisch werden, denn auch ihm machten die Geschehnisse der letzten Zeit sehr zu schaffen. Oft schaute er sie prüfend an. Bis zum heutigen Tag hatte sie noch heiter zurück gelächelt, aber die letzte halb durchwachte Nacht hatte ihr dazu die Kraft geraubt. Sicherheitshalber vermied sie es, ihm während der nur seltenen Gespräche in die Augen zu sehen und kniete sich emsig in irgendeine Arbeit. Es gibt ja mehr als genügend hausfrauliche Tätigkeiten, denen sie sich unauffällig widmen konnte.


Terror

Die Natürlichkeit des Zusammenlebens war mittlerweile dahin. Jede Regung unterlag zwanghafter Disziplinierung. Lauernd beobachteten sie sich. Derweil die Anspannung sich ständig steigerte, änderte sich die Strategie des Terrors, die sie dann in noch größere Bedrängnis stoßen sollte. Die Serie der stillen Anrufe wurde Vergangenheit. Das akustische Gegenüber hatte sein Zeil bislang nicht erreicht und plante wohl, noch viel dreister vorzugehen. Bisher nur ein stummer Statist, besetzte es nun in diesem Drama die Rolle des Protagonisten.

Wieder schrillte das Telefon. Inzwischen bildeten sich Sybill, Marcus und Maren ein, heraus hören zu können, ob es sich um einen Anruf von Freunden und Bekannten oder um einen der Ruhestörungen handelte. Rasch eilte Marcus an den Apparat. Deprimiert, weil seine Familie und er jenen Angriffen machtlos ausgeliefert waren sowie in Erwartung der unheimlichen Lautlosigkeit in der Leitung griff er zum Hörer. Aber diesmal kam alles anders.Die geänderte Taktik betonte die ernstzunehmende Aggressivität. Zum ersten Male meldete sich jemand, gab aber seine Identität nicht preis. Marcus vernahm die Stimme eines Mannes und war fassungslos:
„Ich mach Euch fertig!!“

Die Telefonanrufe waren demnach erst der harmlose Anfang, sozusagen der Auftakt zu nun zu erwartenden heftigeren Angriffen. Verzweifelt bemühte sich Marcus ein Gespräch in Gang bringen, das ihm vielleicht das noch schleierhafte Motiv jenes Unbekannten verriet.
´Und sei es, dass der sich rasend vor Wut verspricht!!`
Vergeblich! Eiskalt hielt sich der Anrufer bedeckt. Ermattet legte Marcus den Hörer auf:
´Ich darf jetzt nicht die Nerven verlieren!`
Ein klärendes Gespräch mit Sybill war unumgänglich geworden.


Verdachtsmomente

Sybill hatte sich in der letzten Zeit ihm gegenüber extrem zurückgehalten.
´Warum tut sie das? Verschweigt sie mir doch etwas? Gibt es vielleicht einen zurückgewiesenen Liebhaber, der sich auf solch schäbige Weise rächen will?`
Noch am selben Tag stellte er sie zur Rede.
„Ich schwör` dir, da ist nichts! Keine Ahnung, wieso der … ?“
Daraufhin bemühte sich Marcus, seinem Misstrauen trotz der großen Zweifel Einhalt zu gebieten. Aber im Unterbewusstsein arbeitete es weiter.
´Wenn keine Affäre dahinter steckt, was dann nur? Jedenfalls stimmt da etwas nicht!`

Maren litt sehr unter dem häuslichen Unfrieden.
„Wundert mich gar nicht, dass Mama sich so verstört verhält! Ist ja furchtbar gewesen, diese dauernde Bimmelei!!`
An die Möglichkeit, dass die Mutter vielleicht einen anderen Mann …
´Nee, Mama doch nicht!`
Die Ehe ihrer Eltern war ihr stets ein Vorbild gewesen.
´Aber eigenartig benimmt sie sich wirklich!`

Und dennoch hatte sich in den letzten Wochen das Zusammenleben wieder etwas entspannt, denn es war ja wider Erwarten lange kein weiterer Anruf mehr erfolgt.
´Jener Typ hat entgegen seiner Drohungen anscheinend doch aufgegeben! - Na, war wohl nur ein Verrückter!`, sagte sich Marcus aufatmend und beschloss, das Ganze zu vergessen.
´Endlich Schluss damit!`, dachte auch Maren.

Sybill aber peinigte ständige Panik. Der damalige Albtraum hatte sie wach gerüttelt, die dunkle Vergangenheit sie eingeholt. In ihrer seelischen Not rief sie kurz entschlossen Isabel an:
„Was soll ich nur machen? Nicht auszudenken, wenn der seine Drohungen eines Tages wahr machen würde!“
Sie empfand es als sehr eigenartig, wie gelassen Isabel darauf reagierte. Verwirrt fragte sie nach, weshalb sie sich denn so lange nicht gemeldet habe.
„Viel zu tun!“, war die ausweichende Antwort.
Überhaupt verlief das Gespräch befremdlich, so gar nicht wie der intensive Gedankenaustausch zweier enger Freundinnen.
„Ja, dann tschüss!“
Mit einem ziemlich unguten Gefühl beendete Sybill das unpersönliche Telefonat. Des Rätsels Lösung sollte sie dermaßen heftig treffen, wie sie es sich nie hätte ausdenken können ... .


Briefgeheimnis

Wie an jedem Morgen schaute Sybill in der Früh nach der Post. Außer des üblichen Berges juristischer Briefe fand sie einen grünen Umschlag ohne Absender vor. Nervös öffnete sie ihn und wurde leichenblass.
´Nein, das wird er doch nicht wagen, oder??`
Sofort hatte sie die Handschrift des Mannes wiedererkannt, mit dem sie vor fast achtzehn Jahren so glücklich gewesen war.
´Marcus und Maren dürfen diesen Brief auf keinen Fall finden!`
Wieder und wieder überflog sie die Zeilen:
„Ich werde dich überall aufspüren und mich für all die Demütigungen rächen. Mein Wissen um dein Geheimnis wird dein Leben zerstören. Es bleibt dir nur noch eine kurze Frist, dann packe ich aus!!“

Sybill zitterte, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ja, offensichtlich sollte sie doch noch für den damaligen Betrug büßen.
´Alles wird ans Licht kommen!`
Sie vermochte kaum mehr ihre sich wild überschlagenden Gedanken zu bändigen.
´Nein, ich darf mich denen jetzt nicht überlassen. Ich muss schnellstens handeln!`
Fieberhaft überlegte sie, wo sie das Schreiben risikolos deponieren konnte.
´Die zwei Bögen in winzige Schnipsel zu zerreißen und sie in den Papierkorb zu werfen, ist zu gefährlich. Die grellgrüne Farbe würde sofort Neugierde wecken!`

Hastig stopfte sie das verräterische Schriftstück tief in die Hosentasche, rannte zurück ins Haus und wie gehetzt immer zwei Stufen auf einmal die Treppe hoch in die obere Etage. Derweil horchte sie auf jedes leiseste Geräusch, beachtete jede noch so geringe Bewegung im Haus. Sei es, dass eine Tür leicht knarrte, sei es das Wehen einer Gardine am offenem Fenster ... Alles wertete sie als Zeichen einer möglichen sie betreffenden Verfolgung. Ihr Herz raste nur so. Zitternd flüchtete sie in die scheinbare Geborgenheit ihres Arbeitszimmers. In der Aufregung vergaß Sybill, die Tür richtig zu schließen. Die Beine drohten ihr den Dienst zu versagen und sie lehnte sich keuchend gegen die Wand. Panisch entschied sie sich für als einziges in Frage kommende Versteck für das Schreiben für das hinterste Fach des  Schreibtisches. Just in dem Moment hörte sie aus dem Nebenraum sich jemand schnellen Schrittes ihrem Zimmer nähern. In allergrößter Bedrängnis riss sie die Schublade auf, schob den Brief unter einen Stapel alter Rechnungen und stieß sie wieder zu.
´Nein, den Schreibtisch wird Marcus bestimmt nicht durchwühlen! Augenblicklich kommen wir ja wieder etwas besser miteinander aus!`
Ihre Angst war unnötig gewesen. Niemand betrat den Raum und die Schritte entfernten sich ebenso rasch, wie sie gekommen waren.


