Christiane Mielck-Retzdorff

Schedobe

 

 

 

 

Das Ehepaar fand ihren Max in einem Tierheim. Der große Rüde mit aufrechtstehenden Ohren, hatte schwarzes Fell, welches nur von etwas strahlendem Weiß auf der Brust unterbrochen wurde. Einer bekannten Rasse konnte Max nicht zugeordnet werden. Am ehesten ähnelte er einem Schäferhund.

Schnell stellte sich heraus, dass er anderen Rüden feindselig gegenüber stand. Er duldete keine fremden Götter neben sich, wobei er nie Zweifel daran ließ, keinem Kampf aus dem Wege zu gehen und seine Alleinstellung als Hund des Ehepaares blutig zu verteidigen. Anderen Menschen begegnete er mit friedlicher Gleichgültigkeit, auch wenn sich seine Besitzer nicht unbedingt darauf verließen. So wurde Max außerhalb ihres Grundstücks stets an der Leine geführt.

Mit der Zeit gewöhnte sich der Hund an die vielen Artgenossen in der Nachbarschaft, schloss sogar Freundschaft mit einigen Hündinnen. Doch bei Rüden blieb Vorsicht geboten. Nur dem kleinen Billy, ebenfalls aus dem Tierheim und unbekannter Rasse, begegnete er mit Respekt und Freundlichkeit.

Das Ehepaar liebte ihren Hausgenossen abgöttisch, verwöhnte und umsorgte ihn. Max war ihr ständiger Begleiter. Sie wohnten etwas außerhalb von Hamburg und nahmen ihn auch mit, als sie sich endlich die neue Sehenswürdigkeit am Hamburger Hafen ansehen wollten, die Elbphilharmonie. Die Sonne schien und es tummelten sich etliche Touristen vor dem Gebäude.

Entspannt gingen die beiden mit ihrem Hund an der kurzen Leine über den Bürgersteig als sie plötzlich den Aufschrei „Schedobe“ hörten. Eine kleine Chinesin warf sich auf die Pflastersteine vor Max auf die Knie und verneigte sich. Das Ehepaar schaute sich verdutzt an, während die anderen Menschen unbeeindruckt vorübergingen. Immer wieder flüsterte die kniende Frau mit verschwörerisch klingender Stimme „Schedobe“. Schließlich stand sie auf und eilte ihrer Touristengruppe hinterher.

Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf, während seine Frau sich wunderte, dass ihr Hund die Szene, obwohl sie sich direkt vor ihm abgespielte hatte, ganz gelassen hinnahm. Er hatte die fremde Person, die ihm und seinen Besitzern so nahe gekommen war, weder angebellt noch angeknurrt. Eher machte er den Eindruck, als sei ihr Verhalten ganz normal gewesen.

Da Chinesen auch Hunde essen, witzelte der Mann, dass diese sich vielleicht vor einem leckeren Braten verneigten. Seine Frau rief ihn empört zur Ordnung. Damit war das Thema beendet.

Wieder Daheim trieb die Neugierde die Frau an ihren PC. Vielleicht konnte sie dort herausfinden, was sich hinter dem Wort „Schedobe“ verbarg. Und tatsächlich wurde sie fündig. Zuerst suchte sie nach Fotos. Unter dem Begriff war kostbares Porzellan abgebildet, auf dem Hunde zu sehen waren, die ihrem Max sehr ähnlich sahen. Diese saßen meistens mit aufmerksam gespitzten Ohren vor prachtvollen Gebäuden. An der Art der Darstellungen war deren Ursprung in China zu erkennen.

Nun wollte sie mehr über diese Tiere wissen, die scheinbar „Schedobe“ genannt wurden. Da half Wikipedia weiter. Es handelte sich um eine Hunderasse, die schon seit Jahrtausenden in China gezüchtet wurde, deren Besitz aber nur dem Kaiser vorbehalten war. Sie galten als sehr wachsam, starke Kämpfer, treue Gefährten und unbestechliche Beschützer der hohen Herren.

„Schedobe“ durften nur in der Verbotenen Stadt gehalten werden. Außerhalb davon drohte ihren Besitzern die Todesstrafe. Jedes dieser Tiere hatte seinen eigenen Diener, dessen Aufgabe einzig ihr leibliches Wohl und ihre Begleitung bei den Wachgängen bildete. Starb so ein Hund, musste sein Diener ihm folgen und wurde zusammen mit ihm auf dem extra dafür angelegten Friedhof beerdigt. Da diese Männer in der Gesellschaft hoch geachtet wurden, ihren Familien niemals Armut drohte, waren die Anstellungen heiß begehrt.

Dieser Hund symbolisierte für die kaisertreuen Chinesen die göttliche Macht, Treue bis in den Tod, Stärke und Vertrauen. Während andere Völker den Löwen als Vertreter der Mächtigen ansahen, war die Stellung des „Schedobe“ auf der Welt einzigartig. In ihm lebte die vergangene Macht des Kaiserreiches.

Mit dessen Niedergang wurden auch die meisten dieser Hunde getötet. Nur einige wenige entkamen dem Gemetzel und zerstreuten sich in alle Winde. Der Mythos besagt, dass jeder Kaiser nur einen Lieblingshund hatte und diesem Unsterblichkeit verlieh.

Die Frau konnte kaum glauben, was sie las. Beeindruckt schaute sie auf den friedlich neben ihr auf dem Boden schlafenden Max. Die Ähnlichkeit mit den Bildern auf dem Porzellan war wirklich verblüffend. Sie schaute sich die Fotos nochmal an. Plötzlich entdeckte sie auf einem bemalten Teller neben dem „Schedobe“ einen wesentlich kleineren Hund mit blondem Fell und aufmerksam aufgestellten Ohren. Darunter stand „Schedobe“ mit „Lhaker“.

Auch diese Rasse kannte sie nicht und forschte nach. So erfuhr sie, dass die Hunde bei den verschiedenen Kaiserinnen in der Verbotenen Stadt gelebt hatten und deren Beitz außerhalb der Mauern ebenfalls unter Todesstrafe stand. „Lhaker“ dienten sowohl als Wach- als auch als Schoßhunde. Wann immer dem Kaiser ein Sohn geboren wurde, verlieh er auch dem Lieblingshund der Kaiserin Unsterblichkeit. Doch schließlich erlitten sie das gleiche Schicksal wie die „Schedobe“. Diese „Lhaker“ sahen tatsächlich aus wie der Freund von Max, der Rüde Billy

Wenn 
man das alles glaubte, lebten also zwei Hunde als Zeugen einer längst vergangenen Feudalherrschaft an diesem idyllischen Ort in Schleswig-Holstein. Einst mit Unsterblichkeit gesegnet, suchten sie sich immer neue Menschen, die ihnen ein, der kaiserlichen Herkunft angemessenes Leben ermöglichten. Sie waren wirklich etwas ganz Besonderes, aber das wussten ihre heutigen Diener bereits.

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