Heinz-Walter Hoetter

Der Mutant William Fox

Der einzige Raumflughafen auf dem Planeten Arkonbite I war klein und ziemlich heruntergekommen. Er wurde nur von wenigen Raumschiffen der intergalaktischen Förderation angeflogen. Zu unwichtig war diese Welt hier draußen am Rande der Galaxie, wo die gähnende Leere des Universums begann.

 

Ein junger Mann, der William Fox hieß und gerade mal 24 Jahre alt war, marschierte mit seinem breiten Metallkoffer aus der einsam daliegenden Gepäckhalle, in der sich noch zwei weitere Passagiere aufhielten, die, ebenso wie er, gerade ihre Koffer abgeholt hatten.

 

Draußen vor dem Ausgang schlug ihm die trockene, windige Hitze des planetarischen Spätnachmittags von Arkonbite I entgegen. Die Sonne stand wie eine feurige Scheibe am blauen, wolkenlosen Himmel, und eine staubige Landstraße führte schnurstracks von dem primitiven Raumhafen zu einem am Horizont liegenden Ort, der einsam und verlassen in einer ebenen Landschaft lag, die nur spärlich bewachsen war. Hier und da wuchsen ein paar hässlich aussehende Bäume, die ehr wie riesige Kakteen auf den Betrachter wirkten, weil sie überall mit spitzen Stacheln übersät waren.

 

Als William Fox wenig später den stillen Ort betrat, der ihm für ein Dorf schon viel zu groß erschien, war niemand der Bewohner zur Stelle.

 

Dabei hatte er gedacht, dass man ihn mit einem eindrucksvollen Willkommensgruß empfangen würde, denn die Leute von St. Bone Village sehen es nicht oft, dass ein neuer Besucher kommt.

 

Der junge Mann ging weiter. Die breite, gut geteerte Dorfstraße war links und rechts an den hohen Bordsteinen mit Flugsand zugeweht. Niemand hielt es offenbar für wichtig, hier mal mit einer Kehrmaschine durchzufahren.

 

Nachdem er ein Dutzend Schritte zurückgelegt hatte, vernahm er plötzlich hinter sich ein tapsendes Geräusch. Er hielt inne, setzte den Koffer ab und drehte sich langsam auf der Stelle herum. Dann sah er einen kleinen, sonnengebräunten Jungen, der barfuß die Straße entlang trabte und nur mit einer kurzen Latzhose bekleidet war. Fox schätzte ihn auf etwa zwölf Jahre. Der Junge schien es eilig zu haben.

 

Hallo Kleiner, bleib’ mal stehen!“ rief William.

 

Der junge Bursche hob den Kopf, blickte zu dem Mann hinüber, unterbrach seinen Lauf und blieb abrupt stehen. Keuchend atmete er tief durch.

 

Sie sind wohl mit dem Raumschiff gekommen – oder? Ich habe es landen sehen. Ein ziemlich großer Kasten. Sternenschiffe dieser Art besuchen Arkonbite I sehr selten. Meistens landen nur ihre Beiboote bei uns. Wegen der geringen Anzahl Passagiere, die hierher kommen. Ich heiße übrigens Benjamin Hoover. Aber Sie dürfen ruhig Benny zu mir sagen.“

 

William Fox musste grinsen, als er den Jungen so reden hörte und stellte sich ebenfalls vor.

 

Warum bist du so in Eile, Benny?“

 

Die Leute aus dem Dorf verbrennen einen bösen Hexer. Er ist bald dran. Ich will unbedingt dabei sein und nichts versäumen. Wenn Sie mitkommen wollen, dann folgen Sie mir, Mr. Fox. Na los! Machen Sie schon! Beeilen Sie sich!“

 

William Fox standen auf einmal die Haare zu Berge, als er daran dachte, dass hier offenbar ein Mann bei lebendigem Leibe verbrannt werden sollte.

 

Was? Ihr verbrennt hier einen Menschen? Ist das wahr..., Junge?“

 

Ja..., natürlich. Sie braten einen von diesen bösen Männern, die zaubern können und andere verhexen“, sagte der Junge laut und deutlich, wie man mit einem geistig Minderbemittelten oder einem ganz kleinen Kind spricht. „Sie dürfen nicht länger zögern, Mr. Fox. Wenn Sie noch rechtzeitig dort sein wollen, dann sollten Sie jetzt gleich hinter mir hergehen.“

 

William Fox griff nach seinem leichten Metallkoffer, hob ihn auf und begann mit schnellen Schritten dem Jungen zu folgen, der jetzt voller Ungeduld das Tempo vorgab. Staubwolken stiegen von der Dorfstraße auf und hüllten sie ein.

 

Während Fox dem Burschen hinterher lief, dachte er darüber nach, was hier eigentlich genau vor sich ging. Vielleicht war der Junge nur ein gewiefter Aufschneider. Und wenn nicht? Er würde es ja sehen.

 

Die Menschen auf Terra hatten im düsteren Mittelalter ihrer Entwicklung auch schon angeblich Unheil bringende Personen öffentlich auf Scheiterhaufen verbrannt, nur weil sie kundige Kräuterkenner waren oder über zerstörerische magische Kräfte verfügt haben sollen, die sie gegen ihre Mitmenschen anwandten, um sie zu verhexen. Unwillkürlich schauderte er bei dem Gedanken. Offenbar spielte sich hier auf Arkonbite I ähnliches ab – vorausgesetzt, der Bursche hatte die Wahrheit gesagt.

 

***

 

Unterwegs sann der junge William Fox über sein eigenes Schicksal nach. Nicht umsonst hatte man ihn auf den entferntesten Planeten in der Galaxie geschickt, um hier an diesem stillen Ort zu lernen, wie er mit seinen eigenen, immensen telekinetischen Kräften richtig umzugehen hatte.

 

Auch sollte er seinen Willen darin bestärken, sie nicht bei jeder Gelegenheit zu gebrauchen.