Der Beweis

Jedoch war ihr nur noch eine kurze Galgenfrist vergönnt. Gegen Abend kehrte Marcus heim und merkte sofort, dass etwas vorgefallen sein musste.
„Was ist los? Hat der Unbekannte etwa … ?“
Wenigstens dies konnte Sybill noch glaubhaft verneinen. Jedoch hörte Marcus unterdrückte Erregung in ihrer Stimme.
´Nein, den Unfrieden hier nehme ich nicht länger in Kauf!!`

Nach einem letzten Zögern rang er sich am nächsten Tag dazu durch, Nachforschungen anzustellen. Am Vormittag nutzte er die Abwesenheit seiner Frau und fahndete überall nach Indizien, um das Rätsel um die neuerliche schier unerträgliche Stimmung voller Misstrauen zu lösen.
´Ich mag Sybill immer noch. Soll ich trotzdem … ?`
Aber ein Zurück gab es nun nicht mehr. In verzweifelter Entschlossenheit durchwühlte er systematisch alle Fächer des Sekretärs und entdeckte alte Rechnungen, Isabels Briefe, einige Fotos der Tochter aus deren Babyzeit sowie einen vollgekritzelten Kalender älteren Datums. Marcus kontrollierte genauestens sämtliche Notizen, fand aber seinen Verdacht nicht bestätigt. Schon wollte er die Suche abbrechen, als sein Blick noch kurz die vor ihm liegenden Schriftstücke streifte. Unwillkürlich verweilte sein Auge auf einem Zipfel grünen Papiers, der unter dem Stapel alter Kassenbons hervor lugte. Wegen dessen auffälliger Farbe beschlich ihn erneut Argwohn:
´Frauen schreiben doch gern auf farbigem Papier. Weshalb also alarmiert es mich so sehr?`

Er zog den Umschlag hervor und entdeckte, dass dieser bereits einmal geöffnet gewesen und sorgsam wieder zugeklebt worden war, so, als ob jemand einen Sicherheitsriegel hätte vorschieben wollen. Marcus war klar, dass er kurz davor stand, das Briefgeheimnis zu verletzen und so das wieder bessere Verhältnis zu seiner Frau wahrscheinlich endgültig zu zerstören.
´Soll ich ihn besser wieder zurücklegen? Aber dann wird die zermürbende Ungewissheit nie enden!!`
Nein, das Schriftstück trug eventuell zur Klärung der in der jüngsten Vergangenheit aufgetretenen Ereignisse bei. Schwer atmend ritzte Marcus den Umschlag auf, faltete die Bögen auseinander und starrte erbleichend auf die drohend schwarze Schrift:
´Also doch! Es gibt einen für uns alle dramatischen, dunklen Punkt in ihrer Vergangenheit!! Ist die Harmonie gar eine einzige Lüge gewesen?`
Für Marcus drohte eine Welt zusammen zu brechen. Er nahm sich vor, seine Frau zum frühest möglichen Zeitpunkt zur Aussprache zu zwingen und sie notfalls so lange unter Druck zu setzen, bis er endlich die ganze Wahrheit erfuhr.

Gegen Mittag öffnete sich die Haustür. Herein trat nichtsahnend Sybill, gefolgt von Maren, die nach dem langen Schultag froh war, wenigstens den Nachmittag frei zu haben. Sybill las in dem Gesicht ihres Mannes, schaute auf dessen Hände und erschrak.
´Das grüne Papier!`
In dem ohnmächtigen Versuch, sich irgendwie noch heraus zu winden, warf sie ihm tatsächlich die Verletzung des Briefgeheimnisses vor. Marcus schäumte vor Wut:
„Wie kalt bist du eigentlich? Ich verlange eine sofortige Erklärung!!“
Erstarrt stand Maren neben ihrer Mutter und schaute sie an. Entsetzen, Schuldbewusstsein, Verzweiflung und auch Hilflosigkeit sprachen aus deren Mimik. Ja, denn Sybill wusste, dass Ausflüchte nun nichts mehr nutzten.´Es ist aus!`

Mit fast versagender Stimmer setzte sie stockend zum Geständnis an. Wie versteinert standen die beiden ihr vertrautesten Menschen vor ihr und wehrten sich mit aller Kraft des Herzens gegen das Wissen um die gemeine Wahrheit, mit der sie von nun an zu leben gezwungen waren. Das Bild der glücklichen Familie war allein trügerischer Schein gewesen, ein heuchlerisches Spiel mit Gefühlen. Von einer Sekunde zur nächsten wurde Sybill für Marcus zur Fremden. Die Worte, die ihm so Ungeheuerliches verrieten, löschten alle Zuneigung.Tochter Marens Gesicht verriet zunächst Fassungslosigkeit, dann aufkommenden Abscheu. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ohne die Mutter noch eines einzigen Blickes zu würdigen, rannte sie weinend in ihr Zimmer. Völlig durcheinander brauchte sie das Alleinsein, um zu klarem Denken zurück zu finden.
´Ich werde dich nie wie liebhaben können! Ich hasse dich!`
Die innige Bindung zum Vater dagegen würde sich wegen des gemeinsamen Leides noch verstärken.

Noch immer starrte Marcus voller Verachtung die fremde Person an, die bis vor wenigen Momenten seine Ehefrau gewesen war. Mit wutverzerrtem Gesicht schrie er:
"Du verlässt auf der Stelle dieses Haus und wage es nicht, hier jemals wieder aufzukreuzen!!“
Eisiger Miene schritt er aus dem Raum. Sybill blieb gebrochenen Herzens zurück, brach in schier endlose Tränen aus und schrie sich die ganze Verzweiflung und den Schmerz von der Seele. Aber irgendwann versiegten die Tränen und ihr fehlte die Kraft, sich weiteren Gefühlsausbrüchen hinzugeben. Allein noch der Gedanke an die sie erwartende Einsamkeit beherrschte sie. Das Erbrechen des Briefes war zum Tor zu einer Bestrafung geworden, die wahrscheinlich auch den endgültigen Verlust ihrer Tochter einschließen und bis zu Sybills Tod kein Ende finden würde. Um aber die einzig mögliche Flucht vor jenem Schicksal in Betracht zu ziehen, nämlich, sich umzubringen, hing die junge Frau zu sehr am Leben.
´Nein, ich werde mich dem stellen!`

Bevor sie jedoch den Weg der Buße betrat, wollte sie noch einmal Rücksprache mit Isabel halten. Denn es gab noch etwas zu klären. Mit zitternden Fingern wählte sie deren Nummer. Nach dem dritten Freiton meldete sich Isabel:
„Was willst du!??"
Sybill sprach sie deutlich auf alles an, insbesondere auf ihr verändertes Verhalten ihr gegenüber. Mit knappen harten Worten stieß ihr Isabel entgegen, dass sie keinen Kontakt mehr zwischen ihnen wünschte. Fred und sie hätten sich ineinander verliebt. Aus Verantwortungsgefühl hatte sie ihn über die Existenz seines Kindes unterrichtet, um nicht mit jenem schlimmen Wissen belastet die Ehe einzugehen. Seine grenzenlose Wut hatte sie nicht bremsen können.
„Sie hat mir eine Tochter vorenthalten, mich derer ganzen Kindheit und Jugend beraubt! Sie hat mich kaltblütig betrogen. Ich werde mich rächen!!“Wie, um den Abschied noch wenige Sekunden hinaus zu zögern, stotterte Sybill noch, wo sie sich denn kennengelernt hätten.
´Du bist die Letzte, die das etwas angeht!“
Es dröhnte nur so in Sybills Ohren. Aber Isabel war noch nicht fertig:
„Fred hat nun erreicht, was er wollte, aber er wird nie vergessen können, was du Biest ihm angetan hast! - Und nun scher dich zum Teufel!!“
Wie gelähmt stand Sybill dort, brachte keinen Laut der Erwiderung über die Lippen und starrte nur stumm aufs Telefon. Mit jenen hasserfüllten Worten der ehemals besten Freundin waren die allerletzten engsten Bindungen zu geliebten Mitmenschen durchschnitten. Nun stand Sybill völlig verlassen auf der Welt, allein mit sich und ihrer schweren Schuld.



