Nils spielte im Garten. Es war schönstes Frühlingswetter und er wollte gerade sein neues Skateboard in der Hofeinfahrt ausprobieren. Papa stand neben dem Auto und schimpfte vor sich hin: „Gerade hatte ich den Wagen in der Waschanlage und schon wieder ist alles gelb! Die Arbeit hört ja nie auf!“ Dabei fuhr er mit dem Finger über die Motorhaube. Ein dunkler, glänzender Streifen entstand und Nils wollte es ihm gleichtun.
„Stopp!“, sagte Papa und warf ihm einen strengen Blick zu. „Das ist doch keine Schiefertafel, auf der man lustig herummalen kann!“, meinte er. Dann sah er ihn eine Weile an und erklärte, schon wieder freundlicher gestimmt: „Siehst du den Blütenstaub auf der Motorhaube, Nils? Das ist der Grund meines Ärgers. Schon seit ein paar Tagen kommt er wie eine gelbe Staubwolke geflogen und lagert sich auf dem Auto ab. Und nicht nur auf dem Auto, überall sind die Blütenpollen, wie sie auch genannt werden, zu finden, auf dem Dach des Hauses, auf unserem Briefkasten, an der Haustür, ja sogar in der Küche hat Mama sie gestern entfernt.“
„Blütenpollen?“, fragte Nils ungläubig. „Das heißt, der gelbe Staub kommt von einer Pflanze?“
„Genauer gesagt, von den Blüten der Pflanze“, korrigierte Papa. Und nicht nur von einer Blütenart, sondern von mehreren verschiedenen. Denn es gibt viele Pflanzen und Bäume, die gerade jetzt im Frühling, alle zur selben Zeit ihre Blüten ausbilden, und damit natürlich auch die Blütenpollen.
„Aber warum blühen sie denn alle zusammen und nicht einer nach dem anderen?“, wunderte sich Nils.
„Das hat unter anderem mit dem Wetter zu tun“, meinte Papa. „In diesem Jahr z. B., hatten wir einen langen Winter und danach aber einen sehr warmen April. Das hat bewirkt, dass auf einmal fast alles blühte, also eine richtige 'Blütenexplosion'! Bei einigen Bäumen gibt es dafür sogar einen Namen: Es ist das sogenannte 'Mastjahr'. Es kommt alle drei bis sieben Jahre vor und die Bäume erzeugen dann besonders viele Blüten und Blütenstaub. So, wie du ihn hier, auf unserem Auto sehen kannst, Nils. Übrigens stammen die meisten Blütenpollen von der Fichte, dem in unserer Region am häufigsten vorkommenden Nadelbaum.“
Nils musste lachen: „Ich habe noch nie einen Weihnachtsbaum mit Blüten gesehen, hi, hi, hi, da lachen ja die Hühner!“
„Na, dann komm' mal mit, ich will dir was zeigen!“ Dabei machte Papa einen Katzenbuckel und deutete auf seinen Rücken. Nils verstand sofort – ein kurzer Sprung, und schon galoppierten die beiden im 'Huckepack' durch den Garten. Mama stand kopfschüttelnd am Fenster und lachte den beiden zu.
Am anderen Ende des Gartens stand eine große Fichte. Diese hatten vor vielen Jahren Nils Großeltern gepflanzt, als sie noch jung waren und das Grundstück neu erworben hatten. Nun war aus dem kleinen Pflänzchen ein stattlicher Baum geworden, der an heißen Sommertagen einen angenehmen Schatten warf. Darunter stand einladend eine kleine Gartenbank aus Birkenholz. Doch Papa ignorierte heute die Bank und postierte sich so vor die Fichte, dass man den Baum vom Boden aus gut im Blickfeld hatte. Dazu holte er etwas aus seiner Jackentasche – es war ein kleines Fernglas.
„Sieh mal Nils, dort oben befinden sich die Blüten des Baumes. Es sind kleine, hellbraune, längliche Gebilde, die meist eine etwas gebogene Form haben.“
Vorsichtig reichte er Nils das Fernglas und half ihm beim Navigieren.
“Ja, die sehen aus, wie Erdnussflips!“, rief Nils laut und freute sich, etwas entdeckt zu haben.
„Das sind die männlichen Blüten der Fichte - also man könnte sagen, die Blütenstaub-Produzenten“, erklärte Papa. „Sie kommen in relativ großer Zahl vor und viele Blüten können nun mal jede Menge Blütenpollen erzeugen.“
„Aber wieso männliche Blüten? Gibt es auch noch weibliche?“, wunderte sich Nils.
