Heinz-Walter Hoetter

Die schöne Söldnerin ELLEN EIRIES

Draußen war es schon lange hell.

Mr. Morten Haskins, der alternde, wenig erfolgreiche Schriftsteller, wachte mit einem ziemlichen Brummschädel auf. Halb benommen langte er nach der Flasche Whisky vor sich auf dem Bett, bis ihm dämmerte, dass sie total geleert war.

„So ein verfluchter Mist…! War ich das? – Diese verdammten Ablieferungstermine gehen mir echt auf die Nerven. Ich glaube, dass ich langsam zu alt für diesen Quatsch werde“, murmelte Haskins mürrisch halblaut vor sich hin. Er hatte das Gefühl, dass seine Augenlider schwer wie Blei waren. Sein flüchtiger Blick glitt zum Schreibtisch hinüber, der direkt vor dem großen Schlafzimmerfenster stand. Die schweren Vorhänge waren zugezogen und ließen deshalb nur wenig Tageslicht durchdringen. Neben der Schreibmaschine war ein Haufen Papier aufgestapelt, von dessen oberstem Blatt ihm mit einer ironischen Anspielung das Wort „ENDE“ entgegen prangte.

Langsam kam die Erinnerung wieder, wenngleich auch nur für einige kurze Augenblicke, dass er bis tief in die Nacht hinein an seinem Manuskript gearbeitet hatte und danach, überschwemmt vom Gefühl der Erleichterung über seine Fertigstellung, ein Glas Whisky nach dem anderen in sich reingeschüttet haben muss. Irgendwann hat er dann wohl mit letzter Kraft das Bett aufgesucht und ist, halb bewusstlos von der Sauferei, darin sofort eingeschlafen.

Ein Blick auf die Uhr genügte, dass das vor mehr als acht oder neun Stunden passiert war. Haskins reckte seine steif gewordenen Glieder und lehnte sich in halb gebückter Haltung an das hölzerne Kopfteil seines Bettes. Ein unbestimmter Würgereflex kam in ihm hoch, den er nur mühsam unterdrücken konnte. Das ganze Zimmer war von seinen alkoholischen Ausdünstungen erfüllt, weil die Fenster geschlossen waren.

Dann erstarrte er.

Er rieb seine verschlafenen Augen, ob er auch richtig sähe: Vorne auf der Bettkante saß eine ganz in Schwarz gekleidete junge Frau in hohen glatt polierten Lederstiefeln, eng anliegender, körperbetonter Strumpfhose und seidenen Rollkragenpulli, die ihn mit lasziv übereinandergeschlagenen Beinen aufmerksam beobachtete.

Mr. Haskins überlegte intensiv. Seiner Erinnerung nach war er mehr als acht oder neun Stunden schlafend und allein in seiner Wohnung gewesen. Auch davor hatte er niemanden reingelassen. Seine Eingangstür war aus Sicherheitsgründen gleich mehrfach verriegelt. In dieser gefährlichen Wohngegend musste das sein.

Schlagartig war der Schriftsteller hellwach und alarmiert schaute er sich im Zimmer um. Er warf seinen Blick nach links und rechts über die Schultern, auf der Suche nach weiteren Eindringlingen. Doch niemand sonst, außer der schönen Frau in Schwarz, war im Raum.

Wie von der Tarantel gestochen sprang Mr. Haskins aus dem Bett, wobei er den Stuhl vor sich mit den nackten Füßen anstieß, der daraufhin nach hinten kippte und krachend auf den Boden knallte. Heftig fluchend schrie er vor Schmerzen laut auf, humpelte mit kleinen Sätzen rüber bis zur Kommode, wo er alle Schubladen von oben nach unten bis zum Anschlag aufriss.

„Irgendwo muss doch hier der Revolver sein“, zischte der Schriftsteller mit zusammengepressten Lippen und schon hatten seine zitternden Finger unter einem Stapel Socken die geladene Waffe ertastet, deren metallisch kühler Griff auf seine Berührung zu warten schien, um sich in seine Hand zu schmiegen. Noch nie hatte der alte Haskins ein Schießeisen auf einen anderen Menschen gerichtet. Mit schlotternden Armen zielte er damit auf den ungebetenen, weiblichen Gast.

