Heinz-Walter Hoetter

Die Hinrichtung des Raban Torger

 

 

Ein heftiger Wind blies und jagte die gelb schwarzen Regenwolken hoch über dem großen Platz vor der Burg am Himmel entlang. Eine düster aussehende Wolkenbank türmte sich auf, sie wirbelten ineinander und verdunkelten die Sonne, sodass man das Gefühl nicht los wurde, es sei später Abend und nicht kurz vor Mittag. Obwohl es so aussah, dass es bald ein gewaltiges Gewitter geben würde, entlud es sich aber nicht. Man hatte den komischen Eindruck, die Götter hielten Blitz und Donner zurück.


 

Ein milchig weißer Nebel aus leichten Regenschwaden überzog den fernen Horizont wie ein unheimlich aussehender Vorhang. Eine vollkommene Stille senkte sich plötzlich auf den großen Platz herab, und selbst die Tiere in den angrenzenden Ställen gaben keinen einzigen Laut von sich. Nur das eintönige Heulen des Windes war zu hören, der durch die Spalten der Holzwände, über die spitz zulaufenden Dächer der kleinen Stadt und um die zahllosen Häuserecken strich.


 

Um den Platz herum, vor einer einfachen Sperre, aus in den Boden gerammten Rundhölzern, hatten sich eine Menge Menschen schweigend versammelt und blickten gespannt auf einen Mann, der genau in der Mitte des Platzes auf dem nackten Boden kniete.


 

Raban Torger ließ seinen Blick über den großen Platz schweifen. Er sah die vielen Menschen, die ihn stumm und mit Verachtung betrachteten. Es waren bestimmt an die tausend Schaulustige gekommen, die meisten davon waren Bürgerinnen und Bürger der Stadt, aber auch Bauern aus der Umgebung, ein paar fahrende Händler und etliche Adelige, die dem Spektakel seiner Hinrichtung beiwohnen wollten. Einige von ihnen bedachten ihn mit einem herablassenden Lächeln, denn er hätte für sie zu einer echten Gefahr werden können. Man bezichtigte den Mann von Sternen der Zauberei, worauf die Todesstrafe stand.


 

Raban Torger spürte plötzlich die Fesseln, die seine muskulösen Arme auf dem Rücken fixierten. Sie schnitten unangenehm ins Fleisch und seine Schulter brannte wie Feuer, nachdem ihn einige seiner brutalen Wächter mindestens ein Dutzend mal mit einer Lederpeitsche geschlagen hatten.


 

Überhaupt wurde er überaus schlecht behandelt. Schon bei seiner Verhaftung vor ein paar Tagen war ihm alles abgenommen worden, auch seine Kleidungsstücke mit allem, was drin und dran gewesen war. Dann hatte man ihn in ein stinkendes und ziemlich feuchtes Kellerloch geworfen, wo er tagelang ohne Essen ausharrenden musste, bis man ihn endlich wieder nach oben zum Verhör holte. Schließlich kam es unweigerlich zu einer Gerichtsverhandlung, in der es zu tumultartigen Szenen kam.


 

Nach seiner Verurteilung wurde Raban Torger auf einem Schafott-Wagen gezerrt und zu diesem Platz gefahren, wo das Todesurteil gegen ihn vollstreckt werden sollte. Sein Henker wartete schon auf ihn.


 

Der Mann von Sternen zeigte keine Regung. Er schaute jetzt die meiste Zeit nach oben in die Wolken, denn im Orbit kreiste sein Raumschiff, die mächtige „Excalibur“, einsam um die Erde, mit der man Zeitreisen sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit unternehmen konnte. Diesmal war er im späten Mittelalter angekommen und mitten unter schwer bewaffneten Soldaten materialisiert, die ihn für einen Hexer bzw. Zauberer hielten und sofort niederschlugen. Nach diesem unerwarteten Vorgang brach die Verbindung zu seinem Raumschiff plötzlich ab, weil man ihm nach seiner überraschenden Festnahme die gesamte Ausrüstung weggenommen und zerstört hatte.


 

Aber es gab dennoch eine Möglichkeit, dass „Arthur“, sein positronischer Bordcomputer, seine Rettungsaktion schon eingeleitet hat. Raban Torger hoffte darauf, dass „Adam“, sein treuer Androide, bald erscheinen würde, um ihn noch rechtzeitig aus dieser lebensgefährlichen Situation zu befreien. Bisher tat sich in dieser Richtung allerdings leider noch nichts.