 

Es war sein eigener Vater gewesen, der ihm seine unglaublichen Fähigkeiten erklärt hatte.

 

Du bist der beste Telekinetiker, den ich je gesehen habe“, hat er einmal zu ihm gesagt. „Du bist so gut, dass dir diese Gabe schon zur zweiten Haut geworden ist. Aber du musst noch lernen, dass man sie gegenüber seinen Mitmenschen verbergen muss, um nicht aus der Mitte ihrer Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Sie mögen niemanden, der nicht so ist wie sie.

 

Der junge William Fox wollte eigentlich auf Terra bleiben, aber sein Vater hatte ihm gesagt, dass er dazu gezwungen sei, seine telekinetischen Kräfte zu verheimlichen. Es wäre besser für beide. Würden die Menschen nämlich herausbekommen, dass es unter ihnen Mutanten gab, vor denen sie Angst haben müssen, würde man sie wegen ihrer ungewöhnlichen Begabung früher oder später verfolgen und sogar töten. So waren die Menschen nun einmal.

 

Zum Glück wohnten sie all die zurückliegenden Jahre weit draußen auf dem Land in voller Abgeschiedenheit. Nur selten verirrten sich Fremde in ihre Gegend. Trotzdem wurde es für William immer gefährlicher, weil seine telekinetischen Fähigkeiten von Tag zu Tag stärker wurden. Es fiel dem jungen Mann äußerst schwer, seine Psi-Kräfte richtig zu kontrollieren und mit eigener Willenskraft zurückzuhalten.

 

Hier auf der Erde des Menschen kannst du nicht bleiben. Es besteht die latente Gefahr, dass du deine wachsenden Psi-Kräfte unbewusst gegen sie einsetzt. Auf einer weit abgelegenen Außenwelt, mit nur wenigen Menschen, wirst du lernen, mit der Alles-oder-nichts-Situation fertig zu werden. Im Laufe der Zeit wirst du deine Gabe schließlich unter Kontrolle bringen und kannst dann irgendwann einmal nach Terra, in die Gesellschaft der Menschen, zurückkehren“, hatte sein Vater zu ihm gesagt und ihn kurzerhand in das nächste Raumschiff gesteckt, das auf seiner Route auch den Rand der Galaxie anflog. Und nun, hier auf Arkonbite I, würde er das lernen müssen – oder, möglicherweise, daran zugrunde gehen.

 

***


„Mr. Fox“, sagte Benny plötzlich, der immer noch vorausging und sein Schritttempo aber jetzt etwas drosselte „Woher kommen Sie eigentlich? Wollen Sie sich bei uns als Kolonist niederlassen?“ fragte er neugierig.

 

Als Kolonist bestimmt nicht. Aber ich werde ein Weile bei euch bleiben. Ich komme direkt vom Planeten Delta IX. Der liegt im Andromedanebel und ist von Kolonisten schon viel zu dicht besiedelt worden. Also bin ich hier hin. Auf Arkonbite I gibt es nicht einmal zehntausend Menschen. Dazu noch ein paar andere intelligente Lebewesen, die allerdings eine unbedeutende Minderheit darstellen. Zudem ist dieser Planet eine absolut psi-lose Welt. Schade, dass dieser Planet nur zwei kleine Meere besitzt. Wasser ist ganz allgemein Mangelware bei euch. Ich habe mich vorher genau erkundigt“, antwortete William Fox dem interessiert zuhörenden Jungen, der nicht wusste, dass er angelogen wurde. Würde man auf Arkonbite I nämlich in Erfahrung bringen, dass er ein Mensch mit einem außergewöhnlich hohen Potential telekinetischer Energie war, müsste er sicherlich um sein Leben fürchten.

 

Was, Sie kommen direkt vom Planeten Delta IX? Mhm..., eine schöne Welt mit zwei Sonnen. Die Bewohner dort kennen keinen Winter, nur ausgeglichene Sommer. Schade, dass es dort nur drei Kontinente gibt, die nicht allzu groß sind. Daher wohl die Überbevölkerung“, sagte der Junge.

 

Woher weißt du das alles“, frage William Fox erstaunt.

 

Aus den intergalaktischen Nachrichten, die wir hier besonders gut empfangen können. Unsere automatisch arbeitenden Stationen sind mit hochempfindlichen Hypersignalempfängern ausgerüstet. Deshalb sind wir immer bestens informiert“, sagte der junge Bursche mit sichtlichem Stolz.

 

Ach so“, raunte Fox, „das ist ja interessant.“

 

Plötzlich wurde die Stille von einem lauten Knall unterbrochen. Kurz darauf folgte ein zweiter. Mehrere helle Blitze schossen in den späten Nachmittagshimmel und verschwanden sogleich wieder.

 

So ein Pech aber auch“, schimpfte der Junge, „jetzt habe ich die Hinrichtung des Hexers wohl verpasst. Ich hätte eben nicht auf Sie warten sollen, Mr. Fox. Sie sind daran Schuld, dass es so gekommen ist.“

 

Zu spät, wie? Da ist dir wohl ein echter Spaß entgangen...“, antwortete ihm William Fox mit einer leichten Häme im Ton seiner Stimme und fühlte sich irgendwie erleichtert darüber, dass es so gekommen war. Dann griff er nach seiner Wasserflasche im bauchigen Lederbeutel an seinem breiten Hosengürtel, öffnete sie und trank einen kräftigen Schluck daraus. Das kühle Wasser mit einem Zusatz wichtiger Vitamine tat ihm gut. Seine Stimmung verbesserte sich sofort.

 

Schade, es ist wirklich aufregend“, sagte Benny und schien irgendwie begeistert zu sein. „Vor allem dann, bevor wir die Hexer dem Feuer des Scheiterhaufens übergeben können. Was die alles anstellen, um ihrem bevorstehenden Tod zu entkommen. Das müssen Sie unbedingt mal gesehen haben, Mr. Fox.“

 

Das kann ich mir auch so vorstellen, dachte William grimmig und gab keine Antwort.

