Alles hatte sich verändert, seitdem Jenny in sein Leben getreten war. Nie zuvor hatte ihm jemand mit so vielen tausend kleinen Gesten zu verstehen gegeben, dass er nicht bloß als Zweckobjekt zum Kinderkriegen, sondern auch als Mensch geliebt wurde. Jenny musste er sich nicht erklären, sie verstand ihn blind und las ihm beinahe jeden Wunsch von den Augen ab. Auch körperlich fand er ein reges Interesse an ihr, die sie unzählige Sehenswürdigkeiten an sich trug.
„Lass uns zusammen in Urlaub fahren“, hatte sie ihn eines Tages mit dem ihr eigenen spitzbübischen Lächeln überfallen. Daraufhin hatte er ihr mit einem breiten Grinsen geantwortet: „Das ist eine klasse Idee, ich war noch nie mit meiner Traumfrau im Urlaub. Wohin sollen wir denn fahren?“
„Ich dachte an das schöne Balkonien …“, erinnerte er sich ihrer Worte, die sie ihm ins Ohr gehaucht hatte.
Als er am ersten Urlaubsmorgen auf den Balkon des Hotels Gabrielli in Venedig hinausgetreten war, hatte er verstanden, dass sie nicht unbedingt das heimische Balkonien nach „La Deutsche Vita“ gemeint hatte. Dort stand er nun auf einem Balkon in der Stadt seiner Träume, während ein frischer Wind das Meer an seine Nase herantrug. Die Vorzeichen waren gewiss andere. Er hätte genauso gut die Piazza di San Marco mit ihrem eindrucksvollen Turm, die imposanten, bunt bemalten Häuser im venezianischen Stil oder die elegant dahingleitenden Gondeln in der Lagune bewundern können. Stattdessen fiel sein Blick auf den Balkon des gegenüberliegenden Hotels, dessen kunstvoll verziertes Geländer von der Sonne beschienen wurde. Damals, an jenem Novembertag vor sechs Jahren, hatte es in Strömen geregnet, und das Geländer war aus schwarzem Metall gefertigt. Obwohl hier und heute alles so anders war als damals, sah er vor sich, wie Mandy im Streit ihren Freund Thomas über jenes Geländer in den Tod stieß.
Plötzlich spürte er eine sanfte Hand auf seiner Schulter. Erschreckt fuhr er herum und wäre beinahe rücklings über das steinerne Geländer ihres Balkons in die Tiefe gestürzt. „Was ist denn los, mein Liebling?“, fragte Jenny besorgt. „Du bist ja kreidebleich!“
Er stieß einen Seufzer aus. Es war gewiss nur ein dummer Zufall gewesen, dass Jenny das Wortspiel ausgerechnet auf Balkonien bezogen hatte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.08.2018.
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