Heinz-Walter Hoetter

Die Invasion der Formwandler

 

Mr. Peter Logan stand am geöffneten Wohnzimmerfenster und schaute vom ersten Stock hinunter auf die belebte Straße direkt vor seinem Haus. Den ganzen Tag über hatte die Sonne ihr energiereiches Licht erbarmungslos von einem wolkenlosen, azurblauen Himmel auf die weite Landschaft geworfen und dabei die Luft unerträglich aufgeheizt. Daran musste sich Logan erst noch gewöhnen. Hitze vertrug er nicht so gut. Endlich wurde es aber langsam kühler, denn ein leichter Wind kam auf.

Es war bereits später Nachmittag geworden und am fernen Horizont braute sich eine dunkle, bedrohlich aussehende Wolkendecke zusammen, die schnell näher kam. Ein Gewitter kündigte sich offenbar an.

Der Wind wurde plötzlich heftiger, was Mr. Logan dazu veranlasste, vorsichtshalber das geöffnete Fenster zu schließen. Noch einmal blickte er runter auf die Straße und beobachtete dabei eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die gerade im Begriff war, die stark frequentierte Straße zu überqueren. Er kannte diese junge Frau, doch er hielt seine eigenen Gedanken aus Sicherheitsgründen zurück. Die blonde Schönheit machte immer wieder unruhig ein paar Schritte auf und ab und beobachte dabei den vorbei fließenden Verkehr. Irgendwie erkannte sie offenbar eine Lücke zwischen den vorbei rollenden Fahrzeugen, denn sie rannte plötzlich los und überquerte die Straße wie eine geschmeidige Katze. Auf der anderen Straßenseite drehte sie sich zielstrebig nach rechts herum und marschierte in eine nah gelegene Unterführung, die zur S-Bahn führte. Offenbar kannte sich die junge Lady in den Straßenschluchten dieser quirligen Millionenstadt gut aus.

Als Mr. Logan gerade das schwere Rollo seines großen Wohnzimmerfensters runter lassen wollte, sah er noch ein letztes Mal hinab auf die Straße und erblickte genau an der Stelle, wo die junge Frau vorher gestanden hatte, einen blinkenden Gegenstand. Möglicherweise lag da etwas, was ihr wohl aus der Umhängetasche gefallen war, ohne es selbst bemerkt zu haben.

Wie auch immer. Mr. Logan musste sofort handeln, denn es stand auch für ihn viel auf dem Spiel. Er ließ den breiten Gurt des schweren Kunststoffrollos abrupt los, ging hinüber in den Flur, warf sich die Lederjacke über die Schulter und beeilte sich, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. Er machte sich Sorgen, dass jemand anders den Gegenstand finden und mitnehmen könnte. Bis zur Straße waren es allerdings nur wenige Meter. Keine zwei Minuten später stand Mr. Logan dann auch vor seinem Fund und hob ihn erleichtert auf. Er kam gerade noch rechtzeitig, denn eine Gruppe von flippigen Schülern näherte sich ebenfalls dieser Stelle, wo die junge Frau ihr Smartphone an der verkehrsreichen Straße verloren hatte.

Mittlerweile verschlechterte sich das Wetter immer mehr. Plötzlich fing es an zu regnen und ein heftiges Gewitter setzte schlagartig ein. Blitze zuckten vom Himmel und Mr. Logan beeilte sich, den sicheren Eingang seines Haus zu erreichen.

Dann geschah das völlig Unerwartete.