 

Sie gingen weiter, jetzt schon mit viel langsameren Schritten und der Hinrichtungsplatz rückte näher. Schon konnte William Fox die ersten Gebäude deutlich erkennen. Eine Menge Leute standen auf der Straße herum. Die Sonne brannte immer noch unangenehm warm vom blauen Himmel herunter, obwohl sie jetzt schon viel tiefer stand.

 

Aus einer Seitengasse kam ihnen schlurfend eine abgerissene Gestalt entgegen. Sie war groß und hager, mit einem langen, verfilzten Bart im Gesicht. Der Mann sah übel mitgenommen aus. Die klobigen Schuhe waren total abgetreten und an manchen Stellen sogar aufgerissen. Seine schäbig aussehende Lederjacke stank nach Dreck.

 

Als er vor ihnen stand, starrte er William Fox ins Gesicht. Dann grinste er, wobei er ziemlich gelbverfärbte Zähne zeigte.

 

Hallo ihr beiden! Habt ihr vielleicht einen Kupfertaler für mich, meine Freunde?“ fragte er mit tief dröhnender Stimme. „Zeigt ein Herz für einen armen Mann. Na..., kommt schon!" bat er traurig mit ausgestreckter rechter Hand.

 

William kramte umständlich in seinem Lederbeutel herum und zog eine kleine Münze daraus hervor. Der Junge neben ihm funkelte ihn missbilligend an, als er sah, dass er sie dem anscheinend völlig mittellosen, obdachlosen Mann schenken wollte. Der Gebende ließ sich nicht davon abhalten und legte die Münze in die ausgestreckte Hand des Bettlers.

 

Ich danke Ihnen vielmals und wünsche viel Glück, Mister“, jubelte dieser mit krächzender Stimme und schlurfte mit rollenden Augen davon. Nach ein paar Schritten drehte er sich jedoch wieder um und sagte: „Pech für alle, dass sie das Rösten verpasst haben. Diesmal war es besonders prima. Das reinste Feuerwerk. Diese Mutanten stecken voller Energie. Ich möchte bloß mal wissen, wie die das machen.“

 

Dann ging er endgültig.

 

Der Junge und sein Begleiter marschierten weiter und kamen bald an einem Platz, der durch eine weitläufige Gruppe von zwei- bis dreistöckigen Häusern begrenzt wurde. In der Mitte des Platzes stand ein wuchtiger Stahlträger, den man tief in den Boden gerammt hatte. Die Reste eines Feuers schwelten noch. William Fox schauderte beim Anblick der Hinrichtungsstätte und wandte sich voller Ekel ab.

 

Was ist denn?“ fragte der Junge spöttisch. „Brät man bei euch auf Delta IX keine Hexer?“

 

Nun ja, vielleicht ist es auch schon mal bei uns vorgekommen. Aber genau weiß ich das nicht“, gab William zur Antwort. Er zitterte auf einmal am ganzen Körper und seine Hände verkrampften sich. Er versuchte verzweifelt, sich unbemerkt in die Gewalt zu bekommen. Schließlich gelang ihm das einigermaßen.

 

Der Junge hatte anscheinend nicht bemerkt, wie sich der staubige Boden hinter William leicht nach oben wölbte und dann schlagartig wieder in sich zurückfiel. Eine kleine Staubwolke bildete sich über der Stelle, die aber bald verschwand.

 

William Fox dachte an seinen Vater, der auf der behaglichen Erde zurück geblieben war, während er sich hier in einer staubigen Welt befand, deren Bewohner von Millionen und Abermillionen herumsurrender Insekten geplagt wurden. Mehr oder weniger freiwillig hatte man ihn dazu verdammt, die kommenden Jahre in einem armseligen Dorf zu verbringen, das einsam und verlassen inmitten einer kargen Landschaft lag. Es kam ihm so vor, als müsse er eine Gefängnisstrafe absitzen. Viel schlimmer noch. Im Gefängnis hatte man keine Sorgen. Der Tag war geregelt und man bekam drei Mahlzeiten am Tag.

 

Hier draußen, am Rande der Galaxie auf dem fast menschenleeren Planeten Arkonbite I war das völlig anders. Niemand kümmerte sich um ihn. William unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch. Er würde ständig aufpassen müssen, seine gewaltigen Psi-Kräfte unter Kontrolle zu halten. Den ersten Test hatte er wohl einigermaßen überstanden, aber auch nur deshalb, weil er seinen kleinen Gefährten Benny nicht in Gefahr bringen wollte. Ein gutes Zeichen? Er wusste es nicht. Er beschloss auf jeden Fall, ins Dorf zurückzugehen. Der Junge verließ ihn und ging seine eigenen Wege.

 

***

 

Im Dorf angekommen eilte auf einmal ein hochgewachsener Mann mit wettergegerbtem Gesicht auf ihn zu.

 

Sei gegrüßt, Fremder! Mein Name ist Stan Havelmann – ich bin der Bürgermeister von St. Bone Village. Sie sind ganz neu angekommen, nicht wahr?“

 

William Fox nickte und stellte seinen Koffer auf den Boden.

 

Der Bürgermeister redete sogleich weiter.

 

Ich freue mich wirklich, wenn der eine oder andere Besucher aus den Tiefen des Alls hier bei uns hängen bleibt. Unser Dorf ist gar nicht so klein, wie es den Anschein hat. Wir haben ein weitverzweigtes, komfortabel eingerichtetes Höhlensystem, in dem es überall angenehm kühl ist. Alles ist auf dem neuesten Stand der Technik. Sie werden sicherlich erstaunt sein, was wir zu bieten haben. Frauen sind mehr als genug da. Wir haben sogar einen kleinen weiblichen Überschuss. Das macht die ganze Sache etwas leichter, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Übrigens, hatten Sie wenigsten einen guten Flug?“

 

Ja, ich kann nicht klagen. Ich komme direkt vom Planeten Delta IX. Ich versuche hier einmal mein Glück.“

 

Schade, dass Sie nicht etwas früher gekommen sind“, sagte Stan Havelmann mit liebenswürdiger Mine. Sicherlich ist Ihnen unsere, ich will mal sagen ‚kleine Vorstellung’ nicht entgangen – oder?

