Anna Neuberg

Absterbende Gefühlswelt

ein regnerischer tag, ein tag an dem die Wolken nicht erkennbar sind,
der Himmel bedeckt von einem gräulichen Schleier,
der an ein vergilbtes Hochzeitsgewand erinnert,
seh ich die Trostlosigkeit in ihren Augen,
sie steht allein am Straßenrand,
wartend
es vergehen Minuten, stunden ... ohne eine Regung ihrerseits.
so wie sie steht,
so stand sie auch,
als der Linienbus an der Haltestelle einige Meter seitlich von ihr das erste mal hielt.
eine Veränderung ihres starren Gesichtsausdrucks ist auf den ersten blick kaum erkennbar. bei näherer Betrachtung jedoch lässt sich rasch für den Bruchteil einer Sekunde dann doch eine Regung feststellen.
ganz sachte, tiefes durchatmen, ein leises schnaufen, sei’s vor Erleichterung oder Enttäuschung.
dies will mir ihr kühles Gesicht nicht verraten und ich tappe auch weiterhin im Dunkeln. im 30minuten-Takt erreichen neue, moderne, schäbige, auch bemalte Busse die Haltestelle. ihre Reaktion bei jeder neuen Ankunft eins Busses ist die gleiche..
der Himmel wirkt erdrückend, so wie sie steht, so steht sie täglich hier sagen die Männer, die aus den Bussen steigen, um zu ihrer arbeit an der nahgelegenen Bushalteelle zu gelangen. sie scheinen das Kind zu kennen, mitleidig werfen sie ihr jedes mal aufs neue einen fragwürdigen Blick zu.
beirren lässt sie sich nicht. Die, die ihre haare hochgesteckt hat mit einem einfachen Malstift, sie trägt ein schlichtes knielanges kleid, keine Verzierungen oder Umrahmungen. ihre Turnschuhe sind alt und abgetragen, ums linke Handgelenk trägt sie bunte Armbänder, die sich ineinander verschlingen. warten tut sie noch immer. einmal wurde sich von einer alten Dame nach dem weg gefragt - ihre antwort kam sehr schnell aus dem mund geschossen, unnatürlich und eilig empfand ich diesen hektischen Moment, es schien, als wolle sie nicht gestört werden, zumal der nächste Bus in wenigen Sekunden halt machen wollte. ihre Aufmerksamkeit wendete sie schlagartig von der verwirrten Dame ab um dem ankommenden Bus ihre volle Konzentration zu schenken, um ernüchtert festzustellen, dass die welt auch weiterhin still stehen würde. damals. heute ist etwas anders, erst bei Ankunft des nächsten Busses wird sie sich darüber im Klaren sein. im Moment, da spürt sie es nicht. Als er ankommt, bewegt sie sich auf ihn zu. behutsam, viele Männer mittleren alters steigen bestimmt aus dem Bus, zuletzt ein junger Mann. einer, der vor sie tritt, sie ansieht mit den leuchtenden Augen in seinem Gesicht, dass eben so starr ist wie ihres, doch scheint er sonderbar erfreut über ihren Anblick. sie wirkt kaum verändert auf den ersten blick - auf den zweiten erkennt man wohl ihr leises weinen, als sie den jungen Mann in den arm nimmt und ihn küsst auf die erste - auf die zweite wange. dann fährt sie zurück, schneller als erwartet da ihr gegenüber erschreckt zurückweicht, sie beginnt zu treten und mit ihren Fäusten um sich zu werfen, ohne ihr Zielobjekt auch nur zu berühren. der Sicherheitsabstand ist zu groß. das weiß sie. sie scheint ihm keinen schmerz zufügen zu wollen, obwohl er es tat, monatelang, hier an diesem ort als sie wartete, und hoffte er würde sein versprechen einhalten, ihr zeigen, wie es ist zu lieben und geliebt zu werden, sie wollte auch einmal die Welt so sehen, mit anderen Augen, mit blinden wie die Menschen zu sagen pflegen, wenn sie von der liebe sprechen. nun geht sie auf ihn zu, er - entsetzt und hilflos - streckt ihr die arme hin. sie wendet sich von ihm ab, verabschiedet sich von der schmerzhaften Gedanken an ihn und wünscht sich den weg allein nach haus. zu spät hat sie begriffen, dass sie nur meinte diesen einen lieben zu können, diesen der sie schlecht behandelte und sie warten lies, eine ganze zeit lang, in der ihre wahren Gefühle die Zeit fanden abzusterben und zu verkommen ... bei jeder Busankunft mehr und mehr...

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