„Wer zum Teufel noch mal sind Sie?“ krächzte er mit verzerrter Stimme aus Angst trockener Kehle. „Wie sind Sie hier in meine Wohnung gekommen? Los, antworten Sie mir!“

Die Frau legte den Kopf entspannt zur Seite und starrte Haskins danach ungerührt und unbeweglich in aller Ruhe an. Sie beobachtete verwundert sein Tun. Dann sagte sie mit sanfter Stimme: „Was soll das denn? Ich finde, dass ist ein ziemlich eigenartiger Empfang, den du hier veranstaltest. Meinst du nicht auch, mein lieber Morten?“

„Kommen Sie, kommen Sie…! Ich habe Sie etwas gefragt. Beantworten Sie meine Frage, junge Frau! Sofort!“

Die Frau in Schwarz zuckte die Schultern, wartete einen Moment und entgegnete ihm: „Tu nicht so unschuldig, Morten. Du hast mich gerufen und…, ja und hier bin ich, mein Guter.“

„Ich soll Sie gerufen haben? Das habe ich bestimmt nicht. Was soll der ganze Unfug?“

Die Schöne stand auf und bewegte sich geschmeidig wie eine schwarze Pantherin auf Mr. Haskins zu. Das Spiel ihrer Muskeln unter der eng anliegenden Kleidung verriet weder weiche Kurven noch scharfe Kanten. Ihr Blick traf den seinen, ohne auch nur einen Millimeter auszuweichen. Haskins traf dieser selbstsichere Blick bis ins Mark. Unsicher, fast willenlos, ließ er den Revolver etwas sinken.

„Sag mal Morten, welch verrücktes Spielchen treibst du eigentlich hier mit mir?“

Haskins begann zu stottern.

„D…d…, das wüsste ich auch gern von Ihnen, junge Frau! Kommen Sie bloß nicht näher. Bleiben Sie, wo Sie sind…!“

Der Gesichtsausdruck der schwarz gekleideten Schönheit veränderte sich. Sie runzelte nachdenklich die Stirn und fragte Mr. Haskins schließlich mit betont befremdlicher Stimme: „Erkennst Du mich denn wirklich nicht? Weist Du denn nicht mehr, wer ich bin?“

„Nein…! Ehrlich, ich kenne Sie nicht. Wirklich. Ich wüsste auch nicht woher.“

Die Frau schien plötzlich echt und ungekünstelt verwirrt zu sein, sodass der Schriftsteller sich dazu gedrängt sah, in seinen Erinnerungen nach dieser Schönheit mit den dunklen, katzenartigen Augen, der geraden Nase, dem schulterlangen, kastanienbraunen Haar und der betörend schönen Figur zu forschen. Umsonst. Er fand nicht einen einzigen vagen Hinweis, der auch nur annähernd auf diese Frau zutraf, obwohl Haskins als eingefleischter Junggeselle ein regelmäßiger Hurengänger war, dem viele schöne Frauen in seinem Leben begegnet sind. Diese jedoch nicht.

Etwas gefasster sagte Haskins schließlich: „Ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen. Ich kenne ja noch nicht einmal Ihren Namen.“

Sie machte plötzlich einen Schritt auf ihn zu, blieb aber sofort wieder wie angewurzelt stehen als Mr. Haskins die Pistole hochriss und sie fest auf ihre Brust richtete.

Die Frau schien auf einmal sehr traurig zu wirken.

„Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich aus deinen Erinnerungen gelöscht hast, Liebster. Ich kann und will es nicht glauben. Deine schönen blauen Augen verraten mir aber genau das Gegenteil. Du hast mich nicht vergessen. Sie sagen es mir ganz klar.“

„Was? Was ist mit meinen Augen? Was soll damit sein?“ erkundigte sich Mr. Haskins total verblüfft bei der vor ihm stehenden Frau.

„Ich sagte es doch schon. Es sind deine Augen. Sie sind noch immer stahlblau. Ich kenne sie genau. Niemand im ganzen Universum vermag es, selbst wenn er sein Gedächtnis verloren hat oder es bewusst ausschaltet, die darin enthaltene pigmentöse Bewunderung zu verheimlichen.“

Mr. Haskins fühlte sich plötzlich auf eigenartige Weise geschmeichelt. Die hingebungsvollen Worte des bildhübschen Weibes drückten eine tiefe Liebe zu ihm aus, wenngleich er nicht wusste warum sie das tat.

Ein Anflug von Lächeln kräuselte trotzdem seine Lippen.