Das Aufflammen der Blitze ist in der ebenen Landschaft gut zu sehen. Haben Sie vom Raumhafen aus nichts davon bemerkt?“

 

Williams Gesichtsausdruck verfinsterte sich ein wenig.

 

Nein, von dort aus nicht. Aber von einer anderen Stelle aus.“

 

Na ja, auch gut“, schwadronierte der Bürgermeister und fuhr mit seinem Gerede fort.

 

Wir wollen hier von der Sorte keinen haben. Wir nennen diese Typen Hexer. Aber ab und zu kommt der eine oder andere daher, der etwas Ausgefallenes treibt. Wenn wir ihm auf die Schliche kommen, dann greifen wir ein und schicken ihn dorthin, wo er hingehört..., nämlich in die Hölle.“

 

Kann ich Ihnen nicht verdenken“, sagte William Fox. Der Mensch soll so etwas nicht tun. Das ist nicht richtig.“

 

Ganz genau, mein Freund“, sagte der Bürgermeister mit wachsender Begeisterung. „Sie scheinen mir ein angenehmer und vernünftiger Zeitgenossen zu sein. Ich bin froh, dass Sie zu uns gefunden haben, Mr. Fox.“

 

William zuckte verlegen mit der Schulter. Er kaute eine Weile an seiner Unterlippe, dann sagte er: „Mr. Havelmann, es wird langsam Zeit, dass ich zur Sache komme. Ich brauche dringend ein Zimmer. Wissen Sie, zu wem ich gehen kann, um eins zu bekommen?“

 

Ja natürlich. Ich kann Ihnen helfen. Etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten von hier, in westlicher Richtung, liegt eine kleine Biofarm. Die Besitzer dort suchen dringend einen Arbeiter, der sich mit der Instandsetzung von automatisch bewässerten Gewächshäusern auskennt. Aber er sollte auch bei der bevorstehenden Bohnenernte helfen. Sie wären bestimmt der richtige Mann für diese Tätigkeit. Gehen Sie los und sagen Sie den Leuten dort, ich hätte Sie geschickt. Dann steht Ihrer Einstellung nichts mehr im Wege, Mr. Fox.“

 

Ich danke Ihnen für diesen Tipp, Bürgermeister. Ich werde mich erkenntlich zeigen, sobald mir dies möglich ist. Aber zuerst einmal wünsche ich Ihnen noch einen guten Ausklang des zur Neige gehenden Tages. Wir werden uns bestimmt wiedersehen. Bis dann!“

 

Nichts zu danken, mein Freund. Gern geschehen! Ich wünsche Ihnen ebenfalls alles Gute. Ich hoffe, Sie kommen hier bei uns gut zurecht. Wir sehen uns...“ sagte Mr. Havelmann und verabschiedete sich ebenfalls.

 

 

***

 

 

Der junge William Fox zog noch am gleichen Tag ein. Die Unterkunft lag im ersten Stock des Wohngebäudes. Er packte seinen Koffer aus und verstaute die darin enthaltenen Habseligkeiten in einen schmalen Schrank, der in dem kleinen Zimmer gleich neben der Eingangstüre stand. Danach wollte er hinunter gehen, um seine neuen Gastgeber genauer kennen zulernen. Schon bei seiner Ankunft hatte er sie zu Gesicht bekommen und dabei festgestellt, dass sie recht nette Menschen waren.

 

Die Besitzer der Biofarm waren ein Mann und eine Frau mit drei Kindern. Der Mann hieß Louis Trafalgar, der Vorname seiner Frau war Elli. Die Kinder, ein Mädchen und zwei Jungen, hießen Ruby, Baron und Fiss, alle im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahre. Ihre Gesichter waren von der Sonne Arkonbite I braun gebrannt.

 

Louis war ein Mann Mitte Fünfzig, der schon eine Vollglatze hatte. Auch sein Gesicht war dunkelbraun von den vielen Arbeitsstunden in der grellen Sonne geworden. Er hatte eine joviale Art, mit den Menschen umzugehen.

 

Seine Frau Elli war eine mächtige Frau mit einem erstaunlich hübschen Gesicht. Ihre Stimme war ein mildes, aber maskulines Dröhnen. Ihre Gesamterscheinung strahlte eine schlichte, traditionelle Volkstümlichkeit aus, die man bei Kolonistenfrauen häufig antraf. Solche Frauen waren auf der Erde längst ausgestorben.

 

Ihre Kinder waren gut erzogen und hielten sich, wenn die Erwachsenen miteinander redeten, höflich zurück.

 

Ruby war ein kurzgedrungenes, kräftiges Mädchen von etwa achtzehn Jahren; Baron, ein muskulöser Sechzehnjähriger mit häufig mürrischem Gesichtsausdruck; und Fiss, ein pausbäckiger elfjähriger Junge, der viel herumalberte.

 

Es sah ganz so aus, dass es sich hier um eine glückliche Kolonistenfamilie handelte, dachte William so für sich.

 

Nachdem er sein kleines Zimmer verlassen hatte, stieg er die Treppe hinunter. Auf der vorletzten Stufe rutschte er plötzlich aus und begann nach vorne zu fallen. Im letzten Augenblick beförderte er sich mit seinen telekinetischen Kräften bis zum untersten Treppenabsatz und blieb dort leicht schwankend stehen. Dann richtete er sich wieder gerade auf, und als er begriff, was er getan hatte, erstarrte er für einen Moment. Dann spürte er, wie sich auf seiner Stirn kalter Schweiß bildete.

