Enno Ahrens

Jenseitig


Auf dem Friedhof stehen die Namen der Toten, in Steintafeln gemeißelt bezeichnen sie die Personen, die mit ihrem Ableben ihre Existenz verloren haben. Von denen befindet sich nur ein Häuflein Asche unterirdisch oder ein verwesender Überrest. Eine Formation von Lebensbäumchen bildet die Trennungslinie zu den Lebenden in der Stadt. Wie Wächter der Toten muten sie an. Aber in Wirklichkeit beherbergen sie nur Namensschilder. Das ist mir heute bei meiner Exkursion klargeworden, in dem Moment, als ich den Friedhof verlassen hatte und an den Häusern in der Stadt vorbeiging, die Namen sah, die gleichen wie auf dem Friedhof, neben den Klingelknöpfen, von Angehörigen, in deren Herzhöhlen die Toten begraben sind, lebend. Die Gräber auf dem Friedhof bleiben leer. Denn als Personen können sich die Toten nur in lebenden Gehirnen aufhalten. Friedhöfe macht diese Einsicht überflüssig. Ich begebe mich sofort, zuhause angekommen, an meinen Schreibtisch und verfasse einen letzten Wunsch hinsichtlich meines Beerdigungsfalles:

Schatzi, sollte ich vor Dir sterben, lass es nicht zu, dass 
mein Leichnam auf dem Friedhof bestattet und damit quasi 
den Würmern zum Fraße vorgeworfen wird. So böse darfst 
Du nicht sein, und vielleicht noch einen Stein aufzustellen
mit jener Aufschrift „Hier ruht …“ Nein, Schatzi, so zynisch 
bist Du nicht.

Lass Dir aus meiner Asche einen Diamanten anfertigen und 
in einen goldenen Ring einfassen. Und wenn Du nach ungefähr
zwanzig Jahren einen neuen Kerl kennenlernst, nimm bitte den 
Ring ab, bevor ihr ins Bettchen steigt.

Für immer Dein.

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