„Ich denke mal, dass Sie meine Geschichten mehr als nur aufmerksam gelesen haben.“

„Welche Geschichten? Deine? Bist du jetzt ein Schriftsteller, Liebster?“ fragte sie ihn verdutzt.

„Ja natürlich, meine Geschichten und Erzählungen haben es Ihnen angetan. In ihnen wandte ich mehr als ein Dutzend mal diese Art der Erinnerungsverdrängung oder Gedächtnisausschaltung an. Das ich nicht gleich darauf gekommen bin.“

Mit einer hastigen Handbewegung wies der Schriftsteller auf das fertige Manuskript hin, das auf dem Schreibtisch vor seinem Fenster lag und aus einem losen Blätterstapel bestand.

„Ach du liebe Güte! Glaubst du tatsächlich, dass ich, anstatt die Wohnung auszurauben, während du deinen Rausch ausschläfst, deine neue Geschichte durchgelesen habe?" sagte die Schönheit lachend, wobei sie mit der rechten Handfläche ihren herrlich roten Mund vornehm verdeckte. Mit einem Schlag hielt sie jedoch inne und fuhr mit ungeschminktem Ernst fort: „Ich bin weder eine Diebin, noch habe ich deine Geschichten gelesen. Was soll der ganze Blödsinn?“

„Dann sagen Sie mir endlich, wer Sie sind!“ rief Haskins erregt.

„Ich bin die „Zeitrose“, die Raumschiffkommandantin „Lora-Lin von Shandolar“, die mutige Freiheitskämpferin „Blue Dynamite“ vom Planeten Mysterium I im Raumquadranten Alpha Centauri. Alles deine Geschöpfe, mein lieber Morten. Sie stammen alle von dir und jede lebt in ihrem eigenen Universum. Und ich? Gegenwärtig diene ich am Hofe des Lord Admirals der intergalaktischen Sternenflotte Malcom Quint als Söldnerin „Ellen Eiries“. Ist es das, was du hören wolltest?“

Der Schriftsteller Haskins schien für einen Moment lang ehr belustigt zu sein. Doch dann riss er sich wieder zusammen und fragte mit einem müden Lächeln: „Was soll das denn werden, wenn’s mal fertig ist? Verraten Sie mir endlich, wie Sie hier in meine Wohnung gekommen sind und was Sie von mir wollen.“

„Willst du das wirklich wissen? – Nun, der Lord Admiral Malcom Quint hielt gerade in seiner Residenz All-Vektoran auf dem Planeten Hooke One meine Abschiedsrede, als ich dich von weit entfernt rufen hörte. Ich wandte mich neugierig nach allen Seiten um und ging schließlich deiner Stimme entgegen. Je näher ich dieser kam, desto deutlicher hörte ich dich rufen. Der Lord Admiral und die anwesenden Ehrengäste sahen mit Entsetzen, wie sich plötzlich vor mir knisternd vor Energie eine Raumkrümmung auftat, die ich, wie magisch angezogen, passierte, um mich im nächsten Augenblick, nur eine Sekunde später, hier in deinem Zimmer wiederzufinden. Da du schliefst, beschloss ich,
dich auf keinen Fall zu wecken, sondern wartete geduldig darauf, so still und leise ich nur konnte, bis du von selbst aufwachtest. Was sollte ich auch anderes tun?“

Mr. Morten Haskins schüttelte verwirrt den Kopf. Er konnte nicht glauben, was ihm da zu Ohren kam.

Er fixierte die Frau jetzt mit skeptischen Blicken und fragte sich insgeheim, ob sie hier vielleicht nur eine verrückte Show abzog.

„Sagen Sie mir jetzt ganz ehrlich, welche Absichten verfolgen Sie eigentlich mit diesem ausgemachten Schwindel?“

„Was für ein Schwindel? Welche Absichten soll ich verfolgen? Ich verstehe nicht, was du von mir willst, Morten.“

„Zum Kuckuck noch mal! Jawohl, ausgemachter Schwindel! Sie denken doch wohl nicht im Ernst daran, dass ich auch nur einen Moment lang geglaubt habe, einer meiner erfundenen Gestalten hat es fertiggebracht, aus meinen Geschichten sozusagen „zu entsteigen“, um mir dann einen Erdenbesuch abzustatten. Ha, ha, ha! Das ich nicht lache…! Ich selbst habe die schöne Söldnerin „Ellen Eiries“ erfunden. Deshalb muss ich doch wohl auch am besten wissen, dass sie in Wirklichkeit nicht existiert.

