Alexander Gail

Planet der Affen: Wer war Cäsar?

Die Sonne war bereits am Horizont untergegangen und die Frische, die mit Einbruch der Nacht aufgekommen war, zeugte davon, dass der Sommer endgültig an Macht verlor und der bevorstehende Herbst nicht mehr aufzuhalten war.

Die elfjährige, blondhaarige Naja und der ein Jahr jüngere, dunkelhaarige Marco, zwei menschliche Kinder, saßen an einem prasselnden Lagerfeuer mitten im Park unweit der Stadtgrenze. Der Gorillajunge Max, der Orang-Utan Mendez sowie die Schimpanse Silly hockten mit den beiden zusammen. Der zweite Schimpanse, der auf den Namen Galen hörte, kletterte geschickt in den Baumwipfeln herum und kehrte mit einem halben Dutzend rotbäckiger Äpfel, die er in Händen und Füßen trug, zu der kleinen Gruppe zurück.

„Das Abendessen kommt“, meinte er und verteilte fünf Äpfel an die anderen Kinder, während er selber herzhaft in den sechsten hinein biss und sich an die Seite seiner Artgenossin im Schneidersitz nieder kauerte.

„Wer war eigentlich Caesar und woher stammte er?“, wiederholte Marco seine Frage von vorhin und sah die anderen abwechselnd an.

„Aber das weiß doch jedes Kind“, murmelte der junge Orang-Utan, zuckte mit den Nüstern und seine Affenschnauze zog sich zu einer Grimasse.

„Aber“, begann der Menschenjunge jetzt und biss in seinen Apfel, „es gibt so viele Geschichten über ihn, welche ist denn nur wahr?“

Jetzt war es Silly, die sich einschaltete.

„Ich werde euch die Geschichte von Caesar erzählen, wie sie mir meine Eltern erzählt haben“, sagte sie, „meine Eltern wissen es von meinen Großeltern und die wiederum haben die Geschichte von ihren Eltern erzählt bekommen.“

Der Hinweis darauf, dass die Herkunftsgeschichte von Caesar in Sillys Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde, war ein Hinweis darauf, dass ihre Version der Geschehnisse natürlich die richtige war.

„Alles begann gegen Ende des 20ten Jahrhunderts, als die Menschen die alleinigen Herren der Welt waren. Sie bewohnten riesige Städte und lebten in Wohlstand, während die Affen, in jener Zeit noch stumme und primitive Tiere, im Dschungel hausten. Da geschah es, dass ein Raumschiff, das aus einer fernen Zukunft kam, ins Meer stürzte. In diesem Raumschiff befanden sich die Urmutter Zira und der Urvater Cornelius, zwei hochintelligente Schimpansen. Zunächst wurden sie von den Menschen freundlich empfangen, doch als Zira ein Kind erwartete – Caesar – bekamen sie Angst, dass sie eines Tages intelligente Affen von der Spitze der Evolution verdrängen könnten. Die Menschen töteten Zira und Cornelius und glaubten, auch Caesar, der noch ein Baby war, sei umgekommen. Doch ein Zirkusbesitzer, ein guter Mann, der alle Tiere liebte, nahm sich dem Weißenkind an und zog es groß. Viele Jahre später geschah es, dass eine unbekannte Krankheit viele Tiere, vor allem Hunde und Katzen, niederraffte. Die Menschen kamen auf die Idee, sich von nun an Affen als Haustiere zu halten. Ja, sie züchteten sie regelrecht, da die Nachfrage immer größer wurde. Als sie merkten, dass die Affen im täglichen Umgang mit Menschen immer schlauer wurden, hielt man sie zum Schluss als Sklaven. Dann kam Caesar ins Spiel. Zunächst geriet er in Gefangenschaft, nach dem man seinen menschlichen Ziehvater ermordet hatte, doch dann zettelte er eine Revolte an und leitete eine neue Zeit ein. Nach vielen, schrecklichen Kämpfen und Kriegen schaffte es Caesar, die Affen und überlebenden Menschen zu vereinen und in Frieden zu führen.“

Am Ende ihres Berichtes angekommen, blickte Silly in die Runde und traf auf skeptische Gesichter. Mendez war es schließlich, der sich räusperte und heftig den Kopf schüttelte.

„Das ist völliger Quatsch, Silly“, behauptete er, „ein Raumschiff, das aus der Zukunft kam, häh? So einen Unsinn können natürlich nur Schimpansen erzählen!“

„Frevler, das sage ich meinem Papa!“, keifte Silly und warf den Rest ihres Apfels nach dem Orang-Utan.

„Na hörst du dir denn überhaupt selber zu? Ein Raumschiff, das durch die Zeit in die Vergangenheit fliegt, so etwas gibt es doch gar nicht!“

„Und doch ist es so!“, behauptete Silly felsenfest.

Galen ging dazwischen und schlichtete, während die beiden Menschenkinder nur teilnahmslos dasaßen.

„Hört doch auf euch zu streiten“, verlangte der Schimpanse, „vielleicht sollte Mendez erstmal seine Version der Geschichte erzählen, sofern er eine hat.“

„Oh ja das habe ich!“

„Na dann lass mal hören, du oberschlauer Orang-Utan!“

Provokant streckte Silly dem anderen die Zunge heraus.

