Monika Litschko

Dein Licht

Es war ein angenehmer Frühlingstag, den ich nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, sondern für mich nutzen. Mein Mann hatte sich angeboten, mit unseren Kindern in den Zoo zu fahren, damit ich mal so richtig ausspannen konnte. Lena und Jonas waren hellauf begeistert und ich liebäugelte, als sie fort waren, gleich mit der Bügelwäsche.
„Nein, Anja, du nutzt den Tag. Warum gehst du nicht in den Park? Setzt dich auf eine Bank und genießt die Sonne? Bügeln kannst du immer noch.“
Also zog ich meine Jacke über und schlenderte zu unserem beschaulichen Stadtpark, der schon gut besucht war. Das Wetter zog die Menschen nach draußen. Kinder liefen lachend an mir vorbei oder tummelten sich auf Spielgeräten. Ich grüßte hin und wieder bekannte Gesichter und sah mich nach einer Bank um. Ah, an dem kleinen Weiher war noch eine Bank frei. Instinktiv ging ich schneller, denn ich sah ein junges Pärchen, dass aus dem Nichts aufgetaucht war, welches wohl den gleichen Gedanken hatte. Irgendwann rannte ich fast und nahm die Bank in Beschlag. Natürlich war Platz genug für drei Personen, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass die größte Bank zu klein war, wenn man alleine sein wollte. Man brauchte keine weiteren Personen, die einem beim Küssen zusahen. Ich hatte mir ein Taschenbuch mitgenommen, in dem ich lesen wollte. Die Tote am See. Irgendwie stand ich auf Krimis, aber sie mussten auch eine gewisse Spannung haben. Aber bevor ich zu lesen anfing, lehnte ich mich zurück und ließ mich von den warmen Strahlen der Sonne berieseln. Ihre Wärme tat gut und belebte mein Innerstes.

„Oh, heute bin ich nicht alleine!“
Ich öffnete die Augen und blinzelte. Eine alte Dame setzte sich gerade und sah mich freundlich an.
„Ich sitze jeden Tag hier, aber meistens habe ich diese Bank für mich. Nichts für ungut, ich will damit nicht sagen, dass es meine Bank ist. Sind Sie auch öfters hier?“
„Nein, bin ich nicht. Das heißt, wenn es richtig warm ist, komme ich mit den Kindern hierher. Aber wir nehmen dann eine Decke mit, auf die wir uns setzen. Wenn ich Sie störe, dann suche ich mir ein anderes Plätzchen.“
Die alte Dame sah mich schon fast entsetzt an und schüttelte den Kopf.
„Unterstehen Sie sich. Ich bin doch froh über etwas Gesellschaft. Auf dieser Bank haben schon viele gesessen. Ich meine, neben mir. Aber sie waren auch schnell wieder weg und kamen nie wieder. Aber einige blieben auch. Ich glaube, ich rede zu viel. Und die, die gingen, glaubten, ich rede nur Unsinn.“

Ein bisschen mulmig wurde mir schon, von dem was sie sagte und ich tippte auf eine einsetzende Altersdemenz. Wollte ich mir das wirklich antun? Aber sie tat mir irgendwie auch leid. Und mal ehrlich, warum sollte ich ihr nicht zuhören? Vielleicht war sie einsam und niemand kümmerte sich um sie. Ich betrachtete sie näher. Sie war klein und etwas pummelig. Hatte eine leicht getönte Haut und schneeweißes Haar. Das Besondere an ihr waren die Augen. Sie funkelten klar und wissend. Nur die Farbe ihrer Augen konnte ich nicht definieren, denn sie hatten für mich einen silbernen Touch.

„Ich heiße Anja“, sagte ich und hielt ihr die Hand hin.
„Anna – Maria“, antwortete sie und griff nach meiner Hand. „Schön, dass ich Sie noch kennenlernen darf.“
„Noch?“
„Ich bin über achtzig, da weiß man nie, ob man morgens wieder wach wird.“
Ich musste lachen. Aber Anna – Maria hatte recht mit dieser Einstellung. Über achtzig, das war schon eine Hausnummer. Das musste ich erstmal schaffen.

