Rudolf Kowalleck

René oder über dem inneren Frieden

Robert kam irgendwo aus der Gegend von Hannover und sprach ein glasklares Deutsch.  Ich sollte ihn einarbeiten. Er war mir direkt sympathisch, obwohl er rein äußerlich kein Mann war, nachdem eine Frau sich umschaut. Er war für einen Mann sehr klein und reichte mir kaum bis an meine Schulter und ich bin wahrhaftig kein Riese. Seine unübersehbar beginnende Glatze, seine etwas zu groß geratene Nase, sein Bauchansatz  machten ihn sicher nicht besonders anziehend für die Damenwelt.

Als erstes brachte ich ihm die für ihn ungewohnte Sprache im Ruhrpott bei. Das mit dem hömma, siehse, hasse, wennze, kannze hatte er ziemlich schnell kapiert. Auch was es bedeutete, wenn eine Stimme vom nahe gelegenen Spielplatz rief: Jackelien, komma nache Omma, abber gleich!“

Genauso wie die Erkenntnis, dass es Watte bei uns nicht nur im Bad gab, sondern auch in solch legendären Sätzen wie „Watte nich sachs.“

Ein paar Wochen später lud er mich in die „Blaue Giraffe“ ein. Er wollte sich für meine Bemühungen, ihn zu integrieren bedanken. Ein stadtbekanntes Schwulenllokal, wie jeder in der Stadt wusste, und ich zögerte einen Augenblick, diese Einladung anzunehmen. Was wollte er mir damit sagen?

Wie sich herausstellte nichts, was mir hätte Sorgen bereiten können, wie er meinte. Er wüsste sehr wohl, dass ich Hetero sei, aber die Giraffe sei nun mal sein Stammlokal geworden und er wollte mir auch unbedingt seinen Mann vorstellen, wie er es ausdrückte. Seine große Liebe, die er hier kennengelernt hatte.

Warum nicht?, dachte ich und wenig später saßen Robert, René und ich bei unserer ersten Runde am Tisch. Im Fernseher liefen Nachrichten. Es ging wieder einmal um den Krieg in Syrien.

„Wisst ihr“, meinte René. „Wenn wir von Frieden reden, meinen wir immer den äußeren Frieden, also dass es keinen Krieg gibt, in dem tausende von Menschen ihr Leben lassen oder ihre Heimat verlieren, aber viel wichtiger ist meiner Meinung nach der innere Frieden, mit sich selbst im Reinen zu sein, zufrieden eben. Nicht umsonst steckt Frieden in Zufriedenheit.“

Ich war etwas irritiert, hatte ich doch mit ganz anderen Gesprächsthemen gerechnet.

„Ich glaube, wenn all die Putins, Erdogans oder Trumps auf dieser Welt mit sich selbst zufrieden wären“, fuhr René fort, „und nicht ihr mangelndes Selbstbewusstsein und ihre damit verbundenen Komplexe durch das Erstreben und Ausüben von Macht kompensieren müssten, sähe es auf unserer Welt ganz sicher anders aus.“

„Da hast du wohl Recht“, stimmte Robert zu, umarmte René und küsste ihn auf die Wange. „Dich als Pfarrer muss es doch wahnsinnig machen, dass die Menschen einfach nicht dazulernen oder?“

Pfarrer?, hallte es in mir nach.

„Meinen inneren Frieden rauben mir noch ganz andere Dinge“, entgegnete René. Wäre ich Dürer und müsste die apokalyptischen Reiter noch einmal malen, dann hießen die heute Habsucht, Gier, Hass, Unrecht und Verlogenheit. Schau uns doch an. Da verpesten sie die Luft mit Diesel und wenn man sie zwingen will, das zu ändern, drohen sie mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und wir schweigen. Oder sie bauen wider besseren Wissen, was das für unser Klima bedeutet, weiter Braunkohle ab und wir tun nichts. Oder sie töten mit ihren Unkrautvernichtungsmitteln die Insekten und verseuchen das Grundwasser mit ihrer Gülle und wir lassen es geschehen. Eigentlich sollte ich ganz anders sein. Ich sollte ihnen von der Kanzel zurufen: Was ist mit den Menschen, die ihr liebt? Atmen eure Kinder eine andere Luft oder habt ihr für sie geheime Wasserquellen aus denen ihr dann trinkt und meine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, Gottes Wort zu verbreiten und seine Schöpfung zu bewahren, hüllt sich dazu in Schweigen, weil wir viel zu viel mit uns selbst zu tun haben, die Verbrechen zu vertuschen, die hinter angeblich christlichen Wänden unschuldigen Kindern angetan wurden.“

„Noch drei Pils und drei Doppelte, Frank“, orderte Robert und hob seine Hand. Frank nickte uns zu und nahm eine Pilstulpe vom Regal.

