"Etwas nicht zu tun, begeistert mich“, sagte die Meuth, „etwas ganz und gar zu unterlassen, obwohl oder gerade weil es geboten erscheint. Hier, mitten im Tiergarten, könnte ich mich umgehend in dich verlieben, ja Kaminski, du hörst richtig, ich hege einen Anfangsverdacht, du interessierst mich, du elektrisierst mich, aber bewusst unterlasse ich ein Abgleiten in forsche Liebesbekundungen und zwar durch eine mir selbst gegenüber bereits im Vorfeld geleistete Verliebtheitsunterlassungerklärung, von der du, ohne mein Reden, gar keine Kenntnis erlangt hättest. Kurz gesagt: Ich verzichte, doch allem Verzicht wohnt ein gerüttelt Maß an Wollust inne, wusstest du das, Kaminski? Übrigens: Kennst du Delbrück? Halte dich fern von ihm. Er ist böse.“
Von den Tiergarten-Leuten war ich einiges gewohnt, sie waren schrullig und neigten zu stumpfsinnigen Reden und Rangeleien, um nicht zu sagen, sie waren völlig außer Rand und Band und entweder modern zu nennen oder nur geisteskrank, aber die Katze Meuth war anders, asketisch, gerissen, kühl, melancholisch, gar nicht so, wie Kater Delbrück sie sah, der ihr tänzelnd nachstellte. Sie las Brecht, Flaubert und die Woolf, wie nur die besten Katzen es taten in den 90ern, und Meuths Verliebtheitsunterlassungserklärungen, wirkungsvoll in Szene gesetzt, waren der große Renner. So weit ich weiß, schrieb sie damals an einem leicht pornografischen Roman, wie wir alle immer an leicht pornografischen Romanen schreiben, ich glaube er hieß Moloch Tiergarten und erregte die Gemüter, genau wie ihre frühe, frivole Novelle Delbrück oder das Böse, die schon vor ihrem offiziellen Erscheinen in einigen Tiergarten-Zirkeln als pikantes Märchen über die Abgründe des Katzentums kursierte und uns allen, nun ja, zu denken befahl.
Verrückte Jahre. Ich habe nie verstanden, wohin das Ganze führen sollte, die Zeiten der Trennung in starre Machtblöcke waren vorbei, vielleicht ist das die Erklärung, natürlich ist sie das, nichts geschah mehr, was wirklich Spannung verhieß, und so wurden Meuth und Delbrück schließlich ein Paar, wie es in jenen Jahren üblich war, wenn man sich stritt und an den Haaren riss und schrie und gähnte, dass die Menschen sich ansahen.
Und allmählich änderten sich die Zeiten. In den Nullerjahren, schon alt und grau, fingen wir an, aus Verzweiflung Hamsun und Nietzsche zu lesen, besuchten sogar ein Konfuzius-Seminar in einem grauen Betonklotz mit Fahrstuhl, mit weitem Blick über den Tiergarten. Doch einmal, im Zorn, zwischen Pappeln und Platanen, schlug ich vor den Augen der Meuth den feisten, dummen Delbrück blutig, als der ein Vogelküken quälen wollte, das aus dem Nest gefallen war. Links und rechts sausten die Krallen. So war zu verfahren, dachte ich; mit Kaminski war zu rechnen. Ich ging meines Weges und die Meuth nickte schwermütig. Mochte der Tiergarten brennen in Leidenschaft! Als die Semesterferien anfingen, verliebte sie sich neu.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.06.2018.
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