Die Schimpanse ignorierend, setzte sich der zwölfjährige Mendez setzt hin und berichtete: „Ich habe einmal in den Chroniken gelesen, die mein Vater in einem ledergebundenen Buch zusammengefasst hat. Eigentlich hat er das Buch immer unter Verschluss, doch irgendwann muss er es einmal vergessen haben und es lag offen auf dem Schreibtisch. Ich nahm es mir, zog mich in mein Baumhaus hinten im Garten zurück uns las es. Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass Sillys Geschichte völliger Blödsinn ist. Denn es begann alles im frühen 21ten Jahrhundert. Die Menschen waren, wie Silly auch erzählt hatte, die Herren der Welt. Sie lebten in Großstädten und hatten einen technischen und medizinischen Fortschritt, wie wir ihn uns nicht zu träumen wagen. Doch trotz allem waren sie nicht unverletzbar und wurden von schlimmen Krankheiten geplagt, die sie zu besiegen versuchten. In einem geheimen Forschungslabor arbeiteten sie an einem Serum, das eine der damaligen Volkskrankheiten bekämpfen und vernichten sollte. Sie testeten es an Affen und so kam es, dass diese nach Einnahme des Mittels extreme Intelligenzsteigerungen aufzeigten. Doch einer der Versuchsaffen wurde wahnsinnig und lief Amok. Daraufhin wurde das Geheimprojekt eingestellt und alle Affen getötet, bis auf ein Baby, das einer der Menschen befreien konnte, mit sich nach Hause nahm und großzog. Dieses Baby war der Schimpanse Caesar. Um den Rest der Geschichte abzukürzen, als Erwachsener geriet Caesar in Gefangenschaft, konnte aber fliehen und setzte allen Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, die in seiner Nähe waren, dem geheimnisvollen Mittel aus, was ihnen erhöhte Intelligenz verschaffte. Das Serum, in seiner ursprünglichen Form für den Menschen tödlich, wurde freigesetzt. In den nächsten Wochen und Monaten starben die Menschen zu Tausenden und Abertausenden. Caesar war der Anführer, der das Volk der Affen in eine neue Zeitrechnung führte, denn! das gro ße Zeitalter der Menschen war von nun an vorbei.“

Alle schwiegen sie, als Mendez endete.

Die Menschenkinder Naja und Marco tauschten traurige Blicke, den ihre Spezies schnitt in beiden Varianten der Geschehnisse aus der Vergangenheit am schlechtesten ab.

„Soll ich euch mal alle schocken?“, fragte Max, während Mendez und Silly schließlich erneut in einen Streit darüber vertieft waren, wer von ihnen nun Recht hatte und wer nicht.

Die Blicke der anderen richteten sich auf ihn.

„Caesar ist eine Erfindung, es gab ihn nie, Punkt!“

„Was soll denn das jetzt für ein Unsinn sein?“, schaltete sich Silly ein.

Darauf kann auch nur ein Gorilla kommen!

Max erzählte: „Ja, einst wurde die Welt von den Menschen beherrscht und ja, eine schreckliche Krankheit raffte viele ihrer geliebten Tierarten nieder. So kam es, wie Silly berichtete, dass die Affen ihre Haustiere wurden und schließlich den Menschen als Sklaven dienten. Doch eines Tages kam Eldo! Eldo sprach ein Wort, was man so oft ihm und seinesgleichen sagte und dieses Wort lautete nein. Und Eldo war ein Gorilla! Ein Gorilla, der zum ersten sprechenden Affen wurde, ein Gorilla, der zum Freiheitskämpfer wurde, ein Gorilla, der der Knechtschaft ein Ende bereitete und den Menschen ihren Untergang bescherte.“

Mit dieser Version waren der Orang-Utan und die beiden Schimpansen natürlich überhaupt nicht einverstanden. Naja und Marco hielten sich aus dem Gezänke der Affen heraus und wollten sich gerade unbemerkt davon stehlen, als ein ältlicher Orang-Utan auftauchte und mit fuchtelndem Gehstock die Streithähne auseinander brachte.

„Na na na, meine kleinen Freunde, was ist denn hier los?“

„Großvater Maurice!“, kam es aus sämtlichen Kehlen.

Der Orang-Utan war einer der ältesten Mitglieder der Gemeinde und wurde von allen Kindern, menschlichen sowie den Affenkindern, Großvater Maurice genannt.

Mendez erklärte ihm stockend den Grund ihres Streites, was der Alte mit einem langen Seufzer beantwortete.

„Du musst es doch wissen, Großvater Maurice, sag` du es uns, wer Caesar wirklich war“, verlangte Silly mit Betonung.

„Aber meine lieben Kinder“, fing dieser an, „die Vergangenheit hat sehr viele Gesichter und keiner, nicht einmal der weißeste aller Affen, kann sie eindeutig bestimmen. Doch egal, welcher Caesar es auch war, oder auch welcher Eldo oder wer sonst, wenn ich sehe, wie Menschenkinder, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, gemeinsame Zeit verbringen, miteinander spielen und sich respektieren und anerkennen, so erfreut sich mein altes Herz. Und, anstatt in die Vergangenheit zu schauen, blicke ich lieber in eine friedvolle, harmonische Zukunft.“

Er streichelte über ihre Köpfe und wanderte langsam an ihnen vorbei.

„Jetzt aber alle nach Hause und ab ins Bett!“, rief er noch und hob seinen Stock.

Die Kinder dachten über die Worte des Alten nach und tauschten Blicke.

„Na gut, es war dumm von mir, deshalb zu streiten“, gab Silly zu und reichte Mendez die Pfote. „Ich war genauso dumm“, meinte dieser bloß.

Und tatsächlich, ohne weiteres Gezänk, verabschiedeten sich die sechs Freunde voneinander und liefen nach Hause.

 

 

 

ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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