„Weißt du“, fuhr René fort. „Ich habe gelernt, die eigentliche Sünde ist die Entfernung des Menschen von Gott und somit versündigen wir uns selbst am meisten. Wie soll ich denn den Gemeindegliedern, die uns den Rücken kehren, ihren Austritt unter diesen Umständen verübeln? Ich prophezeie euch, spätestens unsere Urenkel werden uns hassen, wenn sie im nächsten Krieg um die letzten Wasserreserven und Vorkommen von seltenen Erden kämpfen und sich in ihren voll klimatisierten Bunkern vor der brennenden Sonne schützen. Gott braucht keine neue Sintflut zu senden, um uns zu vernichten. Das schaffen wir ganz alleine, wenn wir nicht zuvor schon verhungert sind, weil mehr Plastik als Fisch in den Meeren schwimmt.“

„Lass uns das Thema wechseln“, bat Robert. „Muss ich mir um dich Sorgen machen, Schatz?“

 „Und unsere Liebe müssen wir verstecken“, seufzte René. „Wie soll ich da meinen inneren Frieden finden?“

Die Stimmung war nun endgültig dahin. Was eigentlich ein fröhlicher Umtrunk werden sollte, war in bedrückende Betroffenheit umgeschlagen. Wir tranken dann doch noch oder gerade deswegen mehr als uns guttat. Zwei Stunden später verabschiedete ich mich von den Beiden und riet ihnen, sich trotz allem, was über sie hereinbrechen würde, zu ihrer Liebe zu bekennen und darauf zu bauen, dass selbst in unserer Diktatur der Banken und Konzerne irgendwann auch der letzte Vorstand und der letzte Politiker kapiert hat, das auch sie Geld weder atmen noch trinken können. Was ich in diesem Moment nicht ahnte, es war ein Abschied für immer, denn nur eine Woche später mussten wir René zu Grabe tragen.

Wir erreichten den Hauptfriedhof viel zu früh, aber Robert hatte mich ausdrücklich gebeten, zeitig loszufahren. Er wollte sich unbedingt noch in Ruhe von René verabschieden können.

Wir durchschritten das Eingangstor und folgten dem Weg, den uns der Friedhofsgärtner beschrieben hatte.

Nach wenigen Schritten erreichten wir die Trauerhalle, ein zweckbetonter schmuckloser Flachbau. Die Eingangstüre hatte beinahe die Ausmaße einer Kirchenpforte und ich musste mich regelrecht dagegen stemmen, um sie zu öffnen.

Im Innenraum wachte ein Engel aus schwarzem Marmor, der so traurig schaute, als müsste er die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern tragen. Nach rechts führte ein kahler Flur. Wir schritten die Türen ab. Neben jeder war ein Namensschild angebracht. Das dritte trug den gesuchten Namen.

Es kostete Robert offensichtlich alle noch verbliebene Kraft, einzutreten. „Beinahe hätte ich angeklopft“, flüsterte er mir zu. „So durcheinander bin ich. Verrückt, oder? Aber genau so hat mich mein Vater erzogen, an Respekt einflößenden Türen anzuklopfen, bevor man eintritt.“

Zögerlich öffnete er die Türe und wir betraten den Raum. Neben dem offenen  Sarg hatte Robert Bodenvasen aufstellen lassen mit Feuerlilien und gelben Tulpen darin. Ich hatte das Gefühl, sie kämen sich genauso verloren vor wie ich.

Es schien, als ob René schlief. Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen, so als träumte er etwas Wunderschönes.

Als hätte Robert meine Gedanken erraten, erklärte er mir, dass sei nicht der erste Infarkt gewesen und dann berichtete er, was ihm René danach anvertraut hatte. Von einem hellen Licht hatte er gesprochen, einer wunderbaren Musik und einem unbeschreiblichen Gefühl der Liebe, das ihn umfing. Jetzt fürchte er sich nicht mehr vor dem Sterben.

Die Ärzte meinten hingegen, Endorphine seien schuld an solchen Visionen, körpereigene Drogen, die in Extremsituationen ausgeschüttet werden, um zu beruhigen und die Schmerzen zu lindern. Der Körper spürt, wenn es zu Ende geht. Das habe für ihn irgendwie plausibler geklungen, sagte Robert.

„Ich hoffe, dass er jetzt seinen Frieden hat“, meinte  er zum Schluss.

Wir hörten Schritte auf dem Flur und Stimmen. Es wurde dezent an die Türe geklopft und ein Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens meinte:

„Leider muss ich Ihre Andacht unterbrechen, meine Herren, aber es ist soweit.“.

„Wir wollten ohnehin gerade hinausgehen“, antwortete Robert.

 

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