 

Er schaute sich verstört um. Niemand hatte ihn gerade bei seiner telekinetischen Aktion beobachtet. Jedenfalls bei dieser Gelegenheit nicht. Aber, so fragte sich William verzweifelt, wie oft würde ihm so etwas noch in ähnlicher Form passieren? Nicht auszudenken, wenn andere ihn dabei beobachteten.

 

Er wartete einige Sekunden, bis sich der Schock gelegt hatte. Während er sich wieder beruhigte, betrat er das Wohnzimmer der Familie Trafalgar, die alle schon versammelt waren.

 

Mrs. Trafalgar stand auf und bot ihm einen Platz an.

 

Das Essen steht schon auf dem Tisch“, sagte sie auffordernd.

 

William Fox setzte sich. Der Biofarmer Louis saß am oberen Tischende, sprach ein kurzes, halblaut zu hörendes Gebet und schloss mit einem Wort für den neuen Gehilfen, der zu ihnen gekommen sei. Dann reichte seine Frau Elli mit einem Tablett zwei Terrinen dampfender Suppe von hinten heran.

 

Niemand rührt sich von der Stelle. Die Suppe ist heiß“, sagte sie mit warnender Stimme, damit sie gefahrlos servieren konnte. In diesem Moment rutschte der elfjährige Fiss von seinem Stuhl und stieß die Mutter von der Seite an, die mit vor Schreck geweiteten Augen auf die überschwappende Suppenterrine starrte, die langsam zu rutschen begann.

 

William biss auf die Lippen. Vor lauter Schmerzen quollen ihm Tränen aus den Augen. Er zwang sich dazu, mit seinen telekinetischen Kräften nicht einzugreifen, obwohl er die herabkippende Suppe mit Telekinese durchs ganze Zimmer hätte schleudern können.

 

Seine Unterlippe fing an zu bluten, die er beinahe durchgebissen hätte. Sein Körper zitterte vor Anstrengung, die ihn die Zurückhaltung gekostet hatte.

 

Mrs. Trafalgar stellte das Tablett wie eine balancierende Tänzerin ab und bemühte sich verlegen um ihren Mann, der etwas von der heißen Suppe abgekriegt hatte. Seine Glatze leuchte hellrot auf, wie eine glühende Ofenplatte.

 

Ach Louis, das wollte ich nun wirklich nicht. Mein Gott, hab’ ich dich vielleicht verbrannt?“

 

Ich werd’s überleben, meine Gute. Außerdem hast du ja keine Schuld an der ganzen Sache. Mit Fiss werde ich später ein ernstes Wörtchen reden. Kümmere dich darum, dass unser Gast seine Suppe bekommt. Wir wollen endlich mit dem Essen anfangen.“

 

Der weitere Abend gestaltete sich freundlich. Der Biofarmer sprach viel von seiner Arbeit und dem kargen Boden, der mit Spezialmaschinen und viel Dünger behandelt werden musste, um gute Erträge zu bringen. Erst spät in der Nacht gingen sie alle müde zu Bett und legten sich schlafen.

 

***

 

Die Morgensonne von Arkonbite I stieg noch am Himmel hinauf, und der Tag hatte seine größte Hitze noch vor sich, als William Fox schon mit einigen anderen Gehilfen zusammen auf dem Feld arbeitete und eine Art von Bohnen pflückte, die offenbar eine ganz spezielle Züchtung waren. Das Feld schien sich endlos zu erstrecken. William hob seinen gefüllten Korb mit gefühllosen Fingern, kippte ihn aus und sah den graugrünen Schoten hinterher, die durch eine breite Öffnung auf die Ladefläche eines Transporters purzelten.

 

Ein flüchtiger Gedanke tauche in ihm auf, als er aufs Feld zurückging, um weiter Bohnen zu pflücken. Wie einfach wäre es, die Schoten mit Telekinese in die Körbe zu befördern. Das würde die Arbeit ungemein erleichtern. Genauso das Abkippen durch die Öffnung an der Ladefläche. Schon wollte er es ausprobieren, hielt sich aber im letzten Moment damit zurück. Von seiner Stirn tropfte der Schweiß, der ihn daran erinnerte, sich dieser Versuchung nicht hinzugeben. Man würde ihn möglicherweise enttarnen und das Leben zur Hölle machen.

 

William Fox zwang sich zur Konzentration auf das, was er tun musste, bemühte sich darum, seine besondere Gabe zu vergessen. Das gehört eben zu meinem Lernprozess, erklärte er sich grimmig. Das ist das Erwachsenwerden für Menschen wie ihn, die mit telekinetischen Kräften geboren worden sind.

 

Nach zwei weiteren Tagen harter Feldarbeit war er so fit geworden, dass die anstehende Pflückarbeit nicht mehr zu einem Alptraum wurde. Seine Verfassung wurde immer besser, sein Körper war gesund, und seine Muskeln passten sich ohne allzu große Proteste an die neue Beanspruchung an. Williams Lebenskräfte steigerten sich und seine Psi-Kräfte ebenso. Diese Entwicklung freute ihn aus irgendeinem Grund ganz besonders. Auch seine paranormalen Kräfte hatte er gut im Griff, die er so gut wie nie einsetzte, obwohl der andauernde Verzicht langsam weh tat.

 

***

 

Am fünften Morgen auf Arkonbite I wurde er schlagartig sehr früh wach. Sein Gehirn schien zu brennen. Er blinzelte, trieb sich den Schlaf aus den Augen und stieg aus dem Bett.

 

Einen Augenblick später stand er mitten im Zimmer und fragte sich, was geschehen war. William lauschte dem gleichmäßigen Schlag seines Herzens. Dann griff er nach seinen Kleidern, zog sie an, trat ans Fenster und schaute hinaus.

