Claudia Savelsberg

Diese verdammte Einsamkeit

Du bist allein. Du hast niemanden, dem du deine Sorgen und Kümmernisse anvertrauen kannst. Du bist allein. Du hast niemanden, mit dem du Freude und Glück teilen kannst. Wenn du nachhause kommst, dann wartet nur dein Kater auf dich. Du bist froh, dass du dieses Lebewesen an deiner Seite hast. Du bist froh, dass du ihm deine Liebe schenken kannst.

Manchmal erzählst du deinem Kater von deinen Problemen und den Gedanken, die dir durch den Kopf gehen. Dann denkst du, dass du nicht mehr ganz normal bist. Aber es gibt ja sonst niemanden in deinem Leben. Diese verdammte Einsamkeit …

Du hast Freunde und gute Bekannte, mit denen du telefonierst oder Mails austauschst. Du bist nett und sympathisch, kannst gut zuhören, hast Humor. Man mag dich. Wenn du zum Geburtstag oder zum Grillen eingeladen wirst, freust du dich auf die Abwechslung und die Gesellschaft.

Du lachst und redest, fühlst dich wohl im Kreis deiner Freunde. Manchmal redest du zuviel, was dir bewusst ist. Aber du freust dich einfach, dass du Zuhörer hast.

Dann kommst du nachhause in deine leere Wohnung. Das einzige Geräusch, das dich empfängt, ist das Ticken der Wanduhr. Plötzlich überfällt sie dich wieder, diese verdammte Einsamkeit …

Wochenenden und Feiertage sind besonders schlimm. Manchmal zwingst du dich zu einem Spaziergang, weil du nicht allein in der Wohnung sitzen willst. Du gehst auf einen Flohmarkt und stöberst an den Ständen, ohne etwas kaufen zu wollen. Manchmal kommst du mit einem Verkäufer ins Gespräch. Du lachst und plauderst und fühlst dich gut dabei. Aus den Augenwinkeln siehst du Paare und Familien und stellst dir vor, dass sie abends gemütlich beim gemeinsamen Essen am Tisch sitzen.

Dieser Gedanke zieht dich runter, und du gehst nachhause. Fernseh schauen, lesen, Musik hören, vielleicht noch eine Freundin anrufen. Dein Abendessen nimmst du allein ein. Diese verdammte Einsamkeit …

Eine Freundin, die es gut mit dir meint, zählt dir die Vorteile des Alleinlebens in vollmundigen Worten auf. Du bist dein eigener Herr, kannst tun und lassen, was du willst. Deine eigenen Entscheidungen treffen, ohne darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Du hast deine Freiheit, um die dich viele Frauen insgeheim beneiden.

Manchmal kannst du es einfach nicht hören, und dann wirst du böse und bisweilen ungerecht. Du haderst mit deinem Schicksal: Wieso habe ich kein Glück? Wieso bin ich allein? Was habe ich falsch gemacht?

Diese Gedanken ziehen dich runter, und du steuerst mit Macht dagegen, addierst in Gedanken die positiven Dinge in deinem Leben. Das hilft. Zumindest kurzfristig. Dann ruft ein guter Freund an und erzählt dir voller Freude, dass er seiner Partnerin einen Heiratsantrag gemacht hat. Du gratulierst und freust dich für ihn. Als du den Hörer auflegst, fühlst du dich verlassen. Diese verdammte Einsamkeit …

Im Frühjahr und im Sommer ist das Gefühl nicht so erdrückend. Du arbeitest im Garten, pflanzt Blumen und Sträucher. Das macht dir Freude. Manchmal setzt du dich in den Liegestuhl, blinzelst in die Sonne oder liest. Du triffst Nachbarn, mit denen du dich am Gartenzaun unterhalten kannst. Eine kleine Plauderei tut dir gut.

Dann wird es Herbst. Du geniesst die Oktobersonne, die dein Gesicht wärmt und das bunte Laub der Bäume in vielen Facetten leuchten lässt.

Manchmal kannst du sogar noch im Garten sitzen. Langsam aber unerbittlich, werden die Tage kürzer. Du weisst, dass sie wieder auf dich lauert – diese verdammte Einsamkeit ….