Und Sie sind jeden Tag hier? Auch im Winter?“
„Ja, auch im Winter bei klirrender Kälte. Wissen Sie, ich warte hier nur.“
„Auf was warten Sie?“
„Ich warte darauf, dass sie mich zurückholen. Irgendwann wird es geschehen. Wissen Sie, ich bin nicht von hier, sondern von da oben.“
Sie zeigte in den Himmel und ich hob automatisch den Kopf. Ich lag mit meiner Vermutung einer beginnenden Altersdemenz wohl richtig und überlegte, ob ich irgendeine Einrichtung anrufen sollte.
Aber ich konnte genauso gut hier sitzen bleiben und sie später nach Hause begleiten.
„Sie meinen von den Sternen?“
„Nein, nicht von den Sternen, sondern von einem anderen Planeten. Bevor Sie weiter rätseln und denken, Sie haben es mit einer verrückten Alten zu tun, möchte ich Ihnen etwas erzählen. Es liegt bei Ihnen, ob Sie mir zuhören möchten.“
Ich schluckte, denn die alte Dame hatte mich durchschaut. Außerdem gab sie ganz schön Gas. Wir kannten uns doch erst ein paar Minuten. Dass ich ihr letztendlich zuhörte, lag daran, dass sich die Farbe ihrer Augen immer wieder änderte. Je nachdem wie sie den Kopf bewegte. Schaute sie hoch, waren ihre Augen blau. Schaute sie nach rechts, schimmerten sie grün. Dann wieder braun oder grau. Nur dieser leichte silberne Touch war immer vorhanden. Ich beschloss, ihr zuzuhören und legte das Buch beiseite. Lesen konnte ich immer noch.
„Ich höre Ihnen gerne zu. Reden Sie nur, ich bin gespannt.“
Anna – Maria sah mich dankbar an und lehnte sich zurück.

„Anja, eigentlich habe ich Sie überrumpelt. Man sollte nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen. Aber irgendwie habe ich keine Zeit mehr, noch länger zu warten. Also gut. Als Kind träumte ich oft von Schiffen, die hoch am Himmel segelten. Es waren große Dampfer, kleine Schiffe und Boote. Der Himmel war voll von ihnen. Heute weiß ich, dass es nur eine kindliche Bildsprache war, denn in Wirklichkeit waren es Raumschiffe. Aber das wurde mir erst klar, als ich erwachsen war. Und zu meiner Zeit gab es noch keine Fernseher, wie konnte ich da auf so etwas kommen? Auch hatte ich immer das Gefühl etwas besonders zu sein. Dinge zu können, die andere nicht konnten. Mit den Jahren verlor sich das aber. Nur die Unrast in mir blieb. Es war immer so, als würde ich auf etwas warten. Auf ein ganz großes Ereignis.“
Ich räusperte mich und sah sie direkt an.
„Und deshalb glauben Sie, dass Sie nicht von der Erde stammen? Anna – Maria, Sie haben Eltern, bestimmt auch Geschwister und Kinder. Wie sollte das gehen?“
„Ja, ich hatte hier auf der Erde Eltern und Geschwister. Ich habe Kinder und sogar jede Menge Enkel. Dieser Körper hat das alles, aber mein wahrer Körper wartet auf einem anderen Planeten darauf, dass ich zurückkomme. Es fällt Ihnen schwer, mir zu glauben. Aber ich verstehe das.“
„Wie soll man das glauben, Anna – Maria. Für mich ist es so, als würden Sie mir eine Zukunftsvision erzählen, die ihrer überbordenden Fantasie entsprungen ist. Oder sind Sie Schriftstellerin und versuchen heraus zu bekommen, ob der Inhalt ihrer Story bei anderen gut ankommt?“
„Nein, ich bin keine Schriftstellerin. Aber ich erzähle Ihnen eine wahre Geschichte. Wenn sich ein alter Mann zu Ihnen gesetzt hätte mit denn Worten; guten Tag, ich bin Gott. Was wäre Ihre Antwort gewesen?“