 

Es war noch lange nicht Tag. Die beiden Monde am dunklen Himmel von Arkonbite I zogen majestätisch hintereinander auf ihren festgelegten Bahnen dahin. Sie warfen ein glitzerndes, eisiges Licht auf die weiten Felder, die bis zum fernen Horizont reichten. Die Stille draußen war irgendwie schrecklich und beängstigend.

 

William wusste, was in ihm vorging. Er musste seine telekinetischen Kräfte trainieren, die er solange zurückgehalten hatte. In der Ruhe der Morgendämmerung schlich er aus dem Haus und ging zur Scheune hinüber. Im Schutz der Dunkelheit benutzte er seine Telekinese und warf nacheinander eine einzelne Schote hoch. Nach kurzer Zeit schon schwelgte er im Gebrauch seiner seltenen Gabe und schleuderte die Schoten zu Tausenden durch den Raum, die herumflogen, wie ein riesiger Schwarm wild gewordener Heuschrecken.

 

Als der Morgen endlich kam, suchte er Mr. Trafalgar auf und bat um einen Tag Befreiung von der Arbeit.

 

Der Biofarmer kratzte sich nachdenklich am Ohr.

 

Sie wollen schon jetzt freie Zeit? Bei der vielen Arbeit? Ist das wirklich so wichtig für Sie? Wir wollen unsere Ernte einbringen, bevor die Jahreszeit zu Ende geht. Wir müssen danach sofort wieder neu pflanzen, mein Junge“, sagte Louis Trafalgar.

 

Ich weiß. Aber ich möchte mir trotzdem wenigsten den Vormittag frei nehmen. Ich muss einige Sachen gründlich überdenken“, antwortete Williams energisch.

 

Na gut. Ich bin ja kein Sklaventreiber. Nimm dir für den Vormittag frei, wenn du willst. Du kannst die Arbeit nach Feierabend nachholen.“

 

***

 

Die Hitze der Sonne fing gerade an zu wirken, als William Fox die Farm verließ und nach knapp einer Stunde Fußmarsch einen in der Nähe der Bohnenfelder liegenden Wald betrat, der wunderbar kühl war und sich in ein sanft abfallendes Tal hinein gedrängelt hatte. Die Bäume standen dicht gedrängt und waren mit roten Blätter bewachsen. Der Boden hatte eine schwarze Färbung und schien sehr fruchtbar zu sein.

 

Diese Gegend war genau das Gegenteil jener kargen Landschaft, die sich um den Raumhafen und das Dorf erstreckte.

 

Immer tiefer drang er in den Wald ein. Gelegentlich flogen seltsame Wesen an ihm vorbei, die wie riesige Libellen aussahen. William Fox wusste, warum er auf Arkonbite I war: nämlich um Mäßigung zu lernen, und um seine besondere Psi-Begabung unter Kontrolle seines menschlichen Willens zu bringen.

 

Er schaute nach vorne. Ein gewundener Fluss rann leise plätschernd durch den Wald. Dann erblickte er plötzlich einen blaudunstigen Rauchfaden, der auf einer baum- und strauchlosen Lichtung zum Himmel aufstieg. Vorsichtig schaute er durchs Gebüsch. Auf der freien Lichtung brannte ein Feuer. Davor saß ein Mann, der ihm schon mal begegnet war. Es war der Bettler, der ihm aus einer Seitengasse in der Nähe des Hinrichtungsortes entgegen gekommen war und um einen Kupfertaler gebettelt hatte.

 

Der Mann trug noch immer seine dreckige Lederjacke und schien zwei Fische über dem Feuer zu braten.

 

William Fox grinste ein wenig und wollte gerade das sichere Gebüsch verlassen, als er bemerkte, womit der Bettler seine Fische erhitzte. Es gab nämlich kein Feuer – bis auf die flimmernde Strahlung, die aus seinen Fingerspitzen ohne Unterlass hinaus strömte.

 

Der junge Mann erstarrte mitten im Schritt vor Entgeisterung. Dieser herunter gekommene, verlauste Bettler war in Wirklichkeit ein Pyromatiker, der sich gemütlich im stillen Wald mit Hilfe seiner psionischen Kräfte Fische zum Frühstück briet.

 

William verließ jetzt das schützende Unterholz und trat beherzt auf die Lichtung. Ein paar Zweige knackten unter seinen Schuhen.

 

Der Bettler sah noch im gleichen Moment auf, dreht seinen Kopf zur Seite und entdeckte William sofort. Mit böse funkelnden Augen sah er zu ihm hinüber. Plötzlich griff er an seine Hüfte, riss ein mächtiges Jagdmesser heraus und schleuderte es mit aller Kraft ohne zu zögern auf den wie versteinert da stehenden Mann.

 

In dem kurzen, vorbeizuckenden Augenblick, nachdem das Messer aus der Hand des Bettlers flog, huschte ein Gedanke durch Williams Gehirn. Der Kerl musste genauso wie er von der Erde sein und wollte offenbar ebenfalls seine übernatürlichen Kräfte hier in der Abgeschiedenheit von Arkonbite I unter Kontrolle bringen. Offenbar gelang ihm das nicht in ausreichender Qualität.

 

Genau deshalb war es jetzt auch nicht mehr wichtig, vor ihm seine eigene Psi-Begabung zu verbergen. Er wollte sich von der heranfliegenden Klinge auf gar keinen Fall durchbohren lassen.

 

William Fox trieb das Messer mit bloßer Gedankenkraft weg in den weichen Waldboden hinein. Dann bückte er sich, zog es heraus und schaute den vermeintlichen Bettler an.

 

Dieser hatte die Aktion mit weit aufgerissenen Augen beobachtet.

 

Was hast du da gerade getan? Du besitzt telekinetische Fähigkeiten. Ich kenne dich. Du bist doch derjenige, der mir einen Kupfertaler geschenkt hat. Bist du ein Spion von der Erde?“

 

Nein, bin ich nicht. Aber du bist ein Pyromatiker, wie ich gesehen habe.