Dann kommt die dunkle Jahreszeit. Der November mit den Feiertagen Totensonntag und Volkstrauertag. Eine lähmende Atmosphäre legt sich auf die Seelen der Menschen. Alles ist grau in grau. Erinnerungen an Menschen, von denen wir Abschied nehmen mussten, überfallen uns. Es gibt kein Gegenmittel. Wer allein lebt, den quält der November extrem.

Wenn du es nicht mehr aushalten kannst, wählst du die Nummer der Telefonseelsorge, weil du einen Menschen brauchst, der dir zuhört. Du weisst, dass die Selbstmordrate statistisch gesehen im November am höchsten ist. Aber diesen Gedanken verdrängst du schnell.

Manchmal sind die Leitungen der Telefonseelsorge belegt, es gibt ein Heer von einsamen Menschen, du bist mit diesem Schicksal nicht allein.

Du kochst dir einen Tee, zündest Duftkerzen an und schaust einen alten Film an, den du schon kennst. Dann gehst du zu Bett und ziehst die Decke bis zum Kinn hoch. Diese verdammte Einsamkeit …

Im Advent schmückst du die Wohnung und kaufst einen Adventskranz. Du möchtest es gemütlich haben und freust dich an deiner Weihnachtsdekoration. Du tust es nur für dich, und das ist wichtig.

Alles andere wäre die totale Kapitulation. Das muss dir kein Psychologe sagen, und über die schöne Umschreibung „Winterblues“ kannst du nur höhnisch lachen. Ein schickes Modewort, das deine Gefühle nicht beschreiben kann. Wenn sie endlich aufhören würde, diese verdammte Einsamkeit ….

Es geht auf Weihnachten zu, und in den Geschäften herrscht hektische Betriebsamkeit. Die letzten Geschenke werden gekauft. Das Weihnachtsgebäck und die üblichen Delikatessen. In den meisten Familien gibt es Braten, Rotkohl und Klösse. Dazu Cognac und Rotwein. Das entspricht dem klassischen Weihnachtsfest, es ist eine Tradition, der man gerne folgt.

Du hast niemanden, den du beschenken kannst. Du hast niemanden, für den du kochen kannst. Du wirst Weihnachten allein sein, und dieser Gedanke ist schauderhaft. Diese verdammte Einsamkeit …

Am 24. Dezember siehst du hinter Fensterscheiben Lichterketten, funkelnde Sterne und geschmückte Weihnachtsbäume. Du stellst dir ein Fest im Kreis der Familie vor. Du stellst dir lachende Gesichter vor und die Freude beim Auspacken der Geschenke.

Du erinnnerst dich an deine Kindheit und wünschst dir einen Menschen, der dich in diesem Moment fest in den Arm nehmen würde. Natürlich weisst du, dass Weihnachten, das „Fest der Liebe“, nicht immer harmonisch verläuft. Aber dieser Gedanke gibt dir wenig Trost. Du musst nur durchhalten an diesem Abend. Morgen sieht es besser aus. Diese verdammte Einsamkeit....

An Heiligabend kochst du etwas Leckeres, deckst den Tisch festlich und zündest die Kerzen auf dem Adventskranz an. Du hast eine Flasche Rotwein gekauft und trinkst beim Essen ein Glas. Dann setzt du dich auf das Sofa und machst den Fernseher an. Die betulichen Weihnachtsfilme magst du nicht. Diese heile Welt kannst du dir am heutigen Abend nicht antun.

Vielleicht läuft ja wieder ein alter Film, bei dem du dich amüsieren kannst. Du trinkst noch ein Glas Rotwein und fühlst die beruhigende Wirkung des Alkohols. Also trinkst du noch ein Glas und noch eins. Du bist entspannt und fühlst dich gut, der gefürchtete Heiligabend geht langsam zu Ende.

Du schliesst die Wohnungstüre ab und machst das Licht im Flur aus. Auf dem Wohnzimmertisch steht die leere Rotweinflasche. Du gehst zu Bett und ziehst die Decke bis zum Kinn hoch. Diese verdammte Einsamkeit ...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.12.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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