Heinz-Walter Hoetter

Hat der Mensch wirklich einen freien Willen?

Forscher sprechen immer wieder davon, dass der Mensch in seinem Verhalten determiniert sei – er entscheide nicht frei, habe keinen freien Willen, sondern sei vielmehr ein Produkt der Verschaltung seiner Neuronen im Gehirn.

Damit taucht die Frage auf: „Ist der freie Wille wirklich frei?“

Aus neurobiologischer Sicht: nein, denn unser ganzes Verhalten ist durch kausal determinierte Vorgänge im Gehirn bestimmt. Aber dazu muss einiges gesagt werden, weil es immer wieder zu Missverständnissen kommt. Zunächst kurz die Argumentationslinie: Bei einfachen, niederen Organismen kann man heute schon das Verhalten vollständig aus der Dynamik ihres Nervensystems erklären und voraussagen, wenn man die Bedingungen alle kennt. Auf dem Weg von den einfachen zu den komplexen Lebewesen sehen wir keinen ontologischen Sprung: Wir finden bis hin zum Menschen überall die gleichen Nervenzellen und Mechanismen. Lediglich die Zahl der Neuronen und die Komplexität der Verschaltung nehmen zu. Dadurch entsteht komplexes Verhalten – aber auch dieses beruht allein auf neuronalen Wechselwirkungen. Diese gehen auch unseren höchsten kognitiven Leistungen wie Gefühlen, Entscheidungen oder Plänen voraus.

Einen solchen naturalistischen Standpunkt vertreten die allermeisten Neurobiologen: Wir können nicht mit der Vorstellung leben, dass eine vom Nervensystem unabhängige geistige Dimension existiert, die von sich aus im materiellen Raum irgendetwas erzeugt und dann auf die Neuronen einwirkt, damit die tun, was der Geist will. Denn nach allem, was wir wissen, gelten im Gehirn die bekannten Naturgesetze und das Kausalprinzip. Das heißt, dass der je nächste Zustand des Nervensystems vom vorhergehenden determiniert wird. In ganz seltenen Fällen kann es dabei vorkommen, dass zwei Folgezustände gleich wahrscheinlich sind und thermisches Rauschen, sprich der Zufall, entscheidet, ob das System den einen oder den anderen Weg nimmt. In aller Regel wird es aber folgerichtig handeln – Gott sei Dank. Denn wenn ein Gehirn nicht konsistent funktionieren würde, könnte es den Gesamtorganismus niemals am Leben erhalten.

Beim Stichwort Determinismus darf man sich aber nicht so etwas wie ein Uhrwerk vorstellen. Solche klassischen mechanischen Systeme entwickeln sich berechnen– und voraussagbar. Im Gegensatz dazu unterliegt das Gehirn – wie fast alles in der belebten Welt – einer nichtlinearen Dynamik. Das heißt, es ist zwar deterministisch aufgebaut, jeder einzelne Schritt geht gewissermaßen mit rechten Dingen zu. Aber die langfristige Entwicklung lässt sich weder vorausberechnen noch festlegen, weil winzigste Abweichungen im Ausgangszustand zu einem komplett anderen Verlauf führen können. Dadurch können solche Systeme auch immer wieder neue Zustandsräume erschließen und völlig Unerwartetes tun – das nennen wir Kreativität.

Konsequenzen, die ich hier nur andeuten kann, hat das Gesagte für das Rechtssystem. Es ist klar, dass ein Täter, als er die Entscheidung zur Tat gefällt hat, nicht anders konnte. Er war der Gesamtheit der neuronalen Erregungsmuster, die in seinem Gehirn zum Tragen kamen, ausgeliefert: der augenblicklichen Reizsituation, bewussten und unbewussten Motiven, Gedächtnisinhalten wie beispielsweise zuvor gehörten Argumenten und so weiter. Daraus folgt, dass man über manches in unserem Rechtssystem nachdenken muss. Aber es folgt daraus nicht, dass dem Täter die Tat nicht zuzuschreiben wäre! Er bleibt verantwortlich – er war es ja und niemand anders. Und dass die Gesellschaft durch Erziehung, Anreize und Strafen versucht, abweichendes Verhalten einzudämmen, bleibt ebenfalls sinnvoll und richtig. Allerdings muss ich auch hier wieder gewisse Einschränkungen machen, denn nicht jede Gesellschaft ist eine gute, vor allen Dingen jene nicht, wenn sie irgendeine obskure Religion und ihre Dogmen zur Grundlage ihres Staatswesen gemacht hat.


 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

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