 

Ja, stimmt. Komm’ doch näher! Ich kann dir sowieso nichts tun. Du bist sehr stark, jedenfalls viel stärker als ich es je sein werde. Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Die meisten Menschen hassen nicht nur meine, sondern auch deine Gesellschaft, weil sie Angst vor uns haben. Übrigens heiße ich Joe Flemming und komme wie du von der Erde.

 

William stellte sich ebenfalls vor.

 

Bei ihrem hastigen Gespräch im Wald erklärte ihm Flemming die ganze Geschichte seines Schicksals. Viele Mutanten übernahmen die Rolle des Landstreichers, zogen mit absichtlich schlurfenden Gang und rollenden Augen von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt. Nirgends blieben sie lange, ließen sich nicht anmerken, was für übernatürliche Kräfte sie besaßen.

 

Hier im Wald und in anderen abgelegenen Gebieten konnten sie ihre besondere Begabung ausprobieren, ohne dabei gestört zu werden. Niemand beobachte sie; niemand erwog die Möglichkeit, dass sie Hexer sein könnten. Einsame Gegenden waren der ideale Ort der Tarnung, um ihre gewaltigen Kräfte freien Lauf zu lassen. Sie mussten das tun, denn sonst würden sich diese unheimlichen Kräfte ihren Weg von selbst nach draußen suchen, wie der Strom einer Hochspannungsleitung, die plötzlich geerdet wird.

 

Wir gehen jetzt besser. So ganz ungefährlich ist es auch hier draußen nicht immer. Manch ein Jäger treibt sich heimlich in den Wäldern herum und ist nicht nur auf der Jagd nach Wild“, sagte Flemming. Dann warf er die Reste der beiden Fische ins hohe Gebüsch.

 

William schaute Flemming eine Weile nach, als er mit gebücktem Oberkörper davon schlurfte. Dann trat auch er den Rückweg an. Während er so dahinschritt, dachte er darüber nach, wie er die kommenden Jahre auf Arkonbite I verbringen sollte, ohne von den hier lebenden Menschen als Psi-Mutant entdeckt zu werden. Er wollte in ihrer Gesellschaft leben, wie ein ganz normaler Mensch und nicht wie Flemming als gehetztes Tier von Ort zu Ort wandern.

 

Es musste doch irgendeinen Weg geben, dachte sich William Fox verbissen. Es musste doch eine Möglichkeit geben, eine Methode, die es ihm ermöglichen würde, dass er unerkannt in der menschlichen Gesellschaft zurückkehren oder in irgendeiner anderen Psi losen Gesellschaft leben und trotzdem seine Psi-Kräfte eindeutig unter Kontrolle halten konnte.

 

In der Ferne erblickte er schon die Felder der Biofarm. Als er eine Zeit lang später daran vorbeiging und die Bohnenpflücker bei der Arbeit sah, schauten sie zu ihm rüber und riefen ihm etwas zu.

 

Sieh mal einer an, wer da kommt. Da ist er ja wieder“, schrie einer der Männer und fragte lautstark brüllend in die Runde, wie William den Vormittag wohl verbracht hatte. Die übrigen fingen an zu lachen.

 

Ich habe angestrengt über mein zukünftiges Leben nachgedacht“, sagte der junge Mann ruhig. Die Arbeit hole ich nach Feierabend nach. Das ist keine Problem für mich.

 

He, schaut mal zu mir rüber, was ich kann“, rief plötzlich eine helle Stimme aus dem Hintergrund. Alle schauten in Richtung des Transporters.

 

Leg’ die Bohnenschoten zurück und geh’ wieder an die Arbeit, befahl Mr. Louis Trafalger seinem Sohn Baron, der auf der Ladefläche eines LKW’s stand.

 

William drehte sich ebenfalls interessiert um und schaute zu dem Jungen hinüber. Er hatte einige Bohnenschoten in der Hand und jonglierte eifrig mit ihnen herum.

 

Was ist? Wollt ihr nicht sehen, was ich kann?“ rief er noch einmal lautstark in alle Richtungen, offenbar ganz stolz auf seine akrobatische Geschicklichkeit. Immer mehr Schoten warf er in die Luft und fing sie gekonnt wieder mit den Händen auf.

 

Seht doch her! Ich kann jonglieren.“

 

Einen Augenblick später verlor er die Herrschaft über die Kapseln. Sie fielen herunter und verstreuten sich über den ganzen Boden direkt vor dem LKW. Sein Vater stieg hinauf und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Jammernd und plärrend stieg Baron vom Fahrzeug herunter und ging wieder an seine Arbeit.

 

William lachte leise vor sich hin. Nicht wegen der Ohrfeige. Nein. Er hatte die Lösung endlich gefunden, als ihm klar wurde, was Baron am Schluss seiner Darbietung falsch gemacht hatte. Ihm waren die Schoten beim Jonglieren entglitten und runter gefallen. Das würde ihm nicht passieren, wenn er heimlich seine Psi-Kräfte dabei einsetzte. Niemand aus dem Publikum würde das bemerken.

 

Er verließ einige Tage später die Biofarm und tauchte für ein halbes Jahr unter. Er trainierte sich heimlich alle Tricks der Taschenspieler und Jongleure an, die es so gab und heuerte danach bei einem Zirkus in der Stadt an.

 

Kurze Zeit später tauchten von William Fox überall in der Umgebung großformatige Plakate mit seinem Gesicht auf. Sie waren in bunten Farben gedruckt und äußerst auffällig aufgemacht. Ganz unten stand in großen schwarzen Lettern zu lesen:

 

Der große Clown, Zauberer, Jongleur und Taschenspieler

 

BONDINI

 

kommt!

 

 

***

 

Einige Jahre später in einer der größten Stadt auf Arkonbite I.