Monate später

Mehrere Monate waren vergangen, seit Sybills Ehemann sie in maßloser Enttäuschung und Wut des gemeinsamen Hauses verwiesen hatte.

Aus einem vorehelichen Treuebruch war ein Kind entstanden. Statt des wirklichen Vaters, dem sie die Existenz seines Kindes verschwieg, gab die junge Frau, die Marcus und den für sie in ihrem Leben bislang ungekannten Wohlstand nicht verlieren wollte, jenen als Kindesvater an und beließ es vor ihm, ihrerTochter Maren, der Verwandtschaft sowie auch allen Freunden und Bekannten fast siebzehn Jahre lang bei dieser schlimmen Lebenslüge. Allein Isabel, ihre beste Freundin, hatte sie damals eingeweiht, auf deren Verschwiegenheit vertrauend. Doch, nachdem Sybill jene Affäre beendet hatte, ergab sich der unglaubliche Zufall, dass eben diese Freundin jenen Fred kennen - und lieben lernte und ihm vor der Hochzeit über die Existenz seiner Tochter informierte. Vor Wut rasend, drangsalierte Fred fortan die junge Familie mit Anrufen und ging gar soweit, einen Drohbrief zu schicken, in dem er ankündigte, dass er Sybills Familienleben zerstören würde.

Einer der Anrufe rief Marcus` Misstrauen hervor. Als er am nachfolgenden Tag auch noch auf jenes aggressive Schreiben stieß, erzwang er eine sofortige Aufklärung von Sybill, deren Geständnis sie für Vater und Kind von einer Minute zur anderen zur Fremden werden ließ. Marcus verwies sie erzürnt des Hauses und es hatte den Anschein, als ob selbst die Verbindung zu Maren für immer verloren war.


Nach der Trennung

Die junge Frau verblieb zunächst in einer Pension und begab sich auf die Suche nach einer passenden Wohnung. Doch quälten sie wegen des Dramas, das sie ja selbst herauf beschworen hatte, heftige Gefühlsausbrüche. Marcus` Hass ertrug sie irgendwie, nicht aber den bohrenden Schmerz, ihre geliebte Tochter in der Nähe zu wissen und davon ausgehen zu müssen, dass sie sie vielleicht nie wiedersehen würde. Außer einiger Kinderfotos war ihr nichts von ihr geblieben.

Um wenigstens räumlich mehr Abstand zu bekommen, bewarb sich Sybill schließlich als Lehrerin in einer Nachbarstadt, wurde angenommen und war so wenigstens finanziell abgesichert. Sie stürzte sich in berufliche Aufgaben und bürdete sich bewusst noch zusätzlich Verpflichtungen auf. Auch fand sich mit der Zeit ein neuer Freundeskreis, mit dem sie die meiste Freizeit verbrachte. Aber die nieder drückenden, für lange Stunden des Tages verdrängten Gedanken überfielen sie dann spätabends und an manchem einsamen Wochenende umso heftiger. Aus Angst, sie vielleicht dann sofort zu verlieren, vertraute sie sich den Freunden nicht an, sondern bewahrte eisernes Stillschweigen. Nein, sie musste den an ihr nagenden Kummer aushalten! Genauso hatte sie allein damit klar zu kommen, dass wahrscheinlich nichts die Verbindung zur Tochter wieder aufleben lassen würde.

Dies alles pflasterte ihren holperigen Weg der Buße.


Grübeleien

Lange Jahre vergingen. Danach jedoch vermochte Sybill trotz aller selbst auferlegter Disziplin nicht mehr, die ständig beklemmender werdenden, ihr zunehmend weniger wirkliche Erholungspausen gönnenden Grübeleien wegen Maren zu verdrängen. Die nur vermeintlich bezwungene Sehnsucht nach ihrem Kind schnitt ihr zu sehr ins Herz. ´Ob es ihr gut geht??`Oft stand sie abends am Fenster, schaute zum Sternenmeer hinauf und hoffte inständig, dass dessen wunderbares Leuchten sie tröstete. Aber stattdessen empfand sie unsagbare Verlorenheit.
´Maren, Maren!`
Abrupt wandte sie sich ab ...

Genauso kämpfte Tochter Maren mit widersprüchlichen Empfindungen. Kurz nach dem Abitur war sie aus dem Elternhaus ausgezogen. Dort noch ständig die Aura der Mutter um sich zu wähnen, hatte sie zu sehr bedrückt. Nein, sie wollte sich ein anderes, von jenem Kummer unbelastetes Leben aufbauen. Zum Glück hatte sie zu ihrem Vater Marcus, der sie bei allem unterstütze, ein sehr herzliches Verhältnis. So half er ihr auch bei der Suche nach einer passenden Studentenwohnung. Maren entschied sich für ein Psychologiestudium. Gewiss auch, weil sie hoffte, dass sie, wenn sie Anderen beistand, mit ihrem eigenen Kummer etwas besser klar kam. Es würde sie in schwachen Minuten aufrichten, weil sie sich sagen könnte, dass sie nicht als Einzige eine schwere seelische Last mit sich herum trug.


Marens Jahre als junge Frau 

Anders als damals Sybill war Maren sehr liebevoll umsorgt aufgewachsen und zu einer selbstbewussten jungen Frau geworden, die nun rasch Kontakte zu Kommilitonen knüpfte. Bald bildete sich eine Clique. Weil Maren das Lernen leicht fiel, blieb ihr viel Freizeit, die sie meist mit ihrer Freundesschar teilte.Tagsüber war sie also bestens abgelenkt und nur noch äußerst selten dachte sie abends an ihre Mutter.

Anderthalb Jahre darauf lernte sie ihren späteren Mann Jörg kennen. Gänzlich anders als ihr Vater, kein Macho und ohne jede snobistische Ader, war er so unkompliziert, wie sie es sich von ihrem Partner immer erhofft hatte. Anstatt sie zu dominieren, akzeptierte er sie als gleichgestellte Partnerin. Alle Entscheidungen fällten sie gemeinsam. Nach Meinung der Clique waren sie ein ideales Paar, das sich oft auch ohne Worte verstand. Nachdem beide das Examen abgelegt hatten, zogen sie zusammen und entschlossen zu heiraten. Als es dann aber soweit war, dass Maren Brautkleider anprobierte, flog unwillkürlich ein schmerzender Gedanke zur Mutter und sie gestand sich ein, wie gerne sie diese dabei gehabt hätte. Stolz betrachtete sich die junge Frau im Spiegel und dennoch bekam sie jene plötzliche Gefühlsaufwallung nicht in den Griff. In der Geborgenheit der Umkleidekabine rann ihr eine verstohlene Träne über die Wange. Nein, ihre Mutter hatte keine Ahnung davon, welch hübsche Braut die Tochter sein würde, aber auch nicht, was viel tragischer war, dass Maren tatsächlich ihretwegen geweint hatte. Und das ausgerechnet an einem der Tage, die für sie zu den frohesten des Lebens zählen sollten.


Die junge Familie

Statt wie Marens Eltern damals in einem großen Rahmen zu feiern, zogen Maren und Jörg es vor, im engsten Familien- und Freundeskreis zu heiraten. Romantik jedoch war ihnen sehr wichtig und so sagten sie unter einem wunderschön blühenden Rosenbogen ´Ja` zueinander. In jenem Augenblick standen sie sich dermaßen nahe, wie es Marcus und Sybill ja nicht hatten sein können.