 

Plötzlich bewegte sich ein Mann aus der Menge mit schnellen Schritten auf ihn zu, dessen Kopf mit einer schwarzen Kapuze überzogen war. Er hielt ein riesiges Schwert in seinen Händen.

Der Henker kam, und er hatte es wohl ziemlich eilig.

Ein anderer Mann trat aus der schweigenden Menge hervor, zog aus dem Ärmelaufschlag ein Pergament, rollte es aus und verlas lautstark das Urteil.


 

„Dieser Mann hier ist der Zauberei überführt worden. Er tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf und versetzte damit die Menschen in Angst und Schrecken. Unsere Soldaten konnte ihn glücklicherweise sofort festnehmen, die den unheimlichen Vorgang vor Gericht nochmals eindeutig bezeugten und den wahrhaft großen Mut besaßen, diesen gefährlichen Zauberer zu überwältigen. Er hat sich somit ganz klar der Todesstrafe schuldig gemacht, die jetzt an ihm vollstreckt wird.“


 

Ein Raunen ging durch die anwesenden Schaulustigen. Eine Bestrafung erging normalerweise nur gegen gewöhnliche Mörder, aber man fürchtete sich generell vor Zauberern oder Hexern, die man so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Am besten durch die Todesstrafe.


 

„Die Vollstreckung des ergangenen Urteils erfolgt umgehend hier und jetzt!“, rief der Kapuzenmann noch und nickte dem Scharfrichter zu.


 

Der bärenstarke Henker trat augenblicklich hervor und hob das schwere Schwert an. Das grausame Schauspiel konnte beginnen. Schweigend beobachtete die Menge, wie die blinkende Klinge langsam den höchsten Punkt erreichte und dann auf den Delinquenten niedersauste.


 

Raban Torger verharrte in seiner eingenommene Position und schloss unwillkürlich die Augen. Nur noch wenige Sekunden und das Schwert des Henkers würde Haut, Muskeln und Knochen durchtrennen.

Wo blieb die Rettung?


Die Sekunden dehnten sich zur Ewigkeit. Dann spürte Raban Torger einen heftigen Schlag im Genick. Die Schneide glitt durch sein Halsfleisch, als wäre es aus Butter und trat unterhalb des Kinns wieder aus. Ein heftiger Blutschwall schoss aus dem herum wirbelnden Kopf, der in hohem Bogen durch die Luft flog.


 

Der Torso brach noch im gleichen Augenblick zuckend nach vorne. Auch hier trat eine riesige Blutfontäne aus dem Halsrest und tränkte die graue Kleidung des Scharfrichters blutrot. Dunkle Streifen liefen auch über sein Gesicht.


Noch immer stand die Menge stumm da und wagte nicht zu jubeln.


Auf einmal fuhr ein orangeroter Blitz Blitz aus den mittlerweile pechschwarz gewordenen Wolken herab. Krachend und knisternd schlugen überall helle Lichtkugeln ein, die sofort explodierten und die Menschen hinter der hölzernen Sperre in helle Panik versetzen. Das Chaos brach aus und die Schaulustigen stiebten in alle Himmelsrichtungen davon.


 

Dann leckte ein glühendes Geflecht aus rötlichem Licht am abgetrennten Kopf und dem noch zuckenden Torso von Raban Torger entlang und hüllte seinen leblosen Körper sekundenlang vollständig ein. Im nächsten Augenblick waren Kopf und Körper im Nichts verschwunden.


 

Einige der entsetzten Zuschauer hatten sich auf ihrer Flucht noch umgedreht und die Szene beobachtet. Worte wie „Wunder“ und „Gott hilf uns!“ oder „Gott, steh' uns bei, der Teufel ist unter uns!“ wurden schreiend ausgerufen. Dann liefen auch sie in heller Panik davon.


 

***


 

Die Überreste von Raban Torger erschienen im Wiederherstellungsraum für menschliche Körper der medizinischen Abteilung des Sternenkreuzers 'Excalibur'. Androiden waren damit beschäftigt, Kopf und Torso von Raban Torger behutsam in eine körpergerechte Vertiefung zu legen. Dann glitten von oben eine Anzahl Roboterarme herab und scannten den toten Körper. Kurz danach senkte sich eine gewaltige Deckelschale herab, welche die gesamte Anlage hermetisch umschloss und von irgendwo her hörte man auf einmal das dumpfe Brummen mächtiger Energie erzeugender Maschinen. Der einsetzende Regenerations- und Wiederherstellungsprozess des tödlich verletzten Raumschiffkommandanten lief schon bald auf vollen Touren.