„Ja, die Fichte ist 'einhäusig', das nennt man so, weil es an einem Baum sowohl weibliche, als auch männliche Blüten gibt. Die weiblichen Blüten kannst du auch sehen. Sie sind rötlich gefärbt und sind größer, als die männlichen. Sie haben die Form eines senkrecht stehenden Zapfens. Die Blütenpollen der männlichen Blüten werden vom Wind zu den weiblichen Blüten des Baumes getragen. Dort bleiben sie haften und bestäuben die weiblichen Blüten. Diese bilden dann Samen aus und der ganze Zapfen verfärbt sich braun und wird holziger und größer. Eben der richtige Fichtenzapfen, so wie du ihn schon immer kennst. Wenn die Zeit heran ist, fallen die Samen aus dem Zapfen heraus und landen irgendwann auf der Erde. Und daraus kann sich dann wieder eine kleine Fichte entwickeln. Es ist ein kleines Wunder, wie alle Vorgänge in unserer Natur.“
Nils konnte es kaum erwarten, das Fernglas zu bekommen. Huiii, da musste er aber weit oben, in der Krone des Baumes suchen! Eine Weile brauchte er, aber dann hatte er Glück: Er sah einen rot leuchtenden Zapfen auf einem Ast der Fichte sitzen!
„Der ist aber schön rot gefärbt!“, rief Nils begeistert. „Oooch, Papa, können wir da nicht hinaufklettern? Dann sind wir viel näher dran!“, bettelte Nils und sah Papa dabei mit Hundeaugen an.
„Nein, nein, Nils, das ist viel zu weit oben. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Mit meiner neuen Fotokamera kann ich die Fichtenblüten so richtig nah 'heranzoomen', so nennt man das, wenn das Objektiv der Kamera ein Fotoobjekt aus größerer Entfernung ganz nah heranholt.“
„Oh ja!“, jubelte Nils und sprang ausgelassen durch den Garten. Dann raste er auf Papa zu und klammerte sich, wie ein kleines Äffchen an ihm fest. Papa war das schon gewöhnt und lachte nur.
Eine laute weibliche Stimme unterbrach das Gespräch der beiden: „Niiiels, Papaaa! Abendessen ist fertig!“ Es war Mama und in der Beziehung war mit ihr nicht zu spaßen. Also sputeten sich die beiden Naturbeobachter und liefen um die Wette, bis zum Hauseingang.
„Gewonnen!“, rief Nils völlig außer Atem und musste sich auf die Treppe setzen. Papa war das letzte Stück gelaufen und meinte nur stolz: „Wirst mal ein guter Sportler!“ „Nein, lieber vielleicht 'Blütenstaubbeseitiger'!“, meinte Nils und beide hielten sich den Bauch vor lauter Lachen.
(Copyright Text und Foto: Heike Henning)
Weitere Informationen und Quellen:
URL:
https://www.rundschau-online.de/region/oberberg/bluetenstaub-der-fichte-oberberg-ist-gelb-gepudert---woran-liegt-es--30120920 [Stand 2018-05-12]
https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/darum-liegt-ueberall-gelber-bluetenstaub-id214184049.html [Stand 2018-05-12]
https://www.rpr1.de/magazin/leben-alltag/ursache-fuer-die-bluetenstaub-explosion-rlp [Stand 2018-05-12]
https://www.wetteronline.de/wetternews/2018-04-26-po [Stand 2018-05-12]
https://www.wetteronline.de/wetternews/2018-05-01-bs [Stand 2018-05-12]
http://www.natur-lexikon.com/Texte/wp/001/00021-Fichte/wp00021-Fichte.html [Stand 2018-05-12]
http://www.wald.de/die-fichte-picea-abies-l/ [Stand 2018-05-12]
https://www.wald-und-holz.nrw.de/aktuelle-meldungen/2016/gelbe-wolken-ueber-den-waeldern-in-nordrhein-westfalen/ [Stand 2018-05-12]
http://www.kuriosetierwelt.de/gelber-staub-ueberall-verursacher-sind-bluehende-fichten/ [Stand 2018-05-12]
https://www.br.de/nachrichten/oberpfalz/inhalt/bluetenstaub-eine-folge-des-klimawandels-100.html [Stand 2018-05-12]
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2018.
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