Sie sah mich belustigt an, denn ich suchte verzweifelt nach einer Antwort.
„Ich denke nicht, dass ich ihm geglaubt hätte.“
„Sehen Sie, mir glauben Sie auch nicht. Und wenn es wirklich Gott gewesen wäre? Wenn er sich selber mal ein Bild von den Menschen machen wollte, die er angeblich kreiert hat? Oder von dem einst wunderschönen Planeten, der so langsam seinem Ende entgegen strebt, dank seiner Geschöpfe, die irgendeiner Fantasie entsprungen sind. Aber keine Angst, Gott ist ein weitreichender Gedanke. Wir müssen alle an etwas glauben, damit wir nicht ganz verrückt werden. Glaube ist Hoffnung und ohne diese kann kein Mensch existieren. In vielen Ländern hat Gott nur einen anderen Namen, aber alle glauben an das Gleiche. Verstehen Sie? An das Gleiche. Wie Gleichheit. Wir sind alle … gleich.“

Ich überlegte, denn so abwegig war es nicht, was sie sagte. Gleich, Gleichheit, Glaube. Eine Sache, die die Menschheit ständig beschäftigte. Und so war es wohl schon immer gewesen.
„Aber sie behaupten von einem anderen Planeten zu kommen, wie können Sie da von Gleichheit sprechen?“
„Meine Liebe, solange ich hier bin, gelten für mich die gleichen Gesetze. Soll ich weiter erzählen?“
Ich nickte, obwohl mir langsam alles zu schwer wurde.

„Wir alle träumen, auch Sie. Wer sagt, dass Sie nicht gerade träumen? Jetzt nur theoretisch gesehen. Natürlich sitzen Sie hier mit mir in Ihrer Realität. Aber genau so gut könnten wir uns heute in einem Traum begegnet sein. Wer weiß. Wenn Sie die ganze Kapazität ihres Gehirns nutzen könnten, wüssten Sie, was ich meine. Ich kann es. Jeder kann es, da wo ich herkomme.“

In mir tobte ein Vulkan und ich glaubte nicht mehr an eine beginnende Altersdemenz, dafür war sie zu aufgeschlossen und klug. Aber was wollte sie mir sagen? Irgendwie kam sie nicht auf den Punkt. Genie und Wahnsinn lagen nah beieinander. Aber war sie jetzt wahnsinnig oder ein Genie?
„Sie wurden doch hier geboren. Angenommen es stimmt, und Sie liegen auf einem fernen Planeten und schlafen, wie konnten Sie dann geboren werden? Ach Anna – Maria, das ist zu hoch für mich.“

Sie griff nach meiner Hand und drückte sie.
„Sie gehören zu denen, die nicht weggehen und mir zuhören. Ich vertraue Ihnen meine Geschichte an, denn Sie werden sich irgendwann an diese erinnern. Nun zu Ihrer Frage. Da wo ich herkomme, beherrschen wir alle die Kunst des Träumens. Ich meine, dass Perfekte träumen. Während wir schlafen, geht unsere gesamte Energie auf Reisen. Diese manifestiert sich und manipuliert diejenigen, die in unserem Traum eingebunden werden. Dann konzentriert sich diese Energie auf das Geschehen und der eigentliche Wirt kann träumen. Ich habe meine Mutter hier auf der Erde gefunden und natürlich einen Vater dazubekommen. Aber die, die sich in ihren Träumen verlieren, vergessen, wer sie wirklich sind und was sie hier tun. Wir erinnern uns dann viel zu spät daran, dass alles nur ein Traum ist. Sehen Sie das kleine Mädchen da drüben? Es spielt so unbekümmert mit einem Ball und ihre Mutter schaut dabei zu. Die Augen der Mutter sind voller Liebe. Realität oder nur eine von Energie erschaffene Illusion?

Ich sah zu dem kleinen Mädchen hinüber und beobachtete die Mutter, die gerade ihr Kind in den Arm nahm und herzte.
„Realität, meine Liebe. Warum warten Sie darauf, dass man sie abholt? Sie müssen doch nur wach werden. Ich meine dort, wo Sie liegen und träumen.“
„Wie ich schon sagte, nicht, wenn man in seinen Träumen gefangen ist. Das passiert schon mal. Dann warten wir hier, bis sie kommen und unser Licht wieder einfangen.“