 

Die Zirkusvorstellung war gerade vorbei. Ein großer Bauernlümmel saß in der ersten Reihe der Manege und rief mit laut dröhnender Stimme:

 

Ich kenne diesen Clown. Er hat mal auf unserer Farm als Gehilfe gearbeitet. Das ist William Fox. Bist du es wirklich, Fox?“

 

Der Clown sah den kräftigen Burschen an und lachte verlegen.

 

Ja ich bin’s wahrhaftig, Baron. Auch ich habe dich gleich wieder erkannt. Du bist ja schon ein richtiger Mann geworden. Wie die Zeit vergeht. Wo sind deine Eltern und deine anderen Geschwister? Bist du ganz allein hier hergekommen, um mich zu sehen?“

 

Die Zuschauer verließen langsam nacheinander das große Zirkuszelt. Zum Schluss standen nur noch William Fox und der junge Baron Trafalgar am Rand der Manege.

 

Meine Eltern sind in diese Stadt gezogen und haben die Biofarm an einen großen Konzern verkauft. Es geht ihnen gut. Ruby hat geheiratet und lebt noch immer in St. Bone Village. Sie arbeitet in dem kleinen Raumflughafen als Mädchen für alles. Wenn du Arkonbite I mal wieder verlassen solltest, wirst du sie dort bestimmt antreffen. Mein kleiner Bruder Fiss hat eine Lehre als Mechaniker angefangen. Die Tätigkeit macht ihm viel Spaß. Ich selbst arbeite für den Konzern, der unsere Farm aufgekauft hat. Ich werde Biobauer wie mein Vater.“

 

Für wenige Augenblicke kehrte Stille unter dem großen Zirkuszelt ein, als Baron aufhörte zu sprechen. Dann machte er plötzlich einen Schritt nach vorne auf den verblüfften Clown zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

 

Wissen Sie, Mister Fox, ich kenne da so ein Geheimnis von Ihnen. Mein Freund Benjamin Hoover aus dem Dorf hat es mir damals erzählt, als er Sie einmal heimlich im Wald beobachtet hat, wie sie Ihre telekinetischen Kräfte ausprobiert haben. Sie sind ein Mutant, der über ein gewaltiges Psi-Potential verfügt. Aber vor mir und Benny müssen Sie keine Angst haben, dass wir Sie verpfeifen. Im Gegenteil! Benny hält Sie für einen guten Menschen, der gerne etwas hergibt. Außerdem finde ich’s gut, wenn es echte Magier gibt, die ihre Sache realistisch machen und das Publikum mit ihren Tricks und ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit begeistern können. Machen Sie weiter so, Mr. Fox! Sie werden bestimmt noch mal groß rauskommen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“

 

Bevor er William Fox verlassen wollte, hielt ihn dieser am Arm fest und zog ihn ganz nah zu sich heran.

 

Ich habe dir und Benny mein Leben zu verdanken. Ich kehre bald zur Erde zurück und werde einen großen Zirkus aufmachen. Nur so ist es mir möglich, ein ganz gewöhnliches Leben wie alle anderen Menschen zu führen. Im Zirkus würden die Menschen nie auf die Idee kommen, dass ich in gewisser Hinsicht eine echte Zauberei gebrauche. Diese Scharlatanerie ermöglicht mir die notwendige Entlastung meiner Psi-Kräfte – und das in aller Öffentlichkeit. Ist das nicht wunderbar, mein Freund?“

 

Ja, das ist es wirklich, Mr. Fox. Die Welt ist eben voller Geheimnisse. Ich wünsche mir, dass es immer so bleibt“, sagte Baron, drehte sich verlegen um und ging zum Ausgang des Zirkuszeltes zurück.

Bevor er es ganz verließ, schaute er noch einmal zurück und winkte dem einsam da stehenden Clown in der Manege mit einer seltsam anmutenden Handbewegung zu.

 

Du darfst unsere Geheimnis niemals verraten, Kleiner“, flüsterte der Clown leise vor sich hin, hob langsam seine rechte Hand und winkte ebenfalls zurück. „Unter Zauberern ist das so üblich.“

 

William Fox, der Psi-Mutant, hatte nämlich gerade noch rechtzeitig bemerkt, wie der junge Mann den schweren, beidseitig geschlossenen Vorhang am Ausgang der Zirkusmanege mit einer leichten unauffälligen Handbewegung zur Seite schob und ihn in aufrechter Haltung mit angelegten Armen durchschritt. Sekunden später fiel der Vorhang von selbst wieder zu.

 

Der junge Baron Trafalgar war, wie William Fox auch, ebenfalls ein Psi-Mutant.

 

 

ENDE

 

© Heinz-Walter Hoetter

 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Heinz-Walter Hoetter).
Der Beitrag wurde von Heinz-Walter Hoetter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.06.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Heinz-Walter Hoetter

  Heinz-Walter Hoetter als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Legenden zwischen Lenden: Mittelmeer Gedichte von Dr. André Pfoertner



André Pfoertners Poeme wurzeln in der archaischen Erkenntnis, dass Erotik und Lyrik seit jeher eng miteinander verschlungen sind. Seine mit Meerwasser gesalzenen Verse kreisen um mediterrane Liebesakte zwischen göttlicher Schöpfung und irdischer Erschöpfung.
Aphrodite, Kalypso und andere bezaubernde Frauen begegnen legendären Liebhabern wie Odysseus, Casanova oder Lord Byron. Unter einer immer heißen Sonne, die von der Antike bis in die Neuzeit Hormone zum Brodeln bringt, zeigt Ischtar, die babylonische Göttin des Krieges und des sexuellen Begehrens, ihre beiden Gesichter. Die Liebenden in André Pfoertners lyrischem Mittelmeer treiben ruhelos zwischen Lust und Verlust hin und her.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Heinz-Walter Hoetter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Zitate von Heiwahoe von Heinz-Walter Hoetter (Sonstige)
Halloween von Rüdiger Nazar (Fantasy)
Das Meisenpaar KG von Heino Suess (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen