Angie Pfeiffer

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Es gibt böse Engel, definitiv.
Der Briefzusteller ist so einer. Wieder schwebt er an mir vorbei als wäre ich nicht vorhanden. Im letzten Moment allerdings schaut er mich kurz und höhnisch an. Wahrscheinlich unterschlägt unsere Post seit einer geraumen Weile.
Das habe ich als erstes festgestellt, dass auch Engel fies sein können. Keine Ahnung, wie lange ich jetzt schon auf dieser Wolke sitze und Hosianna singe. Jedenfalls kommt mir die Zeit unendlich lang vor. Neben mir angedockt ist die Wolke meines Mannes. Er lungert dort herum, schnarcht und räkelt sich wie damals. Nur die Flasche Bier fehlt, dafür hat er Manna satt. Es ist okay, dass er an meiner Seite ist, schließlich haben wir uns sehr geliebt. Hin und wieder frage ich mich, wie das bei den Paaren ist, die sich nicht mochten oder bei Geschiedenen. Müssen die auch für immer zusammenbleiben? Das stelle ich mir nicht besonders lustig vor. Und was ist mit denen, die mehrfach verheiratet waren? Das wird mir dann doch zu kompliziert, ich lasse das Nachdenken mal lieber sein und konzentriere mich wieder auf das Singen.

Das ist wichtig, wegen der Dichtigkeit. Schließlich will ich mich nicht in Luft auflösen. Apropos Luft: Wieder einmal muss ich meinen damalig Angetrauten darauf hinweisen, dass sein rechtes Bein dabei ist, sich in lauter kleine Wölkchen zu verwandeln. Er stutzt, guckt kritisch nach unten und fängt gleich mit einem inbrünstigen Hosianna an, was seinem Bein eindeutig zugute kommt. Es materialisiert sich nämlich wieder.
Es ist halt harte Arbeit, sich hier im Himmel zu halten, denn wir müssen selbst für unsere Dichtigkeit sorgen. Niemand schert sich einen Deut darum, ob wir das so ohne weiteres schaffen. Eine Gewerkschaft gibt es auch nicht und so haben wir einen 16 Stunden Tag, den wir mit dem erwähnten Hosiannagesang verbringen. Was bleibt uns auch übrig, dann wer will schon als ausgefranstes Wolkenfragment durch den Orbit taumeln, bis er von einem Sonnensturm in alle Winde verweht wird. Es gibt noch eine andere Möglichkeit, um die Dichtigkeit zu erhalten, aber darauf haben wir hier oben keinen Einfluss. Einzig die auf der Erde Zurückgebliebenen können uns helfen, aber das wissen sie leider nicht. Je intensiver und liebevoller sie an uns denken, umso besser ist es für uns, umso weißer und schimmernder sehen wir aus, was uns allgemeine Bewunderung einbringt.
Aber es gibt auch das Gegenteil, denn an wen mit Hass oder gar Abscheu gedacht wird, der kann noch so viel und inbrünstig singen, es hilft ihm nicht. Irgendwann ist er eine Fransenwolke und treibt davon. Merkwürdigerweise sitzen alle Schufte und Schurken, die irgendwie prominent sind auf ihren Wolken. An sie scheint ständig gedacht zu werden und zwar im positiver Sinne. Manchmal erscheinen sie etwas durchsichtiger, aber genauso schnell erstrahlen sie wieder. Ich frage mich, wieso diese Typen überhaupt hier zwischen uns sitzen? Gott muss zuweilen mächtig verwirrt sein.
Einmal am Tag kommt der Briefzusteller vorbei und verteilt die Gedanken, die fein in Briefumschläge verpackt sind. Leider ist für uns in letzter Zeit nichts dabei, was mich langsam nervös werden lässt. Wir haben vier Söhne mit den dazugehörigen Ehefrauen und neun Enkel! Bisher habe ich mir nie Gedanken machen müssen. In schöner Regelmäßigkeit kamen Briefumschläge für uns, in denen sich immer gute Gedanken befanden. So konnten wir uns das eine oder andere Päuschen erlauben. Denn, wie ich bereits bemerkte, ist die ewige Singerei ganz schön ätzend.

Huch, es ist bereits wieder Morgen, der Postzusteller schwebt an uns vorbei, dieses Mal gemein grinsend. Darf der das eigentlich? Wo bleibt hier die himmlische Güte? Ehe ich von bösen Gedanken übermannt werde, singe ich laut und akzentuiert. Mein Mann fällt brummelig in meinen Gesang ein. So vergeht eine Weile, bis Petrus mit grimmiger Miene auf uns zugestapft kommt. In der Hand hat er ein riesiges Bündel mit Briefumschlägen. „Der Postengel, dieser Schlingel, hat wohl etwas gegen euch“, grollt er. „Er hat eure Post einfach nicht zugestellt. Ich bringe sie euch persönlich, damit nicht noch etwas bei der Zustellung schief geht.“ Er reicht mir das Päckchen und dreht sich abrupt um. „Büßen ... degradieren ... Wolke ganz unten ...“, höre ich ihn im Weggehen murmeln.
Entzückt öffne ich den obersten Umschlag. Mein Mann ist zu mir gehopst und schaut mir über die Schulter. Ein wunderbarer Gedanke flattert uns entgegen:‚Liebe Mama, heute wärst du 100 Jahre alt geworden. Alles Gute zum Geburtstag, wo immer du auch bist. Wir alle denken an dich.’
Ich werde undicht, aber auf andere Weise als sonst. Mir kullern nämlich Tränen über das Gesicht.
„Nicht weinen, Liebes, alles ist gut“, flüstert mein Mann mir ins Ohr und nimmt mich in die Arme.
© by Angie

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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