Bald wünschten sie sich Nachwuchs. Sie bekamen erst einen Sohn, Jens, danach ein Mädchen, Mareike.

Fünf Jahre später: Inzwischen verdienten Maren und Jörg sehr gut und die junge Familie zog in ein Reihenhaus. Das junge Paar war stolz, nun ein eigenes Reich sein Eigen nennen zu dürfen und freute sich, seine Kinder im Grünen aufwachsen zu sehen. Deren Erziehung und der Haushalt lasteten Maren mehr als genügend aus. Ohne Bedauern gab sie ihren Beruf auf und genoss das Leben daheim. Mit Jörg verstand sie sich weiterhin blendend und man durfte mit Fug und Recht von einer glücklichen Familie sprechen. Allein noch an Geburtstagen und vor allem zu Weihnachten kämpfte sie denn doch gegen die aufkommende Sehnsucht nach der Mutter an. Vater Marcus dagegen war selbst unterm Tannenbaum wegen seiner Exfrau keine sentimentale Regung anzumerken. Aber als ein sehr sensibler Vater spürte er, wie bedrückt Maren war und fragte sich, allerdings so, als ob es sich um das Fehlverhalten einer Fremden gehandelt hätte:
´Wie hat Sybill es nur fertig gebracht, uns dermaßen lange die wirklichen Familienverhältnisse zu verheimlichen? Auch heute noch bleibt mir das unerklärlich!`

Nach zwei Jahren des Alleinseins hatte er ein zweites Mal geheiratet. Jutta war völlig anders als Sybill, fröhlich und selbstbewusst wie Maren. Vielleicht, weil die Beiden sich da so ähnelten, verstanden sie sich auf Anhieb. Jutta nahm Maren wie eine eigene Tochter an, wie auch damals Marens Schwiegereltern die junge Frau sofort ins Herz geschlossen hatten. Zudem kam Jutta auch mit Jörg gut aus. Für Marcus aber war vorrangig, dass es zwischen Jutta und ihm kein Falsch gab.


Sehnsüchtige Gedanken

Trotz des harmonischen Familienlebens vermisste Maren den Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter. Sie kannte ja noch nicht einmal deren Adresse. Vor allem dann, wenn sie stolz ihre eigenen Kinder beim ausgelassenen Spiel beobachtete, sie fröhlich lachen hörte, holte sie es wieder ein.
´Sie ahnt nicht mal, dass sie Omi ist!!`
Rigoros verbot sich Maren, diesem Gedanken nachzuhängen ...

In der Nachbarstadt litt Sybill darunter, dass sich alle Fragen, in denen es um Maren ging, in nebulöser Ferne verloren.
´Was sie wohl jetzt macht?`
Ständig mächtiger wurde der Wunsch, das peinigende Schweigen zu beenden. An so manchen Abenden saß sie mit einem Buch auf dem Sofa, ohne sich recht auf den Inhalt konzentrieren zu können. Im Gegenteil schweiften ihre Gedanken weit weg ins Ungewisse und sie seufzte traurig, denn sie wünschte sich immer drängender die befreiende Auflösung der unglücklichen Umstände.
´Wenn ich doch bloß wüsste, wie! Auch hab ich augenblicklich noch nicht die Kraft dafür!`
Aber das Verlangen, alles zu bereden und zu beweisen, dass sie jetzt den ehrlichen Weg der Geradlinigkeit beschritt, ließ ihr keine Ruhe mehr.
´
Wenn sie so gemein zu mir sind, dann halten die garantiert umso treuer zu Marcus und Maren!`
Beinahe hätte sie sich für den Rest des Lebens ins Schneckenhaus der Resignation zurückgezogen :
„Nein, das tu ich mir nicht an!!“
Da nähme sie eher in Kauf, auf vielleicht unbestimmte Zeit wie bislang im Meer der aufreibenden Ratlosigkeit zu schwimmen.


Ein wichtiger Hinweis

Während eines Spazierganges bei strahlendem Sommerwetter und im Anblick des leuchtenden Farbspiels der Blumen mischten sich zwischen die traurigen Überlegungen auch heitere Gedanken. Für eine kurze Weile war der Kummer verdrängt und sie schlenderte froh dahin. Auf einmal wurde sie von einer jungen Frau angesprochen. Jene kannte sie anscheinend von irgendwoher. Angestrengt versuchte Sybill, sich an dieses Gesicht zu erinnern, wusste es jedoch nicht einordnen. Aber dann stellte sich ihr Gegenüber als eine frühere Freundin Marens vor. In Sybill keimte die Hoffnung, dass sie ihr vielleicht einiges sagen könnte. Leider hatten sich aber die Freundschaftsbande zwischen Maren und dieser Frau gänzlich gelöst. Doch empfand die junge Frau die Wehmut aus Sybills Worten und erwähnte mitleidig, dass Maren sofort nach dem Abitur ausgezogen war und an einer Uni im nahen Umkreis Psychologie studiert hatte. Mehr wusste sie leider nicht. Aber es war ein vager Ansatzpunkt!

In den nachfolgenden Wochen stellte Sybill intensive Nachforschungen nach den Namenslisten der Absolventen der Examina der letzten Jahre an und wurde tatsächlich fündig. Falls es sich nicht allein um eine Vornamensgleichheit handelte, bedeutete es eine erste konkrete Spur und der fremde Nachname verriete, dass Maren bereits schon länger verheiratet war. Aufgeregt ließ Sybill nun keine Zeit mehr verstreichen, meldete sich bei Facebook an und gab jenen Namen ein. Vielleicht stand ja sogar Marens Wohnort oder zumindest eine Email-Adresse verzeichnet. Dann gab es noch eine wirkliche Chance …


Kindliche Fragen

Maren und Jörgs Leben mit den beiden Kindern verlief sehr harmonisch. Doch in Minuten oder Stunden ohne Verpflichtungen, die eigentlich der Erholung dienen sollten, kehrte jener belastende Gedanke zurück, dass irgendwo, wahrscheinlich gar recht in der Nähe, die Mutter lebte und sie nichts voneinander hörten. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber es machte ihr immer mehr zu schaffen.

Als Mareike und Jens den Kindergarten besuchten, stellten sie erste Fragen nach der Großmutter. Alle anderen Kinder erzählten von ihren Omis. Sie dagegen mussten antworten, dass sie sie gar nicht kannten. Dagegen hätten sie so gerne gleichfalls von einer Omi erzählt, die stundenlang mit ihnen tobte, Geschichten vorlas oder sie tröstete, wenn sie sich mit Anderen gezankt hatten oder auch krank im Bett lagen. Dies alles hatten sie ja immer entbehren müssen. Maren antwortete auf die kindlichen Fragen nur ausweichend. Bekümmert fragten Jens und Mareike nicht weiter nach. Denn immer, wenn die Beiden sie darauf ansprachen, lenkte diese schnell auf ein anderes Thema oder schlug ein Spiel vor.

