„Planst Du wieder eine Urlaubsreise?“
Das war die häufigste Frage, die in den letzten drei Monaten an mich gerichtet wurde. „Nein, dieses Jahr plane ich keine Reise. Kein Stau auf den Autobahnen, kein Flieger, der aus irgendwelchen Gründen nicht fliegen kann.
Nein! Wie sollte ich mich da noch zurechtfinden, nach einer nicht ganz glücklich verlaufenen Augen-Operation.
Ich werde diesen Sommer in meiner kühlen Wohnung, und auf dem Balkon verbringen. In die Bäume schauen, die Verhaltensweisen der Vögel studieren, die sich dort fröhlich tummeln, seit ich ihnen eine Schale mit frischem Wasser und eine mit Sämereien bereitgestellt habe.“
Doch als die Temperaturen die 30 Grad erheblich überschritten, geriet mein Vorsatz ins Wanken. Und als mein Neffe verkündete, er habe mich für 14 Tage in einem Hotel im Schwarzwald angemeldet, stimmte ich zu.
Früher zog es mich immer in den Süden, ans Meer. Ich mochte es, am Strand zu liegen und in die Ferne zu schauen, dorthin, wo sich der „Himmel zur Erde“ neigt.
Eine Reisefreundin, sie war Theologin, verbesserte mich „nicht der Himmel, der Horizont“, meinte sie. Vermutlich hätte mich auch ein Naturwissenschaftler in dieser Weise korrigiert. Mir genügte diese sachliche Formulierung nicht. Mit Eichendorffs Gedicht:
„Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst...“
eröffnen sich doch ganz andere Dimensionen. Spiegelungen der Seele. die über das Irdische Leben hinausweisen. Das kommt meinen Empfinden viel näher.
„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“, sagte Goethe.
Aber wie sollen diese Projektionen heute noch gelingen. Wo gibt es noch die einsamen, sauberen Strände?
Ja, sicher gibt es sie noch. in immer größerer Entfernung.
Jedenfalls landete ich dieses Jahr im Schwarzwald, nur 50 km entfernt von meiner Wohnung, in Menzenschwand.
„Willkommen bei uns daheim“ stand auf einem Schild im Garten, direkt neben der Haustüre des schönen Schwarzwald Hotels, das mich von allen Balkonen mit üppiger Geranienblütenpracht anlachte. Ich konnte wieder freier atmen in der reinen frischen Höhenluft. Und in der ungezwungen herzlichen Atmosphäre dieser Leute.
Erinnerungen an die Kindheit tauchten auf, an die Ferien, die wir gemeinsam mit der ganzen Familie im benachbarten Bernau verbrachten. Vater, Mutter und meine zwei Brüder.
„In diesen Tälern und auf diesen Höhen, hab´ ich die Welt zum ersten Mal gesehen“
schrieb der Bernauer Maler Hans Thoma.
Aussagekräftig für diesen Künstler auch der folgende Satz:
„Wo ich auch war und was auch das Leben mir gab, immer hatte ich Heimweh.“
Nach all den langen Jahren, zog es mich wieder ins Museum nach Bernau – Innerlehen um die Gemälde des mit der Heimat so verwurzelten Malers zu sehen. Und ich entdeckte sie neu. Die Landschaftsbilder und die Bilder von den Menschen, die hier lebten, in diesen langen Tälern und auf diesen Höhen. Bei der Heuernte im Feld, der Ziegenhirte, junge Mädchen, die Reigen tanzen, da ein Holzschnitzer, dort der malende Schuljunge. Er sitzt auf der Wiese unterm Baum, ein paar Hühner drum herum. Dann der Mondscheingeiger, die lesenden Frauen. Manchmal hört die ganze Familie zu oder die Tochter, die Enkelin. Was sie auch tun, diese Menschen auf Thomas Gemälden, sie tun es hingebungsvoll.
Sie erzählen viel, diese Bilder, von Menschen in einer heilen, harmonischen Welt.
Als ich aus dem Museum komme. trinke ich im gegenüber liegenden Hotel Rössle noch einen Kaffee, schaue ins Tal, genieße die Ruhe und reflektiere über meine Kindheit in Bernau.
Dann fahre ich mit dem Bus wieder nach Menzenschwand. Der Busfahrer „macht eine Ausnahme“ und hält direkt vor meinem Hotel. Bei einem Glas Wein lerne ich am Abend eine neue Freundin kennen und genieße die kleine Mahlzeit und den Gedankenaustausch.
Für den letzten Urlaubstag lädt sie mich ein zu einer Fahrt nach St. Blasien. Wir besuchen den Dom, vor dem gerade die Vorbereitungen zu den diesjährigen Domfestspielen laufen.
Die nächsten Tage werden ganz der Entspannung gewidmet. Ich schlendere durch den Kurpark mit der Kneippanlage, besuche das Thermalbad und entspanne mit den “Wellness Angeboten“, die dort von Fußreflexzonen-Massagen bis zu Ayurveda-Behandlungen angeboten werden.
Bei Spaziergängen konnte ich die Kühe auf der Weide beobachten. So viele Kühe auf einmal. Wann hatte ich das zum letzten Mal gesehen? Nichts, aber auch gar nichts kann sie aus der Ruhe bringen. Und wie sie ihre Mahlzeiten einnehmen! Nicht wie die gehetzten Stadtmenschen, denen reicht es oft nur für „Street Food“ oder „Coffee to go“. Nein, die Kühe kauen in aller Ruhe! Und nehmen sich Zeit zum Wiederkäuen. Das muss man einmal bedenken in unserer gehetzten Zeit! Damit ließen sich von vornherein alle Magenprobleme verhüten.
Die Täler und die Höhen lernte ich dann noch besser kennen, als mich eine Freundin von einer Berghütte zur anderen fuhr. Richtig eintauchen kann man in diese weite, noch so menschenleere Landschaft, die allerdings an manchen Stellen eher an eine trockene Prärie erinnerte. Selbst in dieser Höhe ließ die Sommerhitze viele Wiesen verdursten.
Nur ein paar Minuten entfernt von meinem Hotel befindet sich das Rathaus Menzenschwand mit seinem Kunstmuseum „Le Petit Salon“, das die Dauerausstellung des berühmten Menzenschwander Hofmalers Franz Xaver Winterhalder und seines Bruders Hermann beherbergt. Das Selbstporträt dieser beiden ungleichen Brüder sagt sehr viel über deren Persönlichkeit aus. Franz Xaver selbstbewusst, voller Tatendrang und sprühend voll Lebenslust. Hermann der Stille, Introvertierte. Man hat den Eindruck, er sucht Halt bei seinem Bruder. Den hält es nicht in der Heimat. Er wird zum erfolgreichen Hofmaler, der Kaiserinnen und Königinnen porträtiert. Den kleinen Prince of Wales, „Sissi“, die Kaiserin von Österreich, Königin Victoria von England, Isabella von Spanien und viele andere. Hermann unterstützt den Bruder beim Ausmalen der prunkvollen Kostüme und Gewänder. Seine Porträts aber, die es noch zu entdecken gilt, wenden sich ab vom äußeren Prunk und suchen die ganz individuelle menschliche Seele.
Das könnte mich bei meinem nächsten Aufenthalt in Menzenschwand noch eingehender interessieren.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2018.
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