Ich schmunzelte und wieder kam mir die Altersdemenz in den Sinn.
„Dann schlafen ja schon über achtzig Jahre.“
„Nein, erst ein paar Stunden. Sehen Sie es mal so, ich, spiele die Hauptrolle in einem Film und der geht gewöhnlich maximal zwei Stunden. Ein Leben im Schnelldurchgang. In meinem Traum bin ich Kind, Teenager, Mutter und Oma. Habe gearbeitet, meinen Mann verloren, die Kinder erzogen und mich über jeden Enkel gefreut. Und jetzt führen sie alle ihr eigenes, selbst erschaffenes Leben und ich möchte wieder aufwachen. Ich habe Sehnsucht nach meinem Mann, denn es steht unsere eigene Familienplanung an.“
„Das heißt, wären Sie nicht in ihrem Traum gefangen, könnten Sie aufwachen? Und Sie haben noch einen Mann da oben, mit dem Sie eine Familie gründen wollen?“
„So ist es. Ich habe zu intensiv geträumt, gelebt und geliebt und nun kann ich nicht wach werden.“
„Sagen Sie, ist ihr Mann nicht eifersüchtig? Schließlich haben Sie hier ein komplettes Leben geführt.“
Anna – Maria lachte herzhaft und zwinkerte mir zu.
„Wohin es in unseren Träumen geht, das wissen nur wir. Ich möchte nicht wissen, was er so alles träumt. Außerdem muss man sich anmelden für diese Art der Träume. Das ist für uns so, wie für andere das Kino. Wir wollen Spaß haben, mehr nicht.“

Ich kramte in meiner Hosentasche und zog einen Zehner heraus.
„Soll ich uns mal einen Kaffee holen? Keine Angst, ich laufe nicht weg.“
Anna – Maria nickte und durchwühlte ihre Handtasche.
„Lassen Sie mal, denn Sie sind eingeladen. Riechen Sie die frischen Waffeln? Die gönnen wir uns auch.“

Aufgewühlt besorgte ich den Kaffee und die Waffeln und schlenderte langsam zurück. Diese Anna – Maria war undurchsichtig und doch gab sie ein klares Bild ab. Sie war alt und doch strahlte sie jugendliche Frische aus. Und sie erzählte mir eine Geschichte, die sich mir nicht aufdrängte, da sie es mir überließ, diese zu glauben. Eigentlich hatte ich schon viel gelesen über solche Sachen wie, den Körper während des Schlafes zu verlassen, um andere Orte zu besuchen. Oder von der Kraft des Geistes und von UFO Sichtungen. Herrje, wo war ich da nur hineingeraten. Aber ich war auch neugierig auf die Fortsetzung ihrer Geschichte.

Anna – Maria winkte mir zu, als sie mich kommen sah.
„Vielen Dank, die Waffeln duften herrlich.“
Sie nahm mir den Kaffee ab und schnupperte an ihm.
Ich nippte an meinem Kaffee, brach ein Stück Waffel ab und schmunzelte.
„Tut es Ihnen nicht leid, wenn Ihre Kinder und Enkel zurückbleiben? Sie lieben sie doch und werden sie bestimmt vermissen.“
„Lassen Sie uns erst essen und Kaffee trinken. Genießen wir noch einen Augenblick diesen Moment.“
„Diesen Moment? Ach meine Liebe, ich glaube, es wird Zeit, dass ich Sie nach Hause begleite. Ich würde so gerne glauben, was Sie mir erzählt haben, aber ich kann es nicht. Es tut mir leid.“

Anna – Maria stellte den Kaffee neben sich auf die Bank und sah mich an.
„Du machst es mir sehr schwer, aber auch dein Licht wird jetzt eingefangen werden. Du hast dich so wie ich, in deinen Träumen verloren. Ich war schon erwacht, aber ich habe mich zurück geträumt, um dich zu holen. Ich beherrsche diese Kunst so gut, dass es zu meiner Aufgabe wurde, jeden Einzelnen von euch, der sich in seinen Träumen verloren hat, zurückzuholen. Ich sagte ja, ich erzähle dir eine Geschichte.
Ich schaute in ihre silber schimmernden Augen und erkannte das wahre Universum.
„Wach auf“, flüsterte sie und nahm mich in den Arm, „sie alle träumen. Aber nicht alle verlieren sich in ihnen.“


©Monika Litschko

 


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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