Doch die Zwei wurden älter. Acht und zehn Jahre alt, gaben sich die Geschwister nicht länger damit zufrieden. Nein, sie wollten wenigstens wissen, wo ihre Großmutter lebte und auch, wie sie so war. So wandten sie sich an den Großvater: Er war ja so lange mit ihr verheiratet gewesen und würde ihnen sicherlich viel über sie erzählen können. Wider Erwarten lehnte er dies strikt ab. In Jutta, seiner jetzigen Frau, hatte er einen dagegen grundehrlichen Menschen gefunden. Auch war sie eine wunderbare Stiefmutter für Maren und genauso eine liebevolle Omi für die zwei Enkel. Auch mit Jörg und seinen Eltern kam sie gut klar. Dieses herzliche Familienleben wollte Marcus unbedingt schützen:´
"Ich werde nicht dulden, dass irgendetwas es stört. Schon gar nicht die Erinnerung an die dunklen Tage der Vergangenheit!`


Immer noch kein Kontakt

Maren dagegen schmerzte es seit geraumer Zeit immer mehr, keinen Kontakt zur Mutter zu haben und begab sich auf die Suche nach ihr. Sybill arbeitete bestimmt wieder als Lehrerin! Ein paar Anrufe würden ausreichen und dann ... Maren hatte ja das Band der Zuneigung zu ihr bewusst verleugnet, aber nun gestand sie sich ein, das es nur im finsteren Schacht des Vergessenwollens vergraben gewesen war. Hartnäckig forschte sie weiter, obwohl ja völlig ungewiss war, was sich letztendlich ergeben oder auch nicht ergeben würde. Allein der entschiedene Schritt erleichterte ihr das Herz. Gleichzeitig aber führte es auch zu erneuten Zweifeln:
´Und wenn sie es gar nicht will? Was dann?`
Doch blieb sie dabei:
´Entweder jetzt oder nie mehr!`
Sie erkundigte sich an den umliegenden Lehranstalten. Dreimal musste sie abschlägige Auskünfte in Kauf nehmen. Aber die wachsende Sehnsucht kämpfte die aufkommende Resignation nieder. Nein, sie würde gab nicht auf, selbst auf die Gefahr hin nicht, dass es nie zu einem Wiedersehen kommen würde. Unwillkürlich dachte sie daran, dass ihr Sybill stets eine fürsorgliche Mutter gewesen war. Umso mehr zog es Maren jetzt zu der nunmehr fast Unbekannten.

Jörg. ihrem Ehemann, fiel sehr wohl auf, dass Maren etwas aufwühlte. Jedoch hätte er sie niemals mit Fragen bedrängt. Selbstverständlich wusste die junge Frau darum. Eben diese fehlende Dominanz hatte ihn damals ihr Herz erobern lassen. So war sie sich sicher, dass er geduldig abwarten würde, bis es ihr passend erschien, ihm zu eröffnen, was sie augenblicklich noch für sich behielt. Eben diese Rücksichtnahme gab ihr immer wieder aufs Neue jenes tiefe warme Gefühl für ihn ein.

Sybill hatte ebenfalls die Zeit genutzt. Sie wusste jetzt, dass Maren verheiratet war und noch immer in einer Stadt in der näheren Umgebung lebte. Im Internet entdeckte sie dann tatsächlich bei Facebook das betreffende Kontaktformular. Ihr Herz machte einen verräterischen Sprung und sie fühlte, wie sich die eisigen Fesseln der selbst verschuldeten Isolation bereits etwas lockern wollten. Indes verbat sie sich energisch den Anflug von Euphorie und hielt sich vor Augen, dass ihr sehnlicher Traum jederzeit wie eine Seifenblase zerplatzen konnte. Sehr viel wankelmütiger als Maren brachte sie es nicht fertig, jene Chance wirklich zu nutzen. Einige Male saß sie am Schreibtisch, starrte auf das Formular, hatte sich schon Worte der Begrüßung zurecht gelegt und klickte sich denn doch wieder aus.
´Soll ich wirklich die Erinnerung hoch kommen lassen, ein zweites Mal jenes Gedankenchaos ertragen, um letztendlich doch feststellen zu müssen, dass alles vergeblich war, dass mir eventuell nichts als Hass entgegen schlägt? Will ich das tatsächlich riskieren?`
Tief aufseufzend gab sie sich geschlagen:
´Es ist wohl besser, wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist!`

In Maren bohrten ähnliche Überlegungen. Aber im Gegensatz zu Sybill hatte sie familiären Rückhalt und vor allem Jörg an ihrer Seite. Falls sie der Versuch einer Annäherung zu viel Kraft kosten würde, durfte sie sich jederzeit zurückziehen.
´Er steht auf jeden Fall zu mir!`


Erster Versuch

Die Wochen zogen ins Land. Zu hemmend war noch die Unsicherheit auf beiden Seiten. Aber dann hielt Maren die Anspannung nicht länger aus, fahndete im Internet nach der ersehnten Nummer und erstarrte. Wenn sie sie jetzt wählte, würde sie vielleicht zum ersten Male nach vielen Jahren die Stimme der Mutter vernehmen. Sie bemühte sich, die wirbelnden Gedanken zu ordnen, aber gleichzeitig auch das übermäßige Sehnen zu bremsen, endlich die schwere seelische Last von sich werfen zu dürfen. Zu niederschmetternd wäre die Enttäuschung, falls die Mutter ihr eine Abfuhr erteilte. Selbst so kurz vor dem Ziel zögerte sie deshalb noch.´
Mich kann aber nur dieser Anruf weiter bringen!`
Zwar würde alles wie ein Film erneut vor ihr ablaufen, aber dies musste sie eben durchstehen. Während die Freitöne auf ihre Ohren einhämmerten, ging ihr durch den Kopf, dass es entweder große Freude oder auch einen nicht mehr rückgängig zu machenden Abschied zur Folge hätte. Es wurde ihr heiß und kalt. Mit feuchten Händen umklammerte sie den Hörer und wartete auf ein Lebenszeichen jener Frau, die ihre Mutter war und ihr doch damals den schlimmsten Schock ihrer Jugend zugefügt hatte.

Sybill starrte irritiert auf die fremde Nummer auf dem Display. Wieso wackelten ihr auf einmal die Beine? War es etwa die Telepathie des Blutes, die ihr eingab, dass diese Minuten zu den wichtigsten ihres Lebens zählen könnten?
´Weshalb denke ich denn ausgerechnet jetzt an Maren!??`
Auch sie zwang sich zur Disziplin. Viel eher hing am anderen Ende der Leitung ein Fremder, der sich verwählt hatte oder ein Vertreter, der sie bedrängen und ihr ein bestimmtes Produkt verkaufen wollte.
´Na, dem sag ich dann aber gründlich meine Meinung!`

Für Maren zogen sich diese wenigen, fast unerträglichen Sekunden des Wartens wie Minuten. Aber sie hielt tapfer durch. Nach dem fünften Freiton endlich meldete sich Sybill, sie sprach laut und deutlich. Zunächst antwortete ihr Stille, eine Stille der Hilflosigkeit, die dann von einem nur mühsam fast unterdrückten Schrei durchschnitten wurde. Mit nun heiserer Stimme flüsterte Sybill in den Apparat:
„Du? Maren?!!“
„Ja, Mama! Ich!!“
Beiden fehlte die Kraft, weiter zu reden.
„Mama? Ein anderes Mal, ja??!“
Maren vernahm noch ein gehauchtes Ja, danach klickte es, die Verbindung war unterbrochen.Doch Mutter und Tochter wünschten sich, dass das Stillschweigen hoffentlich für immer vorbei war. Irgendwann, wenn sie beide die Kraft dazu hätten ... Diese erste Kontaktaufnahme bedeutete vielleicht den Auftakt zur Erfüllung ihres Traumes. Aber es lag noch ein langer beschwerlicher Weg vor ihnen. Doch selbst, wenn sich alles als vergeblich erwiese, würden sie dieses erste Telefonat nie wieder vergessen!