***

Etwas später


Raban Torger stand inmitten seines weitläufigen Schlafgemaches und machte sich bereit, seinen engen Raumanzug anzulegen. Dabei half ihm ein Androide der X-Klasse. Sein Name war „Adam“. Die hoch intelligente Mensch-Maschine begann eine Unterhaltung mit seinem Raumschiffkommandanten, den er beim Anziehen damit ein wenig ablenken wollte.


 

„Sir, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen sagen zu dürfen, so hat die medizinische Wiederherstellungseinheit in der Tat perfekte Arbeit geleistet. Sie sehen einfach fantastisch aus! Besser als je zuvor...“


 

„Danke, danke, Adam!“ antwortete Raban Torger und fuhr grinsend fort: „So eine Hinrichtung möchte ich aber kein zweites Mal mehr miterleben müssen. Ein furchtbares Gefühl ist das, wenn man weiß, dass einem gleich der Kopf durchtrennt wird. Das ist nun schon der 12. Klon, den ich von mir habe machen lassen müssen. Fünfmal bin ich bereits in den letzten vierhundert Jahren auf die eine oder andere Art und Weise gestorben und stets immer wieder erfolgreich erneuert worden. Nur gut, dass mein Original so viele genetische Informationen tiefgefroren hinterlassen hat. Die reichen noch für eine Ewigkeit, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommen sollte, mein Freund.“


 

„Aber Sir! Was soll denn dazwischen kommen? Die 'Exkalibur' ist ein absolut sicheres Sternenschiff. Darf ich Sie übrigens darauf hinweisen, dass die Exitus-Sensoren eine Erfindung von mir seinerzeit waren? Wird ihr Körper beschädigt oder tödlich verletzt, sendet er einen letzten aber sehr energiereichen Informationsimpuls und alle nötigen Daten an das Mutterschiff, um sie schnellstmöglich von jedem beliebigen Ort umgehend in die medizinische Rettungsabteilung zu beamen, wo sie gleich nach ihrer Ankunft der Wiederherstellung zuführt werden. Nun, Zeitsprünge dieser Art sind immer gefährlich und werden es auch bleiben. Ich glaube dennoch, dass Sie stets ihre erforderliche Spezialausrüstung mitnehmen sollten, auch wenn wir dabei Gefahr laufen, dass dieses überaus wertvolle Instrumentarium auf den doch oft sehr gefährlichen Expeditionen möglicherweise zerstört oder verloren gehen sollte. Nun, der letzte Rettungseinsatz kam leider fast zu spät, denn es gab Wetter bedingte Störungen in der Atmosphäre des Planeten. Trotzdem konnte Sie der Transporterstrahl noch rechtzeitig lokalisieren und auf die Exkalibur zurück holen. - So, der Raumanzug ist fertig angelegt und einsatzbereit. Sie können losfliegen, Sir!“


 

„Danke Adam! Ist die Tarneinrichtung meiner Atmosphären-Maschine im vollen Umfange bereit? Ich möchte nämlich noch einmal unbemerkt ein paar Ehrenrunden über meinen Exekutionsplatz drehen. Wenn ich zurück bin, würde ich gerne etwas Golf auf dem Holodeck spielen. Ich brauche nach der Rückkehr etwas Entspannung. Bereite schon mal alles vor. Anschließen springen wird mit der 'Excalibur' zurück ins 21. Jahrhundert. Dort werden wir das alte New York besuchen, um es in aller Ruhe einmal ausgiebig kennen zu lernen. Wir werden das Raumschiff auf der dunklen Seite des Mondes rematerialisieren lassen, wo es niemand bemerken wird.“


 

„Jawohl Sir! Sie können sich wie immer auf mich verlassen“, antwortete der Androide Adam mit ruhiger Stimme und begleitete seine Kommandanten runter in den Hangar für die Atmosphären tauglichen Flugmaschinen.


 

Raban Torger stieg in die bereit stehende Maschine und verließ mit Hilfe des Katapultstarters den Raumschiffhangar der 'Excalibur' und nahm Kurs auf die Erde des späten Mittelalters. Kurze Zeit später überflog er mehrmals hintereinander jenen gruseligen Ort, an dem seine schreckliche Hinrichtung stattgefunden hatte.

Danach kehrte er im Steilflug zurück zu seinem gewaltigen Raumschiff, das im Orbit auf ihn wartete


 

ENDE


 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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