„Bist du dir da so sicher? Sieh mich an! Bin ich nicht „wirklich“?

„Also mir langt es jetzt, Schätzchen! Ich bin Morten Haskins, der Science Fiction Autor und befinde mich auf der Erde des Jahres 2007. Ich kenne Sie nicht und weiß auch nicht, was Sie von mir wollen oder was Sie möglicherweise mit mir vorhaben.“

Die schöne Frau vor ihm senkte langsam das Gesicht. Sie schien sehr bestürzt zu sein.

„Wer hat dir das nur angetan?“ flüsterte sie traurig. „Wer hasst uns beide so sehr, dass sie in deinem Gehirn alle Erinnerungen an unser gemeinsames Leben auslöschen wollen?“

Wieder blickte sie Morten Haskins in die Augen. Tränen liefen über ihre leicht geröteten Wangen, als sie von tiefem Schmerz durchdrungen zu weinen anfing.

„Jetzt hören Sie aber mal auf zu heulen, Süße! Sie sind die perfekteste Schauspielerin, die mir je begegnet ist. Sie haben wirklich Talent, das kann ich Ihnen nicht absprechen.“

„Oh Morten, Liebster! Was tust du mir an? Bin ich hier in einem Irrenhaus?“

Ihre Blicke überflogen das Zimmer, als ob sie es zum ersten Mal richtig sähe.

„Man hat uns beide hier eingeschlossen. Gib es zu! Wir sind gefangen genommen worden. Wo sind wir hier eigentlich?“

Haskins wurde zornig. Schnaufend vor Wut sagte er: „Wir sind weder gefangen, noch befinden wir uns hier in einem Irrenhaus. Sie befinden sich in meiner schäbigen Mietwohnung in einem herunter gekommenen Außenbezirk von New York und diese Stadt liegt in den beschissenen USA, auf dem unbedeutenden Planeten Erde im Sonnensystem Sol irgendwo am Rande der Milchstraße…! Sind Sie jetzt zufrieden, Lady?“

„Was, wir sind auf der Erde, dem legendären Planeten der Menschheit? Ich dachte, dieser Planet existiert nicht mehr.“ Die Frau in Schwarz schien darüber sehr verblüfft zu sein, dass sie sich offenbar auf der Erde befand.

„Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Schätzchen! Jetzt hören Sie mal auf! Wollen Sie damit andeuten, dass ich nur jämmerlichen Mist verzapfe?“

Anstatt ihm zu antworten, blickte die junge Schönheit zum Fenster hinüber.

„Sind die Fenster durchsichtig?“ fragte sie.

„Wenn man die Vorhänge wegzieht, dann schon.“

„Darf ich mal raussehen?“

„Von mir aus. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber viel Aussicht werden Sie sowieso nicht haben.“

Sie zog die schmuddeligen Vorhänge beiseite und beugte sich vornüber, um durch die schmutzig trüben Scheiben nach draußen zu blicken. Man sah ihr an, dass sie über den Ausblick nachsann.

Nach einer Minute des Schweigens öffnete sie ihren Mund und fragte Haskins: „Bist du schon lange hier?“

„Ja, solange ich denken kann. Nein, nicht ganz. Ich bewohne dieses verkommene Apartment erst seit ungefähr fünf Jahren.“

Sie warf ihm einen seltsam nachdenklichen Blick über die Schulter zu und sagte dann: „Du hast schon an vielen Orten im Universum gelebt, aber noch nie auf der Erde.“

Haskins schüttelte verständnislos den Kopf.

„Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit sagen wollen. Wenn Sie meine Geschichten für wahr halten, dann ist das einzig und allein Ihre Sache. Ich halte das zwar für absolut verrückt, aber jeder kann tun und lassen was er will, auch Sie natürlich, meine Gnädigste. Andererseits: Wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen, um einer möglichen Anzeige meinerseits wegen Einbruchs zu entgehen… Na schön, ich bin nicht nachtragend und schon gar nicht ein Freund der Polizei. Dort drüben ist die Tür! Ich werde sie öffnen. Sehen Sie zu, dass Sie fortkommen!“

Die Schönheit stand immer noch am Fenster und schaute neugierig nach draußen.

Plötzlich drehte sie sich um und sah Haskins mit durchdringendem Blick an.

„Wir sollten einen Arzt aufsuchen, Morten“, sagte sie mit sanfter Stimme und fuhr fort: „Er wird dir bestimmt helfen können, Liebster! Er wird dich heilen! Ganz bestimmt!“

Mr. Haskins hob langsam wieder den Revolver, legte auf die Frau an und zuckte mit der Waffe mehrmals vor und zurück.

„Es reicht jetzt! Ein letztes Mal! Verschwinden Sie aus meiner Wohnung so lange der Geduldsfaden bei mir noch nicht gerissen ist. Ich habe große Lust dazu, Sie zu erschießen.“

Die schöne Frau schob mit der Rechten den Ärmel des Rollkragenpullis vom linken Handgelenk zurück und enthüllte im nächsten Moment einen breiten Metallring.

„Du brauchst dringend Hilfe! Lass mich dafür sorgen, dass du zu einem unserer Ärzte gebracht wirst. Ich rufe die örtliche Kommandantur an, um sie um Unterstützung zu bitten, Schatz.“

„Womit denn? Mit diesem Armring vielleicht? Was ist das für ein Ding? Ein Hypersender? Eine Zeitmaschine? Ein Transmitter? So was gibt es nur in Science Fiction Romanen. Die Wirklichkeit lässt solche technischen Hirngespinste gar nicht zu.“

„Es ist so was ähnliches. Warte ab, was passiert.“

„Ach was? Ein Armring mit magischen Kräften? Den Trick möchte ich gern erleben.“

Die Frau in Schwarz griff plötzlich an ihr Armband und drehte es ein paar Mal hin und her. Sie runzelte die Stirn, flüsterte mehrmals hintereinander ihren Namen wie eine Beschwörungsformel. Doch nichts geschah.

Verärgert umklammerte sie den breiten Metallring mit der rechten Hand.

„Wir müssen von einem Abschirmfeld umgeben sein. Es ist eine Falle.“

„Ihr Trick klappt wohl nicht, oder?“ fragte Haskins hämisch.

Die Frau sah nach oben zur Zimmerdecke und rief: „Was treibt ihr mit mir? Wer immer dort oben ist und mich beobachtet…, was soll das?“

Unwillkürlich folgte der Schriftsteller dem Blick der Frau nach oben an die Decke. Im selben Augenblick hatte die Schönheit den trennenden Zwischenraum überquert und ihre Arme um Haskins Brustkorb geschlungen. Mit eisernem Griff hielt sie sich an ihm fest, gerade so, als ob er ihr einziger rettender Strohhalm kurz vor dem Ertrinken wäre.

Dann schluchzte sie: „Morten, Liebster, ich will dich nicht verlieren. Ich liebe dich zu sehr.“

Mr. Haskins war wie zu einem Klotz erstarrt. Die Pistole fiel ihm aus der Hand. Polternd blieb sie auf dem Boden liegen. Die Frau drängte sich mit ihrem Körper an den seinen, ihr schönes kastanienbraunes Haar schmiegte sich weich an seine Wangen. Er war hingerissen von ihr. Sie roch unglaublich weiblich und für den Augenblick eines Herzschlages empfand der Schriftsteller, als wäre sie wirklich die leibhaftige Söldnerin „Ellen Eiries“ aus seinen Science Fiction Romanen. Sie war seine schöne Heldin in unzähligen interstellaren Abenteuern. Ihre roten Lippen waren jetzt ganz nah.

„Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen“, verlangte er leise zu wissen, weil sie ihn küssen wollte.

„Nichts weiter als meinen geliebten Morten“, flüsterte sie zärtlich.

Dann presste sie ihren Mund auf den seinen.

Sehr lange.

Ihr Kuss ließ Haskins nach eine Weile schwindelig werden. Es war schon lange her, dass eine weibliche Person ihn so innig und hingebungsvoll geküsst hatte. Er brachte es deshalb nicht fertig, die süße Berührung abzubrechen. Schließlich sorgte sie selbst dafür und löste sich von ihm, aber nur eine Handbreite.

„Hab’ ich doch gewusst. Den Kuss kenne ich“, hauchte sie voll erotischer Hingabe. Dann zog sie ihn wieder fest an sich und sank mit ihm spontan aufs Bett.