 

Ende des Schweigens

Beide fühlten sich wie inTrance. Ohne sich von der Stelle zu rühren, bemühten sie sich, wieder zu sich selbst zu finden. Allein jetzt die Wendung, die ersten Worte zueinander, bewahrte sie davor, doch noch wegen der Wucht, mit der alles auf sie einstürmte, zusammen zu brechen. Ganz allmählich nur fanden die beiden Frauen in den Alltag zurück. Bis sie es wirklich verinnerlicht und erst recht, bis sie es auch verarbeitet hätten, was dieser Tag, jene knappe Minute vager Nähe wirklich für sie bedeuteten, würde bestimmt noch etwas dauern. Sie hatten es geschafft, die Mauer des Schweigens einzureißen. Es hatte sich eine Tür geöffnet …

Beide würden Zeit brauchen, um umzudenken. Und Sybill war klar, dass es jetzt an ihr lag, den zögerlichen Kontakt aufrecht zu erhalten.
´Ja, jetzt muss ich mich bei ihr melden!`
Maren hatte ja ein deutliches Zeichen gesetzt. Der damalige Hass war längst überwunden und ihre Tochter vermisste sie. Die Liebe zum Kind, die Sybill wegen des eigenen Seelenfriedens so weit als möglich verdrängt hatte, flammte hell auf und vertrieb nach und nach die jahrelange Finsternis in ihrem Herzen. Sie war dabei, das Schneckenhaus der Zurückgezogenheit, gewählt aus dem schwer sie belastenden Schuldbewusstsein, endlich zu verlassen. Jedoch würde es erst noch schwierig für sie sein, den aufwallenden Gefühlen vernünftiges Nachdenken folgen zu lassen.
´Nur wenige Tage? Oder vielleicht doch Monate? Oder gar Jahre?? - Nur das nicht!?`
Der schlimme Zwist hatte sie ja mehr Nervenkraft gekostet als sie zu beschreiben vermochte. Auch Maren gönnte sich Bedenkzeit.Trotz der Wunde, die Sybill ihr zugefügt hatte, stand sie ihr doch von allen Mitmenschen am nächsten. Und doch hatte es sie große Überwindung gekostet, sie überhaupt anzurufen. Sie hatte ihr verziehen, aber vergessen konnte sie das Vergangene nicht. Aber, während sie noch darüber nachdachte, sehnte sie sich bereits wieder nach ihrer Mutter. gleichzeitig, während sie diese Gedanken bewegten, sehnte sie sich bereits wieder nach ihrer Mutter ...

Immer wieder aufs Neue fochte Sybill innere Kämpfe aus. Statt ihren Freunden endlich alles zu gestehen, hielt sie weitgehend Abstand und igelte sich ein. Als dies über einen längeren Zeitraum so blieb, sorgten sich jene um sie und forschten nach dem Grund ihres veränderten Verhaltens.
„Lasst mich! Seid mir nicht bös. Es ist alles in Ordnung!`
Ihr Schuldbewusstsein dirigierte sie wie ein über ihr hängendes Damoklesschwert. Zum Glück aber bewiesen sich jene Freunde als wirkliche Freunde und bedrängten sie nicht weiter.
„Irgendwann wird Sybill es uns erklären!“
Sie durften sicher sein, dass es nicht etwa an ihnen lag, denn Sybill versicherte sie immer wieder mal ihrer Zuneigung. Mit der Rücksichtnahme halfen sie ihr sehr und sie beruhigte sich allmählich.

 

Ein weiteres Telefonat

Nach nur drei weiteren Wochen fühlte sie sich gestärkt genug, um sich bei Maren zu melden. Sie durfte sie ja jetzt jederzeit anrufen.
´Ob Maren bereits Mutter ist und ich also Omi??`
Es war ein Gedanke vorsichtiger Freude, es keimte die Hoffnung in ihr, Enkel zu haben und sie irgendwann kennenzulernen. Allerdings, so gestand sie sich ein, würden die Kleinen in ihr zunächst nur eine Fremde sehen. Genauso würde sie empfinden, dass noch keine seelische Bindung zwischen ihnen bestand. Sie hing sentimentalen Träumen nach und versuchte, sich die Kleinen vorzustellen, obwohl sie gar nicht wusste, ob es diese Kinder überhaupt gab.

In Stunden der Muße wälzte auch Maren Gedanken.
´Falls unser Kontakt lebhafter wird, dann stell ich ihr eines Tages meine Kinder vor! Leicht wird das für uns alle nicht werden. Besonders schwierig für mich selbst, aber auch für meine Mutter.` Jörg und den Kleinen wäre Sybill ja total fremd, aber eben doch als Mutter Marens Jörgs Schwiegermutter und für die Kinder die Mutter ihrer Mutter und also ihre Großmutter. Wie würde Jörg reagieren? Würden Sybill und er sich sympathisch sein? Und Jens und Mareike? Nun ja, Kinder wünschen sich ja eine Omi und würden recht schnell Zutrauen fassen. Es hinge allein von Sybill ab, wie rasch sie deren Herzen eroberte.

Nach wochenlangem Warten auf den Rückruf ihrer Mutter schlich sich in Marens Herzen Enttäuschung ein. Sie hatte so sehr darauf gehofft. Schaffte jene es denn doch nicht, gleich ihr den Graben des tiefen Zwistes zu überspringen? Hätte sie, Maren, es besser dabei belassen sollen, wie es gewesen war?
Eines Nachmittags klingelte das Telefon. Maren, die gerade mit ihren Kindern spielte, derweil sie auf den Anruf einer Freundin wartete, nahm gedankenverloren und ohne die Nummer auf dem Display zu registrieren, das Gespräch an. Völlig überrumpelt, so unerwartet die Stimme ihrer Mutter zu vernehmen, wusste sie trotz Anflugs von Freude nichts Rechtes zu sagen. Ein wenig gehemmt bemühte sich daraufhin Sybill, ein Gespräch in Gang zu bringe, worauf sie ein paar belanglose Worte wechselten. Dann allerdings stellte Sybill zögerlich erste Fragen:
„Wir verstehen uns nach wie vor super. Übrigens bist du zweifache Großmutter!“
Sybill riss sich sehr zusammen, damit Maren nicht etwa die übergroße Rührung mitbekommen sollte, die ihr diese Nachricht brachte. So schluckte sie nur ein paarmal kräftig. Genauer nachzufragen traute sie sich nicht. Es wäre eindeutig verfrüht gewesen. Mit einem einzigen falschen Wort hätte sie bestimmt das zarte Band der Zuwendung wieder zerrissen. Genauso beließ es auch ihreTochter bei eher Vordergründigem:
„Lebst du allein? Bist du in deinem Beruf zufrieden?“
Nach wenigen Minuten endete das freundlich unverbindliche Telefonat. Aber sie verabredeten, demnächst wieder miteinander zu telefonieren. An diesem Abend schliefen Mutter und Tochter mit frohen Gedanken und einer großen Hoffnung im Herzen ein. Vielleicht würde sich ja doch noch alles zum Guten wenden?

Wenige Wochen später gab sich Sybill einen Ruck und rief Maren an. Sie wunderte sich selber, wie viel gelassener sie es anging und dass auch ihre Hände nicht mehr zitterten wie damals. Aber sie durfte ja sicher sein, dass Maren es genauso wollte wie sie. Ihre Tochter freute sich sichtlich über dieses Lebenszeichen und die Unterhaltung verlief recht unverkrampft. In freundlichem Tonfall informierten sie sich gegenseitig über das Wichtigste aus den vergangenen Jahren.  Weil das Gespräch so nett verlief, traute sich Sybill, sich mal genauer nach den Kindern zu erkundigen. Sohn Jens, nun bereits acht Jahre alt, war genauso aufgeschlossen wie seine Mutter. Auch ähnelte er ihr wohl sehr. Dagegen glich die kleine Mareike, mit ihren sechs Jahren gerade in die Schule gekommen, eher ihrem Vater Jörg, der kein Beau, aber ein Mann mit sehr viel Ausstrahlung und Charme war. Beides hatte das Mädchen wohl geerbt. Auch gab es sich ebenso zurückhaltend wie er. Ihre Tochter beschrieb den Nachwuchs dermaßen lebhaft, dass Sybill die Beiden fast vor sich sah. Beinahe eine halbe Stunde redeten sie, klammerten aber dabei bewusst die sie nun bewegenden Gefühle aus. Mit einem höflichen ´Mach es gut!` verabschiedeten sie sich voneinander.

Aber sie wollten bald wieder miteinander sprechen ...

 

Hoffnung

´Wer von uns wird wohl irgendwann wirklich ein Treffen vorschlagen?`
Augenblicklich waren sie beide noch nicht dazu bereit. Es schien besser zu sein, sich öfters anzurufen und so die Entfremdung allmählich abzubauen. Sicherlich würde sich dann der richtige Zeitpunkt für ein Wiedersehen abzeichnen ...