Kurz bevor er die Steintreppe hochgehen wollte, krachte plötzlich ein Blitz keine zehn Meter neben ihn in den knorrigen Stamm eines an der Straße stehenden Baumes. Der sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitende Strom des gleißend hellen Blitzes erfasste schließlich auch den Körper von Mr. Logan, der vor Schreck wie erstarrt mit nassen Schuhen im prasselnden Regen stand. Im nächsten Augenblick wurde er von der Wucht des Stromschlages zu Boden geschleudert und blieb direkt vor den steinernen Stufen des Treppenhauses regungslos liegen. Logan spürte, wie sein Herz verrückt spielte. Es machte den Anschein, als wolle es seine Brust zerreißen. Mit all seiner Gedankenkraft hielt er es trotzdem unter Kontrolle, bis es sich endlich beruhigt hatte. Trotzdem fühlte er sich nicht gut. Auf einmal griff ihm jemand unter die Arme, hob ihn vorsichtig hoch und brachte ihn in sein Haus zurück. Dann verlor Mr. Logan das Bewusstsein.

***

Aus der Ferne hörte Mr. Peter Logan das brummende Geräusch eines laufenden Motors, das nach und nach immer lauter wurde. War er nur eingenickt? Als er wieder voll bei Sinnen war, blickte er sich nach allen Seiten um. Er saß in einem Shuttlebus zusammen mit seinen Kollegen der A-Schicht. Die Fahrt ging zu den riesigen Frachthallen des Raumflughafens, wo er vor einige Jahren Arbeit gefunden hatte.

Die ganze Fahrt dauerte etwas mehr als fünfzehn Minuten. Dann hielt der Bus an, und die seitlichen Türen gingen auf. Die Passagiere stiegen einer nach dem anderen aus und strebten ihren zugeteilten Sektoren auf dem weitläufigen Gelände zu.

Am fernen Horizont ragten gewaltige Raumschiffe in den morgendlichen Himmel, die zur intergalaktischen Streitmacht des Planeten Stargate Triggi gehörten. Das ganze Gelände war als militärischer Sicherheitsbereich gekennzeichnet. Kein ziviler Mitarbeiter aus den Frachthallen durfte diesen militärischen Sperrbezirk betreten, es sei denn, er war ein registrierter Angehöriger des Militärs.

***

Peter Logan war erst vor wenigen Monaten 28 Jahre alt geworden und fit wie ein Turnschuh. Deshalb hatte er sich auch vor einem Jahr für die mobile Infanterie beworben. Er wollte einfach nur raus aus den Frachthallen und am Krieg gegen die Formwandler teilnehmen, die wie aus dem Nichts kommend die besiedelten Planeten des Menschen einen nach dem anderen angegriffen und einige von ihnen sogar schon erobert hatten.

Der junge Mann meldete sich nach der Ankunft auf seiner Arbeitsebene unverzüglich bei seinem Abteilungsleiter, der ihn jedoch überraschender Weise zu sich ins Büro beorderte. Als Logan den Raum betrat, bot ihm sein Chef mit einer freundlichen Handbewegung sofort einen Platz an, stellte sich dann feierlich hinter seinen wuchtigen Schreibtisch und kam ohne Umschweife zur Sache.

„Ich habe heute eine ganz besondere Nachricht für Sie, Logan. Das Oberkommando der intergalaktischen Streitkräfte hat sie als Soldat akzeptiert. Ihre Bewerbung wurde angenommen. Ich stelle Sie hiermit frei von der Arbeit für die Zeit Ihres Einsatzes beim Militär. Hier sind übrigens alle notwendigen Papiere. Sie können sich einen Elektrobuggy nehmen und gleich damit rüber in den militärischen Sperrbezirk fahren. Nehmen Sie alle Unterlagen mit, die ich Ihnen jetzt überreichen werde. Stecken Sie sich den elektronischen Ausweis gut sichtbar an die rechte Brusttasche, damit man Ihre persönlichen Daten überall einwandfrei und problemlos scannen kann. Ich wünsche Ihnen jetzt noch eine erfolgreiche Zeit beim Militär, Peter Logan. Ich habe großen Respekt vor diesem Schritt, den Sie für sich und uns alle vollzogen haben. Sie kämpfen für die Zukunft der gesamten Menschheit. Machen Sie es gut, Logan! Ich hoffe, wir sehen uns wieder, mein Junge.“

„Das hoffe ich doch sehr, Mr. Salzmann. Ich denke aber, dass ich beim Militär bleiben werde, egal was kommt. Der Job ist zwar gefährlich, aber ich wollte schon immer Soldat werden. Machen Sie es ebenfalls gut. Grüßen Sie meine Kollegen von mir, Mr. Salzmann!“

Der Abteilungsleiter nickte nur stumm mit dem Kopf, dann verließ Logan sein Büro.

