Heinz-Walter Hoetter

Der Ausflug in die Wüste von Clancis World

Joe Bilston und ich flogen auf unseren Flugmaschinen über eine von der Sonne rot gefärbten Wüste. Ich ließ meinen Freund immer ein gutes Stück vor mir herfliegen, weil ich meine schnittige Antischwerkraftmaschine noch nicht so gut steuern konnte, die aussah wie ein Rad loses Motorrad mit zwei großen Stummelflügel. Ich habe nämlich die längste Zeit meines Lebens in den Städten der Erde verbracht, wo derartige Fluggeräte verboten waren, wenn sie nicht gerade vollautomatisch funktionierten. Das Fliegen auf festgelegten Flugrouten mit diesen superschnellen Düsen angetriebenen Antigravitationsgleitern, die auf Terra von Verkehrsleitzentralen ferngesteuert wurden, machte aber auf diese Art und Weise keinen richtigen Spaß.

 

Ich flog lieber frei wie ein Vogel durch die Lüfte, wenngleich ich auch noch ein wenig ungeschickt darin war. Aber die weite, sandige Wüste unter mir bot für Anfänger wie mich genug Platz, sollte ich mal einen unbeabsichtigten Flugfehler machen und notlanden oder mit dem Rettungsfallschirm abspringen müssen.

 

Über Funk erhielt ich eine Meldung von Joe.

 

„Flint..., da!“ sagte Joe zu mir mit klarer Stimme.

 

„Wo?“

 

„Schau mal nach unten! Flieg hinter mir her und folge mir!“

 

Joe drückte sein Fluggerät in einem eleganten Bogen in eine weite Abwärtsspirale, sank und wurde nach jeder Runde langsamer. Ich folgte seinem Beispiel, übersteuerte allerdings meine Flugmaschine und sauste an ihm vorbei. Stück für Stück flog ich rückwärts zurück.

 

„Was ist, Joe? Was wolltest du mir zeigen?“ rief ich aufgeregt in mein Helmmikrofon.

 

„Da, dieser riesige Kaktus da unten!“

 

Ich schaute runter und suchte aufmerksam die Umgebung ab. Von hier oben aus wirkte die Wüste tot, als ob es in ihr kein Leben gäbe. Aber sie war es nicht; die Wüsten der meisten bewohnbaren Planeten bargen Leben in sich, so auch diese unter uns hier auf Clancis World. Dort unten gab es, wenngleich auch von der Höhe aus nicht sichtbar, dornige Sträucher, Blumen, die nach einem Regen aufblühten, anspruchslose Gräser und bizarre Insektenwesen, die sich tief im Sandboden vor der höllisch heißen Sonne versteckten. Magere, vierfüßige Warmblütler, die höchstens so groß wurden wie ein Fuchs und immer auf der Jagd nach Beute waren, liefen dort unten ebenfalls herum.

 

Und dann gab es da noch diese riesigen Kakteen von etwa zwei Meter Höhe und einem Durchmesser von mehr als fünfzig Zentimeter. Am oberen Ende befand sich ein großer, oval förmiger Kopf mit Haaren, die wie Hanf daran herunter hingen, und die genau die Farbe des rötlichen Wüstensandes hatten.

 

Wir landeten in unmittelbarer Nähe eines dieser seltsam aussehenden, kakteenartigen Gebilde und stiegen ab.

 

Ich hatte Joe Bilston dazu überredet, mich für ein bisschen Geld in die Wüste zu führen, obwohl er kein professioneller Führer war, die es hier auf Clancis World so gut wie nicht gab. Er wollte mir aber eben genau diese außergewöhnliche Pflanze zeigen.

 

„Komm, wir gehen herum nach vorne“, sagte Joe auffordernd zu mir.

 

Wir gingen also um dieses stachelige Ding herum, und ich fing an zu lachen, als ich nach oben schaute.

 

Etwa eine Handbreit über den letzten Stacheln kam durch den schütteren haarähnlichen Vorhang ein komisches Gesicht zum Vorschein, das irgendwie an eine lustige Gummimaske erinnerte.

 

Geduldig wartete Joe, dass ich zu lachen aufhörte.

 

„Ja, sie schauen wirklich komisch aus“, sagte er zu mir. „Aber diese Pflanzen sind intelligent. Und in diesem rosaroten oberen Ende steckt ein Gehirn, das doppelt so groß ist wie das menschliche.“

 

„Und..., hat es denn nie den Versuch unternommen, sich mit anderen intelligenten Lebewesen zu verständigen?“ fragte ich meinen Freund.

 

„Nicht das ich wüsste. Ich habe es mal über eine Stunde lang versucht, mit allen nur denkbaren Tricks, was allerdings auch nicht geholfen hat.“

 

„Dann haben wir völlig umsonst so einen weiten Weg zurückgelegt“, mokierte ich sauer und stieß den Sand mit dem rechten Fuß von mir weg, sodass er hoch aufwirbelte.