Beide entledigten sich im aufkommenden Liebesrausch stürmisch ihrer Kleidung und eine lange, schweigende Vereinigung begann.

Danach schlief Morten Haskins in ihren Armen ein. Er träumte einen altbekannten Traum: Er befand sich in einer anderen Welt und wanderte in Finsternis umher. Er rief um Hilfe. Irgendwo am fernen Horizont hörte er eine Frauenstimme, die ihm antwortete, doch je näher er auf diese Stimme zulief, er erreichte sie nicht. Dann sah er diese schöne Frau im Schein zweier Monde, wie sie ihm zuwinkte. Als er ebenfalls seine Arme hob, verschwand sie plötzlich. Er wachte auf.

Die Schönheit neben ihm, die sich als „Ellen Eiries“ ausgab, lag nackt und mit weit ausgestreckten Beinen an seiner Seite. Ihre dunklen Augen waren geöffnet. Sie beobachtete jede seiner Bewegung. Sie richtete sich auf und küsste ihn abermals wild und ungestüm.

Morten Haskins studierte ihre glatte, weiße Haut und ließ seinen Blick über ihre sanften Hüften und prallen Brüste gleiten. Er streichelte sie zärtlich mit den Fingerspitzen, zog sachte die Kurven ihres unglaublich schönen Körpers nach. Sein Ärger und seine Bedenken waren wie flüchtiges Gas verflogen. Er hatte das seltsame Gefühl, dass ihm diese Frau irgendwie vertraut und bekannt vor kam. Er liebte sie. Er fühlte sich dabei wie in einem Liebestraum.

Die weibliche Person, die sich „Ellen Eiries“ nannte, lehnte ihren Kopf spontan an seine beharrte Brust.

Sie begann zu sprechen, wobei sie ihm nachdenklich einen Finger an die Lippen legte.

„Morten“, sagte sie, „könnte es nicht sein, dass wir eine Reise durch Raum und Zeit gemacht haben? Ich versuche ja nur, eine Erklärung für dein Verhalten zu finden.“

Haskins lehnte sich etwas zurück und streichelte ihre Wangen.

„Ich weiß nicht, was du vorher gemacht hast“, eröffnete er ihr. „Ich jedenfalls habe mein ganzes Leben hier auf der Erde verbracht. Tatsächlich bin ich noch nicht einmal mehr als hundert Kilometer aus dieser verfluchten Stadt rausgekommen.“

„Aber Morten, erinnere dich! Du bist unzählige Lichtjahre von der Erde entfernt auf anderen Planeten gewesen und hast viele Sternensysteme besucht.“

„Ellen, ich sage dir nochmals…, nein! Das kann nicht sein. Ich wüsste ja sonst davon.“

„Liebling, du warst der Raumschiffkommandant eines gewaltigen Schlachtschiffes namens „Red Hot“ mit mehr als zehntausend Mann Besatzung und hast Kriege weit entfernt von diesem Sonnensystem, das du Sol nennst, geführt. Ich muss es doch wissen! Ich bin deine Frau!“

„Die Erde hat keine Raumschiffe dieser Größenordnung. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich hoffe zwar darauf, aber wenn es mal soweit sein wird, werde ich mit Sicherheit nicht mehr leben und auch nie ein solch gewaltiges Raumschiff kommandieren.“

„Ach Morten…!“

„Tut mir leid, Ellen. Aber können wir trotz allem dieses Spiel jetzt nicht beenden?“

Langsam, wie unter einer zentnerschweren Last, senkte sie abermals den Kopf. Ihre schönen Augen starrten ins Leere. Sie schien diesmal wirklich noch bestürzter zu sein, als beim ersten Mal und bedurfte offenbar des Trostes.

Haskins sehnte sich danach, sie in seine Arme zu nehmen, sie an sich zu pressen, um sie fest zu umschlingen. Aber er brachte es nicht fertig.

Plötzlich befiel ihn das schauderhafte Gefühl, dass er sie die ganze Zeit falsch eingeschätzt hatte. Es war kein Spiel, sondern eine echte Wahnvorstellung, eine gutgebaute Täuschung, die auf seine erfundene, literarische Gestalt basierte, die er das Leben geschenkt hatte. Die Angst kroch wie eine bösartige Giftspinne in ihm hoch, weil er glaubte, der Suff habe ihn mittlerweile schon um den Verstand gebracht. Er wähnte sich bereits im Delirium.