***

Draußen schien die Sonne, als der jungen Mann mit flinken Schritten in den bereit stehenden Elektrobuggy stieg, hinter dem Steuerknüppel Platz nahm und in Richtung des Flugfeldes fuhr, wo die gewaltigen Kampfschiffe des intergalaktischen Oberkommandos in einer langen Reihe nebeneinander standen. Es waren gigantische, furchterregende Raumschiffe, die auf Logan den Eindruck machten, als wären sie schwarze Ungeheuer, welche nur darauf warteten, alles zu vernichten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Schon bald erreichte er den ersten Kontrollpunkt. Logan zeigte seine Papiere vor. Man scannte gewissenhaft seinen Ausweis und schließlich wurde er in einen kleinen Hangar geleitet. Dort warteten schon einige Androiden auf ihn, die ihm Uniform und Stiefel überreichten. Ohne Hast zog sich der junge Mann an. Das knallrote Abzeichen der mobilen Infanterie vom 18. Regiment wurde ihm mittels eines Lasers unter anderem auch auf die Brust gebrannt. Schmerzen empfand Logan dabei nicht. Dann marschierte er mit den anderen jungen Soldaten zusammen im Gleichschritt über das riesige Flugfeld zu den wartenden Raumschiffen, wo sie wie die Ameisen hintereinander in den weit geöffneten Einstiegsluken verschwanden.

Drinnen bekam jeder Soldat eine Tarnkleidung, Schutzhelm und eine Menge Munition für den bevorstehenden Einsatz. Jedem wurde ein ganz bestimmter Platz zugeordnet. Kurz vor dem Start der monströsen Kampfschiffe bekamen alle Soldaten den Befehl zum Anschnallen. Dann drang das dumpfe Dröhnen der gewaltigen Antimaterie-Triebwerke zu ihnen durch. Die stählernen Andockklammern lösten sich mit knirschendem Geräusch und die Sternenschiffe hoben nacheinander wie in Zeitlupe ab. Jetzt gab es auch für Peter Logan kein Zurück mehr.

Irgendwie war er sogar froh darüber, denn seine geheime Mission hatte bis hier hin reibungslos geklappt.

***

Die Antimaterie-Triebwerke wurden immer lauter, bis sie plötzlich einen gewaltigen Schub erzeugten und die riesenhaften Kolosse mit einem Schlag schneller und schneller werden ließen. Wie gigantische Raubvögel schossen sie in den Himmel hinaus in die Unendlichkeit des Alls, wo der Feind auf sie wartete. Die starken G-Kräfte ließen den Puls der meisten Soldaten nach oben schnellen. Einige Soldaten schrien sogar begeistert „Jippiajee!“

Nach dem letzten Hypersprung wurde jedem Kämpfer eine Waffe ausgehändigt. Zum ersten Mal in seinem Leben hielt Peter Logan eine dieser gefährlichen Strahlenwaffen in seinen Händen, mit der er bereits im 3D-Kampfsimulator als Illusionsobjekt fleißig nach Feierabend trainiert hatte. Dieses Ding war aber echt und höchst effizient im Kampf. Seine Magazine waren bereits aufgefüllt worden. Dazu bekam jeder noch acht Handgranaten vom Typ A6, die genug Sprengkraft besaßen, um einen Panzer zu knacken. Peter Logan wusste allerdings nicht, ob die Formwandler überhaupt Panzer oder andere Fahrzeuge mitführten. Er wollte aber deswegen seinen unmittelbaren Vorgesetzten nicht danach fragen, um nicht aufzufallen, denn wer zu viele Fragen stellte, könnte sich verdächtig machen. Also ließ er es lieber. Er würde es sowieso bald erfahren.