Lange Wochen schwieg das Telefon. Doch passierte etwas Wesentliches: Maren weihte Jörg endlich ein und gab alles preis, was damals vorgefallen war, betonte dabei aber dabei ausdrücklich, welch eine fürsorgliche Mutter Sybill stets gewesen war. Dennoch fiel es Jörg, so, wie es Maren schon befürchtet hatte, extrem schwer, seine Vorurteile Sybill gegenüber niederzukämpfen. Während Maren ihm ihr Herz ausschüttete, galt sein Hauptgedanke der schlimmen Lebenslüge, deretwegen seine junge Frau ja einen schweren Schock erlitten hatte. Zudem war sie gezwungen gewesen, schon als Teenager ohne Mutter auszukommen. Marens fürsorglicher Vater stand seiner Tochter in jener besonders schweren Zeit stets helfend zur Seite, so dass diese Bürde etwas besser zu ertragen war. Auch mochten sich Marcus und Jörg auf Anhieb und verstanden sich nach wie vor prima.

Sybills Gedanken kreisten oft um die junge Familie, die ja zu ihr gehörte und ihr doch fast fremd war. Am liebsten hätte sie Maren um ein paar Fotos der Enkelkinder gebeten. Doch entschloss sie sich, abzuwarten, bis vielleicht Maren selber darauf zu sprechen käme. Oft seufzte Sybill laut vor sich hin. Alles erschien ihr noch so unwirklich: Damals der überraschende Anruf, danach das zweite Gespräch, in dem sie trotz erster Informationen eine gewisse Distanz empfunden hatte.
´Nein, ich muss dankbar sein, dass wir jetzt wieder Kontakt zueinander haben! Nach dem, was ich damals gemacht habe, darf ich nicht zu viel erwarten!`
Falls denn überhaupt, dann würde es lange dauern, bis jener tiefe Bruch vielleicht gekittet wäre. Aber sie ja hatte viel Wichtiges erfahren: Maren ging es gut und wie schön: Sie war Mutter zweier süßer Kinder! Und diese Kleinen waren Sybills Enkelkinder und würden es immer bleiben. Selbst dann, wenn es bis zu ihrer Volljährigkeit kein Treffen gäbe. Später dann würden Mareike und Jens sie bestimmt kennenlernen wollen und sei es auch nur, um sie wenigstens einmal gesehen zu haben. Wichtigste Voraussetzung dafür war allerdings, dass die lockere Verbindung zur Tochter nicht abriss.

 

Das Treffen

So vergingen die Monate. Eines Tages im Sommer meldete sich Maren erneut. Sybill schien dieses Gespräch etwas persönlicher gefärbt zu sein. Sie lachten sogar über Banalitäten und amüsierten sich gemeinsam über drollige Kinderstreiche. Doch auf einmal stockte die Unterhaltung. Nach einer kurzen Pause stellte dann Maren jene Frage, auf die ihre Mutter schon so sehnlich gewartet hatte.Tatsächlich schlug sie vor, ob sich Sybill vorstellen könne, dass sie sich mal sahen. Sybill zeigte deutlich ihre Freude darüber. Es würde sich ja beweisen, ob das auf beiden Seiten aufkommende Vertrauen demnächst einen intensiveren Austausch erlaubte. Beide waren jedenfalls jetzt bereit, einen wie auch immer gearteten Neuanfang zu wagen. Es verschaffte Mutter und Tochter große Erleichterung. Die Qual der Vergangenheit wäre ausgelöscht, Sybills Selbstvorwürfe verlören ihre grausame Macht über sie und Maren könnte Mareike und Jens offen von ihrer Großmutter erzählen, was auch deren Herz fröhlicher schlagen ließe. Ohne erst einen Moment zu zaudern, sagte Sybill froh zu. Als Treffpunkt wählten sie ein ruhiges Cafe im Grünen, in dem es recht leise zuging und sie in Ruhe miteinander reden könnten.

An dem besagten Tag waren beide Frauen, die ältere und auch die junge, ziemlich nervös. Das Wiedersehen konfrontierte sie ja nochmals mit der gesamten Tragik. Andererseits würde auch das zur Sprache kommen, was sie leider an Schönem in den jüngsten Jahren nicht miteinander geteilt hatten. Zusätzlich bewegte beide der flüchtige Gedanke daran, ob die Andere sich wohl sehr verändert hätte. Das letzte Zusammensein lag ja inzwischen zig Jahre zurück. Beide entschieden sich für ein dezentes Outfit, doch legte Sybill etwas Make -Up auf, damit Maren sehen sollte, dass sich die Mutter in ihrem neuen Leben wohl fühlte. Des frühen Nachmittags machten sie sich auf den Weg. Jeder weitere Meter bedeutete einen weiteren Schritt auf einander zu. Beide fühlten sich hilflos und trotzdem froh, als sie vor dem Cafe aufeinander trafen und sich scheu musterten. Sybill, die gereifte Frau und Maren, deren Kind. Lange schauten sie sich in die Augen, um im Blick der Anderen das zu finden, was von einer Mutter-Tochter-Zuneigung erzählen würde. Ja, im tiefsten Herzen gab es diese Liebe, doch zugedeckt von allem, was noch zwischen ihnen stand. Zweifelsohne dirigierte sie große Vorsicht, damit nicht etwa durch ein unbedachtes Wort, durch eine vorschnelle Geste eine neue schmerzende Kluft entstand. Genauso schreckten sie vor einer Berührung zurück, reichten sich noch nicht einmal zur Begrüßung die Hand.

Sie wählten einen Tisch am Fenster mit Ausblick über Wiesen und Felder bis hin zu einem kleinen Wald. Sonnenschein vergoldete die Landschaft und vermittelte Frohsinn und Leichtigkeit. Auch ihnen, die sich jetzt endlich gegenüber saßen und denn nicht so recht wussten, wie sie die Unterhaltung beginnen, was sie zunächst einmal klären sollten. Maren sprach erst einmal das schöne Wetter an und Sybill, aufatmend, dass ihre Tochter anscheinend die Gesprächsführung übernahm, ging auf dieses banale Thema nur zu gerne ein. Es bot einen nur minimalen Aufschub, aber ihnen war die extreme Anspannung anzusehen. Deshalb wechselte Maren dann erst einmal zu dem unverfänglichen Thema ´Kinder`, bevor es dann zur eigentlichen Aussprache kam. Wie die Tochter erhofft hatte, entkrampfte sich Sybill und so erzählte Maren und erzählte. Offen zeigte die junge Frau ihren Stolz auf Mareike und Jens. Sie schilderte einige Erlebnisse, über die Mutter und Tochter, genau wie zuvor am Telefon, gleichermaßen lachten. Aber jetzt nun war es ein Lachen, das ein wenig von wachsender Vertrautheit zeugte.

 

Fotos

Damit sich Sybill aber nicht, vielleicht gar erschrocken, für die Sekunden der gemeinsamen Fröhlichkeit den Mantel der Zurückhaltung gelüftet zu haben, sich erneut hinter ihrem seelischen Schutzwall verschanzen sollte, zog Maren plötzlich einige Fotos aus ihrer Handtasche.

„Die sind für Dich!“

Gerührt hielt Sybill diese Aufnahmen in den Händen. Als sie ihren sympathischen Schwiegersohn betrachtete und neben ihm die süßen Kleinen, die ihr alle Drei fröhlich entgegen zu lachen schienen, kämpfte sie sehr darum, nicht ein paar Freudentränen zu vergießen. Sie wollte auf keinen Fall, dass sich eine neuerlich beklommene Stimmung aufbaute, die ja dann Maren sehr belastet hätte. Als sie sich wieder gefangen hatte, schaute sie ihrer Tochter still in die Augen. Dann aber sprudelte es auf einmal aus ihr heraus:
„Maren, du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich mich über diese Bilder freue!“
Trotz allem, was noch unausgesprochen war, keimte in ihrem Inneren die Zuneigung einer Großmutter zu ihren Enkeln. Allein wegen dieser Fotos waren sie ihr schon sehr nah ...