Während er nachdachte, schaute sie ihn an.

„Morten“, sagte sie, „was genau ist es, worüber du schreibst?“

Er lächelte über ihre Frage.

„Nun ja, ich schreibe mal über mich, mal über andere oder erfinde einfach irgendwelche Geschichten, die in der Zukunft spielen. Science Fiction sagt man heute dazu.“

Gedankenvoll blickte sie ihn wieder an, nachdem sie kurz weggeschaut hatte.

„Nein, Morten, nicht Science Fiction. Ich existiere wirklich. Wir beide liegen in diesem Zimmer und haben uns noch vor wenigen Minuten geliebt und körperlich vereinigt. Ich bin genauso real wie du. Ich denke mal, dass du mit der Zukunft irgendwie auf unerklärliche Art und Weise über unglaublich weite Distanzen in Verbindung treten kannst. Du holtest mich hierher – also kannst du mich auch wieder zurückschicken.“

„Wie bitte? Ich soll dich zurückschicken? Aber wohin?“

Sie schmiegte sich wieder an ihn und küsste ihn zärtlich auf die Wange. Sein Arm schlüpfte um ihre Taille, passte sich ihr an, als wäre er dafür geformt.

„Das finden wir schon irgendwie heraus, Liebster. Versteh mich bitte: Ich muss wieder zurück und ich werde dich mitnehmen.“

Eng umschlungen legte sie sich auf ihn und liebte ihn ein zweites Mal voller Hingabe.

Haskins schloss die Augen und genoss die Nähe und das Innere ihres Körpers.

Dann wachte er wieder auf. Sie saß noch immer nackt auf ihm.

„Morten, ich kann hier nicht bleiben“, sagte sie mit leiser Stimme zu ihm. „Wenn ich bleibe, könnte ich niemals mehr die Schönheit der Sterne aus nächster Nähe sehen. Es ist ein großartiges Erlebnis, wenn man eine Galaxie aus dem Panoramafenster eines gewaltigen Schlachtschiffes betrachten kann. Du musst das Tor wieder öffnen und eine Raumkrümmung erzeugen!“

Haskins griff nach ihrer Schulter und fasste sie hart an.

„Es gibt kein Tor, Ellen. Es hat niemals eins gegeben. Ich kann auch keine Raumkrümmung erzeugen. Wie soll ich das können? Ich erfinde diese Dinge nur in meinen Science Fiction Romanen. Weiter nichts.“

Sie starrte ihn an.

„Doch Liebster, du kannst es. Du musst dich nur intensiv darum bemühen. Du musst es von ganzem Herzen wünschen, dass du und ich gehen. Dein Wille allein hält dich und mich in dieser Dimension gefangen, wo wir beide eigentlich nicht hingehören.“

Unter diesem beschwörenden Blick fielen seine Hände von ihr ab. Sie erhob sich von ihm und stellte sich breitbeinig vor das Bett.

„Du möchtest also unbedingt, dass es dein Wunsch ist, mich hier zu behalten“, erklärte sie ruhig. Sie ging plötzlich in einem weiten Bogen um das Bett herum und durchquerte in zwei großen Sätzen das Zimmer. Bevor Morten Haskins überhaupt begriff, was sie beabsichtigte, hatte sie auch schon den auf dem Boden liegenden Revolver in beide Hände genommen, wirbelte um die eigene Achse und zielte mit der Waffe auf ihn. Haskins streckte schützend beide Arme von sich, als wolle er den tödlichen Schuss abwehren.

Dann schrie er heiser: „Ellen, mach’ keine Dummheiten!“

„Liebling, ich will nicht auf der Erde bleiben. Wir werden einen Weg aus dieser Welt finden, um von hier weg zu kommen. So versteh’ mich doch!“

Haskins war verzweifelt.

„Das glaube ich dir ohne weiteres, Schatz. Aber nicht so. Du wirst mich umbringen. Ich will nicht sterben, bitte!“

Beherrscht wies sie mit dem Lauf des Revolvers auf ihn.

„Morten, du bist es, der uns beide hier gefangen hält. Dein Wunsch und dein Wille sind es, die uns hier an diesem Ort binden. Wenn du ablehnst, beides aufzugeben, bleibt mir keine andere Wahl, als diesen, deinen Willen zu brechen. Auch deinen Wunsch kann ich nicht in Erfüllung gehen lassen. Ich werde beides verhindern.“

Der Schriftsteller wähnte sich in einem Albtraum. Er fand keine Zeit mehr, seinem grenzenlosen Entsetzen durch einen Schrei Ausdruck zu verleihen, als mit einem blendenden Lichtblitz das Projektil den stählernen Lauf der Pistole verließ und klatschend in seine Brust einschlug. Noch während sich Morten Haskins im Todeskampf aufzurichten versuchte, hörte er einen zweiten Schuss und sah mit gebrochenem Blick, wie Ellen nach vorne aufs Bett fiel und sich langsam aufzulösen begann. Sie verschwand einfach vor seinen Augen wie ein durchsichtiges Gespenst.

Dann löste sich alles um ihn herum auf. Die gesamte Umgebung verschwand im Nichts, noch bevor ihn Finsternis umhüllte.

***

Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt in einer anderen Galaxie.

„Morten kommt wieder zu sich, Ellen“, sagte der Arzt des Operationsteams. „Wir hätten ihn beinahe verloren. Er war zwar schwer verletzt, aber er wird wieder völlig gesund werden. Der Kerl hat ein Riesenglück gehabt, dass er die verheerende Explosion seines Schlachtschiffes in der Rettungskapsel überhaupt überlebt hat. Fast alle seine Männer sind tot. Ein großer Verlust für die intergalaktische Flotte, aber sie wird es verkraften. Dein Mann hat trotzdem den Krieg gegen die Xeraner für sich entscheiden können, indem er vorher den von ihnen benutzten Zeitsprungkorridor rechtzeitig mit Antimaterieminen unpassierbar gemacht hat. Die Xeraner sind mit ihrer gesamten Raumkampfflotte in diese Falle getapst und vernichtet worden. Du kannst froh darüber sein, dass du dich zur gleichen Zeit beim Lord Admiral Malcom Quint auf Hooke One befunden hast. Vielleicht wärst du jetzt tot, wenn du zusammen mit ihm an diesem Kampf gegen die Xeraner teilgenommen hättest.“

Die schöne schlanke Frau im schwarzen, eng anliegenden Raumanzug lehnte sich liebevoll über ihren Mann und küsste ihn auf seine zitternden Lippen, als er gerade die Augen wieder aufschlug. Verschwommen erkannte Morten Haskins, der etwas in die Jahre gekommene Raumschiffkommandant des zerstörten Großraumkampfschiffes „Red Hot“ seine hübsche junge Frau.

Matt streckte er seine beiden Arme nach ihr aus und fragte sie flüsternd: „Ellen, wo bin ich?“

„Bei mir…, in Sicherheit, Liebster.“

„Ellen Eiries“ streichelte ihren Mann über die schweißnasse Stirn und legte ihren rechten Zeigefinger vorsichtig auf seinen leicht geöffneten Mund.

„Schsch…, du musst dich schonen, mein Schatz. Man hat dir einen Zellgenerator eingepflanzt, der deine schweren Verletzungen schneller ausheilen wird. Ich werde auf jeden Fall bei dir bleiben, bis du wieder völlig genesen bist.“

Morten sah seine Frau Ellen zufrieden an.

„Ach Ellen, was würde ich ohne dich machen? Wenn ich wieder auf den Beinen bin, werde ich dir von meinem seltsamen Traum erzählen müssen, der mir so real vorkam, wie dieser Augenblick mit dir jetzt. – Stell dir vor, ich war irgend so ein alter Science Fiction Romanschreiber auf einem Planeten, den man Erde nennt oder so ähnlich. Und weist du, was das Seltsame an diesem Traum war? Du hast mich dort auf diesem Planeten besucht und…“

„Ich weiß, ich weiß, Morten“, unterbrach ihn seine Frau. „Aber Träume sind Schäume und haben nichts zu bedeuten. Die Schwester wird gleich kommen und den Zellgenerator auf halbe Leistung stellen, damit du in Ruhe einschlafen kannst. Ich werde solange bei dir bleiben und mich in deiner Nähe aufhalten.“

Als die Krankenschwester in das Zimmer kam und ans Bett des verletzten Raumschiffkommandanten trat, hatte dieser bereits seine Augen wieder geschlossen, immer noch die Hand seiner schönen jungen Frau, der ehemaligen Söldnerin „Ellen Eiries“, fest umschlossen haltend.


ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.03.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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