Auf einmal dröhnte eine laute männliche Stimme aus irgendwelchen Lautsprechern, die man nicht sehen konnte.

„Alle mal zuhören, Männer! Hier spricht Major Arthur Vanderbird. Ihr alle seid die neuen Helden der Menschheit. Bevor ihr diese ekelhaften Formwandler vernichten werdet, dürft ihr niemandem vertrauen. Noch nicht einmal den eigenen Kameraden. So haben wir es euch in der Ausbildung beigebracht. Diese Mistdinger von Formwandler haben unsere Galaxie und unsere Planeten überfallen und etliche unserer Außenposten bereits eingenommen. Viele Menschen sind dabei umgekommen. Doch wir holen uns jetzt alles zurück von ihnen. Seid auf der Hut vor diesen Bastarden. Verliert auf keinen Fall eure Waffen. Sprengt euch vorher lieber in die Luft, wenn sie eure Gestalt annehmen wollen. Wir setzen euch bald auf den nächsten Planeten ab. Er heißt Amorian I. Die Kolonie bestand einst aus etwa 10 Millionen Menschen, die bereits zu einem größten Teil von Formwandlern entweder getötet oder übernommen worden sind. Kennt also keine Gnade mit ihnen! Tötet jeden, den ihr vor eure Knarre bekommt. Wir werden Amorian I in weniger als fünf Stunden erreicht haben. Ihr werdet mit Transportern auf die Oberfläche des Planeten abgesetzt. Die Sternenkreuzer bleiben aus Sicherheitsgründen im Orbit zurück und sichern den Planeten. Sobald euer Auftrag erfüllt worden ist, holen wir euch von da unten wieder ab. Jeder von euch kennt den vereinbarten Sammelpunkt. Kehrt dorthin zurück, Soldaten! Wer zu spät kommt, der wird zurück gelassen und muss sehen, wie er damit fertig wird. Alles muss äußerst schnell gehen, bevor das Hauptquartier der Formwandler Verstärkung schickt. Habt ihr das verstanden, Männer?“

„Jawohl Herr Major!“ schrien die Soldaten wie mit einer Stimme zurück.

„Macht sie also verdammt noch mal fertig! Gebt diesen verfluchten Formwandlern Saures!“ schallte es aus den Lautsprechern zurück. Dann wurden sie abgeschaltet und eine seltsame Stille trat danach in den Laderäumen der Kampfschiffe ein.

***

Der ganze verfluchte Planet Amorian I schien nur aus Wüste zu bestehen, jedenfalls dort, wo man den Soldaten Logan abgesetzt hatte. Er war mit dem Gesicht im Sand gelandet, als die Formwandler damit begonnen hatten, auf ihn und seine Kameraden zu schießen. Überall schlugen ihre peitschenden Geschosse ein.

Nun sind wir auf uns allein gestellt, dachte Logan so für sich. Er hob seinen Kopf ein wenig und konnte gerade noch erkennen, wie das Landungsboot wieder abhob und steil in den wolkenlosen Himmel schoss. Seine Kameraden um ihn herum wagten nicht, sich zu bewegen.

„Was ist los mit euch, ihr feigen Drecksäcke? Der Feind braucht etwa 30 Sekunden zum Nachladen. In dieser Zeit ruhen seine Geschütze. Wir nutzen diese Pause, um vorzudringen. Auf, auf, Männer! - Los geht's!“ schrie plötzlich Logans Offizier und trieb seine Leute nach vorne.

