Heinz-Walter Hoetter

Majong der Zeitzauberer

Als Majong die Schwelle seines achtzigsten Lebensjahres überschritten hatte, träumte er mehr als in jüngeren Jahren.

 

Seine Träume waren eigentlich nichts anderes als Erinnerungen an sein vergangenes Leben. Majongs Kindheit war zwar nicht immer leicht aber dennoch schön gewesen, die er als einziger Sohn eines armen Bauernehepaares weit draußen auf dem Lande verbracht hatte.

 

Oft dachte er an die endlosen Spaziergänge in den ausgedehnten Wäldern und weiten Wiesenlandschaften seiner schönen Heimat, wo es für ihn als Junge fast jeden Tag immer wieder etwas Neues zu entdecken gab.

 

All das aber lag schon sehr, sehr weit zurück.

 

Majong hatte Visionen von kleinen Bächen mit kristallklarem Wasser, die, halb verdeckt hinter hohen, rauschenden Bäumen und dichtem Gebüsch, zwischen Moos bewachsenem Felsgestein und mit zartem Tau benetzten Grashalmen, quirlig dahinplätscherten.

 

Es waren schöne Träume von Lichtstrahlen der Morgensonne, wie sie durch den treibenden Frühnebel ihren Weg zum dampfenden Boden suchten und, wenn es der Zufall so wollte, auf ein kleines Rehkitz trafen, das im hohen Gras verborgen still und ruhig auf seine Mutter wartete. Eine Unzahl von Vögel zwitscherten laut durcheinander ihre lustigen Liedchen. Bunte Schmetterlinge flatterten aufgeregt überall herum. All das strömte in Majongs Seele ein und erfüllte seinen alternden Geist mit wunderschönen Augenblicken tiefen Glücks.

 

Die Erinnerungen waren nicht selten so stark, dass Majong den Geruch von Nebel und Tannennadeln, von feuchtem Moos und würzigem Humus oder saftigem Gras sogar mit seiner Nase riechen konnte. Dann zogen wieder und wieder Erinnerungsfetzen vor seinem inneren Auge vorbei, Bilder, mit einem warmen, atmenden Goldton überhaucht, als wären sie aus einem Märchen aus längst vergangener Zeit.

 

Still war es in dem kleinen Haus am Rande der Ruinenstadt, wo Majong am zerborstenen Küchenfenster saß und mit traurigem Blick hinausschaute. Überall war es still, bis an den fernen Horizont, wo dunkle Wolken düster vorbeizogen. Es war ein Horizont der Hoffnungslosigkeit, der keine Zukunft mehr hatte.

 

Auch die Uhren waren stehen geblieben, vom Rost schon längst zerfressen, ihre Federn hangen sinnlos aus dem Uhrenkasten und die Zifferblätter waren angesengt vom atomaren Feuer.

 

Das Schweigen der Uhren ängstige Majong noch mehr als die Stille. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass es gar keine Zeit mehr gab und wenn es keine Zeit gab, gab es auch keine Zukunft mehr für die Menschheit, die von der Tyrannei ihrer eigenen Unvernunft besiegt worden ist und in der Apokalypse hunderter aufsteigender Atombombenexplosionen untergegangen war, alles Leben mit sich reißend.

 

Den fürchterlichen Atomkrieg hatte Majong nicht aufhalten können, dazu war seine geheimnisvolle Macht, die in ihm schlummerte, nicht geschaffen worden. Aber er konnte etwas anderes. Und das wollte er jetzt tun. Er öffnete sich seiner Bestimmung.

 

Plötzlich zuckte Majongs Kopf herum. Er suchte mit seinen Augen das Ziffernblatt der hölzernen Standuhr in seinem Zimmer, die stumm in einer Ecke stand. Sein seltsamer Blick konzentrierte sich auf das Uhrenpendel, das wie von Geisterhand mit einmal begann, sich hin und her zu bewegen. Erst langsam, dann immer schneller und schneller.

 

Majong schloss die Augen. Die Zeiger rasten dahin, drehten sich im irrwitzigen Tempo rückwärts, bald nur noch rasend und als huschender Schatten zu erkennen, bis die ganze Umgebung in einem gewaltigen Zeitstrudel verschwand.

 

Um Majong herum begannen die Veränderungen zu wirken. Alles entstand neu und verging ebenso schnell wieder. Je weiter er in die Vergangenheit vordrang, desto näher kam er dem Anfang von Raum und Zeit und jener Sekunde, als das Leben auf dem Planeten Erde entstand.

 

Erst hier machte Majong, der Zeitzauberer, halt und öffnete seine müde gewordenen Augen wieder. Die geheimnisvollen Kräfte in ihm waren verbraucht. Mehr tot als lebendig lag sein erschöpfter Körper am Boden, aber trotzdem war Majong glücklich und zufrieden als er sah, wie durch ihn das Leben eine neue Zukunft bekommen hatte.

 

Bevor er starb, wurde der Samen für einen neuen Majong gelegt. Tief schlummernd in den Geheimnissen des ewigen Seins.

 

Hoch droben am blauen Himmel leuchtete eine junge Sonne feurig wie ein roter Apfel und ihre warmen Strahlen streichelten zärtlich den toten Körper des alten Zeitzauberers Majong, der langsam zu Staub zerfiel und dort, wo er einmal lag, schien der Boden grün wie Moos geworden zu sein.


Ende
 

(c)Heinz-Walter Hoetter
 


 


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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