Es war das erste Mal nach all den Jahren, dass Sybill mit Maren über ihre Gefühle sprach. Jetzt stiegen auch Maren Tränen in die Augen: So viele Jahre hatten sie verpasst. Wie schön hätte doch alles sein können, wenn nicht ... Sorgsam steckte Sybill die Fotos in die Tasche. Sie würde sie immer bei sich tragen. Die Freude darüber machte es ihr nun leichter, Maren endlich zu sagen, wie sehr sie ihr damaliges Verhalten bereute und wie sehr sie die nagende Sehnsucht nach ihrem Kind in all den Jahren gequält hätte.

 

Gedankenaustausch

Es kam zwar sehr überraschend für Maren, doch, anstatt Widerwillen gegen dieses Geständnis zu zeigen oder es gar schroff abzuweisen, hörte sie aufmerksam zu. Ja, es bewirkte etwas in ihrem Herzen: Als Sybill geendet hatte, gab sie selber preis, wie es ihr seelisch die Jahre ergangen war. Damals erst die grenzenlose Wut, darauf der Hass. Erst viel später schwächte jenes erbarmungslos wütende Gefühl ab. Mit eiserner Disziplin erreichte sie für sich augenscheinlich eine gewisse Gelassenheit, indem sie sich den Gedanken an ihre Mutter rigoros verbot. Sie führte ja längst ihr eigenes Leben … Erst, nach der Geburt der Kinder beschäftigte ie es ständig mehr.r Kinder machten ihr deutlich, wie schlimm das alles war. Schließlich war der Tag gekommen, an dem sie sich eingestand, dass auch sie ihre Mutter vermisste und sie hatte sich auf die Suche nach ihr gemacht.

Jetzt endlich konnte sie Jens und Mareike unbefangen über ihre Großmutter berichten. Die Beiden würden strahlen, denn nun hatten sie wie ihre Spielkameraden auch eine Omi und dann bestimmt schon von gemeinsamen Spielen träumen und davon, dass sie ihnen abends vor dem Schlafen gehen Geschichten vorlesen würde.

Auch Sybill sprach nun ganz offen über all ihre Empfindungen während der Jahre des Schweigens zwischen ihnen, aber genauso über das, was sie jetzt fühlte, seitdem sie diesen lockeren Kontakt zueinander aufgenommen hatten. Ja, ihr hatte ihre Tochter auch sehr gefehlt. Beide hatten das Gefühl, freier atmen zu können. Als aber Sybill in einer Gefühlsaufwallung die Hände ihrer Tochter streicheln wollte, zog diese sie beklommen zurück. Trotz der Aussprache, die ihnen beiden doch viel Gutes gebracht hatte, stand noch Fremdheit im Raum, deretwegen Maren nicht willens war, ihre Mutter mal kurz zu umarmen. Selbst dieses ehrliche Gespräch hatte die seelische Mauer zwischen Mutter und Tochter nicht ganz einreißen können. Sybill zuckte fast unmerklich zusammen. Es schmerzte sie, jene Reaktion der Tochter, aber sie machte sich hastig klar, dass es für Maren einen heftigen inneren Kampf bedeutete, sich ihr überhaupt zuzuwenden, dass diese noch Zeit brauchte, mehr als sie selber. Schnell gingen sie zu belangloseren Themen über, um der sich neu aufbauenden Verkrampfung die Strenge direkt wieder zu nehmen. Beim Abschied bewies Sybill viel Einfühlungsvermögen und versuchte gar nicht erst, ihre Tochter in den Arm zu nehmen. Sie hatte Marens Fingerzeig verstanden. Mit einem freundlichen´Mach es gut!` trennten sie sich und jede kehrte in ihr eigenes Leben zurück, Sybill mit dem wehmütigen Gedanken, dass es ihr vielleicht nie vergönnt sein würde, Maren im Kreise ihrer kleinen Familie zu erleben.

 

Omi

Daheim, als sie wieder allein war, bahnten sich die mühsam unterdrückten Tränen ihren Weg. Es war fast zu viel auf einmal gewesen, eine zu starke Selbstdisziplin und sogar die Freude darüber, dass sie die geliebte Tochter hatte sehen dürfen, vermochte den Schmerz, den ihr das Abschiednehmen bereitet hatte, nicht zu mildern. Zwar ging sie davon aus, dass ein lockerer Kontakt nun bestehen bliebe, aber dennoch schien es ihr sicher zu sein, dass es mehr an Intimität nie werden würde.

Um sich in diesem Schmerz nicht gänzlich zu verlieren, hielt sie sich zum wiederholten Male vor Augen, wie dankbar sie eigentlich sein musste, dass Maren ihr dermaßen entgegenkam. Ja, ihr sogar diese Fotos überlassen hatte, die sie für ihr weiteres Leben ständig bei sich tragen würde und die immerhin eine vage Verbindung auch zu den Enkeln bedeuteten. Betrachtete sie diese Bilder, stieg unwillkürlich eine Welle der Zuneigung in ihr hoch. Jenes Blitzen in den kindlichen Augen, jenes fröhliche Lachen, von dem sie sich einbildete, es gelte bereits ihr, ließ sie den Schmerz ertragen. Wenn sie sich vorstellte, diese Kleinen stünden strahlend vor ihr und würden´Omi` sagen, begann ihr Herz heftig zu klopfen. Die Sehnsucht danach wuchs, sie eines Tages tatsächlich in die Arme zu schließen und ihnen zärtlich zuflüstern zu dürfen, wie lieb sie sie habe und dass sie sie eigentlich damals, als sie sich nur hatte vorstellen können, wie schön es wäre, Großmutter zu sein, bereits genauso lieb gehabt hätte. An diesem Abend blieb sie noch lange wach und als sie denn doch, von den Aufregungen des Tages erschöpft, einschlummerte, lag ein frohes Lächeln auf ihrem Gesicht.

Nach diesem ersten Treffen wurden die Telefonate häufiger und Sybill war es vergönnt, wenigstens aus der Ferne Marens Leben ein wenig mitverfolgen zu können. Ja, sie erfuhr sogar über berufliche und private Sorgen und auch Freuden. Sybill ermahnte sich immer wieder, wie sehr sie dies zu schätzen habe, wie sehr sie für jede Kleinigkeit dankbar zu sein habe. Denn sie spürte, dass Maren sich bis zu einem gewissen Grade auf ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihr einließ und dass auch Jörg, nach dem, wie ihre Tochter so erzählte, sich wohl mehr und mehr auch auf positive Gedanken, was seine Schwiegermutter anging, einließ. Nur ihre Beziehung zueinander blieb erneut ein Tabuthema.Trotz der netten Gespräche setzte Maren deutlich eine Grenze, wie eine innere Schutzmauer, die sie wohl nie abreißen würde. Sybill respektierte Marens Entscheidung traurig, denn sie wollte nicht etwa alles aufs Spiel setzen, was sie bis jetzt mit Mühe gewonnen hatte. Dachte sie aber darüber nach, wie schön es wäre, wenn sie auch diese letzte Hürde würde nehmen dürfen, entrang sich ihr ein Seufzer und sie weinte leise. Aber: Mit welchem Recht durfte denn ausgerechnet sie sich im Selbstmitleid verlieren? Nein, sie hatte glücklich zu sein, dass Maren ihr überhaupt so weit entgegen kam. Die Zukunft würde zeigen, was werden würde ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An die Leser dieses Beitrages!

Ich habe die früheren Versionen dieser Erzählung
gelöscht, denn es ist eine neue, um einen zweiten
Teil erweiterte Version entstanden.

Augenblicklich arbeite ich daran, aus dieser
Erzählung einen Roman zu machen.

Über Kritik wäre ich sehr froh. Danke!

Gaby Schumacher, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Das Kind und "der liebe Gott" (kein religiöses Werk!) von Alina Jeremin (Trauriges / Verzweiflung)
Halb-so-schLimerick von Siegfried Fischer (Reiseberichte)

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