Logan stand auf und rannte mit den anderen zusammen auf die feindliche Stellung zu. Bald hatten sie die Vorderfront eines hohen, klobigen Betongebäudes erreicht. Die Eingänge bestanden aus stählernen Toren. Jedes von ihnen war verriegelt und musste erst mühsam aufgesprengt werden. So leise wie möglich drangen die ersten Soldaten in den hässlichen Betonklotz ein, immer ihre gefährlichen Laserwerfer im Anschlag. Auch der Soldat Logan ging vorsichtig mit. Hin und wieder blieb er stehen und lauschte in die fahle Dunkelheit hinein. Immer weiter drangen sie vor und sicherten ein Stockwerk nach dem anderen.

In der Obersten Etage erreichte Logan einen Raum mit Datenschränken, die im Abstand von einigen Metern dort wie Dominosteine nebeneinander gereiht aufgestellt worden waren. Er hatte sich anscheinend zu weit vorgewagt. Seine Kameraden waren noch ein Stockwerk weiter unter ihm. Also blieb er stehen und wartete ab. Etwa sechs Meter vor Logan fiel etwas laut krachend zu Boden. Er wagte nicht, nach den anderen Kameraden zu rufen, was möglicherweise seine Position verraten hätte. Der Gegner konnte überall sein. Vorsichtig und ganz leise aktivierte Logan den Ziellaser seiner Blasters und ein roter, dünner Strahl durchdrang kurz danach die Dunkelheit des schier endlosen Raumes hier oben.

Auf einmal huschte etwas kurz durch das Ziellicht. Logan konnte nicht so schnell erkennen, was es war. Wieder hörte er ein Geräusch aus der Dunkelheit, diesmal war es ganz dicht vor ihm. Instinktiv schoss Logan blitzschnell in die undurchdringliche Schwärze hinein und zwar genau in die Richtung, von wo aus das Geräusch zu hören war. Die fürchterliche Energie seiner Strahlenwaffe brüllte auf, traf einige der Ungetüme von Schränken, die sich augenblicklich in glühende Metallreste verwandelten. Die ganze Halle schien nach dem Beschuss auf einmal lichterloh zu brennen. Der fackelnde Feuerschein erhellte die Umgebung um ihn herum. Dann schrie jemand vor Schmerzen laut auf und ein qualmender Körper kroch auf Logan zu. Der Soldat ging auf den Verletzen zu. Dann erblickte er seinen Kameraden, der blutend vor ihm am Boden zusammen gebrochen war. Sein Kopf lag jetzt kraftlos auf der Seite. Er war ebenfalls vom 18. Regiment. Genau konnte das Logan aber nicht sagen.

„Wie konntest Du das nur tun, Mann? Du hast auf einen Kameraden geschossen. Wir sind doch vom gleichen Regiment. Bring' mich so schnell wie möglich zum Sammelpunkt, am besten jetzt gleich! Wenn Du das nicht machst, werde ich sterben. Jeder verletzte Soldat muss zum Sammelpunkt gebracht werden. Wie heißt Du überhaupt, Kamerad?“

„Mein Name ist Peter Logan. Ich bin vom 18. Regiment und das erste Mal dabei. Und wie ist Dein Name?“

„Ich bin Unteroffizier Buck Amagan. Du müsstest mich doch kennen – oder? Ach was, lassen wir das! Hilf mir lieber hoch und bring' mich zurück! Ich brauche dringend einen Sanitäter. Ich blute stark aus einer klaffenden Wunde am Oberarm. Vielleicht solltest Du sie provisorisch abbinden, Soldat.“

„Geht klar, Buck. Ich habe allerdings kein Verbandsmaterial dabei. Aber jeder Unteroffizier trägt so eine Erste-Hilfe-Tasche mit sich herum. Wo ist Deine?“

„Was sagst Du da? Ach so. Äh, ich muss meine wohl verloren haben. Ich habe mich sofort hinter die Datenschränke geworfen, als Du auf mich geschossen hast.“

