Wenn Ines wach wurde, meistens schon sehr früh, wartete sie, bis sie die Toilettenspülung hörte. Dann wusste sie, dass ihr Mann ebenfalls nicht mehr schlief. Sie schlüpfte aus dem Bett, tappte barfuss durch den Flur in Julians Schlafzimmer und kroch zu ihm unter die Bettdecke. Seit vielen Jahren schliefen sie in getrennten Zimmern, auf diese morgendliche Begrüssung mochten sie beide nicht verzichten. Schlaftrunken kuschelte Ines sich an ihn, an seinen warmen schlanken Körper. Er legte seine linke Hand auf ihren Bauch, jeden Morgen. Es dauerte nie lange, bis das Zittern begann, jeden Morgen. Seine Hand auf ihrem Bauch begann zu zittern wie Espenlaub. Sie hoffte, dass das Zittern mal ausbleiben würde, vergeblich. Die Medikamente wirkten in der Regel zuverlässig, erreichten aber nie seine linke Hand. Die lag dann zitternd und bebend wie ein aus dem Nest gefallener Vogel auf ihrem Bauch. Und wie jeden Morgen war sie versucht, die Hand festzuhalten, um das Zittern zu verscheuchen, den armen Vogel zu streicheln, bis das Zittern aufhörte. Ihre Gedanken nahmen dann immer die gleichen Wege, malten sich in Sekundenbruchteilen die gleichen Horrorszenarien aus, Szenarien, die die Zukunft bereithalten würde. „Stopp!“ rief Ines sich dann energisch zu. „Stopp!“ – „Wie war deine Nacht?“, fragte sie und holte sich damit zurück in die Gegenwart Die Antworten fielen unterschiedlich aus. „Gar nicht so schlecht“ oder „Ganz passabel“ waren seltene, aber gute Aussagen, um den Tag positiv zu beginnen.
Dieser Text ist meinem Buch "Ines - Facetten einer Fantasie-Figur" entnommen, das ich im letzten Jahr unter dem Pseudonym Meta Augustiny veröffentlicht habe. Ich wollte den Text eigentlich bei der neuen Kategorie 'Parkinson' einstellen, wusste aber nicht, wie ich vorgehen sollte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.04.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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