 

„Na ja, jedenfalls hast du diese seltsamen Xerophyten mal gesehen. Das ist schon mal was“, gab mir Joe beruhigend zur Antwort.

 

Ich lachte wieder, als ich die Kürbis artige Verdickung mit den langen haarähnlichen Auswüchsen und dem bewegungslosen Gesicht ohne Nase so betrachtete.

 

Ein paar Schritte von unseren Flugmaschinen entfernt hockten wir uns mit gekreuzten Beinen in den Sand und aßen vom mitgebrachten Proviant. Wir saßen dem Xerophyten fast genau gegenüber.

 

„Worauf warten wir eigentlich?“ fragte ich Joe von Zeit zu Zeit.

 

Mein Freund zuckte nur die Achseln, denn er wusste es offenbar auch nicht. Hin und wieder schauten wir uns um und sahen in die Wüste hinaus.

 

Plötzlich erschien ein rattenähnliches Tier. Es hoppelte uns entgegen und wirbelte dabei ein wenig Sand auf. Dann kam noch ein zweites, ein drittes und ein viertes. Sie sprangen ziemlich wild herum oder sausten über den Sand wie kleine Windhunde. Dann blieben sie wie auf ein geheimes Kommando hin abrupt im Halbkreis um dieses stachelige Pflanzending stehen und schauten es neugierig an.

 

Der Xerophyt wandte sich ihnen auf einmal zu ohne den Kopf ähnlichen Aufsatz zu drehen. Er bewegte einfach den ganzen Stamm herum. Das Gummigesicht veränderte sich während dessen von einer Sekunde auf die andere. Zwei starre Augäpfel ähnliche Verdickungen wurden hinter den Hanf artigen Haaren sichtbar und beobachteten konzentriert die Sandratten. Diese hockten sich auf ihre Hinterläufe und schauten in der gleichen Weise zurück.

 

Dann geschah etwas, womit keiner von uns gerechnet hätte. Der Mund des Xerophyten öffnete sich schlagartig zu einer Höhle, und eine lange Zunge bewegte sich wie ein Blitz, unsichtbar schnell, daraus hervor; zwei der Tiere waren danach verschwunden. Ein sattes, schmatzendes Geräusch war alles, was mein Freund und ich danach noch zu hören bekamen.

 

Wieder klappte das Maul der Riesenkaktee auf. Wieder fuhr die Riesenzunge hervor, und die beiden letzten Sandratten waren von der Bildfläche verschwunden. Ein kurzes Schmatzen noch, dann war alles vorbei. Die Stille der Wüste kehrte zurück.

 

Joe und ich hockten immer noch mit gekreuzten Beinen im Sand. Fassungslos starrten wir uns beide abwechselnd, dann wieder den Xerophyten an und vergaßen dabei das Essen. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf.

 

Mir kam da eine Idee.

 

Ich hatte auf einmal alle Antworten parat, intuitiv und überzeugend. Es gab keine andere Erklärung für das, was wir soeben mit eigenen Augen gesehen hatten. Der Beweis war eindeutig.

 

Diese Standort gebundene, intelligente Trockenpflanze verfügte über so etwas wie parapsychologische Kräfte, die ihre Nahrung zu sich rief. Sie konnte Gedanken kontrollieren, selbst so unpersönliche wie die von Sandratten.

 

Ich erzählte hinter vorgehaltener Hand meinem Freund davon, was ich persönlich vermutete. Joe schaute mich danach mit erschrockenem Gesichtsausdruck an.

 

„Flint“, sagte er mit leiser Stimme, „dann hat uns der Xerophyt zum Hinsetzen veranlasst und eine Schau mit den Sandratten abgezogen. Und dann mussten wir eine Weile hier sitzen bleiben, bis wir ganz persönlich wieder aufstehen konnten.“

 

„Dieses Wüstending kann also unseren Willen beeinflussen“, sagte ich zu Joe.

 

„Ja. Ich habe dir doch gesagt, dass es intelligent ist. Wie weit die parapsychologischen Kräfte dieser seltsamen Pflanze allerdings reichen, will ich erst gar nicht wissen. Sie scheinen aber abzunehmen, je weiter wir uns von ihr entfernen.“

 

„Dann lass uns lieber von hier ganz schnell wieder verschwinden, Joe. Nicht auszudenken, wenn dieser Riesenkaktus womöglich noch Geschmack auf Menschenfleisch bekommt", sagte ich, ging schleunigst zu meinem Fluggerät hinüber, schwang mich in den Klemmsitz, zündete die Düsen und startete mit Vollgas in den weiten Himmel von Clancis World.

 

Mein Freund Joe immer dichtauf hinter mir.

 

 

 

 

ENDE


(c)Heinz-Walter Hoetter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.07.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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