„Dann werde ich die Tasche an der besagten Stelle suchen. Sie besteht aus feuerfestem Material und müsste deshalb noch intakt sein. Ich brauche das Verbandsmaterial, um die Wunde abzuklemmen. Du wirst sonst verbluten. Wo ist übrigens Deine Laserwaffe?“

„Die habe ich wohl ebenfalls verloren. Ich sagte ja schon, dass Du auf mich geschossen hast. In meiner Panik ist mir alles abhanden gekommen. Ich bin froh, dass ich noch lebe.“

„Man verliert seine Waffe nicht einfach so, besonders als Unteroffizier nicht. Jeder Mannschaftsführer sollte in dieser Hinsicht als gutes Beispiel vorangehen. Na ja, wie auch immer. Du warst ziemlich leichtsinnig, Buck. Warte hier auf mich. Ich bin gleich wieder da. Bleibt ruhig liegen! Ich suche jetzt nach der Tasche mit dem Verbandsmaterial.“

Der Soldat Logan ging los. Überall brannte noch das Feuer vom vernichtenden Beschuss seines Lasergewehres. Die gesamte Umgebung war in ein rötlich flackerndes Licht getaucht. Deshalb konnte man so gut wie fast jedes Detail erkennen.

Nach etwa zehn oder fünfzehn Meter sah er etwas hinter einem umgekippten Schrank liegen. Für Logan war es ein Schock, als er einen seiner Kameraden erblickte. Er lebte noch und hielt eine Granate in der rechten Hand. Beim näheren Hinsehen sah er in das blutige Gesicht des Soldaten, der aus einer benachbarten Kampfeinheit stammte. Der angebliche Unteroffizier hatte das gleiche Gesicht. Einen Moment lang dachte Logan nach. Dann lief ihm ein Schauer über den Rücken. Der Kerl von vorhin musste ein Formwandler sein, der die Gestalt eines seiner sterbenden Kameraden angenommen hatte. Logan riss sich zusammen und beugte sich über das Gesicht des schwer verletzten Soldaten, der ihm etwas sagen wollte. Seine Stimme klang leise, aber Logan konnte ihn gut verstehen.

„Ich habe die Granate entsichert. Hau ab, bevor ich sie scharf mache. Ich will nicht, dass Du mit drauf gehst. Verschwinde von hier, ich lasse gleich den Sicherungshebel los, Kamerad. Ich werde so oder so sterben. Also sieh' zu, dass du diesen Bastard von Formwandler erwischt und tötest. Tu es für mich...!“

Logan stand auf und verließ unverzüglich den sterbenden Kämpfer. Als er weit genug weg war, gab es auf einmal eine heftige Explosion, die das Ende des Soldaten ein für allemal besiegelte. Man wird wohl nur noch einige Körperteile von ihm finden. Logan empfand trotzdem kein Mitleid, denn er durfte seine Mission nicht in Gefahr bringen. Sie war viel zu wichtig, um überhaupt Mitgefühl für das Sterben von Kreaturen zu empfinden.

***

Einige Zeit später.

„Ich habe nichts gefunden. Die Erste-Hilfe-Tasche ist nicht mehr auffindbar. Ich kann die Armwunde auch mit einem Gürtel abklemmen. Gib' mir Deinen! Du musst doch auch einen haben“, sagte Logan zum Unteroffizier Amagan.

„Den habe ich auch nicht mehr. Nimm doch was anderes. Außerdem habe ich ein schlechtes Gedächtnis. Woher soll ich denn wissen, wo die Sachen herum liegen. Hilf mir lieber, das ich nicht sterbe. Bringe mich unverzüglich zum Sammelpunkt!“

„Was, Du hast auch keinen Gürtel? Das glaube ich Dir nicht. Ich denke, Du bist ein Formwandler, genauso wie ich. Aber ich werde Dich erschießen müssen, um den anrückenden menschlichen Soldaten zu zeigen, dass ich einer von ihnen bin. Ich darf meine menschliche Tarnung nicht aufgeben. Der Rat der Formwandler hat mich dazu autorisiert, jeden von unserer Rasse zu erschießen, wenn er die Mission in Gefahr bringt. Früher oder später wird man die menschlichen Überreste des Soldaten hier oben finden, den Du umgebracht hast. Die Menschen lassen keinen von ihnen zurück, auch wenn er schon eine Leiche ist. Deshalb bist du ein Mann zu viel in unserem Raumschiff. Man wird dich früher oder später identifizieren. Ich muss Dich also erschießen. Ich tue das wirklich nicht gerne, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Wenn ich Dich nicht erschieße, bringst du unsere geheime Mission in Gefahr. Unser Plan ist nämlich, die Menschheit auf der Erde mit Formwandler zu infiltrieren. Durch Dich könnte er auffliegen. Das kann ich auf gar keinen Fall zulassen.“

Der vermeintliche menschliche Unteroffizier verzog plötzlich sein Gesicht, das sich nach und nach in eine verzerrte Grimasse veränderte. Er war tatsächlich ein Formwandler. Plötzlich schrie dieser los: „Warum ich? Du willst tatsächlich einen Formwandler töten, wo Du doch selbst einer bist? Ich könnte auch verschwinden. Bitte lass' mich laufen! Ich will nicht sterben, jedenfalls nicht so.“

„Es muss für unsere Rasse sein. Die Menschen sind stark und unerbittliche Kämpfer. Sie töten uns alle. Wir können sie mit unseren Waffen auf Dauer nicht aufhalten. Deshalb haben wir die Taktik geändert. Wir infiltrieren sie nach und nach, indem wir sie täuschen. Das ist der einzige Weg, um sie besiegen zu können. Fliegt diese Täuschung auch nur irgendwie auf, wird unsere Rasse am Ende von den Menschen besiegt werden. Du bist dummerweise einer zu viel. Du hast Pech gehabt. Du hättest das mit Deinem Vorgesetzten absprechen müssen. Hast Du haber nicht. Deshalb muss ich Dich jetzt gleich erschießen, bevor die anderen es heraus finden. Tut mir leid, aber es muss sein. Ich muss zur Erde zurück, wo die anderen auf mich warten. Wir werden immer mehr. Irgendwann gehört uns der Planet Erde. Dann ist die Menschheit besiegt.“

Der Soldat Logan hob den schweren Blaster, zielte damit auf den am Boden sitzenden Unteroffizier, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dann schoss er und verglühte mit dem heißen Laserstrahl aus seiner Waffe den gesamten Körper des Formwandlers, der sich noch im Tod in seine ursprüngliche Gestalt zurück verwandeln wollte. Aber es war zu spät. Nicht ein einziger Fetzen blieb von ihm übrig, nur schwarzer Staub, der noch ein wenig glühte und sich überall auf dem kalten Betonfußboden verteilte.

Auf einmal traf eine Rakete das Gebäude, sodass die ganze Konstruktion zitterte und bebte. Dann brach die gesamte Außenwand weg. Eine Gruppe von Soldaten des 18. Regimentes stürmte herein und klopften den Soldaten Logan auf die Schulter, als sie sahen, dass er im Alleingang einen Formwandler getötet hatte. Sie waren von Logan tief beeindruckt.

„Wir haben diese Dreckskerle alle hier auf dem Planeten Amorian I besiegt. Wir verbrennen jetzt sofort ihre Leichen und gehen danach zum Sammelpunkt zurück. In genau drei Stunden kommen die Transporter zurück, um uns abzuholen. Bringen wir es hinter uns, Männer! Dann geht es ab nach Hause zur Mutter Erde“, sagte ein Offizier mit sichtlichem Stolz.

Der Soldat Logan sammelte mit seinen Kameraden zusammen alle getöteten Formwandler ein, die man schließlich zu einer Sammelstelle brachte, wo man sie in einen Plasma-Konverter warf. Dort wurden ihre Leiber zu Asche verdampft. Es müssen mehrere Tausende von ihnen gewesen sein, die auf diese Art und Weise endeten. In seinem Innern überkam dem Formwandlern Logan ein abgrundtiefer Hass auf die gesamte Menschheit, als er mit ansehen musste, was sie mit seinen getöteten Artgenossen machten. Aber er konnte nichts dagegen tun. Er musste auf jeden Fall zur Erde zurück, wo die Infiltration der menschlichen Rasse im vollen Gange war. Früher oder später würden sie die fürchterliche Rache der Formwandler zu spüren bekommen, auch wenn es bis dahin noch lange dauern würde.

***

Als Mr. Logan wieder aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte, lag er auf dem Bett seines Schlafzimmers. Eine hübsche Frau mit langen blonden Haaren stand neben ihm und blickte ihn vorwurfsvoll an.

„Du musst noch viel lernen über diesen Planeten, den die Menschen Erde nennen. Überall lauern Gefahren, die wir berücksichtigen müssen. Bei einem Gewitter geht man schließlich nicht einfach so in nassen Hausschuhen draußen im Regen spazieren. Der Blitz hätte dich beinahe umgebracht. Wäre wirklich ein seltener Zufall gewesen, dass ein Formwandler durch einen Blitzeinschlag umkommt. Tja, so etwas kann man nie voraus sehen. Du hast übrigens von einem Deiner Einsätze geträumt. Ich konnte einen Teil davon noch per Gedankenübertragung mit bekommen. Interessantes Erlebnis, muss ich schon sagen. Ein echtes Abenteuer, wie die Menschen sagen würden, Logan. Danke übrigens für mein Smartphone, dass ich beim Überqueren der Straße verloren habe. Dass ich das nicht bemerkt habe? Eigentlich wollte ich Dich noch eine Weile in Ruhe lassen. Aber die Sache eilt. Morgen werden wir uns heimlich in unserem Versteck treffen und eine Lagebesprechung abhalten. Dabei werden wir neue Unternehmungen planen, ob und wie wir neue Formwandler auf die Erde schleusen können. An Deiner Stelle würde ich mich jetzt ausruhen, damit Du bis zu unserem Treffen wieder fit bist. Also Logan, richte Dich unbedingt nach meinen Anweisungen. Ich gehöre zum Rat der Formwandler und halte Kontakt zur obersten Ebene unserer Rasse. Meine Worte sind auch hier auf der Erde Gesetz. Wenn Du Deine Arbeit gut machst, wird man Dich dich sicherlich bald befördern. So, jetzt muss ich aber gehen. Ich habe noch einige Dinge zu erledigen. Bis dann, Logan.“

Als die blonde Frau seine Wohnung wieder verlassen hatte, stieg Mr. Peter Logan aus seinem Bett, ging schnell hinüber ans große Wohnzimmerfenster und schaute vom ersten Stock hinunter auf die belebte Straße, die direkt vor seinem Haus vorbei führte. Dabei beobachtete er die junge hübsche Frau mit den langen blonden Haaren, die gerade im Begriff war, die stark frequentierte Straße zu überqueren. Plötzlich drehte sie sich zu ihm herum und hielt ihr Smartphone demonstrativ in die Höhe. Per Gedankenübertragung bedankte sich die junge Formwandlerin noch einmal dafür, dass er das Gerät so schnell geborgen und in Sicherheit gebracht hatte. Nicht auszudenken, wenn es einem Menschen in die Hände gefallen wäre. Sie lächelte dabei, überquerte wie eine geschmeidige Katze die Straße und verschwand in einer Unterführung, die zu einer nah gelegenen S-Bahnstation führte.

Der Formwandler Logan lächelte zurück und warf der jungen Frau mit dem wallenden blonden Haaren in Gedanken noch einen netten Gruß zu, den sie dankend erwiderte.

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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